Haushälterinnen Gottes
Sie finden den dritten Weg zwischen Kloster und weltlichem Leben: Religiöse Frauen, die Gott und dem Nächsten dienen wollen, organisieren sich im 12. Jahrhundert zu Lebensgemeinschaften der Beginen. Helga Unger hat eine auch für Laien verständliche Gesamtdarstellung über die außergewöhnliche Frauenbewegung verfasst.
Die Bibelinterpretation der alten Kirchenväter ging für die Frauen übel aus: Sie wurden als Einfallstor des Teufels gesehen, mussten Evas Schuld abbüßen und wenn sie nicht heirateten, am besten als Jungfrauen weiterleben, denn Sexualität wurde verteufelt. Männer in der Familie behielten Frauen immer in ihrer "Muntgewalt" (Munt = Schutz).
Bis die Beginen mit der Armutsbewegung im 12. Jahrhundert aufkommen: Bald gibt es mehr Frauen als Orden, die sie aufnehmen können. Im Gegensatz zur herrschenden verschwenderischen Kirchenobrigkeit regt sich bei ihnen und den Bettelorden der Wunsch, wieder authentisch nach dem Evangelium zu leben, sich dem Urchristentum anzunähern. Aus den verschiedenen Strömungen heben sich die Beginen hervor. Es gibt sesshafte in Konventen und Beginenhöfen und frei Umherziehende, die sogar predigen. Gemeinsam ist ihnen ein neues Ideal: Sie wollen nicht wie Ordensschwestern "Bräute Christi" sein, sondern "Haushälterinnen Gottes". Sie leben meist von ihrer eigenen Arbeit im Handwerk, Textilgewerbe oder als Lehrerinnen, behalten ihren Besitz und sorgen selbst für ihren Unterhalt. Anfangs sind es vor allem Adlige, die sich den alten weiblichen Lebensmodellen verweigern.
Mit den Beginen entwickeln sich erstmals aktive Sozialarbeiterinnen, die Armen, Kranken und Sterbenden beistehen. Ihre freiere Organisation in Gemeinschaften und ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit machen sie flexibel. Sie werden dafür gelobt, angefeindet, später verfolgt und enteignet. Den aufblühenden Städten mit neuen Armutsvierteln sind die so genannten Seelschwestern willkommen. Doch sie sind auch starke Konkurrenz: Die Zünfte bekämpfen diese erfolgreichen Handwerkerinnen.
Die Publizistin Helga Unger arbeitet ihr Schicksal und ihre Bedeutung detailliert auf. Sie entfaltet die Geschichte einer außergewöhnlichen Frauenbewegung, die sich weder von Feministinnen, noch von der Politik oder Kirchenkritikern vereinnahmen lässt. Fast vier Jahrhunderte lang erleben sie eine weltliche und kirchliche Politik der Wechselbäder: Mal sollen die Beginnen Ketzer bekehren, dann wieder stehen die "grauen Schwestern" selbst unter pauschalem Verdacht, Häretikerinnen zu sein. Immer wieder taucht ein neues Dekret auf, das zwischen guten und schlechten Beginen unterscheiden will. Von Anfang an stehen sie zwar unter päpstlichem Schutz, doch der ist zweifelhaft und muss ständig erneuert werden. Die Haltung gegenüber den Beginen blieb immer widersprüchlich, teils von Neid begleitet, teils von Frucht, alte Herrschaftsdomänen zu verlieren.
Spannende Einzelheiten zur Frauengeschichte kommen heraus. Zum Beispiel, wie weit sich die Beginen als selbstständig Denkende in ihrer Zeit aus dem Fenster lehnen: Sie setzen sich darüber hinweg, dass Frauen keine Theologie betreiben dürfen. Prompt wird ihnen angekreidet, dass sie der Theologie kundig sind. Das allein spricht Bände über die Verfolger und das, was sie den Beginen nur allzu großzügig anlasten: Geschwätzigkeit, Unkeuschheit, Austausch mit Klerikern.
Helga Unger trägt wissenschaftlich exakt, dennoch für Laien verständlich und mit großer Sachkenntnis verschiedene Thesen über die Beginen zusammen, übersetzt wenig bekannte Quellen, so dass erstmals eine herausragende Gesamtdarstellung über die Beginen entsteht. Warum fehlte sie bisher? Vielleicht, weil noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Werke einiger großer Mystikerinnen, die unter den Beginen wirkten, selbst von forschenden Frauen nicht verstanden wurden. Unger erinnert auch an das provokative Zitat von Bernard McGinn, der die Werke von vier herausragenden mystischen Beginen als Gegenstücke zu den vier Evangelien versteht: eine Anregung, sich die Beginen genauer anzuschauen.
