Handwerk in Bayern

Die syrischen Tuchmacher von Tirschenreuth

Adnan Khodja an den Webstühlen in der Tuchenfabrik in Tirschenreuth (Bayern).
Ausgebildet im syrischen Aleppo: Adnan Khodja an den Webstühlen in der Tuchfabrik in Tirschenreuth (Bayern). © Tobias Krone
Von Tobias Krone  · 06.09.2018
In einer Tuchfabrik im bayerischen Tirschenreuth stehen Arbeiter, die einst aus Syrien nach Deutschland geflüchtet sind, für die Gegenwart und vielleicht auch für die Zukunft. Der Chef hat einem von ihnen das Herzstück seiner Firma anvertraut.
Wer seine Ruhe haben will, zieht nach Tirschenreuth. Oder bleibt einfach da. Wie der pensionierte Bankangestellte Engelbert Richtmann.
"Ich war in Tirschenreuth und ich bleib in Tirschenreuth – auch nach meiner Rentenzeit."
Dass sich Tirschenreuth auf Rentenzeit reimt, ist womöglich kein Zufall: Die Jungen ziehen weg, die Alten bleiben. Über ein Zehntel wird der Landkreis zwischen Weiden und der tschechischen Grenze in den kommenden 20 Jahren an Bevölkerung verlieren. Auch für die Geschäftswelt ist diese Prognose ein Problem – beziehungsweise war sie ein Problem: denn vor drei Jahren gab es endlich mal ein paar Zuzüge – aus Syrien und aus dem Irak.
Paulus Mehler, Firmenchef der Tuchfabrik in Tirschenreuth (Bayern), vor dem päpstlichen Wappen: In den 20er Jahren erhielt das Unternehmen die Auszeichnung "Päpstlicher Hoflieferant" und fertigt bis heute die Stoffe der Schweizer Garde.
Paulus Mehler, Firmenchef der Tuchfabrik in Tirschenreuth (Bayern), vor dem päpstlichen Wappen: In den 20er Jahren erhielt das Unternehmen die Auszeichnung "Päpstlicher Hoflieferant" und fertigt bis heute die Stoffe der Schweizer Garde.© Tobias Krone

Jahrhundertealte Tradition

"Es ist für uns eine wertvolle Stütze, muss ich ganz ehrlich sagen. Also, wir sind froh und dankbar, dass wir die haben."
Im Industriegebiet von Tirschenreuth sitzt Paulus Mehler im holzvertäfelten Empfangsraum seiner Tuchfabrik. Deren enormer wirtschaftlicher Erfolg hat viel mit den Geflüchteten zu tun, die seit 2015 da sind. Sie stehen hier für die Gegenwart – und möglicherweise auch für die Zukunft. In einem bayerischen Unternehmen mit einer jahrhundertealten Tradition.
"Laut Manager-Magazin sind wir der 29.-älteste Industriebetrieb über alle Zweige. Also wir sind definitiv die ältesten Textiler. Meine Person ist die elfte Generation. Unser Unternehmen gibt es seit 1644."

Stoffe für den Film "Grand Budapest Hotel"

Paulus Mehler, kariertes Hemd, leitet die Firma. Einst gab es in Tirschenreuth 70 Tuchmacherbetriebe. Heute ist seine Tuchfabrik die einzige in Deutschland. Die 80 Mitarbeiter fertigen hochspezialisierte Stoffe, von der Landhaustracht bis zum Nackenschutz des französischen Feuerwehrhelms. Auch die Stoffe für die Oscar-prämierten Kostüme der Wes-Anderson-Komödie "Grand Budapest Hotel" kamen aus Tirschenreuth. Paulus Mehler bedient jede Nische, in der sich billige Massenproduktion nicht lohnt. Ein beachtlicher Markt.
"Wir sind seit der Euro-Umstellung um das Fünffache gewachsen. Wir haben schon einen großen Sprung gemacht."
An dem gegenwärtigen Sprung hat auch Adnan Khodja seinen Anteil, der 23-Jährige arbeitet in der Webstuhlhalle. Er hat seine Ausbildung im syrischen Aleppo gemacht ...
"... für Schererei, Weberei und Nopperei. Und ich war dafür auch zwei Jahre auf der Uni: Ingenieur für Webstühle. Textilbereich. Und jetzt bin ich hier."

"Das war Glück"

Adnan Khodja kam zusammen mit Hunderttausenden im Sommer 2015.
"Das war ganz schlecht – durch das Meer und so. Aber wir mussten halt durch, weil man besser leben möchte oder bessere Chancen haben möchte. Ich bin als Erstes nach Regensburg gekommen. Und dann war ein Transfer nach irgendwohin, weiß ich nicht mehr – und dann gleich nach Tirschenreuth."
"Das war ja eigentlich ein Glück für Sie."
"Ja klar. Das war Glück, dass die Tuchfabrik Mehler hier in der Nähe ist. Dass ich nicht weit fahren muss. Und dass das ganz nette Leute san."
Ein bisschen klingt schon das Bayerische bei ihm durch. Er lebt mit seiner deutschen Freundin zusammen, auch deren Großmutter hat bei Mehler gearbeitet. Dass in Tirschenreuth mit seinen knapp 9000 Einwohnern nicht viel los ist, stört ihn nicht:
"Nö, für mich gar nicht. Hauptsache mein Job ist da, ich arbeite mit netten Leuten, es gibt keinen Stress und so. Und meine Freundin ist auch hier – und ich würde auch gern hierbleiben."
Doch auch wenn Adnan Khodja das im Geist längst ist – seine Aufenthaltsverlängerung ist nach den ersten drei Jahren wieder nur befristet.
"Natürlich habe ich Angst. Ich habe jeden Tag Angst. Dass die irgendwann mal sagen: So, tschüss! Aber ich habe mein Leben jetzt hier. Ich kann einfach nicht abhauen. Das ist schwierig."

