Harry Potter und die Halbblutwurst

Von Wiglaf Droste |
Wie mittlerweile üblich, ist eine hysterische Werbekampagne um Harry Potter entfacht worden, die erwachsene Menschen dazu bringt, vor Buchhandlungen zu kampieren, Harry Potter-Partys zu besuchen, sich Zauberermützen auf die hohlen Köpfe zu stülpen und andere unwürdige Dinge zu tun.
Die Branche jubelt, endlich hat man wieder etwas zu verkaufen, und das in großen Quantitäten. Zu den Büchern kommen noch die Devotionalien, das Merchandising. Reibach ist das Thema - es ist fast so langweilig wie ein Harry-Potter-Roman.

Als die Mode aufkam, sich aus der Welt ins Harry-Potter-Land zu verdünnisieren, beteiligten sich daran auch Menschen, die mir am Herzen liegen und auf deren Lesefähigkeit ich einiges gebe. Also schnappte ich mir Band eins und las. Ich kam bis Seite 60 oder 80, dann war ich des Gähnens müde. Karl May hatte ich als Jugendlicher schon gelesen, und auf Literatur, die nicht in die Welt hinein, sondern nur aus ihr hinaus will, bin ich seitdem nicht mehr scharf.

Der Buchhandel aber jubelt: endlich Stapelware! Und weil Deutschland so Pisa-Studien-geprügelt ist, kann man die rasanten Verkäufe hierzulande gleich als Kulturleistung ausgeben, als Grund zum Optimismus: Es wird wieder gelesen, hurra, hurra!

Dabei hat ein massenmedial aufgepumptes Massenmodeereignis mit dem solitären Akt des Lesens gar nichts zu tun. Die Lektüre von Harry Potter geschieht nicht zu Weltgewinn und Öffnen des Horizontes, sondern folgt im Gegenteil der opportunistischen Maxime "Dabeisein ist alles". Bücher können Lebens- und sogar Überlebensmittel sein - Harry Potter ist Nutella und entsprechend genauso beliebt.

In Deutschland wird "Harry Potter and the Half Blood Prince" am 1. Oktober erscheinen - der Carlsen Verlag allerdings hat ein Problem mit dem Titel: Darf man in Deutschland Halbblut sagen? Angesichts der deutschen Geschichte? O Händering und Zähneklapper - wie soll das Buch jetzt heißen? Viel Geld will verdient sein mit dem Gepottere, und der Verkauf könnte ja leiden, wenn sich jemand am Wort Halbblut störte und deshalb Krach schlüge.

Dem deutschen Karl-May-Leser ist das Wort Halbblut vertraut. Auch Karl May warf die allseits gern genommene Theorie auf den Markt, im Halbblut, auch Mischling oder Mestize genannt, vereinten sich stets die negativen Eigenschaften der beiden Rassen, denen er entstamme. Hinterhältig, tückisch und verschlagen ist das Halbblut bei Karl May.

Es ist der blanke Unsinn, und wie alle weit verbreitete Dummheit nicht ungefährlich: Hitler, ein glühender Verehrer Karl Mays, sog den Rassequatsch begierig auf - er kam ihm zupass. Zum rassenhassgesteuerten Massenmörder wurde Hitler aber nicht durch die Lektüre Karl Mays, und ich kenne niemanden, der durch Karls Mays Mestizen- und Halbblut-Unfug geistigen oder moralischen Schaden genommen hätte. Man liest das als Kind und Jugendlicher, und später lernt und weiß man, dass es Blödsinn ist - zumindest, wenn man dann etwas anderes liest als Karl May oder eben Harry Potter.

Was wird man tun im Hause Carlsen, um Geschäftsgang und Ansehen zu retten? Welchen deutschen Titel wird man finden, der die pekuniären und ethischen Aspekte der Angelegenheit gleichermaßen berücksichtigt? Harry Potter und der Prinz mit den zwei Ethnien? Harry Potter und die Prinzenrolle halb und halb? Harry Potter und die Melange von königlichem Blute? Harry Potter und das Ringen um das korrekte Wort? Harry Potter und die falsche Idee, realen Rassismus aus der Welt schaffen zu wollen, indem man die Sprache in die Reinigung gibt?

Oder wird im Gegenteil noch einer draufgesetzt? Harry Potter und Prinz Mischmasch? Harry Potter und der miese Mischling? Harry Potter und der teuflische Mestize? Harry Potter und die Halbblutwurst? In solche Klemme gerät und mit solchen Fragen herumschlagen muss sich ein Verlag, der eine Frage nicht stellt: Warum soll man das Zeug drucken?

FANTASY ist das Gegenteil von Phantasie, das braucht kein Kind und kein Erwachsener. Schaden richtet es zwar auch keinen allzu großen an, aber allein wegen der in Harry Potter-Verkleidung durch die Welt strummselnden Erwachsenen steht es doch im Rang einer nicht unbeträchtlichen öffentlichen Belästigung.

Wer sich und seinen Kindern etwas Gutes tun will, kann ihnen James Krüss vorlesen oder zu lesen geben, die Kindergedichte und -märchen von Peter Hacks, die grandiosen Klassiker "Der Wind in den Weiden" und "Winnie the Pooh" - es gibt so vieles, das so viel mehr Welt zu bieten hat als Harry Potter. Womit das Thema dann auch bitte für immer erledigt sein möge.

Wiglaf Droste, geboren 1961 in Herford/Westfalen, lebt als Schriftsteller und Kolumnist in Berlin, sofern er nicht als Sänger mit seiner Band, dem Spardosen-Terzett, auf jazzgestützten Lesereisen unterwegs ist. Kolumniert u.a. für die "taz", und das "Tageszeichen" auf WDR 3. Letzte Bücher: "Der infrarote Korsar" (Edition Tiamat 2003, TB Reclam Leipzig 2004), "Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi" (Edition Tiamat 2004, TB Reclam Leipzig 2005), "Nutzt gar nichts, es ist Liebe", Gedichte (Reclam Leipzig 2005). Tonträger: Westfalian Alien (Mundraub/Eichborn 2005). Musik-CD: Das Konzert, mit dem Spardosen-Terzett (Kunstmann 2004)