David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian Albrechts Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes- und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
Kommentar zum theologischen Genderstern
Ist Gott ein Eigenname? Der Sprachphilosoph David Lauer sieht Spielraum für eine Anrede Gottes, die ihn auf kein Geschlecht festlegt. © imago / fStop Images / Patrick Strattner
Hat Gott ein Geschlecht? Und wenn ja, welches?
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Gott wurde oft als weiser, alter Mann dargestellt. Eine katholische Jugendorganisation möchte Gott künftig mit Genderstern schreiben. Die Frage nach der richtigen Anrede warf freilich schon die Bibel auf, weiß David Lauer.
Walter Benjamin schrieb einmal, der Name sei das innerste Wesen der Sprache. Und ein weiterer jüdischer Sprachphilosoph, Saul Kripke, definierte den Eigennamen durch eine entscheidende Eigenschaft: Er designiert seine Trägerin, ohne sie zu charakterisieren. Ein Mensch, der auf den Namen „Gottlieb Klein“ getauft wurde, muss weder klein sein noch Gott lieben. Der Name bezeichnet, aber er beschreibt nicht.
Der unaussprechliche Name Gottes
Das gilt in besonderer Weise für den Namen Gottes, der im Alten Testament fast siebentausendmal geschrieben steht. Der Name ist ein Tetragramm, bestehend aus vier hebräischen Konsonanten, die in Umschrift als JHWH wiedergegeben werden. Dieses Tetragramm, das nicht ausgesprochen wird, konnotiert keinerlei Eigenschaften – schon gar nicht genderspezifische. Als Signifikant ist es zugleich die absolute Leere und die absolute Fülle. In diesem Sinne ist es der Name par excellence, es ist „der Name“, ha-shem, wie das Judentum sagt.
Leider fangen hier die Probleme an. Denn erstens wird Gott natürlich nicht nur mit diesem Namen bezeichnet, sondern auch mit Pronomen. Und die sind, schon im Hebräischen, männlich. Zweitens begann das Judentum schon lange vor Christi Geburt, aus Scheu vor dem heiligen Namen, Ersatzworte an seiner statt zu verwenden, am häufigsten Adonai – was ins Griechische mit Kyrios und ins Lateinische mit Dominus übersetzt wurde: „der Herr“. Das aber ist kein Eigenname, sondern eine beschreibende Kennzeichnung. Und auch sie ist im Genus eindeutig männlich.
Gott ist schon längst „vergeschlechtlicht“
Dieses Problem schlägt sogar noch auf das Wort Gott durch, weil dies zunächst eine Gattungsbezeichnung ist – nicht Name, sondern Prädikat: Zeus ist ein Gott, Apollon auch. Zwar ist nach monotheistischer Vorstellung Gott nicht Exemplar einer Gattung, sondern einzig, sodass Gott letztlich doch wie ein Eigenname gebraucht wird. Aber die semantische Absolutheit des Tetragramms kann dieses Wort niemals annehmen, weil es unausweichlich in der möglichen semantischen Differenz zu Göttern oder Göttin verbleibt.
Es kann also keine Rede davon sein, dass Gott durch den Vorschlag der Katholischen Jungen Gemeinde „vergeschlechtlicht“ werde, wie einige Kritiker meinten. Gott war sprachlich immer schon vergeschlechtlicht. Dass er als Vater angesprochen wird und für Christinnen und Christen als Sohn zur Welt kommt, haben wir dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die Forderung, sprachlich non-binäre Vielfalt in das Gottesbild einzutragen, erscheint in diesem Licht nur umso berechtigter – auch wenn zweifelhaft bleibt, ob dies allein durch das Anhängen eines Gendersterns gelingen kann.
„Ich werde sein, was ich sein werde“
Die Forderung als solche aber ist legitim, und zwar deshalb, weil der Impuls zur Veränderung nicht von außen an den Gott der Bibel herangetragen wird, sondern sich aus seiner Offenbarung selbst speist. „Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Kindern Israel komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mir sagen werden: Wie heißt sein Name? Was soll ich ihnen sagen?“ So steht es in der Geschichte vom brennenden Dornbusch im Zweiten Buch Mose.
Und Gott antwortet Mose: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ (Ex. 3,13) So übersetzt es die Lutherbibel. An dieser Stelle aber ist das männliche Relativpronomen nicht zwingend. Das gender-unspezifische „Ich werde sein, wer (oder auch: was) ich sein werde“ ist ebenso möglich. Mehr Zukunftsbezug, mehr Offenheit für Vielfalt und Veränderung geht eigentlich nicht.
Die King James Bibel übersetzt Gottes Rede mit „I Am That I Am“. Und auf einmal klingt ein Song, der eher selten in Kirchen gesungen wird, wie ein stolzes Echo dieses Verses: „I am what I am, and what I am needs no excuses.“