Hartmut Rosa über "Unverfügbarkeit"

Kein Schnee fällt auf Knopfdruck

25:12 Minuten
Hartmut Rosa, Soziologe, beim 35. Evangelischen Kirchentag im Jahr 2015
Erfahrungen von Lebendigkeit enstehen immer an der Grenze zu dem, was wir nicht vollständig im Griff haben, meint der Soziologe Hartmut Rosa. © picture alliance/Pacific Press Agency/Michael Debets
Hartmut Rosa im Gespräch mit Thorsten Jantschek · 21.03.2019
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Immer alles im Griff haben wollen, dieses Gefühl kennt wahrscheinlich jeder. Dabei passieren Glücksmomente gerade dort, wo das Unbeherrschbare ins Spiel kommt, sagt Hartmut Rosa. Der Soziologe geht dem Phänomen der "Unverfügbarkeit" auf den Grund.
In seinem neuen Buch wendet Bestseller-Autor Harmut Rosa seinen Blick auf ein uns allen vertrautes Phänomen: dass wir alles kontrollieren, wissen, durchdringen wollen. Dem setzt der Soziologe die Erfahrung der "Unverfügbarkeit", so auch der Buchtitel, entgegen.
Es gebe verschiedene Arten des Unverfügbaren, sagt Hartmut Rosa auf dem Blauen Sofa auf der Leipziger Buchmesse. "Wir alle wissen, dass wir viele Sachen nicht unter Kontrolle haben, aber in der Regel sind das dann eben Ärgernisse oder Grenzen." Das hat sich Rosa genauer angesehen und herausgefunden, "dass eigentlich auch unsere Glückserfahrungen, und sogar die Erfahrungen von Lebendigkeit immer an der Grenze zu dem entstehen, was wir eben nicht vollständig im Griff haben, wo das Unbeherrschbare und manchmal sogar Unberechenbare ins Spiel kommt."

Unverfügbarkeit wird zum Risiko

Der Schneefall zum Beispiel, sei ein solches Phänomen. "Ich weiß nicht ob sie sich erinnern können, was das für ein Gefühl sein kann, wenn es plötzlich sachte anfängt zu schneien", beschreibt Rosa. "Und diese Welt verwandelnde Qualität hätte das nicht, wenn wir es auf Knopfdruck schneien lassen könnten." So sei auch im Fußball entscheidend, dass man den Sieg doch nicht kaufen könne.
Gleichzeitig kritisiert Hartmut Rosa das Steigerungsspiel, in das die Gesellschaft durch den Fortschritt gelangt sei. "Wir müssen permanent optimieren, besser werden, schneller werden – und das heißt eigentlich: Wir sind jetzt sogar institutionell gezwungen, zu versuchen, in unserem Leben und in der Gesellschaft Dinge beherrschbar zu machen." Und da verschiebe sich das Verhältnis von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit und es werde zum Risiko, sich auf etwas einzulassen, bei dem wir nicht wüssten, was dabei herauskomme. "Das Spiel wird zu einer Sondernische."
(cwu)
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