"Hauptsache, der Inhalt stimmt"
Die Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, hält eine Ampelkoalition nach der kommenden Bundestagswahl für möglich. Mit der FDP gebe es Schnittmengen bei den Themen Abrüstung und Bürgerrechten, sagte Künast. Auch wenn sie nicht "begeistert" sei, müsse man mit der rechnerischen Wahrscheinlichkeit ehrlich umgehen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind Spitzenkandidatin Ihrer Partei und, wie wir wissen, trauen Sie sich das Amt der Vizekanzlerin zu. Würden Sie denn nach der Bundestagswahl auch unter einer CDU-Kanzlerin Regierungsverantwortung übernehmen?
Renate Künast: Ich kann ja rechnen. Deshalb sage ich: Die wahrscheinlichste Option ist rechnerisch eine andere. Der allererste Punkt ist eigentlich, auf den grünen Inhalt kommt es an. Wir wollen schon das Land auf intelligente Energienutzung umbauen. Das ist wirklich ein struktureller Umbau. Wir wollen die Kinder in den Mittelpunkt stellen. Das bewegt mich als allererstes.
Deutschlandradio Kultur: In Hessen hätten Sie ein rot-rot-grünes Bündnis mitgetragen. In Hamburg regiert Schwarz-Grün, in Bremen Rot-Grün. Sie könnten sich im Bund auch eine Ampel, also Rot-Gelb-Grün, vorstellen. Ein bisschen scheint es so, dass alles möglich ist. Heißt das auch, Hauptsache wir kommen im September 2009 an die Macht?
Renate Künast: Es heißt genau andersrum: Hauptsache, der Inhalt stimmt - wenn schon, denn schon. Sehen Sie mal: In einem Fünfparteiensystem hat es angefangen, hat es in den Kommunen jede Menge von Veränderungen gegeben. Auf jeder Landesebene muss man überlegen, was die Fragen sind, die in den nächsten Jahren konkret anstehen, die umzubauen sind, wo das Land auf Zukunft ausgerichtet werden muss. An diesen Inhalten macht sich dann jeweils die Koalitionsfrage fest.
Deutschlandradio Kultur: Sie und Jürgen Trittin reden im Moment über Farbenlehre. Es sind nicht die Journalisten, die damit angefangen haben. Warum machen Sie das zum jetzigen Zeitpunkt?
Renate Künast: Der Ehrlichkeit halber muss ich Ihnen sagen, dass diese Diskussion schon seit geraumer Zeit stattfindet. Die Frage wird ja als allererstes von der SPD und von der FDP geführt und von anderen. Wir haben ja vieles an Philosophieren an der Stelle gehört. Ich oder wir haben seit Monaten, andere allerdings auch, darauf hingewiesen, was eine rechnerische und inhaltliche Wahrscheinlichkeit hat, weil wir ja wissen, was mit den anderen Varianten ist. Insofern hab ich jetzt eigentlich gar nichts Neues gesagt, sondern die Debatte ist überall da. Ich hab mich, ehrlich gesagt, mit was ganz anderem beschäftigt, nämlich mit der Mitarbeit beim Bundestagswahlprogramm.
Wir haben eine Finanzkrise. Wir haben eine Wirtschaftskrise. Die Zeitarbeiter stehen schon auf der Straße. Wir haben ein sehr, sehr schlechtes Bildungssystem, mit dem wir international definitiv nicht vorne stehen. Ehrlich gesagt, treibt mich das um. Anhand dessen werden später auch Fragen zu entscheiden sein.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben gesagt, es kommt auf die Inhalte an. Man könnte ja auch sagen: Wir lassen mal die rechnerischen Wahrscheinlichkeiten außen vor. Wir gucken, wie die Ergebnisse Ende September sind. Und dann schauen wir, wer am besten zusammenpasst. Und wir gucken erst mal, mit wem wir uns inhaltlich am besten zusammentun können.
Renate Künast: Ich habe meines Erachtens gar nix anderes gesagt. Die Leute draußen fragen auch und sagen ja, tolles Programm, tolle Ideen, aber mit wem denn dann? Das ist auch das, was ich in der Hauptsache eigentlich diskutiere.
Deutschlandradio Kultur: Die Liberalen sind im Spiel. Dann stellt sich schon die Frage, nicht nur für Journalisten, sondern auch für Leute wie beispielsweise Christian Ströbele, Ihren Parteifreund, der sagt: Wo sind eigentlich die Schnittmengen? Was sagen wir unserer Klientel, warum wir eigentlich denken, dass - wenn es so weit wäre - wir mit den Liberalen zusammenarbeiten könnten? Wo sind die Schnittmengen?
Renate Künast: Die Frage stelle ich übrigens immer anders. Wenn wir uns zum Beispiel die SPD angeguckt haben, mit denen wir wiederholt regiert haben, stelle ich als allererstes gar nicht die Schnittmengenfrage, sondern sage: Was ist grüne Politik und was der Inhalt, den ich durchsetzen will? Daran mache ich meine persönliche Zustimmung zu einer Koalition fest.
Wir haben bei der SPD in der Vergangenheit an vielen Stellen keine Schnittmenge gehabt. Wir waren sogar auch mal richtig Gegner, wenn es zum Beispiel um Kohlepolitik und Atomenergie gegangen ist, bis sie sich dann wandelte und, während sie mit der einen Hand noch Kohlesubventionen verlängert hat, jetzt so tut, als seien sie fast Miterfinder des Atomausstiegs oder einer anderen Energiepolitik.
Es kommt nicht auf die Frage an, wo hab ich Schnittmengen. Selbst wenn ich bei der FDP jetzt zum Beispiel sagen würde, es gibt beim Thema Abrüstung und bei den Bürgerrechten eine Schnittmenge, wohlgemerkt auf der Bundesebene. Wenn ich mir in NRW Herrn Wolf angucke, Herr Wolf ist der Innenminister der durch seine schlechte und falsche Politik die meisten Verfahren vorm Bundesverfassungsgericht initiiert hat, die wir und unsere Szene dann erfolgreich beschritten hat. Aber auf der Bundesebene, glaube ich, gibt es also bei Abrüstung und Bürgerrechten zum Teil eine Schnittmenge. Aber es wird ja keine Regierungsvereinbarung über Schnittmengen geben, sondern Regierungsvereinbarungen über ein Arbeitsprogramm.
Ich will der sprachlichen Genauigkeit wegen noch mal sagen: Ich mache daraus kein Projekt. Weder ich bin darüber begeistert, noch andere. Ich weise auf eine rechnerische Wahrscheinlichkeit hin und gehöre zu denen, die vorher gern sagen, was auf einen zukommen kann. Dann bitte ich auch um intellektuelle Redlichkeit, daraus nicht einen Inhalt zu machen und schon gar nicht daraus zu machen, dass dieses zwingend komme wird.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben noch einen Wahlparteitag im Mai.
Renate Künast: Da geht’s schon wieder um Inhalte.
Deutschlandradio Kultur: Sie und Herr Trittin wollen aber auch einen Koalitionskurs festlegen. So haben wir das zumindest verstanden.
Renate Künast: Na ja, wir haben gesagt, wir wollen eine Wahlaussage festlegen. Wobei das gar nicht unsere Erfindung ist, sondern die Tatsache, dass es eine Wahlaussage geben soll, die wird nicht so sein, wie früher, aber dass es eine geben soll, das hat der Länderrat beschlossen.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie eigentlich schon eine andere Klientel im Kopf, wenn Sie mit dieser Koalitionsaussage spielen, dass Sie zusätzlich vielleicht auch andere Leute anziehen können, jüngere Leute zum Beispiel?
