Hans Well: Bezahlt den Bauern ein Grundgehalt

Hans Well im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.04.2009
Einen einzigen Bauern gäbe es noch in seinem Dorf, erzählt Hans Well, Mitglied der Band "Biermösl Blosn". Ein Grundgehalt für die Bauern hält er für eine bessere Alternative als eine Abwrackprämie für Kühe. Den heute stattfindenden Runden Tisch im Bundeslandwirtschaftsministerium zu diesem Thema nannte er ein "Bauerntheater".
Dieter Kassel: So schlimm wie in Mecklenburg-Vorpommern ist es zwar in den anderen Bundesländern überwiegend noch nicht, aber schlimm genug für große Proteste ist es längst überall. Die industrielle Landwirtschaft und ihre Folgen – das ist seit Jahren, ja, fast seit Jahrzehnten auch ein Thema der bayrischen Band die "Biermösl Blosn", die sind über Bayern hinaus bekannt geworden vor allem für ihre gemeinsamen Auftritte mit Gerhard Polt. Die Themen der Band werden von allen drei Brüdern zusammen bestimmt, aber die Texte schreibt dann am Ende meistens einer von ihnen, Hans Well, ein Mann, der auch durchaus selbstverständlich nicht irgendwo mitten in München wohnt, sondern gut 30 Kilometer von der Stadt entfernt im Landkreis Fürstenfeldbruck, wo es nicht so weit ist bis zur nächsten Kuh und zum nächsten Milchbauern. Da ist er jetzt für uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Well!

Hans Well: Guten Morgen!

Kassel: Wie weit ist es denn von Ihnen bis zum nächsten Milchbauern und seinen Kühen?

Well: Ja, so ungefähr 30 Meter. Ich habe das Glück, dass neben mir noch ein Bauer ist, ich wohne in einem Bauerndorf, wo der Plural allerdings nicht mehr angebracht ist, es gibt noch einen Bauern und abnehmende Tendenz, der hat noch drei oder vier Kühe auf der Wiese stehen, die werden im Herbst dann geschlachtet, deswegen stehen sie jetzt auf der Wiese. Ich glaube, da gibt es irgendeine Bestimmung, dass nur so viel abgerechnet wird von der Kontingentierung, wie im Stall stehen, und der Rest steht im Stall drin.

Kassel: Ist das auch jemand, der jetzt schimpft, der sagt, alle anderen haben es falsch gemacht, die Lebensmittelgeschäfte sind die Bösen, das Landwirtschaftsministerium sind die Bösen und ich bin das Opfer?

Well: Bei dem ist es ein bisschen schwieriger, denn sein Leben hat er der CSU verschrieben. Der ist überzeugter CSU-Mann, und der kann es immer noch nicht glauben, dass die CSU nicht helfen kann.

Kassel: Die CSU kann es aber offenbar nicht oder vielleicht will sie auch nicht, aber Tatsache ist doch, wir haben das gerade gehört aus Mecklenburg-Vorpommern, Sie haben angedeutet, ähnliche Regeln gibt es überall: Kühe, die eigentlich in elf Jahren wirtschaftlich wären, das ist schon böse genug ausgedrückt bei Lebewesen, aber in elf Jahren wären die wirtschaftlich, aber nach viereinhalb Jahren sind die normalerweise aus irgendwelchen Gründen wieder weg, aus Effektivitätsgründen. Wir haben heute Morgen in unserem Programm mit Romuald Schaber geredet vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und selbst der hat nur vorgeschlagen, man könne doch vielleicht weniger Kraftfutter verfüttern, damit die Kühe nicht mehr so verdammt viel Milch geben. Wenn man das alles hört, haben Sie nicht auch das Gefühl, die Bauern sind selbst schuld?

Well: Ja, mit Sicherheit, weil die Bauern haben es versäumt, zu einer Zeit, wie die Bauern noch eine Macht waren, eine politische Macht, dass sie sich richtig auf die Hinterfüße gestellt haben. Und man muss dann natürlich ein bisschen weiter ausholen. Der Bauernverband, der Vertreter der Bauern, hat natürlich immer arg gekungelt mit den politisch Mächtigen, zumindest in Bayern. Der Bauernverbandsvorsitzende ist dann irgendwann einmal in den Spagat gekommen, dass er sowohl – der deutsche Bauernverbandsvorsitzende Sonnleitner, der aus Bayern kommt –, dass er sowohl die norddeutschen Großbetriebe vertreten muss als auch die bäuerliche Landwirtschaft, die kleineren Betriebe in Bayern. Und dieser Spagat, der hat natürlich nicht hingehauen, weil die Lösung läge natürlich darin, dass man die Überproduktion, dass man die eindämmt. Ich glaube, 20 Prozent zu viel Milch ist im Moment auf dem Markt, und das kann natürlich im Endeffekt von den Teilnehmern dieses Spieles, das sind dann eben Aldi, Lidl, diese Discounter, das sind die Bauern und das ist die Politik, das kriegt man nicht in den Griff, solange eben diese Überproduktion nicht geregelt ist.

