Hausboote in der Berliner Rummelsburger Bucht

Freiheit – aber nicht grenzenlos

11:01 Minuten
Fotograph Malte Jäger auf seinem schwimmenden Büro in der City Marina Berlin an der Rummelsburger Bucht.
Fotograf Malte Jäger wartet auf seinem schwimmenden Büro auf bessere Zeiten. Derweil liegt er in der City Marina Berlin vor Anker. © Michael Frantzen
Von Michael Frantzen |
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Sie sind Fotografen und Yoga-Lehrerinnen und verbringen ihr Alltags- und Berufsleben auf einem Hausboot. In der Rummelsburger Bucht in Berlin verwirklichen sie ihren Traum von einem alternativen Lifestyle. Aber geht das überhaupt noch?
Vorsicht Rutschgefahr! Bei Felix Eisenhardt in Berlin-Alt-Stralau ist manches anders als üblich. Das fängt schon bei seiner Bleibe an. Der Mann mit dem grauen Drei-Tage-Bart hat kein mondänes Townhouse am Spree-Ufer. Sondern: vier Zimmer, Küche, Boot. Boot wie Hausboot. Gut 120 Quadratmeter teilt er sich mit Frau, Kindern und seinem Schatten.
"Das ist Fips. Ist unser Corona-Kater."
Fips gehört seit einem halben Jahr zur Familie, deshalb das mit Corona. Wenn er nicht gerade mehr oder weniger erfolgreich Vögel jagt, döst der Kater im Wintergarten vor sich hin – oben auf dem Schiffsdach. Fips mag es hier. Herrchen auch.
"Richtig schön wär’s, wenn jetzt die Sonne käme. Dann hätten wir nämlich T-Shirt-Temperatur hier drin. Wenn die Sonne rauskommt, dann frühstücken wir hier immer. Also egal zu welcher Jahreszeit, auch im Januar."


Seit mehr als 15 Jahren lebt Felix auf der "Helene", dem alten DDR-Wohnschiff für Bauarbeiter. Genießt die Freiheit; die Gewissheit, sich jederzeit aus dem Staub machen zu können. Schon schön hier, sinniert der 46-Jährige, während er versucht, Fips davon abzubringen, aus dem Mikrofonkabel Kabelsalat zu machen. Nur: Deshalb gleich zu denken, er hätte die letzten zwölf Monate in einer Art Lockdown de luxe verbracht, ist ein Trugschluss.
"Pandemie ist grundsätzlich kein schönes Thema. Und es ist genauso unangenehm wie woanders auch", betont Felix. "Ich kann jetzt nicht sagen, dass es hier viel schöner ist. Gleichwohl fühlt man sich natürlich sehr wohl zu Hause. Aber: Meine weiteren Dinge, die ich gerne tun würde, sind stark eingeschränkt. Ich arbeite ja in der Schifffahrt. Wir haben das Seminarschiff, jetzt noch ein zweites Schiff."

"Wir hatten vor Corona 20 Mitarbeiter"

Die "Orka Tenn Broke" und die "John Franklin": Statt bei steifer Brise über Spree und Havel zu schippern, liegen beide Schiffe seit Monaten fest. Und harren der Dinge, die da kommen.
"Wir hatten vor Corona 20 Mitarbeiter. Und jetzt sind wir auf die Hälfte geschrumpft", klagt Felilx. "Was sollen wir jetzt mit einem Gastro-Team machen? Die sind alle in Kurzarbeit. Wir haben jetzt mittlerweile noch vier Leute, die nicht in Kurzarbeit sind. Und das ist eine harte Nuss. Weil: Diese vier Leute müssen auch voll bezahlt werden, von dem letzten Geld, was noch so übrig ist. Ich sag jetzt mal so: Wenn April, Mai nicht wiederlos geht, dann... Ich glaub, dann können wir wahrscheinlich den Laden komplett zumachen."
Felix gibt sich einen Ruck. Wird schon. Es muss. Schließlich hat er schon andere Schlachten geschlagen. Mit den Berliner Behörden etwa, von wegen Liegeplatz. Und einem selbst ernannten "Hausboot-Schamanen", der unaufgefordert aufs Schiff stieg und Fenster zerdepperte. Der Schamane ist weg, dafür hat der Eventmanager jetzt den Lockdown am Hals. Den ganzen Papierkram.
"Es ist ja auch kein schönes Gefühl, sich ständig an den Staat wenden zu müssen. Zu sagen: Passt mal auf: Wir haben hier Kurzarbeit, wir können das und das nicht machen, wir müssen Überbrückungsgelder beantragen. Wir haben bisher immer schwarze Zahlen geschrieben in unserem Unternehmen. Und der gesamten Eventbranche geht es in Berlin äußerst schlecht."