Renate Künast: Wir haben kein Defizit bei jüngeren Leuten. Meine These ist, dass wir mehr jüngere Leute ziehen, als die FDP es tut. Ich sage mal: Ganz unabhängig von solchen Wahlaussagedebatten gucke ich und gucken Grüne ja schon längere Zeit auf das Bürgertum. Wenn CDU und FDP so gerne, was ja von Medien auch immer abgeschrieben wird, sagen, es gäbe da eine bürgerliche Koalitionsmöglichkeit, dann finde ich, da gehört schon eine Portion Frechheit zu, das gesamte Bürgertum für sich einzubeziehen. Das Bürgertum denkt nicht immer so, wie Guido Westerwelle denkt nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist ja an alle gedacht. Mindestens die Hälfte des Bürgertums in diesem Land hat eine Vorstellung, dass es eine Verpflichtung fürs Gemeinwesen gibt, dass man nicht auf Kosten anderer leben darf, dass der Staat eine soziale Verantwortung hat gerade bei der Infrastruktur und eine soziale Verantwortung für Kinder bei Erziehung und Bildung und dass wir auch beim Haushalt nicht auf Kosten nachkommender Generationen leben dürfen.
Wir sind eine Partei, die sich im Spektrum der Parteienlandschaft links verortet - in einer modernen Definition. Aber es gibt Menschen, die werteorientiert sind, das sind auch die allermeisten Grünen. Und es gibt auch im Bürgertum, soweit überhaupt noch Bürgertum existent ist, Leute, die eine hohe soziale und ökologische Verantwortung spüren. Das sind die, die nicht nur über Steuersenken zu Lasten der Allgemeinheit reden. Die will ich natürlich gerne alle haben und sagen, hier ist ein grünes Programm für die Zukunft.
Deutschlandradio Kultur: In Zeiten dieser Krise, die wir im Moment erleben, hören wir beispielsweise von den Vereinten Nationen, dass sie sagen: Gerade jetzt müssen wir mehr Klimaschutz machen. Das fordern Sie auch. Sie haben einen Wahlprüfstein oder einen Wahlprogrammentwurf "Green New Deal", da steht ähnliches drin. Jetzt könnte man sagen, das sind die richtigen Antworten in dieser Zeit und das müsste sich auch bei den Wahlumfragen niederschlagen. Eigentlich müssten sie deutlich vor der FDP stehen, weil sie glauben die besseren Antworten haben. Tun Sie aber nicht. Liegt das möglicherweise auch an Ihnen, an der Partei?
Renate Künast: Also, Punkt eins ist, dass sich zu Beginn dieser Legislaturperiode Merkel ja so verhalten hat, dass viele schon schrieben, sie sei die Klimakanzlerin und die Grünen seien gänzlich überflüssig. So gesehen bin ich ja froh über elf Prozent in Umfragen, gleichwohl ich noch mehr haben möchte. Merkel hat gezeigt, dass sie über Klima geredet hat. Mittlerweile, ich glaube, seit dem letzten Jahr, haben die meisten verstanden, dass sie dazu aber keinen einzigen Schritt gegangen ist, weil sie nicht den Mut hat, die alten Prämissen wirklich wegzuwerfen und stattdessen nach neuen Regeln zu wirtschaften, das Wohnen, das Transportieren zu organisieren. Sie ist einfach die Vertreterin der alten gesellschaftlichen Beharrungskräfte, die nur an den kurzfristigen finanziellen Profit denken.
Jetzt ist sie aber ein Stück in die Mitte gerutscht und macht auch der SPD Konkurrenz. Da genau ist doch eigentlich die Lücke für Guido Westerwelle gewesen, der die Grundrechenarten außer Kraft setzt - Steuern für Besserverdiener runter und gleichzeitig weniger Schulden machen. Erstens geht das rechnerisch nicht, zweitens ist sein Steuern-runter-Paket sozusagen die Vorbereitung für massiven Sozialabbau, der dann kommen würde, wenn Schwarz-Gelb da wäre. Er füllt die Lücke der Frustrierten bei der CDU, den Paul-Kirchhof-, Friedrich-Merz-Flügel, den Merkel nicht bedient. Alles genaue Hinsehen zeigt ja, dass sie Kraft eigener Wassersuppe viel, viel weniger%e hätten.
Ich erlebe ja, wenn ich mit Mittelständlern rede, wie die ja immer begeistert erzählen, ja, der Westerwelle will die Steuern senken. Die frage ich: Leute, wollt ihr für das kurzfristig schöne Gefühl, dass die Steuern gesenkt werden, dass es aber dann viel zu wenig Geld gibt, um in Energieumbauten zu investieren? Jeder Mittelständler weiß ja, die internationale Konkurrenz zahlt niedrige Löhne und die internationale Konkurrenz wird sich im energetischen Bereich - auch China - so weiter entwickeln, dass sie weniger Energiekosten haben. Wenn du dann sagst, willst du, dass wir da helfen, dass dein Unternehmen weniger für diese Betriebskosten ausgeben muss und du dich entwickelst, dass du die Technologie zuerst hast, willst du, dass wir Geld zum Steuernsenken für dich und deinen Nachbarn kurzfristig rausgeben, oder willst du, dass wir die Kinder und Jugendlichen so ausbilden, dass du ausbildungsfähige, muntere, kreative junge Leute in deinem Betrieb hast, dann sagen sie am Ende alle: Ja, Sie haben recht. Das Steuersenken hilft mir vielleicht emotional heute Abend, aber es hilft mir nächste Woche in meinem Betrieb schon nicht mehr weiter.
Deutschlandradio Kultur: Deshalb waren wir ja so überrascht über Ihre Ampeldiskussion, die Sie angeleiert haben. Denken Sie denn, die Unternehmer sagen dann am nächsten Tag auch noch, wir wählen jetzt Grün?
Renate Künast: Schauen wir mal. Wir haben 1,8 Millionen Arbeitsplätze im Bereich Umwelttechnologie. Die können wir bis 2020 verdoppeln, wenn wir jetzt nicht die falschen Maßnahmen ergreifen. Ich sage: Steuersenken für Besserverdiener hilft weder der Konjunktur, weil die das Geld gar nicht ausgeben, noch ist es richtig bei der Frage, wie gehe ich mit öffentlichen Geldern um.
Schauen wir uns mal an, was nicht nur die USA, sondern zum Beispiel und gerade auch China eigentlich an Geldern investiert in den Ausbau von Umwelttechnologie - auf allen Ebenen. Wir werden demnächst gar keine Autos hier bauen, wenn wir nicht aufpassen, weil die Autos aus Südkorea, aus China, aus Indien und aus Japan kommen. Das ist das, was mich treibt, nicht diese unsinnigen Konjunkturpakete oder wilde Versprechungen. Dafür muss man kämpfen. Das muss man erklären. Und viele verstehen es.
Deutschlandradio Kultur: Deutschlandradio Kultur, Sie hören Tacheles, heute mit Renate Künast, der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/ Die Grünen. Frau Künast, Sie haben die Autos und die besseren oder technologiefreundlicheren Autos angesprochen, die möglicherweise außerhalb Deutschlands gebaut werden. Wir haben Überkapazitäten hierzulande und weltweit. Was sagen die Grünen jetzt? Leute, baut weniger Autos, stellt um? Oder ist es sinnvoll, Abwrackprämie zu machen? Lohnt es sich noch, Kurzarbeitergeld für 18 Monate bei Daimler und anderswo zu bezahlen, um am Ende dann wieder da dazustehen, wo wir jetzt stehen? Oder müssen die Grünen sagen, nein Leute, wir machen was anderes?
Renate Künast: Also, so was wie die Abwrackprämie ist ja der Beweis dafür, dass die anderen immer noch im alten Denken sind. Das ist rausgeschmissenes Geld, auch wenn sie von den mit Neuwagen voll geparkten Parkplätzen von der einen oder anderen Firma ein paar Wagen weg geschoben haben, aber eben doch nicht nur aus Deutschland. Das ist im Wesentlichen Schuldenmachen für nachfolgende Generationen.