Kassel: Ja, aber ich stelle mir das schwierig vor. Wenn ich mir jetzt einen Bauern vorstelle, der zurzeit Probleme hat, weil er für – sagen wir mal – um die 20 Cent pro Kilo Milch verkaufen muss, und dem schlägt man jetzt vor: Stell doch noch weniger Milch her, damit es dir auf die Dauer besser geht. Das macht der doch nicht.

Well: Das ist klar, das beträfe nur die großen Bauern, und deswegen war ja schon lange der Vorschlag von Leuten, die mehr … Es hat einmal die Jugendorganisation des Bauernverbandes, die katholische Landjugend in Bayern, die hat das schon lange einmal, vor 20, 30 Jahren gefordert, dass man eben auf Bio umstellt, dass man eine bestimmte Menge mit diesem Zuschuss-System bezuschusst, dass da EU-weit oder in Deutschland greift, dass man eben bestimmte Mengen nur … Wenn der Bauer zum Beispiel 10 oder 20 Kühe hat, dass man das bezuschusst und nicht die große Menge, dass man nicht mit der Gießkanne drüber geht und gleichmäßig halt die hundertste Kuh genauso bezuschusst wie die zehnte oder die fünfzehnte.

Kassel: Aber glauben Sie denn, dass das noch kommen kann, wenn wir uns die Zahlen angucken? Ich war selbst erstaunt, vor 15 Jahren fast 200.000 Milchbauern, jetzt ungefähr 100.000, schon das Wort Milchbauer ist Quatsch, weil da natürlich auch alle Großproduzenten mitgezählt werden. Das heißt, die Hälfte der Produktionsstätten macht heute mehr Milch als doppelt so viele vor 15 Jahren. Ist so ein Trend denn überhaupt noch aufzuhalten?

Well: Die haben natürlich die Hochleistungskühe inzwischen im Stall stehen und das ist alles wirklich absolut optimiert vom Ergebnis her, von der Produktion her. Trotzdem: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bauern natürlich wichtig sind in einem Kulturraum wie in Bayern, man muss sich mal vorstellen, im Oberland, Richtung der Bergzüge, da ist man wirklich in den Bauerndörfern, da gibt es wirklich noch Bauerndörfer, und das ist ja ein kultureller Raum. Das ist ja ein Kulturraum, es ist ein kulturelles Klientel, das das Land Bayern lange geprägt hat, und wenn die Leute aufgeben müssen, das hat halt dramatische Auswirkungen auf die Landschaft, nicht bloß auf die Landwirtschaft, sondern auf die Landschaft. Wer bewirtschaftet die Almen? Und gerade die Bauern hauen natürlich am wenigsten Chemie auf die Felder, und von dem her müsste man wirklich versuchen, die zu bezuschussen. Mein Vorschlag oder der von Leuten, die da in der Biobranche tätig sind, die sagen schon seit Langem, dass man eben ein bestimmtes Grundgehalt an diese Bauern bezahlt, dafür, dass sie die Landschaft pflegen, dass sie Wasserschutz betreiben und so weiter. Und davon würde halt natürlich der Oldenburger Großunternehmer nicht profitieren. Wäre sinnvoll so.

Kassel: Wäre sinnvoll, aber wahrscheinlich kommt der dann mit einem Antidiskriminierungsgesetz oder zieht vor irgendeinen Gerichtshof.

Well: Sonst gibt es ja bloß mehr die Abwrackprämie für Milchkühe oder sowas, oder vielleicht kann man irgendwie eine Genmilch herstellen, die dann irgendwie Dynamit oder Klebstoffe oder sowas dann irgendwas, mit denen sich sowas gewinnen lässt. Das ist die Alternative. Oder die Verbraucher werden irgendwann einmal, aber das ist natürlich ein Märchen, aber wir haben einmal so Bauernregeln aufgestellt, und da kommt die Zeile vor: "Kostet an Johanni der Liter Milch bloß noch 20 Cent, rü hullia, rü hullia, kann's sein, dass bald der Aldi brennt, rü hullia, rü rü". Das sind so Aussichten auf die Zukunft.

