Hat Israel eine Zukunft?
Es wird, in der Tat, viel Aufhebens um das kleine, ja winzige Land gemacht. Israel ist nur unwesentlich größer als das schöne deutsche Bundesland Hessen, das in Frieden vor sich hin lebt. Diesen Frieden hat Israel in den fast 60 Jahren seiner staatlichen Existenz nie gefunden. Obwohl Israels Bürger noch unter Raketenbedrohung bemüht sind, ein möglichst normales Leben in einer möglichst normalen modernen Gesellschaft zu führen: Israel ist nie ein normales Land geworden.
Trotz alles leidenschaftlichen Überlebenswillens seiner Bewohner versteht sich das Land – anders als, um zwei beliebige Beispiele zu nennen, Frankreich oder Dänemark – nicht von selbst. Es war und ist immer bedroht, es wird von den meisten seiner Nachbarländer und von den Staaten des halben Globus als Bedrohung, als Provokation, ja als Anomalie wahrgenommen. Israel stört, man sollte sich da nichts vormachen. Die Zahl derer, die Israel von Herzen eine blühende Zukunft wünschen, dürfte sehr klein sein.
Und Konflikt um Konflikt, Krieg um Krieg drängt eine Frage allmählich aus dem Dunkel ins Licht, die eigentliche gar keine Frage ist und die vielerorts und fast der ganzen islamischen Welt längst für beantwortet gilt. Ich meine die – in Deutschland allenfalls leise und vorsichtig hingemurmelte – Frage, ob auf Dauer für den Staat der Juden an diesem historischen Ort wirklich Platz sei, ob er hier wirklich eine Zukunft habe. Im Presseclub warf sie der Moderator auf – man muss doch, ganz im Sinne der Aufklärung, fragen dürfen; und obwohl keiner der anwesenden Journalisten wirklich eine Antwort gab, spürte man doch, dass hier ein Tabu zu fallen beginnt. Die Antwort, ahnt man, wird negativ ausfallen. Bei aller Liebe, so wird es heißen, ein Staat, den niemand in der Umgebung wirklich will und der so aus dem Rahmen fällt: Der wird sich nicht halten können.
Wer das meint, kann etliche Argumente und viele Verbündete anführen. Jeder Historiker vermag mit einer Fülle von Beispielen zu belegen, dass es ein immerwährendes Recht von Staaten auf unversehrte Existenz nicht gibt; und jeder Geostratege wird viele historische Beispiele dafür anführen können, dass Staaten, die gewissermaßen dauerhaft umzingelt sind, nicht zu halten sein werden. Andere werden sagen, dass Israel – so erfreulich eine funktionierende Demokratie in der Region auch sein mag – genau deswegen in dieser Region keine Zukunft habe: Denn diese sei nun einmal von Autokratien und zurückgebliebenen Gesellschaften geprägt – Israel müsse ein Fremdkörper bleiben, der irgendwann abgestoßen werde. Wieder andere werden sagen, dass ein Staat, der eine Antwort auf den Holocaust darstellt, auf kurz oder lang an Legitimität verlieren werde; denn in dem Maße, in dem der Holocaust historisiert werde und seine letzten Leidenszeugen sterben, reiche er so wenig zur Begründung des Staates Israel wie der Verweis auf die zwei Jahrtausende andauernde Geschichte der Juden in Europa als Ausgegrenzte, als Misshandelte, als Parias. Und schließlich wird, etwa von dem Historiker Tony Judt, das Argument vorgebracht, der Staat Israel sei – wenn er sein Selbstverständnis nicht revolutionär verändere – deswegen ernsthaft bedroht, weil er ein vor allem ethnisch begründeter Staat sei und daher auf Dauer nicht in eine moderne Welt passe.
Einige dieser Argumente sind infam, einige sind an den Haaren herbeigezogen und einige, etwa das von Judt, sind ernst zu nehmen. Beschämend und beängstigend ist etwas anderes: Die Tatsache, dass es so wenig Empathie für den Staat Israel, so wenig Freude über seine schiere Existenz gibt. Europa hat über Jahrhunderte hinweg die Erfahrung machen müssen, dass Rechtssicherheit, Menschenrechte und Frieden alles andere als selbstverständlich sind. Und gerade die Moderne hat - mit Nationalsozialismus und Kommunismus - gezeigt, dass Zivilität und Demokratie stets bedroht sind, stets höchst fragile Gebilde bleiben.
Das hätte uns doch in einer Überzeugung Festigkeit geben können: die Tatsache, dass Israel ein Fremdkörper in der Region ist, die Tatsache, dass es eine Anomalie darstellt – das hätte uns dazu bringen müssen, eben deswegen den demokratischen, unvollkommenen Staat Israel für etwas Kostbares, für eine große Errungenschaft zu halten. Dieses Land ist der Geschichte und dem steinigen Boden abgetrotzt.
Es ist ein Dokument menschlicher Beharrlichkeit, ein Triumph, wenn man so will, des Willens, der Idee über alle Hindernisse. Israel, sagt man, wäre ohne die massive Unterstützung Amerikas dem Untergang geweiht. Das stimmt vermutlich. Man sollte daraus aber – glaube ich - eine andere als die negatorische Konsequenz ziehen: Gottlob gibt es ein sehr starkes Land, das sich, ohne zu schwanken, an die Seite des jüdischen Staates stellt.
