Hauptmann und Mörder

14.01.2009
Der historisch interessierte Drehbuchautor und Regisseur Klaus Gietinger hat die Biografie des Mannes geschrieben, der am 15. Januar 1919 den Befehl für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erteilte. Hauptmann Waldemar Pabst stand einer Elitetruppe der ehemals kaiserlichen Reichswehr vor.
Es ist die Biografie eines Mannes, der im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte gemacht hat. Ausgangspunkt ist für Klaus Gietinger die Frage: Wer hat am 15. Januar 1919 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet? Die Mörder gehörten einer Elitetruppe der ehemals kaiserlichen Reichswehr an; und der Mann, der sie befehligte und der den Mordbefehl erteilte, war der Hauptmann Waldemar Pabst. Sein Einfluss auf die Ereignisse im Januar 1919 und auf die deutsche Novemberrevolution sei bisher unterschätzt worden, stellte Gietinger fest und machte sich daran, den Lebensweg und die Rolle dieses Mannes zu beschreiben.

Gietinger ist kein Historiker, sondern ein politisch engagierter Drehbuchautor und Regisseur mit besonderem Interesse an historischen Stoffen. Er tut, was renommierte Historiker versäumt (vielleicht sogar gemieden) haben: Er versucht akribisch genau zu rekonstruieren, wie die verhängnisvolle Nacht des 15. Januar 1919 abgelaufen ist, wie es nach dem Kaisersturz und dem vermeintlichen Sieg der Revolution am 9. November 1918 zu einer solchen Tat kommen konnte und wie das Verhängnis danach seinen Lauf nehmen konnte: die Eskalation der Gewalt. Das Ergebnis seiner Recherchen ist beeindruckend: Niemand hat so genau die Hintergründe der unheilvollen Entwicklung Deutschlands nach dem Kaisersturz beschrieben wie der gelernte Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger.

Trotzdem liefert das Buch dem geneigten Leser erst einmal Anlass, sich auf nahezu jeder Seite zu ärgern. Denn Gietinger schreibt nicht nur eine Pabst-Biographie, sondern auch eine Abrechnung mit der SPD und ihrer damaligen Parteiführung. Im ersten Drittel seines Buches hat man den Eindruck, dass es nur zum geringeren Teil um Waldemar Pabst geht, zum größeren Teil jedoch um die Rolle der Sozialdemokraten damals. Ohne Zweifel hat das eine mit dem anderen zu tun. Problematisch ist nicht, was Gietinger über das Zusammenspiel zwischen führenden Sozialdemokraten wie Ebert und Noske einerseits und den kaiserlichen Militärs andererseits schreibt, sondern wie er es schreibt. Sein Buch liest sich streckenweise wie eine politische Kampfschrift. Was fehlt, ist die Distanz des Historikers, der erschreckende Zusammenhänge nüchtern beschreibt und kühl analysiert.

Man muss darüber hinwegsehen, um den Wert dieses Buches ermessen zu können. Und der liegt in der genauen Darstellung der dunklen Hintergründe der Frühgeschichte der Weimarer Republik. Einen Tag nach dem Sturz des Kaisers schmiedete Friedrich Ebert ein geheimes Bündnis mit General Groener von der Obersten Heeresleitung. Dies entstand nicht nur aus Sorge Eberts um Sicherheit und Ordnung im Reich, sondern auch als Folge der Verbindungen zwischen führenden Sozialdemokraten und Militärs während des Krieges, die viel tiefer waren als sie in der geschichtswissenschaftlichen Literatur gemeinhin beschrieben werden. Deshalb nahm die Novemberrevolution sehr schnell einen verhängnisvollen Verlauf. Und dabei spielte Hauptmann Pabst eine entscheidende Rolle. Er war der überlegene Stratege, der nach dem Sturz des Kaisers und der drohenden Entmachtung seiner alten Militärs die Gegenbewegung organisierte, eigene Truppen aufbaute, um dann gezielt die gewaltsame Auseinandersetzung mit den linken Teilen der revolutionären Bewegung zu suchen. So vertiefte er die Spaltung zwischen den führenden Sozialdemokraten und ihrer Basis, bis die revolutionäre Bewegung in einem Blutbad endete. Für die Weimarer Demokratie war das eine Katastrophe.

In jenen Wochen und Monaten entwickelten sich in Deutschland die Gewaltstrukturen, an denen die erste deutsche Republik zugrunde ging. Der Motor dieser Entwicklung war Waldemar Pabst, der die Demokratie hasste und den Faschismus liebte. Dass Pabst dann im Nationalsozialismus keine große Rolle spielte, hatte vor allem damit zu tun, dass er mit Hitler nicht klar kam. Deshalb spielte Pabst, der in den 20er Jahren vor allem in Österreich sein Unwesen trieb, später politisch keine große Rolle mehr. Erfolgreich war er (bis in die 1960er Jahre) nur noch wirtschaftlich, in Rüstungsgeschäften.

Gietinger beschreibt Pabsts Lebensgeschichte bis zu seinem Tod 1970 in Düsseldorf. Wer verstehen will, wie nach dem Ende des Ersten Weltkrieges jene politische Konstellation entstand, die 1933 zu Hitler führte, der sollte dieses Buch lesen, allem Ärger über den Stil des Autors zum Trotz.

Vorgestellt von Winfried Sträter

Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere
Verlag Edition Nautilus 2009
544 Seiten, 39,90 €