Proteste gegen Russlandsanktionen

Existenzangst unter Dessauer Handwerkern

08:59 Minuten
Illustration einer Gaspipelin vor blauem Hintergrund.
Die steigenden Gaspreise sind eine echte Bedrohung für viele mittelständische Betriebe. © Getty Images / Boris Zhitkov
Von Niklas Ottersbach · 07.09.2022
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In Dessau protestieren Handwerker gegen die Russlandsanktionen. Durch gestiegene Gas- und Rohstoffpreise droht manchen Betrieben das Aus, nur die Öffnung von Nordstream 2 könne helfen, heißt es. Andere setzen dagegen auf alternative Energiequellen.
„Mein Name ist Karl Krökel. Ich bin seit 20 Jahren Obermeister der Metallinnung Dessau-Roßlau, seit 15 Jahren Kreishandwerksmeister und seit 33 Jahren selbstständig. Wir machen Garagentore, Vordächer, Markisen, Sonnenschutz und vieles mehr.“ Der 73-Jährige führt ein Familienunternehmen in Dessau, fünf Mitarbeiter. Karl Krökel macht inzwischen nur noch die Buchhaltung, sein Sohn die Geschäftsführung.
Es ist nicht der gestiegene Gaspreis, der Krökels Bauelemente-Betrieb vor Herausforderungen stellt, sondern die Einkaufspreise insgesamt. Speziell der um 30 Prozent gestiegene Aluminiumpreis. Karl Krökel macht sich allerdings weniger um seinen Betrieb als insgesamt um das Handwerk sorgen.
„Wir haben die Befürchtung, wenn das Geld immer knapper wird, dass dann die Kunden sich nur noch das Nötigste kaufen, Maler und Bäcker hinten runterfallen. Zum Beispiel macht jetzt die Bäckerei Schieke zum 30. September zu. Der Mann ist 45 Jahre alt, ein Betrieb in dritter Generation, den es seit 75 Jahren gibt – und das ist erst der Anfang.“

"Im Westen geht es besser"

Zumal viele Betriebe gerade ihre Corona-Hilfen zurückzahlen müssten. Die erhöhten Gaspreise seien da kaum zu verkraften. Es sei kein Zufall, dass es gerade die Handwerker in Ostdeutschland sind, die jetzt protestieren, sagt Karl Krökel in Dessau.
„Wenn Sie den gleichen Auftrag haben, einmal im Westen und einmal im Osten, dann erzielen sie drüben im Westen den doppelten Umsatz – das wissen wir, weil manche Betriebe Filialen im Osten und im Westen haben. Dann können Sie natürlich mehr Lohn zahlen und haben eine höhere Investitionsquote. Das ist hier nicht der Fall.“

Protest gegen die Sanktionspolitik

Kreishandwerksmeister Krökel organisiert deshalb Kundgebungen gegen die Sanktionspolitik der Bundesregierung. 2.000 Menschen sind zuletzt auf dem Dessauer Marktplatz zusammengekommen. Krökels Forderung: Nordstream 2 müsse sofort geöffnet werden, so werde Energie leicht wieder bezahlbar, eine Petition laufe bereits: „Um erstmal sofort ein Zeichen zu setzen."
Dass auch die AfD die Öffnung von Nordstream 2 fordere, damit habe man nichts zu tun, mit dieser Partei lasse man sich nicht vergleichen. "Wir sind als Kreishandwerkerschaft im Grunde genommen parteipolitisch neutral."
Dass die AfD ihn 2014 für den Stadtrat vorgeschlagen hat, sei eine Gefälligkeitskandidatur gewesen, sagt Krökel. Er wollte damals ein Zeichen setzen gegen die automatische Mitgliedschaft seiner Zunft in den Handwerkskammern. Das deckte sich mit den politischen Inhalten der AfD. So oder so habe er damals nicht vorgehabt, das Mandat zu übernehmen. Am Ende wurde er 2014 auch nicht gewählt.
Heute würde er die Nähe zur AfD nicht mehr suchen. „Das war ja auch eine ganz andere Partei im Jahr 2013 und 2014. Als wir dann 2015 die Entwicklung gesehen haben, haben wir uns ganz klar abgegrenzt.“

