Harte Biker haben alles unter Kontrolle

Von Christian Berndt |
Erstaunlich: Erst 2008 startete im US-Fernsehen eine TV-Serie, die im Milieu der Motorradrocker spielt. Mittlerweile läuft "Sons of Anarchy" im sechsten Jahr und erfreut sich weiter steigender Zuschauerzahlen. Nun ist die erste Staffel als DVD und Blu-ray auch auf Deutsch erschienen.
Wenn die "Sons of Anarchy" in Formation auf ihren Harleys unterwegs sind, macht man besser Platz auf den Straßen – die volltätowierten Kerle mit ihren breiten Maschinen wissen sich Respekt zu verschaffen.

Der Motorradclub ist kein Hobbyverein: Die Sons of Anarchy sind eine mächtige, kriminelle Organisation, die sich mit Waffenhandel finanziert und hier in der nordkalifornischen Kleinstadt Charming das Sagen hat. Die Polizei mischt sich nicht in ihre Geschäfte ein, ein Teil der Sheriffs steht ohnehin auf der Gehaltsliste des Motorradclubs. Der gibt sich dafür unter seinem Präsidenten Clay Morrow als Ordnungsmacht, die sich auch mal an der Verbrecherjagd beteiligt - etwa als ein 13-jähriges Mädchen brutal vergewaltigt wird:

"Wenn die Leute in der Stadt nicht mehr weiterwissen, gehen sie nicht zu den Cops, die kommen zu uns. – So sieht’s aus, Jungs. – Und das bedeutet mir etwas. Also, wenn sich jemand raushalten will… – Ich bin dabei. – Auf jeden Fall. – Wir sind dabei, ist ja wohl klar."

Die Sons of Anarchy sehen sich gerne als fürsorgliche Gemeinschaft -aber dieses hehre Selbstbild hat mit der Realität wenig zu tun. Das spürt auch Clays Stiefsohn und Vize-Präsident des Clubs Jax, gespielt vom englischen Schauspieler Charlie Hunnam.

Der smarte junge Biker mit den blonden Haaren ist schon äußerlich kein typischer Rocker. Er ist ein impulsiver, aber auch nachdenklicher Kronprinz, der ins Zweifeln kommt, als er eines Tages die Aufzeichnungen seines verstorbenen Vaters findet. Der hatte als Vietnamkriegs-Veteran in den Siebzigerjahren die "Sons of Anarchy" aus idealistischen Motiven gegründet. Irritiert stellt Jax seine Mutter Gemma zur Rede:

"Haben Dad und Du je über seine Vision gesprochen, wie er sich den Club vorstellte? – Was er ist, eine Bruderschaft. –

Und der Waffenhandel? Seine ursprüngliche Idee für den Motorradclub war wesentlich einfacher. Soziale Rebellion, er nannte es eine Harley-Kommune. Da war nichts Illegales, da war nur Hippie-Scheiß. –

Wir hatten damals einen Haufen toller Ideen, wir waren Kinder. Dein Vater wurde zum Mann, Männer kümmern sich ums Geschäft."


Gemma will von Jax’ Skrupeln nichts wissen, sie hat nach dem Tod ihres Mannes John Teller den neuen Boss des Clubs, Clay, geheiratet. Es ist eine Familienkonstellation, für die sich der Erfinder der Serie, Kurt Sutter, in der Dramenliteratur bedient hat, wie er im Bonusmaterial der DVD erzählt:

"Also, ich mag den ganzen Action-Kram und alles, was voller Testosteron ist, aber letztendlich ist es für mich ein Familiendrama. Es sind Szenen wie diese mit Gemma und Jax, die das Herz der Serie ausmachen. Für mich war das die Gelegenheit, Shakespeare zu zitieren. Wie bei Gemma, in ihr steckt etwas von Lady Macbeth."

Anspielungen auf Shakespeare gibt es in der Serie "Sons of Anarchy" reichlich: Jax erinnert als grüblerischer Thronfolger, dessen Mutter den Nachfolger des toten Vaters geheiratet hat, an Hamlet, und wie dem Dänenprinz erscheint auch Jax - in Form von Tagebüchern - der Geist des Verstorbenen. Und Gemma ist als eine Art skrupelloser Lady Macbeth im Rockergewand die eigentliche Drahtzieherin hinter den Kulissen.

Katey Sagal, die es in der Rolle von Peg Bundy aus "Eine schrecklich nette Familie" zu Fernsehberühmtheit gebracht hat – spielt die Matriarchin mit einer wunderbar undurchsichtigen Mischung aus Mütterlichkeit und eiskalter Berechnung. Als Clan-Mutter sieht sie die Selbstzweifel ihres Sohnes mit Sorge:

"Jax hat’s gerade ziemlich schwer. –

Was meinst Du? –

Er hat ein paar von Johns alten Sachen gefunden, er hat mich nach seiner ursprünglichen Vision für den Club gefragt. Ob er den Waffenhandel gewollt hätte. Die Schuldgefühle machen ihn fertig, gefährlich diese Selbstvorwürfe. Du musst Dir Jax vorknöpfen, und wenn es auch auf die harte Tour ist, Clay. Ich will nicht, dass der Geist von John Teller ihn vergiftet und alles, was wir aufgebaut haben. –

Gar nichts wird zerstört, okay?"


Gemma ist zwar eine liebende Mutter, aber sie geht notfalls über Leichen. Sie ist ein anderes Kaliber als die Motorradrocker - oft Kriegsheimkehrer aus Vietnam oder dem Irak - die hinter der harten Schale ziemlich sentimental und zerbrechlich sein können und im Club eine Familie gefunden haben.

Die Figuren sind nicht ohne Sympathie gezeichnet - zwar ist den charismatischen Charakteren wie Gemma und dem herrlich gelassen-zynischen Clay nicht über den Weg zu trauen - wie in Coppolas "Paten" kann ein Bruderkuss das Todesurteil bedeuten – aber sie wachsen einem doch ans Herz. Stärker noch als etwa in der amerikanischen Familien-Mafia-Serie "Sopranos" herrscht im Clan der "Sons of Anarchy" Misstrauen vor, sind die Familienstrukturen zerrüttet. Trotzdem erfährt der Club in seiner Heimatstadt eine Loyalität, die es dem FBI schwer macht:

"Ich habe in den letzten Tagen mit einigen Leuten geredet. Die meisten Leute wurden ziemlich still, als es um die Sons of Anarchy ging. –

Ja, Clay hat einige Einheimische davon überzeugt, dass seine Outlaw-Justiz das Gespenst der Konzerne fernhält. –

Damit liegt er nicht falsch, Franchise-Unternehmen sind in Charming praktisch nicht existent. Ich bin verzweifelt auf der Suche nach einem Starbucks."


Die "Sons of Anarchy" bieten sich als Heimstatt gegen den Zerfall der Gesellschaft im modernen Kapitalismus an. Juniorchef Jax ahnt, wie illusorisch dieses Bild und seine Versuche sind, den Club auf einen guten Weg zu führen - zu sehr steckt er selbst im Sumpf des Verbrechens und scheint mehr und mehr zur tragischen Figur zu werden. Mit dieser Ambivalenz der Figuren und ihrer Ideale wirkt "Sons of Anarchy" wie ein melancholischer Spätwestern der Jetztzeit.

Sons of Anarchy, erste Staffel
TV-Serie (USA) - auf DVD und Blu-ray
20th Century Fox
Preis: ab 26,99 Euro