Jeder Zehnte im Werk mit Fluchthintergrund

Der Chef sitzt daneben – und schüttelt den Kopf. Paulus Mehler denkt nicht mehr, dass sein Mitarbeiter weg muss. Aber ein bisschen ist auch Hoffnung mit dabei. Hoffnung, dass die Regierung für seine Syrer und Iraker eine langfristige Lösung findet. Inzwischen hat jeder Zehnte seiner 80 Mitarbeiter im Werk Tirschenreuth einen Fluchthintergrund. Die Geflüchteten stehen für den lang ersehnten, frischen Wind auf dem Arbeitsmarkt. Früher war das anders. Früher haben sich die Leute hier in der Oberpfalz um Jobs gerissen – anders als heute.
"Wir haben ein paar ganz große Betriebe, die sehr viel absaugen. Dann ist es ja auch so, dass in Tschechien als direkter Nachbar die Wirtschaft auch brummt. Und dass diejenigen, die bereit sind zu pendeln, eigentlich alle vergeben sind. Also von der Seite ist da auch nicht groß was zu erwarten."
Aber es brummt eben auch bei den Mehlers. Gerade wird ein neues Hochlager für Stoffe eingerichtet. In der Umgebung herrscht Vollbeschäftigung. Was Paulus Mehler ohne die Geflüchteten machen würde?
"Naja, das kann ich jetzt auch nicht so klar sagen. Man müsste schauen von den jetzigen drei Prozent, was man irgendwo da noch für den Beruf fit machen kann. Bei unseren Arbeitslosen gibt es ja schon ein paar Prozent, die einfach nicht mehr arbeiten können, aus irgendwelchen Gründen. Und dann ist halt die Frage, ob man aus dem Bereich etwas herausgebracht hätte. Ja, wenn ich nichts hab, könnte ich nicht weiterwachsen. Da müsste man sagen, mit dem Potenzial, das wir dahaben: Können wir die Arbeit machen und wenn es zu viel ist, müssen wir's halt ablehnen."

Ausbildung für Asylbewerber nicht attraktiv

Wer bei der Tuchfabrik Mehler anfangen will, muss drei Tage Probe arbeiten – ob Geflüchteter oder nicht. Dann stelle sich heraus, ob jemand geeignet sei für den Job. Was Paulus Mehler auffällt: Auch wenn er es ihnen anbietet – für eine Ausbildung, wie es bei seinen deutschen Mitarbeitern üblich ist, interessiert sich keiner der Asylbewerber.
"Ich habe festgestellt, die meisten wollen ein Auto haben und eine vernünftige Wohnung. Und somit wollen sie auch ein ordentliches Geld verdienen und jetzt keinen Lehrlingslohn von knapp 900 Euro oder so."
Ahmad Sukar wacht über die Walkmaschine in der Tuchfabrik von Tirschenreuth (Bayern).
Ahmad Sukar wacht über die Walkmaschine in der Tuchfabrik von Tirschenreuth (Bayern).© Tobias Krone
In der Textilbranche ist ein Ausbildungszeugnis nicht unbedingt nötig, findet Paulus Mehler. Erfahrung ist viel wichtiger. Wie Ahmad Sukar sie hat, er stammt ebenfalls aus Aleppo:
"Wir hatten eine Gerberei – für Leder. Das war auch ein Familienbetrieb von meinem Vater. Früher. Aber jetzt, ja, der Krieg – macht alles kaputt."
Paulus Mehler: "Also, er hat es mir mal erzählt und dann hat er geweint. Weil halt nichts mehr da ist. Und dann hat er gesagt: Wo soll ich hingehen? Wo gehöre ich hin? – Weil ich immer gesagt habe: Willst du bleiben? Dann kriegst du auch einen verantwortungsbesseren Job, aber du musst bleiben. Er hat gesagt: Wo soll ich hingehen?"
Ahmad Sukar: "Es ist alles kaputt. Ich kann nicht mehr zurück."
Ahmad Sukar überwacht inzwischen den Walkprozess – das Verfilzen in riesigen Waschmaschinen. Für den Firmenchef liegt hier das Herzstück der Fertigung, denn daran, wie gleichmäßig ein Stoff verfilzt, zeigt sich die Tuchmacher-Qualität. Paulus Mehler hat Ahmad Sukar das Herzstück seiner Fabrik anvertraut – und hofft, dass sie für immer bleiben dürfen: die syrischen Tuchmacher von Tirschenreuth.
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