Harmloser Neuanfang

Von Walter Bohnacker · 09.10.2008
Vor drei Jahren setzten ihn die Eigentümer der County Hall an Londons Southbank vor die Tür. Charles Saatchi musste umziehen – mitsamt seiner riesigen Sammlung. In einer ehemaligen Kaserne im Stadtteil Chelsea eröffnet die Saatchi Gallery jetzt neu mit einer Schau chinesischer Gegenwartskunst. Ihr Titel: "The Revolution Continues".
Lange war von Charles Saatchi in London kaum was zu hören oder zu sehen. Vor drei Jahren, nach seinem Auszug aus dem Gebäude der früheren Londoner Kommunalverwaltung, der alten County Hall an der Themse, tauchte der Kunstmäzen unter, mitsamt seiner riesigen Sammlung, ins Internet. Sein neues Projekt hieß "Saatchi Online", eine Galerie und Marktplatz für den Kunsthandel im Netz.

Nebenbei macht Saatchi natürlich auch online Werbung für sich selbst. Man erfährt unter anderem, womit er in letzter Zeit seinen Vorrat an Gegenwartskunst aufgestockt hat. Aber was nutzt die schönste Sammlung, wenn die Kunst immer nur auf dem Monitor flimmert, wo sie doch an die Wände gehört. Tausend mal lieber als Mausklicks waren Saatchi schon immer leibhaftige Besucher in einem echten Museum. Ein solches hat er jetzt wieder: seine eigene ganz neue Galerie für ganz neue Kunst, und das in allerbester Lage. Patricia Ellis ist die Sprecherin der Saatchi Gallery.

"Das Gebäude kennt in London jeder, es gehört zu den Wahrzeichen der Stadt. An seiner Fassade hat sich nichts verändert, drinnen aber wurde alles komplett umgebaut. Großen Wert legte Saatchi auf eine helle, einladende Atmosphäre. Die Besucher sollen sich hier wohlfühlen."

Das Duke of York Headquarters an der eleganten King’s Road, erbaut 1801: Die alte Kaserne mit ihrem imposanten Säulenportal ließ Saatchi umgestalten zu 13 Ausstellungsräumen auf vier Etagen. Die Galerie soll sein Schaufenster werden für die angeblich weltweit größte Privatsammlung internationaler Gegenwartskunst. Will der Galerist damit den anderen Londoner Größen Konkurrenz machen, der White Cube-Galerie, der Royal Academy und der Tate Modern?

"Nein, überhaupt nicht. Seine Sammlung ist nun mal seine große Leidenschaft, und er will nur ein möglichst breites Publikum an ihr teilhaben lassen. Warum soll er die Sachen zu Hause oder in einer Lagerhalle aufbewahren? Ohne Betrachter ist alle Kunst nutzlos."

Und was präsentiert der neue Hausherr zur Eröffnung? Revolutionäres angeblich: neue Kunst aus China. Der Titel der Eröffnungsschau lautet "Die Revolution geht weiter". Die neue Galerie selbst ist zweifellos ein Gewinn für London. Die alte in der County Hall mit ihren dunklen, holzvertäfelten Korridoren hatte man seiner Zeit als Sarg verspottet. Da bietet die Nachfolgerin mit ihrem ganz in Weiß gehaltenen Tageslichtinterieur eine weitaus angenehmere Umgebung. Nur leider: Saatchis neue Kunst ist eine ziemliche Enttäuschung.

Wirklich Umwerfendes haben die ausgestellten 24 jungen Künstler aus der Volksrepublik nicht zu bieten. Die am Boden liegende Wachsfigur eines alten Mannes als gefallener Engel; gefesselte, von der Decke mit dem Kopf nach unten aufgehängte nackte Körper, die das Los chinesischer Wanderarbeiter symbolisieren sollen; und immer wieder Porträts von Mao Tse-Tung, mal mit mehr, mal mit weniger ironischem Anstrich. All das ist weder ganz neu noch sonderlich originell.

Vieles in dieser Schau kommt einem bekannt vor. Die Bilder, Skulpturen und Installationen wirken wie Kopien, die sich an westlichen Originalen orientieren. Nicht zu übersehen ist die Nähe zur Pop Art und zu den von Saatchi vor Jahren geförderten Young British Artists. Auch die Shock Art der Chapman-Brüder hat hier ihre Spuren hinterlassen. Kurzum: Zu sehen sind Saatchis Favoriten, nur dass sie diesmal aus Fernost kommen. So manches Fabrikat "made in China" erweckt den Eindruck, als sei es für den westlichen Kunstmarkt bestimmt, produziert auf Bestellung und so ganz nach dem Geschmack des Sammlers.

Ein erstes Fazit von Saatchis Rückkehr auf die Londoner Galerieszene kann nur lauten: Dieser Neuanfang ist harmlos, eine Revolution ist er nicht, noch nicht. Saatchi und Co. hoffen auf gut eine Million Besucher im Jahr. Die werden wohl auch kommen, vorausgesetzt, der "König unter den Kunstsammlern" hat wirklich neue Ideen. Vor 15, 20 Jahren gab er in der britischen Kunstszene den Ton an, er setzte Trends und Maßstäbe als Sammler, Galerist und Förderer. Chinas jungen Künstlern und dem Unternehmen Saatchi ist vor allem eines zu wünschen: mehr Mut zum Risiko, in Peking und in Chelsea und nicht nur im Internet.