Handwerk beklagt massive Bildungsdefizite

Moderation: Marie Sagenschneider · 16.04.2007
Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hanns-Eberhard Schleyer, hat die schlechten Leistungen von Schulabgängern als "Katastrophe für den Standort Deutschland" bezeichnet. Man könne mit dem Bildungszustand nicht zufrieden sein, wenn ein Viertel der Schulabgänger keine ausreichenden Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen besäßen, sagte Schleyer vor Beginn der Handwerkskonferenz der EU-Kommission in Stuttgart.
Marie Sagenschneider: Avignon, Berlin, Mailand und nun Stuttgart. Dorthin lädt ab heute die EU-Kommission zu ihrer vierten europäischen Handwerkskonferenz. Natürlich geht es darum aus-zuloten, wie es um die Chancen steht für das Handwerk und die Kleinunternehmen, worin die Her-ausforderungen bestehen und welche Hürden abgebaut werden müssten für Unternehmen, die auch jenseits ihrer heimischen Grenzen aktiv werden wollen oder es schon sind. Von den über 900.000 deutschen Handwerksbetrieben, die es gibt, arbeiten 60.000 grenzüberschreitend. Darüber wollen wir nun in Deutschlandradio Kultur mit Hans-Eberhard Schleyer sprechen. Er ist Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Guten Morgen Herr Schleyer!

Hans-Eberhard Schleyer: Guten Morgen Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Ist das eigentlich eine hohe Quote, oder ist das eine geringe, wenn man 900.000 Betriebe insgesamt im Handwerk nimmt und davon arbeiten 60.000 grenzüberschreitend? Dann denkt man eher, das ist wenig.

Schleyer: Ich glaube das ist eine relativ hohe Quote. Sie hat sich vor allem – und das finde ich die erfreuliche Tendenz – im Laufe der letzten 15 Jahre verdoppelt. Und wenn Sie die Zahl von 900.000 Handwerksbetrieben nehmen, dann muss man einfach sehen: darunter sind etwa die Hälfte, die nicht mehr als zwei oder drei Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter beschäftigen, für die das nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt, sich sozusagen über die Grenzen hinweg zu entwickeln. Es ist also eine ganz respektable Zahl, aber sie ist aus unserer Sicht nicht gut genug, um die Chancen, die natürlich vor allem auch der Binnenmarkt bietet, auch auszunutzen.

Sagenschneider: Ist es eigentlich in anderen europäischen Ländern anders? Gehen da Unterneh-men bereitwilliger auch ins Ausland?

Schleyer: Das wird man so nicht sagen können. Was in manchen europäischen Ländern besser ist – ich denke etwa an Italien -, das sind Kooperationsmöglichkeiten, die dort geschaffen sind, wie eben auch kleine und kleinste Betriebe durch sinnvolle Formen der Zusammenarbeit die Vorausset-zung schaffen, ins Ausland zu gehen. Da haben wir in Deutschland sicherlich noch einen gewissen Nachholbedarf, was die Mentalität unserer Handwerksunternehmer angeht. Das ist so ein Punkt, wo sicherlich auch Handwerksorganisationen unterstützend tätig sein sollten, um gerade diese grenz-überschreitenden Kooperationen zu fördern.

Sagenschneider: Die Betriebe, die diesen Schritt wagen, welche Erfahrungen machen die? Eher positive und sie sagen, es relativ leicht, meinen Malerbetrieb etwa auch nach Belgien zu verlagern und dort aktiv zu werden, oder gibt es doch zahlreiche Hürden, die man vielleicht noch abbauen müsste?

Schleyer: Die Betriebe, die im Ausland tätig sind, haben das ja auf der Grundlage einer gewis-sen Vorbereitung getan, und sie sind in aller Regel auch zufrieden, gerade unter dem Gesichtspunkt, dass die Arbeit in Deutschland in aller Regel teuerer ist. Aber es zeigt sich aber doch, dass mit der guten Ausbildung, der Qualifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch viele deutsche Handwerksunternehmen vor allem in den besonders anspruchsvollen technischen Berufen durchaus erfolgreich sind. Deutsche Wertarbeit wird über die Grenzen hinweg geschätzt, und das spricht sich mehr und mehr durch.

Es gibt natürlich, oder leider muss man sagen, nach wie vor trotz des Binnenmarktes eine ganze Reihe von Hemmnissen: im steuerlichen Bereich, in den Informationspflichten, in den Vorausset-zungen etwa im Arbeitsschutz, die man erfüllen muss, um in anderen Ländern tätig zu sein. Wir hoffen, dass sich das doch Stück für Stück auch im Rahmen der Europäischen Dienstleistungsricht-linie abbauen wird.

