Hanne-Darboven-Retrospektive

Die Jahrhundert-Außenseiter-Künstlerin

Konzeptkünstlerin Hanne Darboven
Undatiertes Foto der 2009 verstorbenen Konzeptkünstlerin Hanne Darboven. © imago/sepp spiegl
Von Rudolf Schmitz · 11.09.2015
Die Konzeptkunst der 2009 verstorbenen Hanne Darboven aus Fotos, Handgeschriebenem, Postkarten und Quersummenrechnungen ist überwältigend - und obsessiv. Eine Retrospektive in Bonn und München zeigt ihren wachen Blick auf Politik und Gesellschaft.
Die Bundeskunsthalle hat neun Meter hohe Wände. Und die sind jetzt bedeckt mit Hanne Darbovens Arbeiten: Mit ihrer speziellen Konzeptkunst aus handgeschriebenen Blättern, eingestreuten Fotografien, Postkarten, Quersummenrechnungen. Überwältigend, aber auch abschreckend: Wie soll man das alles lesen, begreifen, würdigen können? Irgendwie erinnert das an Art Brut, an die Kunst von Außenseitern, die Tag und Nacht an ihren Welterklärungen arbeiten.
"Natürlich hat ihre Kunst etwas sehr Obsessives, wie es das auch bei gewissen Außenseitern hat. Und dieses Repetitive und dieses immer wieder auf Ähnliches zurückkommen, aber mit vielen unterschiedlichen Variationen, das ist etwas, das außenseitermäßig funktioniert. Durchaus würde ich behaupten: Vielleicht ist Hanne Darboven die Jahrhundert-Außenseiter-Künstlerin geworden."
Ich gehe mit dem Niederländer Rein Wolfs, dem Leiter der Bundeskunsthalle, durch die Ausstellung. Zweifellos hat sie die Kuratoren zum Schwitzen gebracht, wegen der unermesslichen Fülle von gerahmten Blättern, Objekten und Utensilien aus dem Hamburger Atelier der Künstlerin.
"Also das Installieren einer Hanne Darboven Ausstellung ist nicht ganz so obsessiv und arbeitsam als das Herstellen der Arbeiten, aber etwas von diesem Gespür, das bei der Künstlerin drin ist, vollzieht man nach bei der Installation. Das kostet viel Zeit, das ist viel Aufwand, da braucht es unzählige viele Nägel und unendlich viele Rechnereien, um die Arbeit letztlich auch so auf die Wand zu kriegen, wie sie von der Künstlerin auch intendiert worden ist."
Von der Kunstwelt wird die 2009 verstorbene Konzeptkünstlerin hoch geschätzt. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit ihrem Werk. Weil mir ihre Quersummenrechnungen und inhaltsleeren Schreibschlaufen dann doch zu willkürlich und monoton erschienen. Aber ich kann das Gefühl nicht leugnen, dass hier die Geschichte eines Jahrhunderts Revue passiert. Wenn auch nur als Schattentheater, in Form eines weißen Rauschens.
"Sie nimmt das Rauschen als Grundlage und sie macht die Zeit zu einem existenziellen Phänomen ihrer Kunst. Und sie sagt irgendwo: Ich schreibe Zeit. Ich male nicht, ich mache keine Skulpturen, aber ich schreibe Räume voll mit Zeit."
Passionierte Sammlerin mit Disziplin
Und das tat Hanne Darboven mit durchaus mönchischer Disziplin. Täglich verbrachte sie Stunde um Stunde am Schreibtisch, um mit dem von ihr erfundenen Schreib- und Rechensystem die Geschichte von Bismarck, von Rainer Werner Fassbinder oder des Kalten Krieges neu zu verfassen. Und die Bonner Ausstellung zeigt sie gleichzeitig als passionierte Sammlerin. Für ihre Arbeit "Kinder dieser Welt", 1989 entstanden, suchte sie Puppen verschiedener Hautfarbe, Blechspielzeug, Kasperleköpfe und anderes Personal von Puppentheatern. Die sind jetzt auf jeweils eigenen Stühlen, Sockeln oder in speziellen Holzregalen aufgereiht. Das ähnelt einer Suche nach der verlorenen Zeit.
"Hanne Darboven hat durchaus auch das Kindsein in sich selbst auch weiterhin respektieren wollen. Kinder sind für sie immer auch das Prinzip Hoffnung geblieben. Und die Arbeit ´Kinder dieser Welt` hat sie bewusst auch als diese Art von Statement des Prinzips Hoffnung konzipiert, nachdem die politische Wende in Deutschland und zwischen Ost und West sich tatsächlich vollzogen hatte."
Hanne Darboven hat das politische Geschehen, aber auch die Entwicklungen von Kultur und Gesellschaft stets mit wachen Augen verfolgt. Und sie hat das alles aufgeschrieben, in ihrer eigenwilligen und kompromisslosen Notation. Und ihre eigene Zeitrechnung aufgestellt und darauf ihre Lebenszeit verwendet. Und jetzt steht man da, in dieser unheroischen Walhalla, die aber trotzdem dicht und wuchtig und beeindruckend ist, und fragt sich: Ist das nun ein ähnlich großes künstlerisches Erbe wie das von Joseph Beuys? Eins jedenfalls ist mir nach dieser Bonner Ausstellung ziemlich unverständlich: Wie man Hanne Darboven jemals als Minimalistin bezeichnen konnte. Das hier ist Maximalismus pur.

Weitere Infos zur Ausstellung "Hanne Darboven - Zeitgeschichten" in der Bundeskunsthalle in Bonn und dem Haus der Kunst in München.

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