Haus der Religionen in Bern

Die Konflikte der Welt bleiben nicht vor der Tür

Mehrere weiße Hocker stehen um einen kleinen Tisch, von der Decke hängen weiße Lampen
Im christlichen Sakralraum treffen sich die Gläubigen. © Susanne von Schenck
Von Susanne von Schenck · 16.12.2018
In Bern, der Hauptstadt der Schweiz, leben fünf Religionsgemeinschaften unter einem Dach. Seit Dezember 2014 treffen sich Buddhisten, Hindus, Moslems, Aleviten und Christen im „Haus der Religionen“.
Der Europaplatz im Westteil von Bern. "Europaplatz" steht auch unübersehbar in großen Lettern auf dem langgestreckten, verspiegelten Gebäude, das zwischen Autobahn und der Straßenbahnlinie liegt. Darin untergebracht sind Supermärkte, Büros, Wohnungen – und das "Haus der Religionen". Bümplitz und Bethlehem heißen die beiden Stadtteile, die hier zusammentreffen.
Zeinab Ahmadi: "Da leben sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Das war eines der Ziele, weshalb es dieses Haus überhaupt gibt, dass die verschiedenen religiösen Gemeinschaften und die religiösen Menschen im Westen von Bern die Möglichkeit haben, Räume, die mitten im Alltag stehen und die diesem Religiösen und Sakralen würdig sind, zu benutzen."
Zeinab Ahmadi, eine junge Muslimin, leitet seit zwei Jahren den Bildungsbereich im Haus der Religionen. 2014 wurde es eröffnet – als Ort der Begegnung von Religionsgemeinschaften, als Kulturzentrum und mit Gebetsräumen für Buddhisten, Hindus, Moslems, Aleviten und Christen.

Großer Tempel, kleine Moschee

Der tamilische Shiva-Tempel ist mit 830 Quadratmetern mit Abstand der größte sakrale Raum des Hauses, fast doppelt so groß wie die gegenüberliegende Moschee. Sechshundert Personen haben im Tempel Platz. Die Wände zieren Figuren und Bildreliefs, reich und farbenfroh geschmückt sind Schreine und Altäre. An diesem Vormittag sind kaum Menschen zu sehen, nur zwei junge Männer, Besucher, die das Haus der Religionen kennenlernen möchten.
Besucher: "Braucht man Religionen überhaupt? Ich denke, es ist eine gute Sache, wenn es einen Ort gibt, wo sich Menschen verschiedener Religionen treffen und austauschen. Hier sind ja jetzt nicht so viele da, die meisten arbeiten wahrscheinlich. Aber grundsätzlich auf jeden Fall interessant."
Als die Idee des Hauses der Religionen entstand, war Sasikumar Tharmalingam, kurz Sasi genannt, begeistert. Endlich ein großer Tempel für die tamilischen Hindus in der Schweiz. Von den Baukosten hatten Sasi und seine Mitgläubigen damals allerdings keine konkrete Vorstellung.
Sasi: "Allein die Innengestaltung des Hindutempels kostete eineinhalb Millionen Franken, das ist eine Riesensumme für uns. Viele hatten die Phantasie, der Staat würde uns unterstützen, aber das ging nicht. Wir mussten uns selbst kümmern. Zwölf Kollegen haben drei Jahre lang keine Ferien, keinen freien Tag gehabt, sondern haben Spenden gesammelt. Und mit diesen Spenden haben wir unser Innengestaltung fertiggestellt."