Nein, was wir machen müssen, ist im Bereich Auto mal ganzheitlich an die Frage zu denken, wie eigentlich Mobilität in Zukunft stattfinden soll. Ich sage mal: Transport wird ein herausragender wirtschaftlicher Faktor sein und ein herausragender Klimafaktor werden. Wie schaffen wir es, möglichst viel öffentlichen Verkehr zu haben - ob im Fernverkehr oder Nahverkehr? Dann darf man nicht privatisieren und es in die Hand von irgendeinem geben, der kurzfristige Profite machen will, sondern muss sagen, das brauchen wir für uns selbst - für den Transport von Menschen, für den Transport von Waren und Gütern. Und innerhalb dessen gibt es ein Segment für das individuelle Auto. An der Stelle müssen wir aber die Überkapazitäten, die wir heute schon haben, noch weiter neu rechnen - zusammen mit einem ehrgeizigen Programm für öffentlichen Verkehr. Diese Überkapazitäten müssen abgebaut werden. Das gilt übrigens auch für Opel. Eine Hilfe bei Opel ist schon mal gar nicht denkbar, wenn nicht Überkapazitäten berücksichtigt und abgebaut werden.
Wir müssen das Auto ökologisieren. Die Abwrackprämie macht da genau das Falsche. Da können Sie sich jedes Auto kaufen. Da können Sie sogar ein Auto eine Nummer größer mit gleich viel oder zwei Nummern größer mit mehr CO2-Ausstoß kaufen. Nein, wir müssen jetzt mit einem Paket von Maßnahmen die Automobilindustrie zwingen das zu machen, wo sie sich vorher wie die Zicke am Strick dagegen gewehrt und behauptet haben, der Mensch bräuchte diese dicken, hoch potenten Autos. Wir brauchen kleine Autos für bestimmte Zwecke. Bei dem einen muss die Kiste Bier reinpassen, beim anderen der Kinderwagen. Da muss die modernste Technologie her, im wahrsten Sinne des Wortes. Alles andere macht gar keinen Sinn.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie stehen auch bei Daimler vor den Werkstoren und würden sagen, Leute, die E-Klasse, die ihr jetzt neu produziert, ist unnötig - richtet euch darauf ein, dass ihr die auch in Zukunft weniger bauen müsst? Das machen Sie?
Renate Künast: Na ja, wissen Sie, die Arbeiter in diesen Fabriken sind ja nicht blöd. Die wissen haargenau, was passiert. Es gibt genug, auch Betriebsräte, die sagen: Wir wissen, dass unsere Vorstandsetage - manchmal sagen sie es auch über sich selbst beim Denken -, vielleicht die Arbeiter selber auch auf die falschen Autos rekurriert haben. Selbst Toyota ist total eingebrochen. Die gucken sehr kritisch darauf, wie viel Geld da ausgegeben wird, zum Beispiel für Speichertechnologie, für hochmoderne Batterien und ähnliches, und wissen, dass das die Konkurrenz ist. Die wissen auch, dass Konjunkturpakete, die ihnen so gerade mal um die nächste Ecke helfen, keine langfristige Aussage sind. Man darf in der Politik - nur weil die Leute einen spontan netter angucken - nicht erzählen, im Himmel ist Jahrmarkt. So mancher, der glaubt, seine Zukunft ist in der Automobilindustrie, muss seine Zukunft woanders finden. Und wir haben die Aufgabe, es da hin zu lenken in den Jobs der Zukunft. Es gibt ja von Windanlagen bauen und warten bis zum Schornsteinfeger, der Energieberater ist, von Energiemanagern für Häuser, die ganze Gebäudesanierung, die da ist, jede Menge Jobs. Wenn wir nicht aufpassen, gibt’s aber die Fertigungsjobs nicht hier, sondern andere werden sie haben.
Deutschlandradio Kultur: Was machen die Arbeiter dann bei Daimler? Sollen die jetzt Windkrafträder bauen? Oder was sollen die machen?
Renate Künast: Ja, es gibt ja kein Verbot dafür, die E-Klasse zu bauen. Nur die E-Klasse wird keiner mehr kaufen. Es werden immer weniger sie kaufen. Da muss ich ja gar nichts für tun an der Stelle. Ich meine, das wissen die Arbeiter selbst. Die kennen ja die eigenen Absatzzahlen.
Deshalb brauchen wir national, europäisch und regional Konzepte. Was bauen wir stattdessen? Wenn man schon Subventionen zahlt, Erleichterungen, Anschübe macht, muss das Geld da rein - bei Wind, bei Sonne, bei Energiesparen und Dämmmaßnahmen. Wie kann man die Fertigungsprozesse verändern, um weniger Wasser, weniger Rohstoffe zu brauchen, weil sich dadurch die Betriebskosten senken?
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt die ganze Zeit über Ansätze in der Arbeitswelt und in der Industriegesellschaft geredet. Die Krise, das ist ja auch so ein abgeklatschtes Motto, birgt ja immer auch eine Chance für eine Veränderung. Ist ein grundlegendes Gefühl für eine generelle Veränderung auch in der Gesellschaft da, dass da auch was geändert werden muss? Bieten Sie da auch einen Teil an in Ihrem Green New Deal?
Renate Künast: Der Oberbegriff ist ja der grüne neue Gesellschaftsvertrag. Der Green New Deal ist die andere Art des Wirtschaftens und Produzierens. Der grüne neue Gesellschaftsvertrag sagt ja noch stärker in einer grundsätzlichen Art und Weise, dass wir die Prämissen neu schreiben und neu sortieren müssen, zu denen wir leben, produzieren, transportieren wollen. Die Frage ist: Auf wen konzentrieren wir uns in dieser Gesellschaft?
Das muss, um andere Bereiche zu nennen, zum Beispiel heißen, dass wir noch mal überlegen, ob wir nicht mit der Konzentration auf eine - ich sage mal - "vermeintliche Familie mit Trauschein" Geld für etwas ausgeben, aus dem sich der Staat rauszuhalten hätte. Der Sozialstaat im 21. Jahrhundert muss doch sagen: Wen muss ich in dieser Gesellschaft schützen und fördern? Für meine Begriffe müssen es Situationen sein, in denen Menschen Verantwortung für andere Menschen übernehmen, ob sie nun Kinder erziehen und fördern oder ob sie alte oder kranke Menschen pflegen und unterstützen. Diese Verantwortungsübernahme und die individuellen Menschen dahinter sind zu unterstützen.
Das heißt, dann aber auch die Frage zu stellen: Wo kommt das Geld her? Da sagen wir: Aus dem Soli Ost, der ja von Jahr zu Jahr weniger in den Osten überwiesen wird, sollte zum Teil ein Bildungssoli werden für die ganze Republik, um in Infrastruktur und in Bildungspersonal zu investieren die nächste Zeit, damit es wirklich Gerechtigkeit und gleiche Chancen gibt. Das heißt auch: Ehegattensplitting abschmelzen und diese Milliarden nehmen, um sie auch in Personal für Bildung zu investieren. Das ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
Deutschlandradio Kultur: Das ist doch nicht das Originäre, was man mit Grün verbindet. Das hat Frau von der Leyen versucht. Das versucht die SPD, Bildungsgerechtigkeit.
Renate Künast: Wo ist da Frau von der Leyen?
Deutschlandradio Kultur: Sie hat ihre Partei, die CDU, mit diesem Thema intensiv traktiert und sie hat sie auch umgebaut. Diese konservativen Weltbilder, die es vielleicht vor sechs, acht oder zehn Jahren innerhalb der CDU gab, haben sich doch teilweise verändert.
