Hartungs Lebenswerk
Zu seinem 80. Geburtstag legt der Lyriker, Professor, Essayist und Kritiker Harald Hartung seine Erinnerungen vor. Er kommentiert dezent den Literaturbetrieb, erzählt von Venedigreisen und stellt Überlegungen zum Zeitgeschehen an.
80 Jahre alt ist Harald Hartung in diesem Jahr geworden. Für sein dichterisches und literaturkritisches Gesamtwerk hat der Bergmannssohn aus Herne im vergangenen Monat den Literaturpreis Ruhr erhalten. Früh schon schrieb er Gedichte, gleichzeitig verfolgte er eine bürgerliche Laufbahn: als Student, Studienrat, Universitätsprofessor. Hartung vereint glücklich gleich mehrere Schreib- und Daseinsformen: die des Lyrikers, des Akademikers, Essayisten und Kritikers.
Seine nun erschienenen Aufzeichnungen "Der Tag vor dem Abend" belegen eindrucksvoll, dass man durchaus mehr als einer und doch immer man selbst sein kann. Sie erstrecken sich über den Zeitraum von 1998 bis 2012 und geben den Blick frei auf ein Denken, das seine Form in der Beobachtung, dem Rückblick, im Aphorismus, der autobiografischen Reflexion oder der lyrischen Zuspitzung findet. Und sich immer wieder produktiv verbindet mit der gelebten Beziehung zur Kunst, der Auseinandersetzung mit Literatur und Malerei.
Hartung ist ein Vermittler mit Eigensinn, das machen seine Aufzeichnungen klar. Darin beschriebene Lektüreeindrücke werden durch den behutsamen, um Verständnis bemühten Ton zu kleinen Gesprächen - mit Paul Valéry, Reinhold Schneider, Julien Green. Die Kommentare zu Vorgängen aus dem Literaturbetrieb fallen dezent und lakonisch aus: "30.9. Günter Grass erhält den Literatur-Nobelpreis. Endlich muss niemand mehr darüber nachdenken, ob er ihn bekommen soll oder nicht."
Auch von Persönlichem spricht Hartung. Seiner Erfahrungen als Kind in der Kriegszeit, dem Verlust des eigenen Sohnes, Krankheit und Operationen, der altersbedingten Zunahme von Müdigkeit und Resignation.
Ebenso beschreibt er wiederholte Italien- und vor allem Venedigbesuche, eine Dichterreise in den Jemen, Aufenthalte in Städten wie Wien oder Prag, wo er in seiner Jugend lebte. Und er stellt auch Überlegungen an zum Zeitgeschehen, zum Farbbeutelattentat auf Joschka Fischer, dem verheerenden Tsunami vor acht Jahren, zu Christian Wulff und Fukushima.
Mitunter denkt Hartung über einzelne Wörter nach. Daraus entwickelt sich ein Bild, eine neue Einsicht, eine Frage, die er dem Leser anvertraut. "Obama vs. Osama. Was hat der Weltgeist sich dabei gedacht, dass er zwei Figuren mit so ähnlichen Namen gegeneinander antreten ließ -als wären selbst Gut und Böse verwechselbar?"
Hartungs wacher, lustvoll arbeitender Geist erhellt Momente, ohne sie auszuleuchten. So bleibt dem Leser das seine: sich einen eigenen Reim darauf zu machen, einen Gedanken weiter zu spinnen, eine Erkenntnis zu vertiefen.
Die Lektüre dieser Aufzeichnungen ist in jeder Hinsicht anregend. Zeigen sie doch, dass menschenfreundliche Intellektualität, wache Abgeklärtheit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit persönlichen Vorlieben und Aversionen gerade im Alter auf das trefflichste zusammen finden können.
Besprochen von Carsten Hueck
Harald Hartung: "Der Tag vor dem Abend. Aufzeichnungen"
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
160 Seiten, 19,90 Euro
Seine nun erschienenen Aufzeichnungen "Der Tag vor dem Abend" belegen eindrucksvoll, dass man durchaus mehr als einer und doch immer man selbst sein kann. Sie erstrecken sich über den Zeitraum von 1998 bis 2012 und geben den Blick frei auf ein Denken, das seine Form in der Beobachtung, dem Rückblick, im Aphorismus, der autobiografischen Reflexion oder der lyrischen Zuspitzung findet. Und sich immer wieder produktiv verbindet mit der gelebten Beziehung zur Kunst, der Auseinandersetzung mit Literatur und Malerei.
Hartung ist ein Vermittler mit Eigensinn, das machen seine Aufzeichnungen klar. Darin beschriebene Lektüreeindrücke werden durch den behutsamen, um Verständnis bemühten Ton zu kleinen Gesprächen - mit Paul Valéry, Reinhold Schneider, Julien Green. Die Kommentare zu Vorgängen aus dem Literaturbetrieb fallen dezent und lakonisch aus: "30.9. Günter Grass erhält den Literatur-Nobelpreis. Endlich muss niemand mehr darüber nachdenken, ob er ihn bekommen soll oder nicht."
Auch von Persönlichem spricht Hartung. Seiner Erfahrungen als Kind in der Kriegszeit, dem Verlust des eigenen Sohnes, Krankheit und Operationen, der altersbedingten Zunahme von Müdigkeit und Resignation.
Ebenso beschreibt er wiederholte Italien- und vor allem Venedigbesuche, eine Dichterreise in den Jemen, Aufenthalte in Städten wie Wien oder Prag, wo er in seiner Jugend lebte. Und er stellt auch Überlegungen an zum Zeitgeschehen, zum Farbbeutelattentat auf Joschka Fischer, dem verheerenden Tsunami vor acht Jahren, zu Christian Wulff und Fukushima.
Mitunter denkt Hartung über einzelne Wörter nach. Daraus entwickelt sich ein Bild, eine neue Einsicht, eine Frage, die er dem Leser anvertraut. "Obama vs. Osama. Was hat der Weltgeist sich dabei gedacht, dass er zwei Figuren mit so ähnlichen Namen gegeneinander antreten ließ -als wären selbst Gut und Böse verwechselbar?"
Hartungs wacher, lustvoll arbeitender Geist erhellt Momente, ohne sie auszuleuchten. So bleibt dem Leser das seine: sich einen eigenen Reim darauf zu machen, einen Gedanken weiter zu spinnen, eine Erkenntnis zu vertiefen.
Die Lektüre dieser Aufzeichnungen ist in jeder Hinsicht anregend. Zeigen sie doch, dass menschenfreundliche Intellektualität, wache Abgeklärtheit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit persönlichen Vorlieben und Aversionen gerade im Alter auf das trefflichste zusammen finden können.
Besprochen von Carsten Hueck
Harald Hartung: "Der Tag vor dem Abend. Aufzeichnungen"
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
160 Seiten, 19,90 Euro