Hat der Kapitalismus abgewirtschaftet?

Gäste: Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker und Ulrich Schäfer, Wirtschaftsjournalist |
Deutschland im Sog der Wirtschaftskrise: Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das Land in der schwierigsten wirtschaftlichen Lage seit 1945, der Export bricht ein, immer mehr Firmen verhängen Kurzarbeit, die Bundesanstalt für Arbeit prognostiziert eine dramatische Steigerung der Arbeitslosenzahlen. Weltweit hat die die Finanzkrise bereits 40 Billionen Euro vernichtet. Und die Talsohle scheint noch nicht erreicht zu sein.
Gleichzeitig wird der Ruf nach dem Staat und milliardenschweren Rettungsmaßnahmen immer lauter - der angeschlagenen Autobauer Opel ist dabei nur ein prominentes Beispiel. Aber kann und soll sich der Staat in die Wirtschaft einmischen?

"Nein, weil wenn der Staat anfängt, Industriebetriebe zu retten, begibt er sich auf ein schwieriges Gebiet", so die unmissverständliche Analyse von Ulrich Schäfer. Der Leiter des Wirtschaftsressorts der "Süddeutschen Zeitung" warnt davor, den Staat überzustrapazieren. "Das bedeutet, dass der Staat sich auch übernehmen kann, wenn er der Meinung ist, er könne alles stemmen." Ein zu fürsorglicher Staat könne sich auch sein eigenes Grab schaufeln. Die Banken zu stützen sei wichtig, um den Geldkreislauf zu stabilisieren. Aber Firmen? Da sei der Staat als Retter überfordert - und zahlen müssten die Zeche letztlich die Bürger und Steuerzahler.

Der Wirtschaftsexperte hat seine Überlegungen in dem Buch "Der Crash des Kapitalismus" niedergeschrieben (Campus Verlag). Darin liefert er nicht nur eine faktenreiche Analyse der Hintergründe der aktuellen und früheren Krisen, er beleuchtet auch die Versäumnisse in Politik und Wirtschaft, die den entfesselten Kapitalismus den Weg bereitet haben.

Ulrich Schäfer sieht in dem aktuellen Crash auch eine Chance, grundlegend umzusteuern:

"Man könnte lernen, dass der Markt bessere Regeln braucht als bisher. Der Staat muss erst einmal Terrain zurückerobern. Das gilt auch für den Finanzmarkt: Es darf kein Finanzsystem geben, das neben dem regulären existiert. Wir brauchen Zulassungsbestimmungen für Finanzprodukte, analog zu den Arzneimitteln. Wir brauchen eine Kontrolle für Hedgefonds und einen harten Kampf gegen die Finanzoasen. Daneben muss es aber auch ein Umdenken in der Wirtschaft und der Politik geben. Das kurzfristige Denken, das sich am Geist der Wallstreet und dem Auf und Ab der Börse orientiert, muss überwunden werden. Dazu gehört auch, dass die Gehälter in der Wirtschaft nicht mehr so exzessiv sein können."

Der Journalist mahnt, auch die gesellschaftlichen Folgen der Krise nicht zu vergessen, längst habe die Abstiegsangst auch die Mittelschicht getroffen:

"Da sehe ich eine Riesengefahr, denn eine Gesellschaft, die immer mehr auseinanderdriftet, ja letztlich auseinanderfliegt, ist nicht mehr stabil. Letztlich sind das Vertrauen in die Demokratie und die Marktwirtschaft zwei Seiten einer Medaille. Und wenn das Vertrauen in die Marktwirtschaft schwindet, ist irgendwann auch das Vertrauen in die Demokratie gefährdet."

Welche Lehren können wir aus dieser und früheren Wirtschaftskrisen ziehen? Diese Frage beschäftigt auch den Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld.

"Wir haben unsere Regeln aufgegeben und wir haben fremde Regeln übernommen, kurzfristige Regeln. Aber die deutsche Wirtschaft braucht geduldiges, langfristiges Kapital. Was wir machen ist industrielle Maßschneiderei, wir betreiben kundenorientierte Maßschneiderei. Und um eine solche Qualitätsproduktion zu garantieren, braucht man Geduld. Aber das Gegenteil ist passiert. Kurzfristigkeit, ein Renditenmarkt, das sind Spielregeln, die nicht zur deutschen Produktionsweise passen."

Wirtschaft und auch die Politik hätten sich zu sehr von den Verlockungen des Marktes blenden lassen:

"Ein Teil der Misere ist gewesen, dass die liberalistische Überzeugung sich immer mehr durchsetzen konnte - auch im konservativen Lager. Sie haben sich in den Bann ziehen lassen der Versprechen und - ich sage mal - der kriminellen Machenschaften."

Der Wirtschaftshistoriker kann sich ein Eingreifen des Staates in der aktuellen Lage durchaus vorstellen.

"Ich kann die Auffassung nicht teilen, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer sein kann, darum geht es bei der Diskussion doch auch nicht. Der Staat wird nicht Unternehmer, eher geht es darum, dass der Staat Aktionär werden soll. Und wenn er schon Geld in Banken und Unternehmen steckt, dann muss er auch das Recht haben, die Vorstände zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten. Das hat übrigens viel mit sozialer Marktwirtschaft zu tun: Der starke Staat muss die Regeln durchsetzen."

"Hat der Kapitalismus abgewirtschaftet? Welche Lehren können wir aus der Wirtschaftskrise ziehen?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit den Wirtschaftsexperten Werner Abelshauser und Ulrich Schäfer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 - 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.


Links:
Homepage Prof. Dr. Werner Abelshauser

Literaturhinweis:
Ulrich Schäfer "Der Crash des Kapitalismus", Campus Verlag 2008