Hart erarbeitete Komik

Grit Berthold im Gespräch mit Susanne Führer · 20.02.2009
Der Komiker Heinz Erhardt wurde vor 100 Jahren geboren. Sein leichtfüßiger Humor, seine witzigen Gedichte waren Ergebnis harter Arbeit, berichtet seine Tochter Grit Berthold: "Er hat unendlich viel gearbeitet, saß an seinem Schreibtisch". Er habe immer einen Block und einen Stift dabei gehabt, um seine Einfälle zu notieren.
Susanne Führer: Heute vor 100 Jahren wurde Heinz Erhardt geboren. Unzählige Texte hat er verfasst, komponiert hat er auch, in vielen Filmen mitgespielt. Er gehört heute noch zu den bekanntesten und beliebtesten deutschen Komikern. Jede Generation entdeckt Heinz Erhardt für sich neu. Und selbst die Jungen können mühelos einen Spruch oder auch ein ganzes Gedicht von ihm aufsagen.

Auf der Bühne war er immer drollig, hat virtuos den Trotteligen gespielt, in Anzug und mit dicker Hornbrille auf der Nase. Aber wie war Heinz Erhardt privat? Darüber will ich nun mit der ältesten Tochter Heinz Erhardts sprechen, mit Grit Berthold. Guten Tag, Frau Berthold!

Grit Berthold: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Vielen Komikern sagt man ja nach, dass sie privat eher verschlossen sind. War das bei Ihrem Vater auch so?

Berthold: Ja, also er war - davon ganz abgesehen, dass er also sehr wenig zu Hause war, er war ja meistens unterwegs und auf Tournee, aber wenn er zu Hause war, dann war er, nein, verschlossen kann ich nicht sagen, er hat nur unendlich viel gearbeitet, saß an seinem Schreibtisch. Da mussten wir natürlich auf ihn Rücksicht nehmen. Aber wenn er dann mal nicht gearbeitet hat, dann hat er schon mit uns auch gespielt oder Tischtennis gespielt oder im Garten oder wie auch immer. Verschlossen kann ich nicht sagen, von meiner Sicht aus. Also uns gegenüber natürlich nicht.

Führer: Ich habe ein Zitat von ihm gefunden, da soll er gesagt haben: Ein guter Mann und Vater war ich nie. War er da zu selbstkritisch, oder?

Berthold: Ja, er war selbstkritisch, aber das hing damit zusammen, dass er eben auch so wenig da war, das meinte er damit.

Führer: Sie haben gesagt, er hat dann an seinem Schreibtisch gesessen. Wie hat er denn eigentlich gearbeitet, wie hat er seine Gedichte geschaffen?

Berthold: Er ist sehr viel auch spazieren gegangen, ob er nun unterwegs war oder hier bei uns zu Hause. Wir haben in der Nähe ein kleines Wäldchen, und da ist er immer rumgelaufen und mit seiner Katze, die ist ihm hintergelaufen, wie ein Hund. Er war ja so ein Katzennarr. Und dann hat er immer einen Block bei sich gehabt mit einem Bleistift und hat dann seine Ideen aufgeschrieben. Und dann hat er sich an den Schreibtisch gesetzt zu Hause oder unterwegs. Er ist auch oft von der Autobahn einfach auf einen Parkplatz gefahren, um mal schnell was zu notieren, seine Ideen. Na ja, und dann hat er, wenn er dann einen Schreibstift zu fassen hatte, dann hat er dann rumgefeilt.

Führer: Und hat er das dann auch mal zu Hause an der Familie getestet, ob es was taugt?

Berthold: Ja, das hat er uns Kindern gegenüber nicht so viel, aber meiner Mutter hat er es mit Sicherheit vorgelesen, ganz sicherlich.

Führer: Frau Berthold, bei Heinz Erhardt wirkte ja alles so leicht, also wie ja bei allen großen Komikern. Wie hart war das erarbeitet, die Leichtigkeit?

Berthold: Das war sehr hart, denn ich kenne unseren Vater oder wir Kinder kennen unseren Vater eigentlich überwiegend arbeitend. Ob er am Flügel gesessen hat oder ob er am Schreibtisch gesessen hat oder wenn wir mit ihm irgendwo waren, dann war er mit den Gedanken manchmal weggetreten, dann arbeitete schon wieder was in seinem Kopf. Oder wenn wir zum Beispiel mal, in den Ferien durften wir ab und zu mal mit auf Tournee, und dann waren wir hinter der Bühne, das war für uns natürlich immer ein ganz großes Erlebnis und so. Aber er war immer beschäftigt mit sich und seinen Gedanken.

