Harmoniegesang aus Skandinavien

Värttinä erkunden traditionelle Musik des finnisch-russischen Grenzgebiets

Am Saimaa See in Finnland
Mädchen-Füße in einem finnischen See © imago
Kerstin Poppendieck im Gespräch mit Carsten Beyer · 06.01.2016
Värttinä ist Finnlands international bekannteste Folk-Band. Im Mittelpunkt der Band stehen drei Frauen, und die sind auch verantwortlich für einen außergewöhnlichen Harmoniegesang, der das Markenzeichen von Värttinä ist.
Soeben haben sie ihr 13. Album unter den Titel "viena" herausgebracht. Kerstin Poppendieck stellt das Album im Gespräch mit Carsten Beyer vor und zeigt sich begeistert vom reichhaltigen Instrumentarium der Band und der herzlichen Athmosphäre, die diese Musik verbreitet, auch wenn die wenigstens von uns verstehen werden, was in den Texten thematisiert wird.

Carsten Beyer: Im Mittelpunkt der finnischen Band Värttina stehen drei Frauen, und die sind auch verantwortlich für den außergewöhnlichen Harmoniegesang, der auch das Markenzeichen von Värttinä ist. Am Freitag erschein das neue Album, das 13. Meine Kollegin Kerstin Poppendieck konnte das Album schon hören und hat mit der Band gesprochen.
Das Album heißt Viena, geschrieben wie der englische Name der Stadt Wien. Was hat denn eine Band aus Finnland mit Wien zu tun?
Kerstin Poppendieck: Gar nichts, denn dieses Viena meint nicht die österreichische Hauptstadt, sondern die Viena Folklore-Dörfer an der finnisch russischen Grenze. Dorthin sind die drei Sängerinnen der Band gereist, um ihre eigenen musikalischen Wurzeln zu entdecken und die traditionelle Musik dort vor dem Aussterben zu bewahren. Was sie dort erlebt und natürlich gehört haben, haben Värttinä auf dem Album verarbeitet, welches jetzt erscheint.
Beyer: "Kelo" - ein Titel der finnischen Folkband Värttinä von ihrem neuen Album, über das wir gerade sprechen. Du hast schon erzählt, die Sängerinnen der Band sind für dieses Album an die finnisch- russische Grenze gereist. Warum gerade dorthin, was ist das Besondere dieser Region aus musikalischer Sicht?
Poppendieck: Also wir reden von der Viena-Karelien Region, das ist der Name des nördlichsten Teils von Russisch-Karelien, die Gegend zwischen Ostsee und Weißem Meer. Vor allem in der Kultur Finnlands spielt diese Region eine wichtige Rolle. Denn dort leben die letzten Runo-Sängerinnen. Runen sind ein Teil der finnischen Volksmusik. Nachdem, was Mari Kaasinen, Gründungsmitglied von Värttinä erzählt, eine malerische Gegend, was Fluch und Segen gleichzeitig ist.
Mari Kaasinen: Da ist es so schön, als würde man hundert Jahre zurück reisen. Es gibt kleine Dörfer mit Häusern aus Holz, die nie jemand gestrichen hat. Auf den Straßen laufen Kühe und Schafe, was ganz lustig aussieht. Die Wälder dort sind riesig und hunderte Jahre alt. Alles ist ganz still. Daran mussten wir uns erst gewöhnen. Alles, was man hört sind der Wind und Vögel. Nur wenige Menschen leben dort. Es ist also ein eher isolierter Ort.
Beyer: Klingt nach einem perfekten Urlaubsort zum mal komplett Abschalten. Was ist denn daran der Fluch?
Poppendieck: Dadurch dass es in dieser Region kaum etwas gibt, also Industrie und damit Arbeitsmöglichkeiten, gehen immer mehr Menschen fort. Eigentlich leben da kaum mehr junge Menschen. Und das wiederum bedeutet, dass diese traditionellen Lieder drohen, in Vergessenheit zu geraten, wenn man sie nicht davor bewahrt. Und wir reden hier von einem riesigen musik-historischen Schatz, über eine über als zweitausend Jahre alte Sammlung an Runen-Liedern. Früher sind die Runo-Sänger durch´s Land gewandert und haben diese Art ver Volksdichtung verbreitet, aber seit dem frühen 20.Jh gibt es eben nur noch einige ganz wenige Runo-Sängerinnen und Sänger. Und genau diesen Runen-Schatz wollten Värttinä mit dieser Reise bewahren. Sie sind in die Dörfer dort gefahren, haben sich mit den Runo-Sängerinnen getroffen.
Ton Mari Kaasinen: Wir haben dort viele Sänger gehört. Die alten Frauen haben viele traditionelle Lieder gesungen, aber auch ein paar neue für uns, wie Raijan Joiku, das aber immer noch mit traditionellen Melodien gesungen wird. Ein wunderbares Lied. Wir haben gleich gesagt, dass wir das auch unbedingt singen müssen. Und jetzt ist es auf unserem neuen Album.
Beyer: Das ist ja doch ein sehr eigener Gesangstil. Ist das denn typisch für den Runo-Gesang und auch für das Album jetzt?
Poppendieck: Dieses Lied ist auf jeden Fall beispielhaft für den Runo-Gesang. Diese Lieder werden zumeist in einfachen pentatonischen Melodien gesungen und stets metrisch, entweder von einem Solisten oder, wie gerade gehört, im Wechselgesang. In den Texten geht es oft um die Naturschönheit, den Alltag der Menschen, aber auch Aberglaube und Mythen. Oftmals gibt es gar keine Instrumente, höchstens eine Kantele, eine Zither. Und das ist der größte Unterschied zu dem Album von Värttinä. Da gibt es jede Menge Instrumente: Akkordeon, Geige, Gitarre, Obertonflöte, und verschiedene traditionelle Instrumente wie Nyckelharpa, Jouhikko und eben auch die Kantele. Da passiert richtig viel, aber trotzdem steht immer dieser beeindruckende Harmoniegesang im Vordergrund.
Beyer: Wie ist es denn, wenn man kein finnisch spricht? Vermittelt sich die Musik trotzdem?
Poppendieck: Ja, und das fand ich unglaublich beeindruckend. Als ich das Album zum ersten Mal gehört habe, hab ich mich ganz auf die Musik konzentriert, hab auch nicht im Booklet gelesen. Beim zweiten Hören dann, hab ich parallel die Liedtexte mitgelesen, die freundlicherweise auch auf Englisch abgedruckt sind. Und es war wirklich beeindruckend, wie oft ich richtig lag. Wenn die drei Frauen zum Beispiel von drei Hennen singen, sie gackernd durchs Dorf rennen, dann hört man das tatsächlich an der Art wie sie singen, oder auch die weite der Natur, das Mystische der Wälder oder die Herzlichkeit der Menschen. Natürlich spielen da auch die Melodien, Rhythmen und Arrangements eine große Rolle. Das fand ich schon erstaunlich.
Beyer: Vielen Dank Kerstin Poppendieck, mit ihr habe ich über das neue Album der finnischen Folkband Värttinä gesprochen. Das Album heißt Viena und erscheint übermorgen. Eine Deutschlandtour ist bisher noch nicht geplant, aber im Mai kommt die Band immerhin für ein Konzert nach Lauterbach bei Frankfurt am Main.