Kassel: Das ist zum einen interessant. Wir sprechen übrigens im Deutschlandradio Kultur mit Hans Well von den "Biermösl Blosn", das als Erklärung, warum plötzlich einer singt im Interview, das ist normal, das ist sein Beruf. Aber das Interessante ist doch, diese Bauernregel, kostet der Liter 23 Cent – wir sind ja schon drunter inzwischen und der Aldi brennt nicht. Das ist für eine friedliche Gesellschaft zwar gut, aber was wir wirklich gemerkt haben, auch, als die ganzen Verbraucher, wenn irgendwie der Lokalfunk mit Mikrofon kam, gesagt haben: "Ich würde ja mehr für die Milch bezahlen, damit es den Bauern besser geht!" – sie tun es ja nicht. Es gibt ja immer noch Leute, die fahren 20 Kilometer, um drei Cent weniger für die Milchtüte zu bezahlen.

Well: Das stimmt, ja, das ist in allen Bereichen, ob das beim Bier oder sonstwo ist, das ist überall natürlich gleich. Im Lebensmittelbereich, da schlägt der Schwabe voll durch, ja, auch bei den Oberbayern oder Niederbayern.

Kassel: Aber letzten Endes heißt das: Alles schöne Träume, es wird nichts passieren. Wie sähe denn Ihr Dorf, Ihre nähere Umgebung aus, wenn es da keine Bauern mehr gäbe?

Well: Ähnlich wahrscheinlich wie in Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben jetzt in Grafrath, das ist so vier Kilometer von uns weg, da gibt es ein Gut, und dieses Gut ist verpachtet an einen Bauern, der aus Freising da zu uns herfährt, so ein Flughafenbauer, der da reich entschädigt worden ist, sich woanders eingekauft hat. Und der fährt inzwischen jeden Tag so 70 Kilometer einfach daher und hat da so 40 oder 50 Kühe drin stehen und bewirtschaftet dieses Gehöft, und so schaut dann die Zukunft aus: Wenn irgendwas los ist mit den Viechern, dass irgendeins krank ist, dass irgendwas passiert in der Nacht, da ist kein Mensch da. Und das ist eine Horrorvision. Das wird natürlich so auf den Bauerndörfern – ich habe ja schon vorher gesagt, der Plural ist sowieso überhaupt nicht mehr angebracht –, da wird das natürlich in Zukunft ganz trübe ausschauen, bei uns ist es schon so in einigen Dörfern, dass es überhaupt keinen Bauern mehr gibt und dass das dann irgendwie zentral bewirtschaftet wird von irgendeinem Großunternehmer, Großagrarunternehmer mit all den Folgen für Natur und für Umwelt. Ich habe leider Gottes gerade gelesen in der Zeitung, dass der Sonnleitner als Lösung fordert, dass man die Naturschutz- und Verbraucherschutzgesetze lockert. Das hört sich vertraut an, weil die Bauernvertreter natürlich, Sonnleitner, weil die überhaupt nicht kapiert haben, dass, wenn, dann der Weg wirklich nur mit den Verbrauchern zusammen gegangen werden kann. Es hat einmal von Biobauern die Aktion "Bauern und Verbraucher" gegeben, vom Bichler, Sepp, gegründet, dass man direkt vermarktet und so weiter, das wären eigentlich ganz kluge Wege. Ich kaufe meine Milch regelmäßig im Bioladen und zahle dafür 1,10 Euro, und der Bauer, der die Milch produziert, der kriegt einen ganzen guten Anteil daran.

Kassel: Ich glaube, jetzt werden ganz viele Leute, die das gehört haben, gesagt haben: Mache ich ab morgen auch. 93 Prozent davon werden es nicht machen. Ich danke Ihnen trotzdem für das Gespräch, Hans Well war das.

Well: Bitte schön!

Kassel: Er ist einer der drei Brüder der "Biermösl Blosn" und nicht richtig optimistisch, was man vielleicht auch nicht so richtig sein kann, aber vielleicht werden wir alle überrascht von dem runden Tisch.

Well: Sie meinen, von dem Bauerntheater, das da stattfindet im Moment.

Kassel: Es ist ein Bauern- und Alditheater. Es sind ja alle Seiten dabei.

Well: Und Ilse Aigner, also, Politik ist auch mit dabei, kräftig.

Kassel: Na, es ist ein Ministerium. Ich weiß gar nicht, ob sie darin sitzt. Aber wir geraten ins Spekulieren.

Well: Okay.

Kassel: Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen ein schönes Bauerdorf.

Well: Danke schön. Servus!

Kassel: Servus! Hans Well war das, Texter der bayrischen Band "Biermösl Blosn" und seit Jahrzehnten in seinen Texten auch beschäftigt mit der industriellen Landwirtschaft und wir haben es gehört: Die sieht er mehr und mehr auch vor der eigenen Nase.
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