Die Linke unterstützt die Handwerker

Er sei kein Rechter, betont Krökel, der in den 90er-Jahren Mitglied der PDS war. Sogar beim Gründungsparteitag 1990 als Delegierter mitabgestimmt hat. Noch heute sind seine Drähte zur Linkspartei gut.
Ralf Schönemann, Fraktionsvorsitzender der Linken in Dessau, unterstützt die Handwerkerproteste. Dass die AfD ins selbe Horn bläst, teilweise auch bei den Kundgebungen mit dabei ist? Das sei nicht zu verhindern, sagt Schönemann.
Inhaltlich schließt sich Schönemann der Forderung an, russisches Gas über Nordstream 2 nach Deutschland zu leiten. Soweit geht die Führung der Linken auf Bundesebene nicht. Sie vereinbarte auf ihrem Parteitag in Erfurt: einen Preisdeckel für Gasimporte, gezielte Sanktionen gegen russische Oligarchen, die Nichtinbetriebnahme von Nordstream 2 und die Beschleunigung der Energiewende.
Lokalpolitiker Schönemann ist dagegen anderer Meinung: „Nordstream 2 wäre für mich eine Möglichkeit, mit Putin und mit Russland ins Gespräch zu kommen. Ich teile auch die Meinung nicht, das auf Putin zu fokussieren. Hinter solch einem Staatsmann steht auch immer eine Administration, und das sind nicht wenige. Und da steckt eine ganze Menge Geld dahinter. Das ist bei uns doch nicht anders."
Die Frage, ob man die Sanktionspolitik gegenüber Russland lockern sollte, ist innerhalb der Linken umstritten. Die Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt folgt der Bundesspitze und lehnt die Öffnung von Nordstream 2 ab. Schönemann, Linken-Chef in Dessau, sagt, dass das an der Linken-Basis nicht mehrheitsfähig sei.
„Es gab ja auch eine Klausur im Beisein des Bundesvorstandes, wo man sich verständigt hat. Und ein Stück weit aufeinander zubewegt hat. Und in diesem Kontext gab es auch ein Gespräch mit mir.“

Handwerker als Seismograf für Schieflagen

Er habe das Gefühl, dass er im Augenblick eine Mehrheitsmeinung vertrete. Mittlerweile fordert auch die Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau die Inbetriebnahme von Nordstream 2. Schönemann, seit 30 Jahren selbstständig in der Baubranche tätig, sagt, die Handwerker seien ein Seismograf für gesellschaftliche Schieflagen. Genau deshalb schließe er sich den Protesten an.
Eine Tischlerei am Stadtrand von Halle. Ein Lehrling poliert eine Schranktür. Chef des Familienbetriebs in zweiter Generation ist Veit Steckel. Der Tischlermeister verkauft zu 90 Prozent an Privatkunden. „Da stellen wir alles her: Wohnzimmermöbel, Badmöbel, Küchenmöbel. Das was der Kunde gerne gebaut haben möchte, setzen wir um.“

Ein Betrieb ohne Energieprobleme

Veit Steckel hat fünf Mitarbeiter. Eine ähnliche Betriebsgröße wie Handwerkskollege Karl Krökel in Dessau. Doch Steckel ist weniger betroffen von der aktuellen Energiekrise. Er hat eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. 50 Prozent seines Strombedarfs produziert er selbst. Und auch beim Thema Heizen ist er vom Erdgaspreis weniger abhängig als andere Handwerker.
„Das geht, weil wir praktisch unsere Abfälle verheizen. Wir sind ja eine Möbeltischlerei und verarbeiten Holz. Und diese Holzabfälle können wir dann wiederverwerten und verheizen, haben so Wärme im Winter – das funktioniert. Aber beim Strompreis müssen wir schauen, wo das hingeht.“
Dank Photovoltaik-Anlage auf dem Dach muss Steckel derzeit nur 200 Euro im Monat mehr zahlen. Ohne Solarstrom wären es 400 Euro.
Die Kreishandwerkerschaft im Halle-Saalekreis hat vor ein paar Wochen einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz geschrieben. Der Tenor: Die Bundesregierung soll die Sanktionen gegen Russland beenden. Tischler Veit Steckel sieht das anders und hat das auch öffentlich über die Mitteldeutsche Zeitung kommuniziert.
„Dass man momentan die Sanktionen fallen lassen sollte, sehe ich nicht so, das können wir nicht machen. Aber ich bin kein Politiker, ich vertrete den Brief nicht. Darum stand die Anzeige in der Mitteldeutsche Zeitung. Ich bin auch froh, dass ich das so geschrieben habe, das ist mein Standpunkt. Ich will da niemanden verurteilen, denn jeder soll sein Recht haben, seine Meinung zu äußern. Ich stehe zu meinem Standpunkt, dass die Politik nicht anders handeln kann.“

Zustimmung der Bevölkerung, skeptische Kollegen

Tischler Steckel in Halle kann momentan die gestiegenen Preise an seine Kunden weitergeben, sechs bis sieben Prozent legt er derzeit drauf. Man müsse es den Kunden nur erklären. Nach seinem Interview in der Lokalzeitung hat er rund 200 E-Mails bekommen. Aus der Bevölkerung bekommt er viel Zuspruch.
Innerhalb der Handwerkerschaft selbst sieht das etwas anders aus. Der Tischler aus Halle hat zwanzig Kollegen angerufen, wie sie zum offenen Brief stehen. Eine knappe Mehrheit unterstützt die Forderung nach einem Stopp der Sanktionen gegen Russland.
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