Renate Künast: Also, diese von der Leyen hat vielleicht die CDU aus dem vorletzten Jahrhundert gezerrt, indem sie über das Thema geredet hat. Aber, wie wir gerade feststellen, scheint es bei den CDUlern selbst nicht zu zünden. Zweitens brüstete sie sich mit einem Geburtenzuwachs, der gar nicht stattgefunden hat. Ich hatte immer schon Zweifel, dass die Leute wegen von der Leyen Kinder zeugen. Ich dachte immer, es liegt an Zuneigung zueinander. Jetzt stellt man auch fest, sie brüstet sich mit Zahlen, die sie noch selber geschönt hat, weil es weiter runter geht und nicht hoch an der Stelle.
Aber ich sage Ihnen, Elterngeld, nett und schön, aber mehr Kindergartenplätze gibt es wegen von der Leyen noch nicht. Und dann noch der Trick: Sie tut ja so, als wolle sie beim Ehegattensplitting auch was verändern. Nun erfindet sie ein Familiensplitting, über das sie in der nächsten Legislaturperiode noch mal diskutieren will. Aber da legt sie immer noch nicht Hand an die Rollen- und Geschlechterverteilung an, sondern sie sagt, sie will dann noch was oben drauf geben. Politik muss jetzt aber sorgfältig mit Geld umgehen. Wir haben es ja nicht ohne Ende. Das Ehegattensplitting muss man jetzt so weit runterfahren, wie es nach dem Bundesverfassungsgericht gerade noch nötig ist, und dann das Geld in die Kinder stecken.
Wenn wir uns nicht um die Kinder kümmern, werden wir immer mehr Kinder mit deutschem Hintergrund und mit Migrationshintergrund in die Sackgasse schicken. Das wird uns eines Tages innenpolitisch um die Ohren fliegen, weil wir viel zu wenige Kinder haben, die mit einem Schulabschluss aus der Schule kommen. Denken Sie mal allein an Berlin. Von den Kindern auf der Hauptschule sind 75 Prozent mit 15 Jahren auf Grundschulniveau. Die sind gar nicht ausbildungsfähig. Die sind nicht mal zur kulturellen Teilhabe an dieser Gesellschaft fähig. Da können Sie sich vorstellen, was in einigen Stadtteilen dieser Republik mal los sein wird. Also, ran an das Thema. Und da sehe ich keinen, der es so tut, wie wir.
Deutschlandradio Kultur: Die Grünen, die neue Familienpartei, aber sie ist nach wie vor auch die ökologische Partei. Wenn Sie beispielsweise sagen, dass man bei Preisen endlich die ökologische Wahrheit sagen müsse, was bedeutet, dass die ökologischen Kosten in die Preise eingebettet werden müssten, wie machen Sie das beim Thema Flugbenzin? Sie würden das gerne so besteuern, wie andere Energieträger auch besteuert werden.
Renate Künast: Ja, haben wir immer gesagt. Dass Flugbenzin nicht besteuert wird, ist ja noch Ergebnis von Lobbyarbeit von Franz Josef Strauß, ist aber heute nicht mehr zu begründen.
Deutschlandradio Kultur: Aber im Alleingang schaffen Sie das doch überhaupt nicht.
Renate Künast: Na ja, trotz alledem muss einer anfangen. Es gibt viele Dinge, von denen man sagt, sie seien im nationalen Alleingang nicht zu machen. Wir Grünen sagen, wir sind ja glühende Europäer an der Stelle, dass man die meisten Dinge nur so lösen kann - auch beim Klima. Trotzdem muss einer anfangen und muss man die Schieflage verändern. Wieso ist die Bahn so teuer? Das liegt ja nicht nur an schlechter Arbeit von Mehdorn und dem Vorstand, sondern auch daran, dass die Bahn da mit hohen Energiekosten und dem vollen Mehrwertsteuersatz fährt, während der Flieger irgendwo zwischen Städten noch den letzten Acker zu günstigen Tarifen hat planieren lassen und ohne Kerosinbesteuerung durch die Gegend fliegen darf. Das muss man verändern.
Wie schafft man das? Indem man bei dem einen für ehrlichere Preise sorgt und dann die Subventionen auch umbaut.
Deutschlandradio Kultur: Das Dienstwagenprivileg ist ja auch so eine Sache, worüber Sie auch schon lange mit anderen gestritten haben. Denken Sie, in einer Zeit, wie jetzt gerade, wo vielleicht auch manch einer umdenkt, dass Sie eher Mitstreiter dafür finden würden, das abzuschaffen?
Renate Künast: Das wäre eigentlich meine Hoffnung. Das Dienstwagenprivileg heißt ja, dass Firmen den Dienstwagen steuerlich absetzen können, so dass so manches Auto, das 150.000 kostet über die steuerliche Regelung 50.000 Euro billiger geworden ist. Eigentlich sollte man in diesen Zeiten da einen Umbau hinkriegen.
Das ist auch der Punkt, der mich treibt, wenn so manche drüber reden, wir machen ja was Schönes. Merkel sagt das ja auch immer. Sie will besser aus der Krise rauskommen. Aber dieses Besser ist so blutleer, weil da nichts drin ist. Wenn man anders aus der Krise rauskommen will, dann muss man da, wo wir strukturelle Probleme haben, auch den Mut zu Veränderungen haben - bei der Automobilindustrie, bei der chemischen Industrie, im Maschinenbau. Denken Sie an die chemische Industrie, wo ja auch ein Standort nach dem anderen schließt. Was sind die neuen Aufgaben von denen? Da muss man jetzt ran. Wer stellt die Dämmstoffe für Häuser her? Wer stellt für viele Geräte moderne Stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen her? Wer entwickelt Verfahren zum Beispiel mit der weißen Biotechnologie durch Enzyme, um die Prozesse von Wärme, von Wassernutzung, Rohstoffnutzung zu verkürzen und damit ökologischer zu machen? Das sind alles die Bereiche, die man jetzt eigentlich anpacken muss.
Grundsätzlich drumrum würde das beim Auto heißen: Jetzt Tempolimit auf der Autobahn, damit alle wissen, ein Auto, das 200 fährt, brauchst du gar nicht mehr produzieren, weil es bei uns auch bei 130 aufhört; zweitens, dieses Dienstwagenprivileg abzuschmelzen und zu sagen, als Betriebskosten mit dem vollen Satz nur absetzbar meinetwegen bis 140 g CO2. Und danach muss es rapide runtergehen, damit es keinen Anreiz gibt von Steuern, Autos zu kaufen, die das Klima verunreinigen, wo man an der anderen Stelle dann wieder was gegen Klimawandel tun muss. Das heißt: großes Programm für zwei Millionen Elektroautos als Anreiz, so wie wir mit den Solaranlagen angefangen haben; richtige CO2-Regeln für den Durchschnitt der Neuwagenflotte, eine Kfz-Steuer, die die kleinen Autos mit wenig Ausstoß vier Jahre steuerfrei stellt und die ganz Großen, meinetwegen so einen Audi Q7, mit der dreifachen Kfz-Steuer versieht, um das finanziell neutral gegen zu finanzieren. Wenn Sie so ein Paket machen würden und sagen, das schieben wir jetzt mal alles los, dann würden Sie sehen, dass sich dahinter ein bestimmtes Käuferverhalten weiter verändern kann, weil die Leute ja wissen, die Benzinpreise steigen wieder, und das Produktionsverhalten sich auch verändern wird. Und Sie reduzieren den CO2-Ausstoß.
Deutschlandradio Kultur: Politiker können ja mit guten Beispielen vorangehen. Vorausgesetzt, Sie wären nach der Bundestagswahl wieder in Amt und Würden, was für einen Dienstwagen würden Sie denn fahren?
Renate Künast: Du meine Güte. Was gibt’s denn dann?
Deutschlandradio Kultur: Es gibt Beispiele. Ihr Parteifreund Boris Palmer hat sich für einen ganz kleinen Wagen entschieden.
