Hass auf ungestüme Bewegungen
In der Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist die Unterdrückung populärer Musiktrends wie Jazz und Swing bisher ausgeblendet worden. Dabei lässt sich anhand dieses Beispiels sehr gut die grundsätzliche Abscheu der Nazis vor allem Modernen dokumentieren.
"Schlurf" ist ein wunderschönes Wort. Es drückt schon im Klang und im damit transportierten Habitus aus, dass es hier um etwas ganz anderes geht als um Marschmusik und Gleichschritt. Der "Schlurf" will sich entziehen und legt Wert auf seine Individualität. Allerdings war es zuerst ein Schimpfwort, und zwar im von einem heftigen Kulturkampf geprägten Österreich der dreißiger Jahre: Wer zu lange Haare und zu lässige Kleidung hatte und überhaupt diverse Assoziationen von Schlamperei und arbeitsscheuem Verhalten zuließ, wurde verächtlich als "Schlurf" bezeichnet.
Ziemlich schnell aber übernahmen die betreffenden Heranwachsenden das Wort und wendeten es ins Positive – vor allem jene, die amerikanische Musik hörten und etwas aufführten, das man mit Abscheu "Negertänze" nannte. Es war die Hochzeit des Swing, einer Weiterführung der frühen Jazzformen um den New Orleans-Sound von Louis Armstrong. Die Helden waren Duke Ellington und Benny Goodman, das war die Popmusik von damals, und als die Nazis 1938 auch in Österreich einmarschierten und begeistert begrüßt wurden, wurde diese vermeintlich unpolitische Haltung sofort auch politisch. Jazz, das war Opposition, und diejenigen, die diesem Laster mehr oder weniger unschuldig frönten, hatten es bald mit der Gestapo zu tun und politischer Verfolgung.
Wolfgang Bauer und Monica Ladurner widmen sich in ihrem Buch dieser Bewegung, die in der Geschichte des "Dritten Reiches" oft ausgeblendet wird, weil sie begrifflich schwer auf einen Nenner zu bringen ist. Den "Schlurfs" in Wien entsprachen die "Swings" in Hamburg, die "Zazous" im besetzten Frankreich oder die "Potapkis" in Tschechien. Unabhängig voneinander sehnten sie sich nach einem anderen Lebensgefühl als dem offiziell verordneten, sie verwehrten sich der Hitler-Jugend und sahen in der individualisierten, rhythmusbetonten Musik aus den USA eine Befreiung.
Das Buch resultiert aus einem Dokumentarfilm, den die beiden gedreht haben, und lebt von der Befragung von Zeitzeugen und speziellen Recherchen. Dabei sind die Fundstücke und die Querverweise oft sehr aufschlussreich: Die Sexualfeindschaft der Nazis hatte eine lange Vorgeschichte, und der Hass auf die ungestümen Bewegungen, die Körperbetontheit und die musikalischen Explosionen des Jazz verweist auf die fatale deutschtümelnde Stechschritt-Ideologie, die durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg erst so richtig entfacht wurde. "Politischer Fundamentalismus ist immer auch sexueller Fundamentalismus", zitieren die Autoren die Sexualtherapeutin Rotraud Perner. Das Buch ist somit auch eine kleine Kulturgeschichte des Sexualterrors im zwanzigsten Jahrhunderts, einem Hauptbestandteil totalitärer Ideologie. Parallelen zur Unterdrückung des Jazz im "realen Sozialismus" nach 1945 in Osteuropa erscheinen da äußerst folgerichtig.
Besprochen von Helmut Böttiger
Wolfgang Bauer und Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt.
Die Jugend, der Jazz und die Nazis
Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg 2011
241 Seiten, 21,90 Euro
Ziemlich schnell aber übernahmen die betreffenden Heranwachsenden das Wort und wendeten es ins Positive – vor allem jene, die amerikanische Musik hörten und etwas aufführten, das man mit Abscheu "Negertänze" nannte. Es war die Hochzeit des Swing, einer Weiterführung der frühen Jazzformen um den New Orleans-Sound von Louis Armstrong. Die Helden waren Duke Ellington und Benny Goodman, das war die Popmusik von damals, und als die Nazis 1938 auch in Österreich einmarschierten und begeistert begrüßt wurden, wurde diese vermeintlich unpolitische Haltung sofort auch politisch. Jazz, das war Opposition, und diejenigen, die diesem Laster mehr oder weniger unschuldig frönten, hatten es bald mit der Gestapo zu tun und politischer Verfolgung.
Wolfgang Bauer und Monica Ladurner widmen sich in ihrem Buch dieser Bewegung, die in der Geschichte des "Dritten Reiches" oft ausgeblendet wird, weil sie begrifflich schwer auf einen Nenner zu bringen ist. Den "Schlurfs" in Wien entsprachen die "Swings" in Hamburg, die "Zazous" im besetzten Frankreich oder die "Potapkis" in Tschechien. Unabhängig voneinander sehnten sie sich nach einem anderen Lebensgefühl als dem offiziell verordneten, sie verwehrten sich der Hitler-Jugend und sahen in der individualisierten, rhythmusbetonten Musik aus den USA eine Befreiung.
Das Buch resultiert aus einem Dokumentarfilm, den die beiden gedreht haben, und lebt von der Befragung von Zeitzeugen und speziellen Recherchen. Dabei sind die Fundstücke und die Querverweise oft sehr aufschlussreich: Die Sexualfeindschaft der Nazis hatte eine lange Vorgeschichte, und der Hass auf die ungestümen Bewegungen, die Körperbetontheit und die musikalischen Explosionen des Jazz verweist auf die fatale deutschtümelnde Stechschritt-Ideologie, die durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg erst so richtig entfacht wurde. "Politischer Fundamentalismus ist immer auch sexueller Fundamentalismus", zitieren die Autoren die Sexualtherapeutin Rotraud Perner. Das Buch ist somit auch eine kleine Kulturgeschichte des Sexualterrors im zwanzigsten Jahrhunderts, einem Hauptbestandteil totalitärer Ideologie. Parallelen zur Unterdrückung des Jazz im "realen Sozialismus" nach 1945 in Osteuropa erscheinen da äußerst folgerichtig.
Besprochen von Helmut Böttiger
Wolfgang Bauer und Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt.
Die Jugend, der Jazz und die Nazis
Residenz Verlag, St. Pölten / Salzburg 2011
241 Seiten, 21,90 Euro