Frauen im Priesteramt

30.000 tamilische Hindus leben in der Schweiz. In Bern mussten sie bisher ihre Gottesdienste – "Puja" genannt - vor allem in Tiefgaragen oder Hinterhöfen abhalten. Nun versucht Sasi, Neuerungen einzuführen. Aber nicht alle sind damit einverstanden, dass jetzt in Bern zum Beispiel auch Hindupriesterinnen ausgebildet werden.
Sasi: "Natürlich haben wir sehr viele kritische Rückmeldungen erlebt. Die Konservativen und der traditionelle Hinduismus können Frauen als Priesterinnen nicht einfach so akzeptieren. Wir haben hier das Kastensystem abgeschafft. Das ist eine hochspannende Geschichte.
Für die nächste Generation sind diese Änderungen sehr wichtig. Wir können den Hinduismus nicht praktizieren wie vor 2000 Jahren oder wie in Sri Lanka oder Indien, wir leben jetzt in ganz anderen Situationen und Gesellschaften, wir müssen uns anpassen."

Ausgerissene Wurzeln

1989 floh Sasi aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Sri Lanka in die Schweiz. Damals war er vierzehn Jahre alt.
Sasi: "Eine Kokospalme rauszuziehen und in die Schweiz zu verpflanzen, wo es schneit – an diesen Herausforderungen kann man auch kaputtgehen. Mir haben die Leiden und der Schmerz Kraft gegeben, alles zu ertragen. Darum haben wir hier in der Schweiz den ersten reformierten Hindutempel gegründet, das braucht viel Kraft."
Die scheint der Tamile zu haben. Er ist Hindupriester, Seelsorger, Mediator und auch Koch im Haus der Religionen – alles in einer Person.
Ein Tempel, eine Kirche, eine Moschee, eine alevitische Dergâh und ein buddhistisches Zentrum gruppieren sich auf zwei Etagen um den Dialogbereich, das Zentrum des Hauses. Assoziiert sind die jüdische Gemeinde Berns, die Sikhs und die Bahais, die alle über eigene Räumlichkeiten in der Stadt verfügen.

Inter- und innerreligiöse Konflikte

Fünf Religionsgemeinschaften Tür an Tür – das geht nicht ohne inter- und auch nicht ohne innerreligiöse Konflikte. David Leutwyler, Geschäftsführer des Hauses, ist damit vertraut. Als reformierter Christ teilt er den schlichen, weißen Gebetsraum mit acht weiteren christlichen Gemeinden, darunter Altkatholische, Methodisten, die Herrnhuter Brüdergemeine und die äthiopisch-orthodoxe Kirche.
David Leutwyler: "In vielen christlichen Gemeinden weltweit werden Schuhe ausgezogen, weil es in der Geschichte des Dornbusches, 3. Mose oder so, heißt, dass an diesem heiligen Ort die Schuhe ausgezogen werden. Und darauf beruft sich hier die äthiopisch-orthodoxe Gemeinde, die sagt, wir dürfen nicht mit Schuhen einen christlichen Raum betreten, während dem die anderen christlichen Konfessionen Schuhe tragen. Dann muss man das zusammen besprechen. Und dann muss man pragmatische Lösungen finden.
Hier macht jetzt die orthodoxe Kirche einen Schritt der Toleranz. Sie tolerieren, dass andere mit Schuhen hineingehen und machen ihren Raum dann sauber, bevor sie ihren eigenen Gottesdienst feiern. Das ist dann einfach Toleranz, Duldung, tolerare. Ich bin zwar nicht ganz glücklich damit, aber es ist ok. Das gibt es auch hier im Haus, dass man etwas aushalten muss, das nicht ganz dem entspricht, was man selber möchte."

Schuhe ausziehen oder nicht?