Renate Künast: Na ja, jetzt glaub ich nicht, dass ich in einen Zweisitzer zu viert reinpasse, aber ansonsten kein Problem. Also, ich hab damals in meinem Ministerium auch das Dienstfahrrad eingeführt zwischen Ministerium, Bundespressekonferenz und Bundestag - eine ganz praktische Errungenschaft. Man kommt sogar schneller hin.
Deutschlandradio Kultur: Frau Künast, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Renate Künast: Ich danke auch.
Renate Künast: Ich kann ja rechnen. Deshalb sage ich: Die wahrscheinlichste Option ist rechnerisch eine andere. Der allererste Punkt ist eigentlich, auf den grünen Inhalt kommt es an. Wir wollen schon das Land auf intelligente Energienutzung umbauen. Das ist wirklich ein struktureller Umbau. Wir wollen die Kinder in den Mittelpunkt stellen. Das bewegt mich als allererstes.
Deutschlandradio Kultur: In Hessen hätten Sie ein rot-rot-grünes Bündnis mitgetragen. In Hamburg regiert Schwarz-Grün, in Bremen Rot-Grün. Sie könnten sich im Bund auch eine Ampel, also Rot-Gelb-Grün, vorstellen. Ein bisschen scheint es so, dass alles möglich ist. Heißt das auch, Hauptsache wir kommen im September 2009 an die Macht?
Renate Künast: Es heißt genau andersrum: Hauptsache, der Inhalt stimmt - wenn schon, denn schon. Sehen Sie mal: In einem Fünfparteiensystem hat es angefangen, hat es in den Kommunen jede Menge von Veränderungen gegeben. Auf jeder Landesebene muss man überlegen, was die Fragen sind, die in den nächsten Jahren konkret anstehen, die umzubauen sind, wo das Land auf Zukunft ausgerichtet werden muss. An diesen Inhalten macht sich dann jeweils die Koalitionsfrage fest.
Deutschlandradio Kultur: Sie und Jürgen Trittin reden im Moment über Farbenlehre. Es sind nicht die Journalisten, die damit angefangen haben. Warum machen Sie das zum jetzigen Zeitpunkt?
Renate Künast: Der Ehrlichkeit halber muss ich Ihnen sagen, dass diese Diskussion schon seit geraumer Zeit stattfindet. Die Frage wird ja als allererstes von der SPD und von der FDP geführt und von anderen. Wir haben ja vieles an Philosophieren an der Stelle gehört. Ich oder wir haben seit Monaten, andere allerdings auch, darauf hingewiesen, was eine rechnerische und inhaltliche Wahrscheinlichkeit hat, weil wir ja wissen, was mit den anderen Varianten ist. Insofern hab ich jetzt eigentlich gar nichts Neues gesagt, sondern die Debatte ist überall da. Ich hab mich, ehrlich gesagt, mit was ganz anderem beschäftigt, nämlich mit der Mitarbeit beim Bundestagswahlprogramm.
Wir haben eine Finanzkrise. Wir haben eine Wirtschaftskrise. Die Zeitarbeiter stehen schon auf der Straße. Wir haben ein sehr, sehr schlechtes Bildungssystem, mit dem wir international definitiv nicht vorne stehen. Ehrlich gesagt, treibt mich das um. Anhand dessen werden später auch Fragen zu entscheiden sein.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben gesagt, es kommt auf die Inhalte an. Man könnte ja auch sagen: Wir lassen mal die rechnerischen Wahrscheinlichkeiten außen vor. Wir gucken, wie die Ergebnisse Ende September sind. Und dann schauen wir, wer am besten zusammenpasst. Und wir gucken erst mal, mit wem wir uns inhaltlich am besten zusammentun können.
Renate Künast: Ich habe meines Erachtens gar nix anderes gesagt. Die Leute draußen fragen auch und sagen ja, tolles Programm, tolle Ideen, aber mit wem denn dann? Das ist auch das, was ich in der Hauptsache eigentlich diskutiere.
Deutschlandradio Kultur: Die Liberalen sind im Spiel. Dann stellt sich schon die Frage, nicht nur für Journalisten, sondern auch für Leute wie beispielsweise Christian Ströbele, Ihren Parteifreund, der sagt: Wo sind eigentlich die Schnittmengen? Was sagen wir unserer Klientel, warum wir eigentlich denken, dass - wenn es so weit wäre - wir mit den Liberalen zusammenarbeiten könnten? Wo sind die Schnittmengen?
Renate Künast: Die Frage stelle ich übrigens immer anders. Wenn wir uns zum Beispiel die SPD angeguckt haben, mit denen wir wiederholt regiert haben, stelle ich als allererstes gar nicht die Schnittmengenfrage, sondern sage: Was ist grüne Politik und was der Inhalt, den ich durchsetzen will? Daran mache ich meine persönliche Zustimmung zu einer Koalition fest.
Wir haben bei der SPD in der Vergangenheit an vielen Stellen keine Schnittmenge gehabt. Wir waren sogar auch mal richtig Gegner, wenn es zum Beispiel um Kohlepolitik und Atomenergie gegangen ist, bis sie sich dann wandelte und, während sie mit der einen Hand noch Kohlesubventionen verlängert hat, jetzt so tut, als seien sie fast Miterfinder des Atomausstiegs oder einer anderen Energiepolitik.
Es kommt nicht auf die Frage an, wo hab ich Schnittmengen. Selbst wenn ich bei der FDP jetzt zum Beispiel sagen würde, es gibt beim Thema Abrüstung und bei den Bürgerrechten eine Schnittmenge, wohlgemerkt auf der Bundesebene. Wenn ich mir in NRW Herrn Wolf angucke, Herr Wolf ist der Innenminister der durch seine schlechte und falsche Politik die meisten Verfahren vorm Bundesverfassungsgericht initiiert hat, die wir und unsere Szene dann erfolgreich beschritten hat. Aber auf der Bundesebene, glaube ich, gibt es also bei Abrüstung und Bürgerrechten zum Teil eine Schnittmenge. Aber es wird ja keine Regierungsvereinbarung über Schnittmengen geben, sondern Regierungsvereinbarungen über ein Arbeitsprogramm.
Ich will der sprachlichen Genauigkeit wegen noch mal sagen: Ich mache daraus kein Projekt. Weder ich bin darüber begeistert, noch andere. Ich weise auf eine rechnerische Wahrscheinlichkeit hin und gehöre zu denen, die vorher gern sagen, was auf einen zukommen kann. Dann bitte ich auch um intellektuelle Redlichkeit, daraus nicht einen Inhalt zu machen und schon gar nicht daraus zu machen, dass dieses zwingend komme wird.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben noch einen Wahlparteitag im Mai.
Renate Künast: Da geht’s schon wieder um Inhalte.
Deutschlandradio Kultur: Sie und Herr Trittin wollen aber auch einen Koalitionskurs festlegen. So haben wir das zumindest verstanden.
Renate Künast: Na ja, wir haben gesagt, wir wollen eine Wahlaussage festlegen. Wobei das gar nicht unsere Erfindung ist, sondern die Tatsache, dass es eine Wahlaussage geben soll, die wird nicht so sein, wie früher, aber dass es eine geben soll, das hat der Länderrat beschlossen.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie eigentlich schon eine andere Klientel im Kopf, wenn Sie mit dieser Koalitionsaussage spielen, dass Sie zusätzlich vielleicht auch andere Leute anziehen können, jüngere Leute zum Beispiel?
