Hannelore Ratzeburg wird 70

Die Pionierin des deutschen Frauenfußballs

06:30 Minuten
Hannelore Ratzeburg, sie sitzt an einem Tisch neben einem Fenster.
"Der Frauenfußball hat einen enormen Sprung gemacht": Hannelore Ratzeburg kann stolz auf ihr Lebenswerk zurückblicken. © picture alliance / Frank Rumpenhorst / dpa
Von Eduard Hoffmann · 13.06.2021
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Hannelore Ratzeburg kam 1971 zum Fußball: Sie sah nicht ein, dass Männer alles dürfen und Frauen nichts. Sie wurde Trainerin, Schiedsrichterin und Funktionärin und brachte es bis ins DFB-Präsidium - als erste und bisher einzige Frau. (*)
"Ich wollte schon immer Gerechtigkeit im Leben und ich fand das ungerecht, dass die Männer alles dürfen und die Frauen nichts, und mit Fußball fing ich dann mal sachte an", sagt Hannelore Ratzeburg.
Über ihren damaligen Freund kommt sie 1971 zum Fußball und bleibt allen Widerständen zum Trotz bis heute. Die Studentin der Sozialpädagogik entwickelt eine richtige Fußballleidenschaft, auch als Trainerin, Betreuerin und Schiedsrichterin. 1972 ist sie Gründungsmitglied des Hamburger Ausschusses für "Frauen- und Mädchenfußball", zwei Jahre später deren Vorsitzende.
1977 wird sie Referentin für Frauen- und Mädchenfußball im DFB-Spielausschuss: "Das war nicht so ganz einfach", erinnert sie sich. "Ich war ja noch ziemlich jung, 26, Studentin, und war die einzige Frau, die Exotin, und dann hieß es, ich brauche gar nicht zu jeder Sitzung zu kommen, wenn Damenfußball nicht auf der Tagesordnung steht."
Die wissbegierige und unerschrockene Pädagogin lässt sich nicht abwimmeln. Stets gut vorbereitet setzt sie sich mit den älteren Herren sachlich auseinander, lernt, dass auch die Gespräche beim Bierchen nach den Sitzungen wichtig sind, und erfährt, wer Töchter zu Hause hat und vielleicht doch für das eine oder andere Frauenfußballprojekt zu gewinnen ist.
So gibt es bald Pokalwettbewerbe und eine Frauen-Nationalelf: "Seit 1970 kämpfen sie nun um Anerkennung. Der DFB, die Medien, niemand nahm so recht Notiz. Plötzlich waren sie da, die Tore und somit die Kameras."

Als Deutschland Europameisterin wurde

Möglicherweise helfen auch Hermann Neubergers vier Töchter dabei, die Frauenfußball-Europameisterschaft 1989 in die Bundesrepublik zu holen. Während sich nahezu alle Funktionäre im Verband gegen das Ansinnen von Hannelore Ratzeburg stellen, macht sich der DFB-Präsident sofort für die EM stark:
"Wir hatten 1988 die Männer-Europameisterschaft in Deutschland. Ich hatte sofort Neuberger angerufen und gesagt: Herr Neuberger, wir haben doch jetzt die Männer-EM gut über die Bühne gebracht. Können wir uns nicht qualifizieren für die Endrunde der Frauen? Das wäre doch toll? Oh ja, sagte er, machen wir, und seine Zusage hat er auch durchgesetzt."
Deutschland wurde prompt Europameister:
"Für die, die das miterlebt haben im Frauenbereich, wird es immer das tollste Erlebnis sein. Es war wirklich ein Durchbruch", sagt Ratzeburg.

Die erste und einzige Frau im DFB-Präsidium

Erstmals gibt es eine große öffentliche Bühne. Angesichts der attraktiven Spiele verlieren sich Ressentiments und Ängste, immer mehr Frauen und Mädchen wollen kicken. Der DFB beginnt mit einer ernsthaften Förderung. Hannelore Ratzeburg wird Vorsitzende eines eigenen Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball.
Klug und umsichtig treibt die erfahrene Funktionärin die Professionalisierung voran, mit einer Bundesliga etwa und gezielter Nachwuchsförderung. 1995 wird "Miss Frauenfußball" in den DFB-Vorstand berufen. Schon länger arbeitet sie in UEFA- und FIFA-Gremien und ist international hervorragend vernetzt.
Entscheidend für die rasante Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland sind immer auch die Erfolge der Nationalelf. Nach zahlreichen EM-Titeln kommt 2003 der erste WM-Titel. 2007 folgt die Titelverteidigung. Hannelore Ratzeburg steigt als erste und bislang einzige Frau ins DFB-Präsidium auf.
Mit Präsident Theo Zwanziger an ihrer Seite, einem erklärten Freund und Förderer des Frauenfußballs, holt die Powerfrau 2011 die WM nach Deutschland. Sie erhält den Elisabeth-Selbert-Preis der Hessischen Landesregierung, nach der Frau benannt, die für die Aufnahme des Gleichstellungsgrundsatzes in unsere Verfassung sorgte.

Die Zahl der Mädchenmannschaften sinkt

Die familienfreundliche WM mit vollen Stadien, ohne Randale und Skandale wird zum Medien-Hype und Riesenerfolg. Sportlich jedoch enttäuscht die deutsche Elf und fliegt im Viertelfinale aus dem Turnier.
Seither stagniert die Entwicklung im deutschen Frauen- und Mädchenfußball. Die großen Erfolge der DFB-Auswahl bleiben mit Ausnahme der olympischen Goldmedaille 2016 in Rio in den letzten Jahren aus. Die Anzahl der Mädchenmannschaften ist seit 2010 um fast die Hälfte geschrumpft.
Die DFB-Vizepräsidentin wirkt etwas ratlos: "Wir haben keine Forschungsergebnisse. Aber wir müssen mal gucken, woran es liegt."

"Es ist einfach toll, diesen Frauen zuzugucken"

Die engagierte Pionierin fordert im Verband mehr Frauen in Führungspositionen, weiß aber ganz genau, dass Strukturreformen, die das ermöglichen könnten, eine kleine Ewigkeit brauchen. Und das als Präsidentin selbst anpacken?
"Die Verantwortung in der Spitze, das ist zu spät und das war auch nicht mein Ziel. Ich wollte gerne für den weiblichen Bereich was auf den Weg bringen. Das wäre jetzt auch nicht mein Traumjob."
Im nächsten Frühjahr verlässt die dann 70-Jährige und außerordentlich geschätzte und anerkannte Kämpferin für den Frauen- und Mädchenfußball aus Altersgründen das DFB-Präsidium. Sie weiß, dass sie stolz zurückblicken kann auf ihr Lebenswerk:
"Dieser ganze Frauenfußball hat über die ganzen Jahre einen enormen Sprung gemacht und hat jetzt ein so hohes Niveau. Viele Leute sagen, es ist einfach toll, diesen Frauen zuzugucken."
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben den Namen eines Gremiums korrigiert.
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