Hans-Jochen Vogel

"Lieber exakt als ein Trumpist"

35:06 Minuten
Der ehemalige SPD-Parteichef Hans-Jochen Vogel winkt am 04.02.2016 im alten Rathaus in München (Bayern) bei einem Festakt der Bayern-SPD zu seinen Ehren zum 90. Geburtstag.
Der ehemalige SPD-Parteichef Hans-Jochen Vogel © picture alliance / dpa / Matthias Balk
Moderation: Klaus Pokatzky · 01.02.2018
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Hans-Jochen Vogel leitete in München ebenso wie in Berlin die Amtsgeschäfte im Rathaus der Stadt, er führte zudem auch gleich mehrere Bundesministerien und er begleitet noch immer wach und aufmerksam die großen und kleinen Kämpfe seiner Partei, der SPD.
Wenn das Etikett "Elder Statesman" zu einem deutschen Politiker passt, dann zu Hans-Jochen Vogel – mehr politische Erfahrung ist nur schwer vorstellbar: Der 91-Jährige war Oberbürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin, er leitete unterschiedliche Bundesministerien, war für die SPD Fraktionsvorsitzender, Parteichef und Kanzlerkandidat.
Nicht nach allem hat er sich gedrängt, als Pflichtmensch sich aber nicht verweigert. Und auch heute verfolgt er das politische Geschehen mit wachem Verstand, kommentiert das Ringen seiner SPD um Mitregieren oder Nichtregieren nüchtern abwägend. Er werde einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beim SPD-Mitgliederentscheid zustimmen.

"Nicht verzweifeln, weiterarbeiten"

Hans-Jochen Vogel vergisst dabei nie, was auf jenem Zettel steht, den ihm ein großer Sozialdemokrat vor vielen Jahren zugesteckt hat: "Nicht verzweifeln, weiterarbeiten", habe ihm Herbert Wehner mit auf den Weg gegeben. Diesen Zettel aus dem Februar 1981 habe er im Original aufbewahrt.
"Ich habe immer wieder in schwierigen Situationen für Sozialdemokraten Kopien dieses Zettels gefertigt und diese Kopie mit einer entsprechenden Ermutigung zukommen lassen."
Auch Martin Schulz habe er einmal diese Ermunterung von Herbert Wehner weitergegeben.
Am meisten verdrieße es ihn zu sehen, wie die Politikverdrossenheit in den vergangenen Jahren gewachsen sei. Er leugne nicht, dass es ernste Herausforderungen gebe. Den Leistungen der Politik seit Ende des Zweiten Weltkriegs werde aber zu wenig Beachtung geschenkt:
"Wenn ich an den 8. Mai 1945 denke, und es hätte uns damals jemand gesagt: 'Seid nicht verzweifelt, in wenigen Jahren werden Eure Städte wieder aufgebaut sein, Ihr werdet 15 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene integrieren, ohne, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Es wird Euch wirtschaftlich schon in den 50er-Jahren wieder besser gehen als vor dem Zweiten Weltkrieg; Ihr werdet wieder den Weg in die Völkergemeinschaft finden - und in 25 Jahren wird ein Bundeskanzler den Friedensnobelpreis bekommen'.
Wenn wir uns damals gedacht hätten: Wir werden die beste Verfassung in der deutschen Geschichte kriegen, die auf einer Werteordnung beruht. Und wenn wir damals gewusst hätten, dass die deutsche Einheit – die ja damals schon im Mai 45 Brüche aufwies –, die wird zustande kommen, ohne einen Tropfen Blut; und es wird uns wirtschaftlich mit am besten in der ganzen Welt dastehen, dann hätten wir den Betreffenden für verrückt erklärt.
Dann hätten wir gesagt: ‚Du bist ein Narr! Du gehörst in die Behandlung eines Irrenarztes. Auf diesem Hintergrund bin ich manchmal doch ein bisschen erstaunt über die Neigung, nur das Negative, nur das Kritische und Bedenkliche in den Vordergrund zu stellen."

Ziel muss sein, die AfD zu "überwinden"

Mit Blick auf die Ermordung von Hanns Martin Schleyer im Oktober 1977 durch Terroristen der Roten Armee Fraktion erklärt Vogel, er fühle er sich mitverantwortlich für den tödlichen Ausgang der Entführung. Als schuldig betrachte er sich allerdings nicht. Eine besondere Herausforderung sei die Entscheidung gewesen, den Terroristen der RAF die von ihnen geforderte Freilassung nicht zuzugestehen.
"Die Abwägung war außerordentlich schwierig. Ich bitte, dass man eine Unterscheidung akzeptiert: dass auch meine Entscheidung den Tod von Hanns Martin Schleyer mitverursacht, aber nicht verschuldet hat."
Hans-Jochen Vogel erinnert daran, dass dem politischen Gegner Respekt gebühre. Er plädiert dafür, die politische Auseinandersetzung mit der AfD im Bundestag inhaltlich in aller Schärfe zu führen. Die AfD dürfe allerdings nicht in ihrer Gesamtheit als neonazistische Partei dargestellt werden.
Ziel müsse es sein, die AfD zu "überwinden" und zu erreichen, dass sie sich – ebenso wie die Piratenpartei – zu gegebener Zeit wieder aus dem Bundestag verabschiede.
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