Renate Künast: Wir haben kein Defizit bei jüngeren Leuten. Meine These ist, dass wir mehr jüngere Leute ziehen, als die FDP es tut. Ich sage mal: Ganz unabhängig von solchen Wahlaussagedebatten gucke ich und gucken Grüne ja schon längere Zeit auf das Bürgertum. Wenn CDU und FDP so gerne, was ja von Medien auch immer abgeschrieben wird, sagen, es gäbe da eine bürgerliche Koalitionsmöglichkeit, dann finde ich, da gehört schon eine Portion Frechheit zu, das gesamte Bürgertum für sich einzubeziehen. Das Bürgertum denkt nicht immer so, wie Guido Westerwelle denkt nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist ja an alle gedacht. Mindestens die Hälfte des Bürgertums in diesem Land hat eine Vorstellung, dass es eine Verpflichtung fürs Gemeinwesen gibt, dass man nicht auf Kosten anderer leben darf, dass der Staat eine soziale Verantwortung hat gerade bei der Infrastruktur und eine soziale Verantwortung für Kinder bei Erziehung und Bildung und dass wir auch beim Haushalt nicht auf Kosten nachkommender Generationen leben dürfen.
Wir sind eine Partei, die sich im Spektrum der Parteienlandschaft links verortet - in einer modernen Definition. Aber es gibt Menschen, die werteorientiert sind, das sind auch die allermeisten Grünen. Und es gibt auch im Bürgertum, soweit überhaupt noch Bürgertum existent ist, Leute, die eine hohe soziale und ökologische Verantwortung spüren. Das sind die, die nicht nur über Steuersenken zu Lasten der Allgemeinheit reden. Die will ich natürlich gerne alle haben und sagen, hier ist ein grünes Programm für die Zukunft.
Deutschlandradio Kultur: In Zeiten dieser Krise, die wir im Moment erleben, hören wir beispielsweise von den Vereinten Nationen, dass sie sagen: Gerade jetzt müssen wir mehr Klimaschutz machen. Das fordern Sie auch. Sie haben einen Wahlprüfstein oder einen Wahlprogrammentwurf "Green New Deal", da steht ähnliches drin. Jetzt könnte man sagen, das sind die richtigen Antworten in dieser Zeit und das müsste sich auch bei den Wahlumfragen niederschlagen. Eigentlich müssten sie deutlich vor der FDP stehen, weil sie glauben die besseren Antworten haben. Tun Sie aber nicht. Liegt das möglicherweise auch an Ihnen, an der Partei?
Renate Künast: Also, Punkt eins ist, dass sich zu Beginn dieser Legislaturperiode Merkel ja so verhalten hat, dass viele schon schrieben, sie sei die Klimakanzlerin und die Grünen seien gänzlich überflüssig. So gesehen bin ich ja froh über elf Prozent in Umfragen, gleichwohl ich noch mehr haben möchte. Merkel hat gezeigt, dass sie über Klima geredet hat. Mittlerweile, ich glaube, seit dem letzten Jahr, haben die meisten verstanden, dass sie dazu aber keinen einzigen Schritt gegangen ist, weil sie nicht den Mut hat, die alten Prämissen wirklich wegzuwerfen und stattdessen nach neuen Regeln zu wirtschaften, das Wohnen, das Transportieren zu organisieren. Sie ist einfach die Vertreterin der alten gesellschaftlichen Beharrungskräfte, die nur an den kurzfristigen finanziellen Profit denken.
Jetzt ist sie aber ein Stück in die Mitte gerutscht und macht auch der SPD Konkurrenz. Da genau ist doch eigentlich die Lücke für Guido Westerwelle gewesen, der die Grundrechenarten außer Kraft setzt - Steuern für Besserverdiener runter und gleichzeitig weniger Schulden machen. Erstens geht das rechnerisch nicht, zweitens ist sein Steuern-runter-Paket sozusagen die Vorbereitung für massiven Sozialabbau, der dann kommen würde, wenn Schwarz-Gelb da wäre. Er füllt die Lücke der Frustrierten bei der CDU, den Paul-Kirchhof-, Friedrich-Merz-Flügel, den Merkel nicht bedient. Alles genaue Hinsehen zeigt ja, dass sie Kraft eigener Wassersuppe viel, viel weniger%e hätten.
Ich erlebe ja, wenn ich mit Mittelständlern rede, wie die ja immer begeistert erzählen, ja, der Westerwelle will die Steuern senken. Die frage ich: Leute, wollt ihr für das kurzfristig schöne Gefühl, dass die Steuern gesenkt werden, dass es aber dann viel zu wenig Geld gibt, um in Energieumbauten zu investieren? Jeder Mittelständler weiß ja, die internationale Konkurrenz zahlt niedrige Löhne und die internationale Konkurrenz wird sich im energetischen Bereich - auch China - so weiter entwickeln, dass sie weniger Energiekosten haben. Wenn du dann sagst, willst du, dass wir da helfen, dass dein Unternehmen weniger für diese Betriebskosten ausgeben muss und du dich entwickelst, dass du die Technologie zuerst hast, willst du, dass wir Geld zum Steuernsenken für dich und deinen Nachbarn kurzfristig rausgeben, oder willst du, dass wir die Kinder und Jugendlichen so ausbilden, dass du ausbildungsfähige, muntere, kreative junge Leute in deinem Betrieb hast, dann sagen sie am Ende alle: Ja, Sie haben recht. Das Steuersenken hilft mir vielleicht emotional heute Abend, aber es hilft mir nächste Woche in meinem Betrieb schon nicht mehr weiter.
Deutschlandradio Kultur: Deshalb waren wir ja so überrascht über Ihre Ampeldiskussion, die Sie angeleiert haben. Denken Sie denn, die Unternehmer sagen dann am nächsten Tag auch noch, wir wählen jetzt Grün?
Renate Künast: Schauen wir mal. Wir haben 1,8 Millionen Arbeitsplätze im Bereich Umwelttechnologie. Die können wir bis 2020 verdoppeln, wenn wir jetzt nicht die falschen Maßnahmen ergreifen. Ich sage: Steuersenken für Besserverdiener hilft weder der Konjunktur, weil die das Geld gar nicht ausgeben, noch ist es richtig bei der Frage, wie gehe ich mit öffentlichen Geldern um.
Schauen wir uns mal an, was nicht nur die USA, sondern zum Beispiel und gerade auch China eigentlich an Geldern investiert in den Ausbau von Umwelttechnologie - auf allen Ebenen. Wir werden demnächst gar keine Autos hier bauen, wenn wir nicht aufpassen, weil die Autos aus Südkorea, aus China, aus Indien und aus Japan kommen. Das ist das, was mich treibt, nicht diese unsinnigen Konjunkturpakete oder wilde Versprechungen. Dafür muss man kämpfen. Das muss man erklären. Und viele verstehen es.
Deutschlandradio Kultur: Deutschlandradio Kultur, Sie hören Tacheles, heute mit Renate Künast, der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/ Die Grünen. Frau Künast, Sie haben die Autos und die besseren oder technologiefreundlicheren Autos angesprochen, die möglicherweise außerhalb Deutschlands gebaut werden. Wir haben Überkapazitäten hierzulande und weltweit. Was sagen die Grünen jetzt? Leute, baut weniger Autos, stellt um? Oder ist es sinnvoll, Abwrackprämie zu machen? Lohnt es sich noch, Kurzarbeitergeld für 18 Monate bei Daimler und anderswo zu bezahlen, um am Ende dann wieder da dazustehen, wo wir jetzt stehen? Oder müssen die Grünen sagen, nein Leute, wir machen was anderes?
Renate Künast: Also, so was wie die Abwrackprämie ist ja der Beweis dafür, dass die anderen immer noch im alten Denken sind. Das ist rausgeschmissenes Geld, auch wenn sie von den mit Neuwagen voll geparkten Parkplätzen von der einen oder anderen Firma ein paar Wagen weg geschoben haben, aber eben doch nicht nur aus Deutschland. Das ist im Wesentlichen Schuldenmachen für nachfolgende Generationen.
