Hauptstadt Berlin

Nicht nur Berlin boomt - Bonn auch

18:49 Minuten
Das Reichstagsgebäude als Baustelle. Kräne und Baucontainer stehen vor dem Gebäude.
Aufbruchstimmung in Berlin. Es wurde viel gebaut für den Umzug der Regierung vom Rhein an die Spree. © picture-alliance / ZB / Hubert Link
Anja Nehls und Vivien Leue |
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Berlin hat sich enorm verändert, seitdem die Stadt Bundeshauptstadt ist. Bonn fürchtete, damals in ein tiefes Loch zu fallen. Doch beide Städte haben sich in den letzten 30 Jahren zu ihrem Vorteil entwickelt und blicken zufrieden auf ihre Entwicklung.
Am 20. Juni 1991 verkündete Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth das Ergebnis der Abstimmung im Deutschen Bundestag, der damals im Bonner Wasserwerk seinen Sitz hatte. Mit knapper Mehrheit entschieden vor 30 Jahren die Parlamentarier, dass das wiedervereinigte Deutschland künftig von Berlin aus regiert wird – und nicht mehr von Bonn aus.

Tränen in den Augen

Heinz Hönig steht heute an der langen Rheinpromenade in Bonn, direkt hinter dem früheren Bundestagsgebäude. Der 74-Jährige erinnert sich gut an den Tag.
Er habe die Abstimmung auf dem Bonner Marktplatz miterlebt. "Ich war mit hunderten von Menschen auf dem Marktplatz", erzählt er. Das sei per Video vom Plenarsaal übertragen worden.
"Wir sind mit Tränen in den Augen abends nach Hause gefahren. Wir konnten es nicht begreifen, dass wir verloren hatten. Wir dachten, Bonn fällt in ein Loch, wir kommen aus diesem Loch nicht mehr raus", erzählt Hönig
Heinz Hönig steht in gelber Jacke am Rheinufer. Im Hintergrund sind Hochhäuser des ehemaligen Regierungsviertels zu sehen.
Heinz Hönig steht am Rhein in Bonn. Im Hintergrund das ehemalige Bonner Regierungsviertel.© Deutschlandradio / Vivien Leue
Auch Holger Möhle war damals zunächst enttäuscht. Der damalige Bonner und heutige Berliner ist Korrespondent des Bonner Generalanzeigers in Berlin.
"Ich war damals zum Zeitpunkt des Beschlusses 27 Jahre alt und stark von Bonn geprägt und deshalb ganz eindeutig Bonn-Befürworter."
Ein Bonn Befürworter, der dann doch seine Sachen gepackt hat. Wie tausende andere, die dann zusammen mit Parlament und Regierung umgezogen sind. Manche seien nicht so gerne nach Berlin aufgebrochen, erinnert er sich, andere sind ganz dortgeblieben.
"Aber die jüngere Generation der Korrespondenten, zu denen ich damals noch zählte, ist glaube ich ganz gerne nach Berlin gegangen."

Berlin als deutsche Metropole

In die alte, neue Hauptstadt. Die Politologin und Autorin Ulrike Sterblich lebte damals in West-Berlin – und hat diesem Teil der Stadt später ein Denkmal gesetzt - mit dem Buch: "Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt". Daran, dass Berlin nun auch der Sitz von Parlament und Regierung werden würde, hatte Ulrike Sterblich nie gezweifelt:
"Vom Gefühl her und von so einem subjektiven Wunsch her, fand ich immer, Berlin ist doch eigentlich auch die Hauptstadt. Es ist schon irgendwie die deutsche Metropole, oder?"
Ulrike Sterblich steht nah am Hauptbahnhof auf der Moltkebrücke aus rotem Sandstein, die genau 100 Jahre älter ist als der Hauptstadtbeschluss. Die Brücke sei ein Relikt einer vergangenen Zeit, sagt sie. Ringsherum sei alles neu entstanden. Nur die Brücke habe noch einen Wiedererkennungswert.

Ein bisschen Wehmut

In Sichtweite befinden sich das Kanzleramt, das Paul-Löbe-Haus für die Abgeordneten, auf der anderen Seite das Innenministerium, am Spreeufer das Forschungsministerium, und in Richtung Brandenburger Tor leuchtet die gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes. Es habe sich viel verändert, sagt Ulrike Sterblich und ist nicht ganz sicher ob sie das gerade ein bisschen wehmütig macht:
"Wenn man sich hier getroffen hat, um zum Tempodrom zu gehen, da hieß das ja hier noch Lehrter Bahnhof. Und dann an der Moltkebrücke rüber zum Tempodrom, wo ja viele Konzerte stattfanden. Das war ja hier auch so ein Unort, das kann man sich nicht ernsthaft zurückwünschen, das war ja komplett Brache. Aber dieser Blick hier von der Brücke ist auch nicht schön."

Der Nabel der Politik

Heinz Hönig ist in Bonn mittlerweile eine kurze Stichstraße vom Rhein in Richtung des ehemaligen Regierungsviertels gelaufen und steht auf einem langen, breiten Platz.