Thomas Schmid, 1945 in Sachsen geboren, ist Politikchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Er hat Germanistik, Anglistik und Politologie studiert, war von 1979 bis 1986 Lektor im Verlag Klaus Wagenbach und dort auch Redakteur der Zeitschrift "Freibeuter". Später arbeitete Schmid als freier Autor für verschiedene Zeitungen und war dann mehrere Jahre lang Berater Daniel Cohn-Bendits am Amt für Multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main. Weitere Stationen: stellvertretender Chefredakteur der Berliner "Wochenpost" und der "Hamburger Morgenpost", Chefkorrespondent und Verantwortlicher für das Forum bei der Tageszeitung "Die Welt". Zu Schmids Büchern zählen "Staatsbegräbnis. Von ziviler Gesellschaft" und "Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie" (zus. mit D. Cohn-Bendit).
Und Konflikt um Konflikt, Krieg um Krieg drängt eine Frage allmählich aus dem Dunkel ins Licht, die eigentliche gar keine Frage ist und die vielerorts und fast der ganzen islamischen Welt längst für beantwortet gilt. Ich meine die – in Deutschland allenfalls leise und vorsichtig hingemurmelte – Frage, ob auf Dauer für den Staat der Juden an diesem historischen Ort wirklich Platz sei, ob er hier wirklich eine Zukunft habe. Im Presseclub warf sie der Moderator auf – man muss doch, ganz im Sinne der Aufklärung, fragen dürfen; und obwohl keiner der anwesenden Journalisten wirklich eine Antwort gab, spürte man doch, dass hier ein Tabu zu fallen beginnt. Die Antwort, ahnt man, wird negativ ausfallen. Bei aller Liebe, so wird es heißen, ein Staat, den niemand in der Umgebung wirklich will und der so aus dem Rahmen fällt: Der wird sich nicht halten können.
Wer das meint, kann etliche Argumente und viele Verbündete anführen. Jeder Historiker vermag mit einer Fülle von Beispielen zu belegen, dass es ein immerwährendes Recht von Staaten auf unversehrte Existenz nicht gibt; und jeder Geostratege wird viele historische Beispiele dafür anführen können, dass Staaten, die gewissermaßen dauerhaft umzingelt sind, nicht zu halten sein werden. Andere werden sagen, dass Israel – so erfreulich eine funktionierende Demokratie in der Region auch sein mag – genau deswegen in dieser Region keine Zukunft habe: Denn diese sei nun einmal von Autokratien und zurückgebliebenen Gesellschaften geprägt – Israel müsse ein Fremdkörper bleiben, der irgendwann abgestoßen werde. Wieder andere werden sagen, dass ein Staat, der eine Antwort auf den Holocaust darstellt, auf kurz oder lang an Legitimität verlieren werde; denn in dem Maße, in dem der Holocaust historisiert werde und seine letzten Leidenszeugen sterben, reiche er so wenig zur Begründung des Staates Israel wie der Verweis auf die zwei Jahrtausende andauernde Geschichte der Juden in Europa als Ausgegrenzte, als Misshandelte, als Parias. Und schließlich wird, etwa von dem Historiker Tony Judt, das Argument vorgebracht, der Staat Israel sei – wenn er sein Selbstverständnis nicht revolutionär verändere – deswegen ernsthaft bedroht, weil er ein vor allem ethnisch begründeter Staat sei und daher auf Dauer nicht in eine moderne Welt passe.
Einige dieser Argumente sind infam, einige sind an den Haaren herbeigezogen und einige, etwa das von Judt, sind ernst zu nehmen. Beschämend und beängstigend ist etwas anderes: Die Tatsache, dass es so wenig Empathie für den Staat Israel, so wenig Freude über seine schiere Existenz gibt. Europa hat über Jahrhunderte hinweg die Erfahrung machen müssen, dass Rechtssicherheit, Menschenrechte und Frieden alles andere als selbstverständlich sind. Und gerade die Moderne hat - mit Nationalsozialismus und Kommunismus - gezeigt, dass Zivilität und Demokratie stets bedroht sind, stets höchst fragile Gebilde bleiben.
Das hätte uns doch in einer Überzeugung Festigkeit geben können: die Tatsache, dass Israel ein Fremdkörper in der Region ist, die Tatsache, dass es eine Anomalie darstellt – das hätte uns dazu bringen müssen, eben deswegen den demokratischen, unvollkommenen Staat Israel für etwas Kostbares, für eine große Errungenschaft zu halten. Dieses Land ist der Geschichte und dem steinigen Boden abgetrotzt.
Es ist ein Dokument menschlicher Beharrlichkeit, ein Triumph, wenn man so will, des Willens, der Idee über alle Hindernisse. Israel, sagt man, wäre ohne die massive Unterstützung Amerikas dem Untergang geweiht. Das stimmt vermutlich. Man sollte daraus aber – glaube ich - eine andere als die negatorische Konsequenz ziehen: Gottlob gibt es ein sehr starkes Land, das sich, ohne zu schwanken, an die Seite des jüdischen Staates stellt.
Thomas Schmid, 1945 in Sachsen geboren, ist Politikchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Er hat Germanistik, Anglistik und Politologie studiert, war von 1979 bis 1986 Lektor im Verlag Klaus Wagenbach und dort auch Redakteur der Zeitschrift "Freibeuter". Später arbeitete Schmid als freier Autor für verschiedene Zeitungen und war dann mehrere Jahre lang Berater Daniel Cohn-Bendits am Amt für Multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main. Weitere Stationen: stellvertretender Chefredakteur der Berliner "Wochenpost" und der "Hamburger Morgenpost", Chefkorrespondent und Verantwortlicher für das Forum bei der Tageszeitung "Die Welt". Zu Schmids Büchern zählen "Staatsbegräbnis. Von ziviler Gesellschaft" und "Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie" (zus. mit D. Cohn-Bendit).