Sagenschneider: Es gibt einen Trend, dass Arbeitnehmer in Europa insgesamt unglaublich mobil geworden sind. Man sagt, dass rund fünf Millionen EU-Bürger mittlerweile im Ausland arbeiten, und auch Deutsche wandern gerne in andere EU-Länder ab, sind auch begehrt, weil wie Sie ja ge-sagt haben die Qualifikationen relativ ordentlich sind. Macht Ihnen das eigentlich Sorgen, vielleicht auch gerade mit Blick auf den demographischen Wandel, der dazu führen wird, dass doch schon in absehbarer Zeit der Nachwuchs an Fachkräften sehr schmal werden wird?

Schleyer: Wir müssen uns darauf einstellen; das ist richtig. Das ist eine unserer herausragenden nationalen Aufgaben - nicht nur, aber auch wegen des demographischen Prozesses. Insgesamt kön-nen wir aber mit dem Zustand unserer Bildungspolitik nicht zufrieden sein. Wenn etwa ein Viertel aller jungen Leute, die die Schule verlassen, das ohne ausreichende Kenntnisse in Lesen, Rechnen und Schreiben tun, dann ist das eine ziemliche Katastrophe für den Standort Deutschland.

Wir werden das sicherlich auch nicht dadurch alleine ausgleichen können, dass wir im Zuge der europäischen Liberalisierung nun für mehr und mehr ausländische Fachkräfte attraktiv werden. Das ist zwar eine gewisse oder wird eine gewisse Entlastung darstellen, aber wir müssen unsere Hausaufgaben in einem sehr viel konsequenteren Umfang gerade im Bereich der Bildungs- und Familienpolitik machen, als das derzeit geschieht.

Sagenschneider: Vielleicht müssten darüber hinaus doch mehr Arbeitnehmer aus dem Ausland hier hergeholt werden, wenn das Hamburger Handwerk jetzt schon öffentlich klagt, dass ihm die Arbeitskräfte ausgehen, und dass viele Betriebe ihre Aufträge kaum abarbeiten können?

Schleyer: Das geschieht ja teilweise auch schon, und das wird sich aus meiner Sicht vor allem nach 2009 in einem größeren Umfang noch stellen. Dann wird die Europäische Kommission dar-über zu entscheiden haben, ob etwa die Übergangsfrist für die Arbeitnehmerfreizügigkeit erweitert wird, also die Frage ob dann ungehindert auch aus den vor allem mittel- und osteuropäischen Mit-gliedsstaaten kommende Arbeitnehmer in Deutschland eine Arbeit annehmen können.

Sie wird dann aus meiner Sicht so entscheiden, dass es keine Übergangsfristen mehr gibt. Dann wird dieser Zug sich verstärken. Man muss allerdings sehen: Dieser europäische Arbeitsmarkt hat heute schon sichtbar durchaus auch Probleme für Länder etwa wie Polen und die Tschechei, weil es eben auch die Qualifiziertesten sind, die dort dann in Richtung Westen ziehen. Das ist eine Art von Brain-Drain, die auch dort nicht unproblematisch ist.

Sagenschneider: Aber Sie würden aber nicht sagen, dass es aus deutscher Sicht ein Fehler war, eben nicht wie Großbritannien oder Irland den Arbeitnehmern aus den neuen EU-Staaten sofort die uneingeschränkte Arbeitserlaubnis zu erteilen, denn in Deutschland macht die Quote unter den Ar-beitnehmern ja noch nicht mal ein Prozent aus?

Schleyer: Nein. Man muss schlicht und einfach sehen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre und weil wir in Deutschland besonders betroffen ge-wesen sind im Bereich dieser Dienstleistung – wir erleben es ja heute mit einer Vielzahl schon von ich sage das einmal so hier illegal tätigen so genannten Scheinselbständigen -, dass es solche Über-gangsfristen gegeben hat, wo man sich dann auf die absolute Freizügigkeit einstellen konnte.

Das ist für viele unserer Betriebe auch eine Frage der Akzeptanz dieses europäischen Integrations-prozesses gewesen und es macht keinen Sinn, sozusagen gegen den Widerstand von wichtigen Wirtschaftsgruppen einfach etwas durchzuziehen. Ich glaube aber, dass im Jahre 2009 man eben auf eine Verlängerung nicht mehr drängen wird und dass wir dann die Freizügigkeit in Europa haben werden.

Sagenschneider: Hans-Eberhard Schleyer, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deut-schen Handwerks, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.