Haus der Kunst

Ozeane und vergilbte Schönheiten

Das Haus der Kunst in München
Das Haus der Kunst in München © dpa / pa / Gebert
Von Walter Kittel · 27.02.2014
Fragmente aus Mythen, Natur, Kunst und Werbung: Das Münchner Haus der Kunst feiert das vielschichtige Werk der Irin Ellen Gallagher.
Sigmund Freud als Maler, vertieft in seinen Zeichenblock. Schräg dahinter, neugierig zu ihm schielend: ein liegendes Modell, in orientalisch anmutender Kleidung, mit Goldkettchen am Fußgelenk. Und, das fällt erst gar nicht auf, mit dem Gesicht von Ellen Gallagher, die ihn herausfordernd zu beobachten scheint.
"Es handelt sich eigentlich um ein Man Ray Foto von Matisse, wie er eine seiner Odalisquen malt. Ich habe Freuds Kopf auf den von Matisse getan und meinen eigenen auf den Körper der Odalisque."
Groß an die Wand projiziert ist nun dieses Schwarz-Weiß-Foto gleich am Eingang der Ausstellung zu sehen. Die floralen Muster auf dem Foto, die Freud und Gallagher umgeben, auf Vorhängen, Kissen und Tapeten, wurden golden auf die Wand gemalt. So ist es nun nicht mehr nur eine Fotomontage, sondern auch ein Wandbild, das schimmert und glänzt.
Wie Fotografien auf dem Papier habe diese Projektion durch die golden auf die Wand gemalten Blätter eine Art dreidimensionale Präsenz gewonnen, meint Gallagher. Zarte, ausgefeilte, aus manchmal scheinbar zahllosen Schichten oder Dimensionen komponierte Arbeiten sind in dieser Ausstellung viele zu entdecken. In einigen Bildern wendet sich Gallagher der Tiefe der Ozeane zu mit ihren geheimnisvoll schönen, unheimlichen Fischen und Tentakelwesen. Sie malt und schneidet dabei ins Papier, sie modelliert und formt fast wie eine Wissenschaftlerin bis in kleinste Details.
"Im Grund genommen male ich mit dem Skalpell. Genauso wie ich mit dem Aquarellpinsel male. Das sind meine zwei Werkzeuge bei dem Bild, auf das wir gerade schauen. Dazu gehört auch das Schneiden in die dicke Haut des Aquarellpapiers."
Geheimnisvolle Tiefseewelt
Die geheimnisvolle Tiefseewelt, die Gallagher in Aquarellen und Schnittbildern erschafft, vermischt sich in manchen Arbeiten mit den Porträts von Menschen. In zarten Aquarellen wachsen dann Korallen und Farne aus halb in Auflösung befindlichen Gesichtern. In anderen Bildern hat sich die afroamerikanischen Künstlerin dem Thema Werbung zugewandt. Kritisch blickt sie etwa auf die Zeitschrift "Ebony", ein Lifestyle-Magazin, das in den 40er-Jahren entstand und eigens für ein afroamerikanisches Publikum entwickelt wurde. Mit schwarzen Modells, die hier für Perücken oder Haarprodukte werben.
"Das sind Seiten aus Zeitschriften, die aus den 40er-, 50er-, 60er- und 70er-Jahren stammen. Ich habe sie in den meisten Fällen gebrochen. Ich habe sie in einen neuen Zeitzusammenhang gestellt. Ich habe darin geschnitten und die Augen der Gesichter verändert und sie mit weißer Farbe bestrichen. Sie wirken so fast wie erblindet. Es ist wie eine Art Ritual und die Figuren sind nun in dieser anderen Dimension. Es ist, als ob Knochen brechen und wieder neu zusammengesetzt werden. Ich habe sie neu zusammengesetzt."
Ellen Gallagher spielt mit den alten Zeitschriftenbildern und vergilbten Schönheiten. Was hier als afroamerikanische Identität präsentiert wird, erschafft Gallagher neu und konstruiert ihre eigenen, fantasievollen Ideale. Sie tut das mit einer gewissen Obsession. Auf einer großen Tafel wurden hunderte Frisuren und manchmal auch Gesichter mit einer gelben Knetmasse überformt. Es wirkt, als ob sie nun fantastische Helme, Hüte oder Masken tragen würden.
"Es handelt sich hier wieder um eine Art Ritual, das eine obsessive Qualität besitzt. Eins oder zwei dieser Objekte herzustellen, hätte mir vielleicht noch Spaß gemacht, aber hier gibt es 396. Doch ich möchte diese Geschichten erzählen, die in diesen flachen Oberflächen stecken, im Gedruckten. Ich möchte eine Art Linse erzeugen, um sie neu lesen zu können. Eine neue Linse, um auf diese alten Geschichten zu schauen."
Die Ausstellung gibt einen guten Überblick zu Arbeiten aus den vergangenen 20 Jahren. Anfangs sei sie als eine Künstlerin verstanden worden, die sich der Abstraktion verschrieben habe, erzählt Gallagher. Einige dieser abstrakten Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Sie bestehen, was nur aus der Nähe zu erkennen ist, ganz dicht vor der Leinwand, aus zahllosen, winzigen Lippen und Augen, die teils zu geometrischen Mustern angeordnet wurden. Ganz anders die späteren Bilder, auf denen Menschen geheimnisvollen Tiefseewesen gleichen. Mit scheinbar endlos vielen Armen und Tentakeln, einem Gewirr aus Traum- und Sprechblasen hinter denen Kopf und Körper zu verschwinden scheinen.