Nein, was wir machen müssen, ist im Bereich Auto mal ganzheitlich an die Frage zu denken, wie eigentlich Mobilität in Zukunft stattfinden soll. Ich sage mal: Transport wird ein herausragender wirtschaftlicher Faktor sein und ein herausragender Klimafaktor werden. Wie schaffen wir es, möglichst viel öffentlichen Verkehr zu haben - ob im Fernverkehr oder Nahverkehr? Dann darf man nicht privatisieren und es in die Hand von irgendeinem geben, der kurzfristige Profite machen will, sondern muss sagen, das brauchen wir für uns selbst - für den Transport von Menschen, für den Transport von Waren und Gütern. Und innerhalb dessen gibt es ein Segment für das individuelle Auto. An der Stelle müssen wir aber die Überkapazitäten, die wir heute schon haben, noch weiter neu rechnen - zusammen mit einem ehrgeizigen Programm für öffentlichen Verkehr. Diese Überkapazitäten müssen abgebaut werden. Das gilt übrigens auch für Opel. Eine Hilfe bei Opel ist schon mal gar nicht denkbar, wenn nicht Überkapazitäten berücksichtigt und abgebaut werden.
Wir müssen das Auto ökologisieren. Die Abwrackprämie macht da genau das Falsche. Da können Sie sich jedes Auto kaufen. Da können Sie sogar ein Auto eine Nummer größer mit gleich viel oder zwei Nummern größer mit mehr CO2-Ausstoß kaufen. Nein, wir müssen jetzt mit einem Paket von Maßnahmen die Automobilindustrie zwingen das zu machen, wo sie sich vorher wie die Zicke am Strick dagegen gewehrt und behauptet haben, der Mensch bräuchte diese dicken, hoch potenten Autos. Wir brauchen kleine Autos für bestimmte Zwecke. Bei dem einen muss die Kiste Bier reinpassen, beim anderen der Kinderwagen. Da muss die modernste Technologie her, im wahrsten Sinne des Wortes. Alles andere macht gar keinen Sinn.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie stehen auch bei Daimler vor den Werkstoren und würden sagen, Leute, die E-Klasse, die ihr jetzt neu produziert, ist unnötig - richtet euch darauf ein, dass ihr die auch in Zukunft weniger bauen müsst? Das machen Sie?
Renate Künast: Na ja, wissen Sie, die Arbeiter in diesen Fabriken sind ja nicht blöd. Die wissen haargenau, was passiert. Es gibt genug, auch Betriebsräte, die sagen: Wir wissen, dass unsere Vorstandsetage - manchmal sagen sie es auch über sich selbst beim Denken -, vielleicht die Arbeiter selber auch auf die falschen Autos rekurriert haben. Selbst Toyota ist total eingebrochen. Die gucken sehr kritisch darauf, wie viel Geld da ausgegeben wird, zum Beispiel für Speichertechnologie, für hochmoderne Batterien und ähnliches, und wissen, dass das die Konkurrenz ist. Die wissen auch, dass Konjunkturpakete, die ihnen so gerade mal um die nächste Ecke helfen, keine langfristige Aussage sind. Man darf in der Politik - nur weil die Leute einen spontan netter angucken - nicht erzählen, im Himmel ist Jahrmarkt. So mancher, der glaubt, seine Zukunft ist in der Automobilindustrie, muss seine Zukunft woanders finden. Und wir haben die Aufgabe, es da hin zu lenken in den Jobs der Zukunft. Es gibt ja von Windanlagen bauen und warten bis zum Schornsteinfeger, der Energieberater ist, von Energiemanagern für Häuser, die ganze Gebäudesanierung, die da ist, jede Menge Jobs. Wenn wir nicht aufpassen, gibt’s aber die Fertigungsjobs nicht hier, sondern andere werden sie haben.
Deutschlandradio Kultur: Was machen die Arbeiter dann bei Daimler? Sollen die jetzt Windkrafträder bauen? Oder was sollen die machen?
Renate Künast: Ja, es gibt ja kein Verbot dafür, die E-Klasse zu bauen. Nur die E-Klasse wird keiner mehr kaufen. Es werden immer weniger sie kaufen. Da muss ich ja gar nichts für tun an der Stelle. Ich meine, das wissen die Arbeiter selbst. Die kennen ja die eigenen Absatzzahlen.
Deshalb brauchen wir national, europäisch und regional Konzepte. Was bauen wir stattdessen? Wenn man schon Subventionen zahlt, Erleichterungen, Anschübe macht, muss das Geld da rein - bei Wind, bei Sonne, bei Energiesparen und Dämmmaßnahmen. Wie kann man die Fertigungsprozesse verändern, um weniger Wasser, weniger Rohstoffe zu brauchen, weil sich dadurch die Betriebskosten senken?
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt die ganze Zeit über Ansätze in der Arbeitswelt und in der Industriegesellschaft geredet. Die Krise, das ist ja auch so ein abgeklatschtes Motto, birgt ja immer auch eine Chance für eine Veränderung. Ist ein grundlegendes Gefühl für eine generelle Veränderung auch in der Gesellschaft da, dass da auch was geändert werden muss? Bieten Sie da auch einen Teil an in Ihrem Green New Deal?
Renate Künast: Der Oberbegriff ist ja der grüne neue Gesellschaftsvertrag. Der Green New Deal ist die andere Art des Wirtschaftens und Produzierens. Der grüne neue Gesellschaftsvertrag sagt ja noch stärker in einer grundsätzlichen Art und Weise, dass wir die Prämissen neu schreiben und neu sortieren müssen, zu denen wir leben, produzieren, transportieren wollen. Die Frage ist: Auf wen konzentrieren wir uns in dieser Gesellschaft?
Das muss, um andere Bereiche zu nennen, zum Beispiel heißen, dass wir noch mal überlegen, ob wir nicht mit der Konzentration auf eine - ich sage mal - "vermeintliche Familie mit Trauschein" Geld für etwas ausgeben, aus dem sich der Staat rauszuhalten hätte. Der Sozialstaat im 21. Jahrhundert muss doch sagen: Wen muss ich in dieser Gesellschaft schützen und fördern? Für meine Begriffe müssen es Situationen sein, in denen Menschen Verantwortung für andere Menschen übernehmen, ob sie nun Kinder erziehen und fördern oder ob sie alte oder kranke Menschen pflegen und unterstützen. Diese Verantwortungsübernahme und die individuellen Menschen dahinter sind zu unterstützen.
Das heißt, dann aber auch die Frage zu stellen: Wo kommt das Geld her? Da sagen wir: Aus dem Soli Ost, der ja von Jahr zu Jahr weniger in den Osten überwiesen wird, sollte zum Teil ein Bildungssoli werden für die ganze Republik, um in Infrastruktur und in Bildungspersonal zu investieren die nächste Zeit, damit es wirklich Gerechtigkeit und gleiche Chancen gibt. Das heißt auch: Ehegattensplitting abschmelzen und diese Milliarden nehmen, um sie auch in Personal für Bildung zu investieren. Das ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
Deutschlandradio Kultur: Das ist doch nicht das Originäre, was man mit Grün verbindet. Das hat Frau von der Leyen versucht. Das versucht die SPD, Bildungsgerechtigkeit.
Renate Künast: Wo ist da Frau von der Leyen?
Deutschlandradio Kultur: Sie hat ihre Partei, die CDU, mit diesem Thema intensiv traktiert und sie hat sie auch umgebaut. Diese konservativen Weltbilder, die es vielleicht vor sechs, acht oder zehn Jahren innerhalb der CDU gab, haben sich doch teilweise verändert.
Renate Künast: Also, diese von der Leyen hat vielleicht die CDU aus dem vorletzten Jahrhundert gezerrt, indem sie über das Thema geredet hat. Aber, wie wir gerade feststellen, scheint es bei den CDUlern selbst nicht zu zünden. Zweitens brüstete sie sich mit einem Geburtenzuwachs, der gar nicht stattgefunden hat. Ich hatte immer schon Zweifel, dass die Leute wegen von der Leyen Kinder zeugen. Ich dachte immer, es liegt an Zuneigung zueinander. Jetzt stellt man auch fest, sie brüstet sich mit Zahlen, die sie noch selber geschönt hat, weil es weiter runter geht und nicht hoch an der Stelle.