Schuhe ausziehen oder nicht - Situationen wie diese gehören zu den kleineren Konflikten. Größere gibt es natürlich auch, zum Beispiel, wenn die türkischen Muslime die kurdischen Aleviten als Sekte betrachten und deshalb dem Haus der Religionen fernbleiben. Oder, so David Leutwyler:
David Leutwyler: "Wenn ein Terrorist im Namen des Islam Attentat verübt, muss der Imam hier zwanzig Journalisten in der Stunde Auskunft geben, obwohl er damit genauso wenig zu tun hat wie wir auch. Das spiegelt sich. Wir haben die großen Konflikte der Welt, die natürlich nicht Halt machen vor den Menschen, die als Flüchtlinge hierhergekommen sind.
Da versuchen wir, immer wieder neue Dialoge in Gang zu setzen. Aber die weite Welt macht nicht Halt vor dem Haus der Religionen. Es führt immer wieder zu neuen Auseinandersetzungen, auch hier drin. Wie gehen wir damit um?"
Weil in den meisten Religionen das Essen einen zentralen Platz einnimmt, gibt es im Erdgeschoss des Hauses das Restaurant "Vanakam". Zur Mittagszeit ist es gut besucht. Sasikumar Tharmalingam kocht in der offenen Küche und bringt auch die Teller an die Tische.

Die erste ayurvedisch-koschere Küche

Sasi: "Heute habe ich Reis mit vier verschiedenen Gemüsegerichten. Das ist auch eine koschere Küche, denn ein jüdischer Rabbiner hat uns ein Zertifikat gegeben, dass diese Küche nach zweimonatiger Untersuchung als koschere Küche funktionieren kann. Es ist die erste ayurvedisch-koscher kombinierte Küche hier im Haus der Religionen.
Und in der ganzen Schweiz. Ein Zeichen der Annäherung. Auch Zeinab Ahmadi isst mittags im "Vanakam". Sie berichtet von einem interreligiösen Seminar zum Thema "Gesundheit". Und wann, sagt sie, hat man schon Gelegenheit, Aleviten, Buddhisten oder Hindus zu ihren Ritualen zu befragen?
Zeinab Ahmadi: "Letzte Woche waren wir als Teil des Kurses alle gemeinsam im Hindutempel und da hat ein muslimischer Vertreter den Workshopleiter gefragt, wie sie sich denn da konzentrieren können im Hindutempel beim Gebet. Die Frage eines Muslims hat mich nicht überrascht, die Moschee ist sehr ruhig, damit man mit der Konzentration vor Ort ist. Der Workshopleiter hat geantwortet, dass man dadurch, dass es so laut ist, die Gedanken hier hat vor Ort. Beim stillen Gebet ist es ja auch möglich, dass die Gedanken abschweifen. Die Antwort hat mir selber auch die Augen geöffnet."

Ein kleines Licht anzünden

"Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen", sagt der chinesische Philosoph Konfuzius. Kleine Lichter leuchten auch im Haus der Religionen. Eines strahlt bis nach Sri Lanka aus, Heimat des Tamilen Sasi und auch des Singhalesen Bhante Anuruddha. Sasi machte anfangs im Haus der Religionen einen Bogen um den buddhistischen Priester. Zu bitter waren die Erinnerungen an den blutigen Bürgerkrieg, der von 1983 bis 2009 in Sri Lanka herrschte.
Sasi: "Ich kann nicht einfach einem buddhistischen Mönch begegnen, das ist schwierig und schmerzlich. Aber im Lauf der Zeit hat er mich einmal gefragt: ‚Kannst du dir nicht vorstellen, einen Tee mit mir zu trinken?‘ Dann habe ich ein bisschen überlegt. Ja, einen Tee kann man schon trinken. Dann haben wir langsam angefangen, miteinander zu kommunizieren. Also, es braucht wirklich Zeit und Vertrauen."
Schließlich haben die einstigen Gegner in ihrer gemeinsamen Heimat ein Projekt initiiert, erzählt Bhante Anuruddha, der im Haus der Religionen den Tempel des Interkulturellen buddhistischen Vereins betreut. Und so strahlt das Haus der Religionen über Bern hinaus.
Bhante Anuruddha: "Im Januar dieses Jahres wurde dort der Grundstein für ein kleines Gebäude gelegt. Denn demnächst möchten wir mit Aktivitäten des Hauses der Religionen in Sri Lanka beginnen."
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