Führer: Heinz Erhardt hatte ja einen ganz eigenen Ton, den man sofort erkennt. Hören wir mal eines Ihrer Lieblingsstücke von ihm, Frau Berthold:

Warum die Zitronen sauer wurden.
Ich muss das wirklich mal betonen:
Ganz früher waren die Zitronen
(ich weiß nur nicht mehr genau, wann dies
gewesen ist) so süß wie Kandis.

Bis sie einst sprachen: Wir Zitronen,
wir wollen groß sein wie Melonen!
Auch finden wir das Gelb abscheulich,
wir wollen rot sein oder bläulich!

Gott hörte oben die Beschwerden
und sagte: Daraus kann nichts werden!
Ihr müsst so bleiben! Ich bedauer!
Da wurden die Zitronen sauer.


Führer: Frau Berthold, was lieben Sie an diesem Gedicht?

Berthold: Also ich liebe eigentlich alle seine Gedichte, weil da ist in jedem Gedicht irgendwas Kluges drin, will ich mal sagen.

Führer: Was ist denn das Typische für ihn?

Berthold: Das Typische ist, dass alles, was er geschrieben hat, vollkommen zeitlos ist, es ist nie böse, es ist immer ein bisschen heile Welt, will ich mal sagen, also so aus meinem Empfinden heraus.

Führer: Ja, das stimmt. Er war ja auch so ein großer Sprachkünstler: "Ich komme aus dem Süden und aus dem Staunen nicht heraus."

Berthold: Ja, ja. Ja, ja. Ja, ja. Es gibt ja auch diese Aphorismen von ihm, und da ist eine so 'ne hübsche Sache: "Frauen sind die Juwelen der Schöpfung, man muss sie mit Fassung tragen".

Führer: Genau. Das ist, glaube ich, heute auch noch sehr bekannt.

Berthold: Ja, ja, das ist auch bekannt. Oder: "Man macht gewöhnlich viele Worte, wenn man nichts zu sagen hat".

Führer: Frau Berthold, Sie haben gerade die heile Welt erwähnt, die wird ja besonders in den Filmen, die er gedreht hat oder in denen er mitgespielt hat, muss man sagen, propagiert. Und diese Filme werden ja heute durchaus kritischer gesehen. Die sind ja von ihm selbst schon damals kritisch gesehen worden. Warum hat er trotzdem diese Angebote alle angenommen?

Berthold: Tja, das haben wir uns manchmal auch ... Also ich denke, das war natürlich auch, um Geld zu verdienen. Ich meine, wir waren eine Riesenfamilie, das war natürlich auch ein Gelderwerb. Er hat es aber, glaube ich, auch gerne gemacht, denn er durfte ja immer seine Rollen selbst bearbeiten. Er hat ja den Text, den er in den Filmen gesprochen, ist ja überwiegend sein eigener Text. Und wenn er nun nur den vorgegebenen Text hätte sprechen dürfen, ich glaube, dann hätte er es wohl nicht gemacht.

Führer: Über "Drillinge an Bord" soll er gesagt haben: "Wenn bloß diese blödsinnige Handlung nicht wäre".

Berthold: Ja, das kann schon sein. Das weiß ich nun gar nicht, das habe ich von ihm gar nicht gehört. Da wissen Sie mehr.

Führer: Meinen Sie, dass er mit den Filmen vielleicht doch seinem Ruf geschadet hat?

Berthold: Nee, das glaube ich auf gar keinen Fall. Denn die Filme werden ja vor allen Dingen von der Jugend, die Jugend kennt ja mehr seine Filme, weil da ja auch heile Welt vermittelt wird. Und die wollen das eben doch sehen. Die Jugend will das eben doch sehen.

Führer: Frau Berthold, was für eine Beziehung hatte Heinz Erhardt eigentlich zu seinem Publikum? Hat er es geliebt oder gefürchtet oder beides?

