Hannah-Arendt-Ausstellung im DHM

Bilder von einer anderen Arendt

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Die Philosophin Hannah Arendt sitzt an einem Tisch in einer Bibliothek, liest und raucht.
Von Hannah Arendt könne man urteilen lernen, sagt DHM-Chef Raphael Gross. © Middletown, Connecticut, Wesleyan University Library, Special Collections & Archives
Raphael Gross im Gespräch mit Johannes Nichelmann · 15.04.2020
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Die Großnichte von Hannah Arendt hat dem DHM private Gegenstände und Fotografien der Denkerin überlassen. Die Dinge böten unbekannte Einblicke in Leben und Werk der "vielleicht größten Philosophin des 20. Jahrhunderts", sagt Museumschef Raphael Gross.
Im Alter von 12 Jahren traf Edna Brocke zum ersten Mal ihre Großtante, die Philosophin Hannah Arendt. Sechs Jahre später verfolgten beide den Eichmann-Prozess in Jerusalem, der Arendt veranlasste, von der "Banalität des Bösen" zu sprechen.
Jetzt hat Brocke dem Deutschen Historischen Museum Dokumente, Fotos und persönliche Gegenstände von Arendt als Schenkung überlassen, die in der Ausstellung "Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" zu sehen sind. Da das DHM wegen der Coronakrise zur Zeit geschlossen ist, können Teile der Sammlung online betrachtet werden.

Inszenierte Objekte von Hannover bis New York

Die Objekte legten Zeugnis ab von dem unsteten Leben der politischen Theoretikerin zwischen Hannover, Königsberg und New York, sagt der Präsident des DHM, Raphael Gross: "Sie war Flüchtling, sie war Staatenlose, sie war nachher Amerikanerin."
Die Ausstellungsstücke - wie das Zigarettenetui, das auch in ihrem berühmten Interview mit Günter Gaus zu sehen ist - hätten unmittelbar mit Arendts Persönlichkeit als Denkerin zu tun, betont Gross: "Sie hat diese Objekte mit sich selber inszeniert."
Das silberne Zigarettenetui von Hannah Arendt
Das Zigarettenetui von Hannah Arendt, das sie beim Interview mit dem Journalisten Günter Gaus 1964 benutzte.© Deutsches Historisches Museum, Sammlung Edna Brocke. Foto: DHM/ D. Penschuck
Auch eine Minox-Kamera ist zu sehen und Fotos, die Arendt damit gemacht hat: "Sie geben uns die Möglichkeit, ihre Freunde aus der Perspektive von Hannah Arendt selber zu verfolgen." Die Bilder, ist Gross überzeugt, verweisen auf eine andere Arendt als die bisher bekannte: "Ihr war an ihrer öffentlichen Person sehr viel gelegen."

Keine biografische Nahaufnahme

Die Ausstellung sei keineswegs eine biografische Nahaufnahme, betont der Museumschef. "Uns geht es um die Themen, die für Arendt wichtig waren im zwanzigsten Jahrhundert": Kolonialismus, Antisemitismus, Totalitarismus und Nationalsozialismus.
Außerdem könne man von Arendt, der "vielleicht allergrößten Philosophin des zwanzigsten Jahrhunderts", lernen, wie wichtig es sei, über historische Situationen nachzudenken und zu urteilen: Selbst wenn man dabei falsch liege.
(beb)
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