"Hier war der Nabel der Politik. Hier war alles, hier war der Bundesrat, der Bundestag. Drüben war das WDR-Studio. Sie kennen noch "Der Bericht aus Bonn"? Der wurde von da aus gesendet."
Der 74-Jährige zeigt abseits des Platzes auf ein großes, langes Parkhaus, wo einmal das Gebäude des Westdeutschen Rundfunks stand. Auch direkt gegenüber: Ein Neubau, der heute ein Hotel und ein Theater beherbergt.
Das ehemalige Gebäude des Deutschen Bundestages in Bonn besteht aus Glas und Stahl.
Heute ist das World Conference Center im einstigen Sitz des Deutschen Bundestages in Bonn.© picture alliance / R4200
Hinter dem Neubau auf der ehemaligen Görresstraße lässt sich noch erahnen, wie das Regierungsviertel aussah: Weiße, kubische Bauten und der Lange Eugen, das 115 Meter hohe Abgeordnetenhochhaus bestimmen den Platz, der heute Platz der Vereinten Nationen heißt.

Strahlkraft nach außen

Nach dem Wegzug der Bundesregierung hatte sich Bundeskanzlerin Merkel dafür eingesetzt, dass der UN-Standort Bonn ausgebaut wird. 1000 Menschen arbeiten heute hier für die Vereinten Nationen.
Auf dem Campus wird Englisch gesprochen und in den Kaffeeküchen der Büroflure auch viele andere Sprachen. Im ganzen Viertel spürt man die Internationalität, die die UN, aber zum Beispiel auch etliche Forschungseinrichtungen in die Stadt gebracht haben. Das gibt Bonn Strahlkraft nach außen, sagt Oberbürgermeisterin Katja Dörner von den Grünen.
"Was ich auch sehr bemerkenswert finde, ist die Vernetzung mit internationalen Forschungsinstitutionen, also ob es jetzt die United Nations-University ist, ob das die Bonn Alliance ist, in der sich eben insbesondere Klimaschutz-Forschungsinstitutionen zusammentun. Also da ist auch unheimlich Musik drin im übertragenen Sinne."

Sehr gesunder Mittelstand

Und auch wirtschaftlich kann sich die Stadt sehen lassen, hier sitzen unter anderem zwei Dax Konzerne: "Wir haben die großen Player hier mit der Telekom, mit der Post DHL. Aber was eben auch sehr wichtig ist wir haben einen sehr gesunden Mittelstand", so Dörner.

Bonn sei nach dem Wegzug der Regierung von Bund und Land immer unterstützt worden, sagt Katja Dörner, dafür sei die Stadt den verschiedenen Regierungen dankbar.
Porträt von Katja Dörner in einer sommerlichen Atmosphäre.
Die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Bündnis 90 / Die Grünen) ist der Regierung dankbar für die Unterstützung Bonns.© picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd

Eine Hauptstadt von vielen

Erst mit dem Regierungsumzug kam für die Westberliner eine gewisse Normalisierung. Das politische Zentrum Bonn war für sie immer weit weg gewesen. Westberlin war hochbezuschusst, es gab steuerliche Vergünstigungen und eine sogenannte Berlin Zulage für Arbeitnehmer, einen nur behelfsmäßigen Personalausweis und den Ruf der Piefigkeit und Spießigkeit. Hip und angesagt wurde Berlin erst mit dem Mauerfall.
Damals als man diesen Spezialstatus hatte, sei Berlin vielleicht ein bisschen interessanter gewesen. Jetzt sei es eine Hauptstadt von vielen in Europa, meint Sterblich. Ist es aber auch eine Weltstadt?
"Also die Weltpolitik ist auf jeden Fall näher gerückt seit Berlin Hauptstadt ist", meint Sterblich. "Da kommt ein Autocorso mit französischen Flaggen angefahren und man weiß, da sitzt jetzt Macron drin, oder das nächste Mal ist es Netanjahu."

Stolz auf ihre Stadt

Das Flair der Weltpolitik betreffe in erster Linie Berlin-Mitte. "Wenn ich nach Westberlin fahre, dann ist das in Teilen auch noch recht konserviert", meint Sterblich. "Also bestimmte Gegenden wie Charlottenburg und Zehlendorf, das ist doch irgendwie wie immer."
Und auch bei den Bonnern und Bonnerinnen gibt ist keinen Groll, sondern ist Stolz auf ihre Stadt spürbar.

"Bonn ist seit dem Wegzug der Regierung ja quasi eine Boomtown hier", sagt Jochen Böhmer, der in der beliebten Südstadt lebt. Der Stadtteil Bonns gilt als eines der besterhaltensten Gründerzeit-Viertel in Deutschland. Ein Jugendstil-Altbau reiht sich an den anderen, dazwischen viel Grün.
Blühende Kirschbäume vor einer Jugendstilfassade.
In der Bonner Südstadt reihen sich zahlreiche Jugendstilhäuer aneinander.© IMAGO / Future Image

Vom Schicksalsschlag erholt

Viele Kölner wohnen lieber hier als in der wuseligen Domstadt, außerdem müssen ja die ganzen Mitarbeiter der Vereinten Nationen, Telekom oder Post unterkommen. Die Einwohnerzahl hat sich seit dem Wegzug der Bundesregierung von damals knapp 300.000 auf gut 330.000 erhöht.
Trotz aller Internationalität, der hohen Wissenschaften und DAX-Konzerne – Bonn hat seine Ruhe und Gelassenheit bewahrt. Die Stadt sei nicht in einen Dornröschenschlaf gefallen, sagt Heinz Hönig.
"Heute sage ich voller Stolz, dass Bonn sich von dem damaligen unvorstellbaren Schicksalsschlag wunderbar erholt hat."
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