"Hauptfeind Sozialdemokratie"

Von Michael Schornstheimer |
Mit der Gründung der SED im April 1946 gelang es der sowjetischen Besatzungsmacht und der KPD, die Sozialdemokratie im Osten Deutschlands als politische Konkurrenz auszuschalten. Mit Ausgrenzungen, Schikanen und Verfolgungen begann der Kampf gegen den "Sozialdemokratismus". Bei einer Veranstaltung in Berlin diskutierten Zeitzeugen über die Zwangsvereinigung und ihre Folgen.
"Mit dem heutigen Tage gibt es keine Sozialdemokraten und keine Kommunisten mehr, mit dem heutigen Tag gibt es nur noch Sozialisten."

Das verkündete Walter Ulbricht am Ostermontag 1946. Der Gründungsparteitag der SED ging zu Ende. Im so genannten "Admiralspalast" neben dem Berliner Bahnhof Friedrichstraße hatten seit Ostersonntag mehr als eintausend Delegierte getagt. Der legendäre Händedruck, der später auf dem SED-Parteiabzeichen symbolisch wiederkehren sollte, besiegelte die Fusion von KPD und östlicher SPD, unter dem Vorsitz von Otto Grotewohl.


Grotewohl: "30 Jahre Bruderkampf finden in diesem Augenblick ihr Ende. An Deinem 70. Geburtstage, Wilhelm Pieck, reichten wir uns die Hand für Hunderttausende von Sozialdemokraten und Kommunisten. Ich wünschte den Tag herbei, an dem sich unsere Hände nicht mehr trennen brauchten. Dieser Tag ist heute da."

Pieck: "Ja, lieber Otto Grotewohl, so soll es sein. Wir tragen beide, die wir zu Vorsitzenden der Sozialistischen Einheitspartei ausersehen sind, die besondere Verantwortung dafür, dass das Vertrauen der werktätigen Massen, das sie in die Sozialistische Einheitspartei setzen, gerechtfertigt wird."

Als die Vereinigung von KDP und SPD mit diesen Worten in Berlin besiegelt wurde, war sie in Thüringen schon seit drei Wochen Geschichte. Hermann Kreuzer gehörte in Saalfeld als Anfang 20-Jähriger zum Landesvorstand. Um ihn herum, erzählt er, waren fast durchwegs "ältere Semester", die dem Traum von der "Einheit der Arbeiterklasse" nachhingen. Deshalb hätten sie sich gern und leicht überreden lassen, der Vereinigung zuzustimmen. "Gewalt sei dabei selten nötig gewesen", resümiert Hermann Kreuzer sarkastisch.

"Die Sowjets haben ein neues Element eingebracht, nämlich das Einkaufen. Das heißt, diejenigen Funktionäre, die sich noch nicht so entschieden dafür aussprachen, wurden bestellt und ihnen wurde dann ein Bajok präsentiert, auf Deutsch gesagt, ein Fresspaket. Mit Speck und Wurst und Mehl und so weiter. Das war das erste, dann gab es Versprechungen für neue Wohnungseinrichtungen und natürlich für Posten in der Partei, im Staat und Gesellschaft und dann ging das weiter eben, bis zu Sekretärinnen, die zugeführt wurden. Das war das, wie die Sowjets eingekauft haben, und die sind alle damit bestochen worden."

Zeitzeuge Hermann Kreuzer findet, der Vorstand seiner thüringischen SPD habe total versagt und sei dadurch mitschuldig geworden an den nachfolgenden Verbrechen. Vereinigung also, oder "Zwangsvereinigung"?

Das war lange umstritten und ist es zum Teil noch heute, meint der Vorsitzende des Franz-Neumann-Archivs, Manfred Rexin:

"Der Zwang war evident. Leute verschwanden, Leute tauchten plötzlich aus irgendwelchen GPU-Gefängnissen wieder auf, oder sie kehrten nie wieder zurück, wenn ich etwa an Karl Heinrich denke, den ersten Polizeipräsidenten von Berlin, der während dieses Fusionskampfes ums Leben kam in einem russischen Gefängnis. Aber außer diesem harten Zwang gab es eben die Momente von Hoffnung, die manche Leute an die Versprechungen knüpften, die ihnen nicht nur von den Besatzungsoffizieren der Sowjets vermittelt waren, sondern auch von den deutschen Kommunisten, die aus dem Exil heimgekehrt waren."

Bei der Vereinigung ging es um Macht. Die KPD fürchtete die Konkurrenz der Sozialdemokraten. Und sie war sich bewusst, dass die SPD in der Bevölkerung mehr Rückhalt hatte.

Für den Vorsitzenden der Historischen Kommission der SPD-Berlin, Siegfried Heimann, steht außer Frage, dass die Vereinigung eine Zwangsvereinigung war. Zwar ließen die Sowjets in ihrer Besatzungszone keine Abstimmung zu. Aber in Berlins Westsektoren wurden die Mitglieder befragt. Dabei zeigte sich, dass über 80 Prozent dagegen waren. Und trotz Zwangsvereinigung, erinnert Heimann, existierte die SPD auch im Ostteil der Stadt weiter.

"Die SPD konnte bis 1961 auch in Ostberlin legal arbeiten. Sie wurde durchaus hin und wieder hofiert von der SED, umarmt, aber sehr viel häufiger schikaniert und nicht wenige Sozialdemokraten wurden auch verfolgt, verhaftet, manche wichen der Verfolgung aus und gingen nach Westberlin. Aber bei der Auflösung der SPD am 23. August 1961 gab es noch knapp 6000 Sozialdemokraten in Ostberliner Bezirken. Eine Zahl, die bedeutend höher ist, als in den Ostberliner Bezirken heute."

Eine, die der zwangsvereinigten SED nicht beitrat, sondern Sozialdemokratin blieb, ist Gisela Miessner, geborene Mannheim. Noch heute besitzt die 80-Jährige das zerfledderte SPD-Parteibuch vom Mai 1945 und das vom Frühjahr 1946. Die Rest-SPD war in den Anfangsjahren weder illegal, noch besonders verfolgt, erzählt Miessner.

"Es war eine Partei, der nicht immer alles erlaubt wurde. Sagen wir mal so. Und dann kam der 9. Mai 1953 und da ging mein Mann morgens früh zur Arbeit, als Kreisgeschäftsführer in Weissensee, das war ein Sonnabend, da hat er immer die Zeitungen verteilt. Und mittags kam die Stasi und dann war mein Mann drei Jahre weg. Davon hatte er ein Jahr Besuchsverbot. Und uns ist es gelungen, von den Angestellten vom Gericht das Originalurteil zu kaufen. Stellen Sie sich das mal vor, für Westgeld!"

Vorgeworfen wurde den Angeklagten "friedensgefährdende faschistische Propaganda". Nach der Entlassung floh das Ehepaar Miessner in den Westen. Und die Rest-SPD beschloss nach dem Bau der Mauer ihre Selbstauflösung.