"Hallo. Hereinspaziert." Im weitesten Sinne im Eventbereich tätig ist auch – auf der anderen Seite der Rummelsburger Bucht – sie hier: "Friederike Sziegoleit. Also, Friederike wie Frieden. Und hinten wie Ulrike. Also ohne "ie" und "ck."
Felix Eisenhardt, Besitzer des Hausboots "Helene" in Berlin Alt-Stralau.
Felix Eisenhardt, Besitzer des Hausboots "Helene" in Berlin Alt-Stralau.© Michael Frantzen
Friederike ohne "ie" gehört die "Paula", der Kultur- und Sportkahn. "Soll ich dich mal so ein bisschen rumführen?" bietet sie an. "Dann hast du vielleicht eine bessere Vorstellung. Das hier ist der große Raum. Man kann dieses Fenster ganz, ganz aufziehen. Sodass wir auch unter Deck Veranstaltungen haben konnten, als es noch nicht so kalt war. Was ja zu Corona-Zeiten dann auch wichtig ist, mit der Belüftung."
Es ist kurz vor neun Uhr morgens – und außer der drahtigen 47-Jährigen nur noch Anastasia an Bord, die Yogalehrerin mit ihrem Onlinekurs hinter dem Bullauge. Rechnen tut sich das nicht. Friederike lächelt gequält. Nicht wirklich. Geld verdient sie, indem sie die Paula vermietet. Für Feiern, Seminare, Tangoworkshops. Doch das war einmal.
"Jetzt müssen wir mal sehen. Ich hatte hier diese 9000 Euro beantragt, als das losging mit dem Lockdown. Ich weiß aber nicht, ob wir das jetzt alles wieder zurückzahlen müssen. Die Sachen müssen alle gewartet werden. Und dann ist jetzt so eine Stahlaußen-Haut auch nicht gerade der geeignetste Baustoff für Räumlichkeiten. Das kühlt schneller aus und heizt schneller. Sodass wir mehr Heizkosten haben."

Jammern hilft nicht

2013 hat die studierte Mathematikerin den Kahn gekauft, ihn für einen fünfstelligen Betrag auf Vordermann gebracht. Ihren Traum verwirklicht.
"Bei mir ist es eher so, dass ich Freude dran hab, so Räume und Szenarien zu kreieren, wo sich die Leute wohlfühlen. Und das kann man mit einem Schiff, das kann man mit einer Höhle: Das ist völlig egal. Das hätte irgendwas sein können. Aber dieses Schiffsgerippe: Das ist total inspirierend. Zum Beispiel: Diese ganzen Holzelemente: Das ist das alte Schiffsholz."
"Und hier hinten ist noch die Kajüte." Friederike schaut kurz hoch. Anastasia, die Yogalehrerin, ist mit ihrem Kurs fertig. Im Spätsommer hatte die gebürtige Russin, die schon seit einer halben Ewigkeit in Berlin lebt, noch zwei Kurse auf dem Kahn. Doch einer ist weggebrochen – coronabedingt. Und der verbliebene geht jetzt online über die Bühne, mit nur noch sechs statt zwölf Schützlingen. Die 43-Jährige seufzt leise.
Suboptimal, das Ganze. Aber sie wolle nicht jammern, schiebt Anastasia hinterher. Ihren Eltern in Russland gehe es noch viel schlechter, monatelang hätten sie während des ersten Lockdowns in ihrer Wohnung festgesessen, ohne an die frische Luft zu können. Die Yogafrau schüttelt den Kopf: unvorstellbar. Dagegen ist der deutsche Shutdown fast harmlos. Schließlich kann sie raus, zum Spazierengehen. Zur Arbeit auf schwankendem Boden.
"Ich finde, als Erfahrung auch interessant, auf dem Wasser zu sein", sagt Anastasia. "Und sich da mit diesem Element zu verbinden. Dass es eben weniger stabil ist und wenn es sich plötzlich bewegt, dann ist es auch eben wie im Leben: Du kannst dich auf nichts verlassen. Musst flexibel sein und deine Wege da finden."