Berthold: Nein, gefürchtet hat er es überhaupt nicht, er hat es sehr geliebt. Er konnte ohne dem Publikum gar nicht. Deswegen hat er ja auch so wahnsinnig viel Theater gespielt, weil das war für ihn das Schönste. Als das mit dem Fernsehen anfing, da wollte er ja vom Fernsehen gar nichts wissen, weil er nicht ungebeten in die Wohnzimmer kommen wollte. Ja, das war sein Spruch: "Ich will nicht ungebeten in die Wohnzimmer kommen". Aber das hat sich natürlich nachher gegeben, weil es gar nicht mehr anders ging.

Führer: Er soll ja zeitlebens unter Lampenfieber gelitten haben. Stimmt die Anekdote, dass er immer vor einem Auftritt einen doppelten Doornkaat gekippt hat zur Beruhigung?

Berthold: Na ja, also immer nicht, aber er hat wahnsinnig unter Lampenfieber gelitten, sehr.

Führer: Und er soll eine Brille ohne Gläser aufgesetzt haben, also sodass er nichts sehen konnte, damit das alles schön verschwamm?

Berthold: Nein, das, finde ich, ist ein falsches Zitat. Er hat die Brille ohne Gläser aufgehabt, weil früher, vor allen Dingen beim Fernsehen, haben die Gläser furchtbar geblendet. Und deswegen hatte er die Brille ohne Gläser. Also damit er das Publikum nicht sieht, das konnte er sowieso nicht sehen, denn das Publikum sitzt ja im Dunkeln, und die Bühne ist hell.

Führer: Sehen Sie, so entstehen Legenden. Das ist ja gut, dass wir das geklärt haben.

Berthold: Also das sage ich jetzt. Ich weiß es nicht. Ich meine, ich kenne ja nun auch nicht jedes Wort von meinem Vater. Vielleicht hat er das mal gesagt. Aber ich habe es selbst nicht gehört.

Führer: 1971 erlitt Heinz Erhardt dann einen Schlaganfall, schwere Lähmungserscheinungen, vor allen Dingen das Sprachzentrum war betroffen. Das muss für ihn, den Sprachkünstler, ja sehr hart gewesen sein. Wie haben Sie ihn in diesen letzten Jahren dann noch erlebt?

Berthold: Das war eine ganz, ganz furchtbare Zeit. Es hat gedauert gut siebeneinhalb Jahre. Und er konnte ... also von der Lähmung abgesehen, die rechte Seite war gelähmt, das bedeutet also, dass die linke Gehirnhälfte total kaputt war bei ihm, und das Sprachzentrum war kaputt und er konnte auch nichts aufschreiben. Das war fast genauso schlimm. Denn wenn er was wollte oder was brauchte, wir mussten immer raten, was er will.

Führer: Frau Berthold, heute gilt Ihr Vater ja sozusagen als ein Symbol der Bundesrepublik Deutschland der Wiederaufbaujahre. Sehen Sie das auch so?

Berthold: Das sehe ich auch so, ja. Er war ja damals, also wenn man es genau nimmt, war er ja eigentlich auch der Einzige. Ich meine, Frankenfeld kam ein bisschen später, Loriot kam auch später erst.

Führer: Aber er scheint ja auch, also nicht nur sozusagen, dass er damals berühmt war, sondern als Symbol, meine ich, dass er auch so etwas aus dieser Zeit verkörpert hat, vielleicht so ein bisschen dieses Biedere?

Berthold: Ja, dieses ... also kurzgefasst eigentlich die heile Welt eigentlich. Und er war eben so wahnsinnig zeitlos. Es passt ja. Das, was er gesagt hat und gesprochen hat und geschrieben hat, das passt ja in jede Zeit. Das passt ja auch heute noch rein.

Führer: Was ist denn Heinz Erhardt heute vor allem für Sie, Frau Berthold - ein Denkmal oder ein ganz normaler Vater?

Berthold: Ein völlig normaler Vater, der nur eben mehr in der Öffentlichkeit steht. Der Unterschied war eben nur, er ist nicht morgens um acht ins Büro gegangen, sondern er ist abends um acht auf die Bühne gegangen.

Führer: Grit Berthold, die älteste Tochter Heinz Erhardts, der heute 100 Jahre alt geworden wäre. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Frau Berthold!

Berthold: Bitte schön, Frau Führer, bitte schön!
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