Aber ich sage Ihnen, Elterngeld, nett und schön, aber mehr Kindergartenplätze gibt es wegen von der Leyen noch nicht. Und dann noch der Trick: Sie tut ja so, als wolle sie beim Ehegattensplitting auch was verändern. Nun erfindet sie ein Familiensplitting, über das sie in der nächsten Legislaturperiode noch mal diskutieren will. Aber da legt sie immer noch nicht Hand an die Rollen- und Geschlechterverteilung an, sondern sie sagt, sie will dann noch was oben drauf geben. Politik muss jetzt aber sorgfältig mit Geld umgehen. Wir haben es ja nicht ohne Ende. Das Ehegattensplitting muss man jetzt so weit runterfahren, wie es nach dem Bundesverfassungsgericht gerade noch nötig ist, und dann das Geld in die Kinder stecken.
Wenn wir uns nicht um die Kinder kümmern, werden wir immer mehr Kinder mit deutschem Hintergrund und mit Migrationshintergrund in die Sackgasse schicken. Das wird uns eines Tages innenpolitisch um die Ohren fliegen, weil wir viel zu wenige Kinder haben, die mit einem Schulabschluss aus der Schule kommen. Denken Sie mal allein an Berlin. Von den Kindern auf der Hauptschule sind 75 Prozent mit 15 Jahren auf Grundschulniveau. Die sind gar nicht ausbildungsfähig. Die sind nicht mal zur kulturellen Teilhabe an dieser Gesellschaft fähig. Da können Sie sich vorstellen, was in einigen Stadtteilen dieser Republik mal los sein wird. Also, ran an das Thema. Und da sehe ich keinen, der es so tut, wie wir.
Deutschlandradio Kultur: Die Grünen, die neue Familienpartei, aber sie ist nach wie vor auch die ökologische Partei. Wenn Sie beispielsweise sagen, dass man bei Preisen endlich die ökologische Wahrheit sagen müsse, was bedeutet, dass die ökologischen Kosten in die Preise eingebettet werden müssten, wie machen Sie das beim Thema Flugbenzin? Sie würden das gerne so besteuern, wie andere Energieträger auch besteuert werden.
Renate Künast: Ja, haben wir immer gesagt. Dass Flugbenzin nicht besteuert wird, ist ja noch Ergebnis von Lobbyarbeit von Franz Josef Strauß, ist aber heute nicht mehr zu begründen.
Deutschlandradio Kultur: Aber im Alleingang schaffen Sie das doch überhaupt nicht.
Renate Künast: Na ja, trotz alledem muss einer anfangen. Es gibt viele Dinge, von denen man sagt, sie seien im nationalen Alleingang nicht zu machen. Wir Grünen sagen, wir sind ja glühende Europäer an der Stelle, dass man die meisten Dinge nur so lösen kann - auch beim Klima. Trotzdem muss einer anfangen und muss man die Schieflage verändern. Wieso ist die Bahn so teuer? Das liegt ja nicht nur an schlechter Arbeit von Mehdorn und dem Vorstand, sondern auch daran, dass die Bahn da mit hohen Energiekosten und dem vollen Mehrwertsteuersatz fährt, während der Flieger irgendwo zwischen Städten noch den letzten Acker zu günstigen Tarifen hat planieren lassen und ohne Kerosinbesteuerung durch die Gegend fliegen darf. Das muss man verändern.
Wie schafft man das? Indem man bei dem einen für ehrlichere Preise sorgt und dann die Subventionen auch umbaut.
Deutschlandradio Kultur: Das Dienstwagenprivileg ist ja auch so eine Sache, worüber Sie auch schon lange mit anderen gestritten haben. Denken Sie, in einer Zeit, wie jetzt gerade, wo vielleicht auch manch einer umdenkt, dass Sie eher Mitstreiter dafür finden würden, das abzuschaffen?
Renate Künast: Das wäre eigentlich meine Hoffnung. Das Dienstwagenprivileg heißt ja, dass Firmen den Dienstwagen steuerlich absetzen können, so dass so manches Auto, das 150.000 kostet über die steuerliche Regelung 50.000 Euro billiger geworden ist. Eigentlich sollte man in diesen Zeiten da einen Umbau hinkriegen.
Das ist auch der Punkt, der mich treibt, wenn so manche drüber reden, wir machen ja was Schönes. Merkel sagt das ja auch immer. Sie will besser aus der Krise rauskommen. Aber dieses Besser ist so blutleer, weil da nichts drin ist. Wenn man anders aus der Krise rauskommen will, dann muss man da, wo wir strukturelle Probleme haben, auch den Mut zu Veränderungen haben - bei der Automobilindustrie, bei der chemischen Industrie, im Maschinenbau. Denken Sie an die chemische Industrie, wo ja auch ein Standort nach dem anderen schließt. Was sind die neuen Aufgaben von denen? Da muss man jetzt ran. Wer stellt die Dämmstoffe für Häuser her? Wer stellt für viele Geräte moderne Stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen her? Wer entwickelt Verfahren zum Beispiel mit der weißen Biotechnologie durch Enzyme, um die Prozesse von Wärme, von Wassernutzung, Rohstoffnutzung zu verkürzen und damit ökologischer zu machen? Das sind alles die Bereiche, die man jetzt eigentlich anpacken muss.
Grundsätzlich drumrum würde das beim Auto heißen: Jetzt Tempolimit auf der Autobahn, damit alle wissen, ein Auto, das 200 fährt, brauchst du gar nicht mehr produzieren, weil es bei uns auch bei 130 aufhört; zweitens, dieses Dienstwagenprivileg abzuschmelzen und zu sagen, als Betriebskosten mit dem vollen Satz nur absetzbar meinetwegen bis 140 g CO2. Und danach muss es rapide runtergehen, damit es keinen Anreiz gibt von Steuern, Autos zu kaufen, die das Klima verunreinigen, wo man an der anderen Stelle dann wieder was gegen Klimawandel tun muss. Das heißt: großes Programm für zwei Millionen Elektroautos als Anreiz, so wie wir mit den Solaranlagen angefangen haben; richtige CO2-Regeln für den Durchschnitt der Neuwagenflotte, eine Kfz-Steuer, die die kleinen Autos mit wenig Ausstoß vier Jahre steuerfrei stellt und die ganz Großen, meinetwegen so einen Audi Q7, mit der dreifachen Kfz-Steuer versieht, um das finanziell neutral gegen zu finanzieren. Wenn Sie so ein Paket machen würden und sagen, das schieben wir jetzt mal alles los, dann würden Sie sehen, dass sich dahinter ein bestimmtes Käuferverhalten weiter verändern kann, weil die Leute ja wissen, die Benzinpreise steigen wieder, und das Produktionsverhalten sich auch verändern wird. Und Sie reduzieren den CO2-Ausstoß.
Deutschlandradio Kultur: Politiker können ja mit guten Beispielen vorangehen. Vorausgesetzt, Sie wären nach der Bundestagswahl wieder in Amt und Würden, was für einen Dienstwagen würden Sie denn fahren?
Renate Künast: Du meine Güte. Was gibt’s denn dann?
Deutschlandradio Kultur: Es gibt Beispiele. Ihr Parteifreund Boris Palmer hat sich für einen ganz kleinen Wagen entschieden.
Renate Künast: Na ja, jetzt glaub ich nicht, dass ich in einen Zweisitzer zu viert reinpasse, aber ansonsten kein Problem. Also, ich hab damals in meinem Ministerium auch das Dienstfahrrad eingeführt zwischen Ministerium, Bundespressekonferenz und Bundestag - eine ganz praktische Errungenschaft. Man kommt sogar schneller hin.
Deutschlandradio Kultur: Frau Künast, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Renate Künast: Ich danke auch.