Helga Unger: Die Beginen.
Geschichte von Aufbruch und Unterdrückung der Frauen
1. Auflage Okt. 2005, Verlag Herder, 220 S.,
ISBN 3-451-05643-7,
HERDER spektrum 9,90 Euro.
Bis die Beginen mit der Armutsbewegung im 12. Jahrhundert aufkommen: Bald gibt es mehr Frauen als Orden, die sie aufnehmen können. Im Gegensatz zur herrschenden verschwenderischen Kirchenobrigkeit regt sich bei ihnen und den Bettelorden der Wunsch, wieder authentisch nach dem Evangelium zu leben, sich dem Urchristentum anzunähern. Aus den verschiedenen Strömungen heben sich die Beginen hervor. Es gibt sesshafte in Konventen und Beginenhöfen und frei Umherziehende, die sogar predigen. Gemeinsam ist ihnen ein neues Ideal: Sie wollen nicht wie Ordensschwestern "Bräute Christi" sein, sondern "Haushälterinnen Gottes". Sie leben meist von ihrer eigenen Arbeit im Handwerk, Textilgewerbe oder als Lehrerinnen, behalten ihren Besitz und sorgen selbst für ihren Unterhalt. Anfangs sind es vor allem Adlige, die sich den alten weiblichen Lebensmodellen verweigern.
Mit den Beginen entwickeln sich erstmals aktive Sozialarbeiterinnen, die Armen, Kranken und Sterbenden beistehen. Ihre freiere Organisation in Gemeinschaften und ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit machen sie flexibel. Sie werden dafür gelobt, angefeindet, später verfolgt und enteignet. Den aufblühenden Städten mit neuen Armutsvierteln sind die so genannten Seelschwestern willkommen. Doch sie sind auch starke Konkurrenz: Die Zünfte bekämpfen diese erfolgreichen Handwerkerinnen.
Die Publizistin Helga Unger arbeitet ihr Schicksal und ihre Bedeutung detailliert auf. Sie entfaltet die Geschichte einer außergewöhnlichen Frauenbewegung, die sich weder von Feministinnen, noch von der Politik oder Kirchenkritikern vereinnahmen lässt. Fast vier Jahrhunderte lang erleben sie eine weltliche und kirchliche Politik der Wechselbäder: Mal sollen die Beginnen Ketzer bekehren, dann wieder stehen die "grauen Schwestern" selbst unter pauschalem Verdacht, Häretikerinnen zu sein. Immer wieder taucht ein neues Dekret auf, das zwischen guten und schlechten Beginen unterscheiden will. Von Anfang an stehen sie zwar unter päpstlichem Schutz, doch der ist zweifelhaft und muss ständig erneuert werden. Die Haltung gegenüber den Beginen blieb immer widersprüchlich, teils von Neid begleitet, teils von Frucht, alte Herrschaftsdomänen zu verlieren.
Spannende Einzelheiten zur Frauengeschichte kommen heraus. Zum Beispiel, wie weit sich die Beginen als selbstständig Denkende in ihrer Zeit aus dem Fenster lehnen: Sie setzen sich darüber hinweg, dass Frauen keine Theologie betreiben dürfen. Prompt wird ihnen angekreidet, dass sie der Theologie kundig sind. Das allein spricht Bände über die Verfolger und das, was sie den Beginen nur allzu großzügig anlasten: Geschwätzigkeit, Unkeuschheit, Austausch mit Klerikern.
Helga Unger trägt wissenschaftlich exakt, dennoch für Laien verständlich und mit großer Sachkenntnis verschiedene Thesen über die Beginen zusammen, übersetzt wenig bekannte Quellen, so dass erstmals eine herausragende Gesamtdarstellung über die Beginen entsteht. Warum fehlte sie bisher? Vielleicht, weil noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Werke einiger großer Mystikerinnen, die unter den Beginen wirkten, selbst von forschenden Frauen nicht verstanden wurden. Unger erinnert auch an das provokative Zitat von Bernard McGinn, der die Werke von vier herausragenden mystischen Beginen als Gegenstücke zu den vier Evangelien versteht: eine Anregung, sich die Beginen genauer anzuschauen.
Helga Unger: Die Beginen.
Geschichte von Aufbruch und Unterdrückung der Frauen
1. Auflage Okt. 2005, Verlag Herder, 220 S.,
ISBN 3-451-05643-7,
HERDER spektrum 9,90 Euro.