Yoga-Lehrerin Anastasia (l.) und Schiffsbesitzerin Friederike auf dem Kultur- und Sport-Kahn "Paula" auf der Rummelsburger Bucht.
Yoga-Lehrerin Anastasia (l.) und Schiffsbesitzerin Friederike auf dem Kultur- und Sport-Kahn "Paula".© Michael Frantzen
Das Leben – es könnte so schön sein. War es auch, vor einem Jahr noch. Für Malte, Malte Jäger, den Fotografen. Vor Corona. Vor Corona jettete der Typ mit der schwarzen Wollmütze und Jeans durch die Weltgeschichte, für das "Lufthansa-Magazin", "Geo". Ärgern tat er sich allenfalls darüber, dass die Paddler auf der Spree im Sommer ständig in sein schwimmendes Büro glotzten, er sich vorkam wie in einem Menschen-Aquarium. Und jetzt das.
"Wir sind wieder bei null. Es gibt keine Arbeit mehr, es gibt kein Einkommen, es gibt im Prinzip keine Auftragslage oder nur eine sehr, sehr dünne. Jetzt fängt es gerade wieder so ein bisschen an, aber die letzten Monate von 2020 waren grauenhaft leer."

Auch die Freiheit auf einem Boot hat Grenzen

Leer ist es auch in der "City Marina Berlin": Maltes Heimathafen in der Rummelsburger Bucht. Gespenstisch leer. Der 43-Jährige zeigt aus dem Fenster, zu den anderen gut zwanzig Booten. Ein, zwei Nachbarn dürften schon da sein, das aber nicht an die große Glocke hängen, weil: Hier zu wohnen – richtig legal ist das nicht. Ansonsten ruht still der Fluss. Samt schwimmender Gartenkolonie.
"Eine schwimmende Gartenkolonie würde ich’s natürlich auf keinen Fall nennen. Definitiv keiner von uns würde sich in einem Kleingarten wohlfühlen. In der Enge und Unbeweglichkeit, die das mit sich bringt. Sonst wären wir wahrscheinlich Garten-User. Das ist nämlich deutlich billiger. Das ergibt nur Sinn, wenn man die Freiheit eben genießt, die ein Bootsleben mit sich bringt. Wir fahren mit diesem Boot ja auch raus und können uns einfach bewegen damit."
Leinen los! In der Pandemie einfach losschippern! Sich treiben lassen, der Monotonie entfliehen: Malte kennt die Klischees. Und die Realität.
"Ob der Lockdown jetzt irgendwie anders ist, auf dem Boot als in der Wohnung? Das war die Frage, korrekt? Für uns ist der Lockdown 1 auf dem Boot die Idealversion gewesen. Das ist einfach natürlich besser gewesen, als hätten wir in einer dunklen Wohnung im Hinterhaus gesessen und auf irgendeine Wand geguckt. Dass wir dann die Möglichkeit hatten, das Boot zu nehmen und auch zu sagen: Hey, Mensch, es hat auch einen Schlafraum, den nutzen wir jetzt mal. Und fahren damit raus: Das war super, auf jeden Fall. Keine Frage."

Die drei Wochen im Frühling auf der Großen Krampe, dem Waldsee am Berliner Stadtrand. Malte hat es genossen. Weit und breit keine Menschenseele. Nur er, seine Partnerin, sein Sohn. Stille.
Hausboote auf der Rummelsburger Bucht.
Das idyllische Leben auf den Hausbooten in der Rummelsburger Bucht hat in der Coronazeit auch Schattenseiten.© Michael Frantzen
"Und jetzt: In diesem aktuellen Lockdown, dem zweiten, ist es natürlich nicht ganz so attraktiv. Wir sitzen hier im Regenwetter. Im Hafen. Jetzt können wir halt nicht so frei sein. Energieversorgung ist nicht 100 Prozent gewährleistet. Durch Solarstrom. Und dadurch ist es jetzt nicht so wahnsinnig der Unterschied zu einem anderen Büro, würde ich sagen."
Unruhig rutscht Malte auf dem Stuhl seiner Schiffsterrasse hin und her, während ein Kormoran das Weite sucht. Es wird Zeit. Er muss zurück an den Küchentisch, Akquise betreiben. Auf bessere Zeiten hoffen.
"Es ist jetzt nicht so schlimm", versichert er. "Wir sind jetzt nicht am Arsch. Wir müssen unser Boot auf keinen Fall verkaufen. Das ist jetzt nicht so, dass wir hungern würden."
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