Handke unerwünscht

Von Siegfried Förster |
Peter Handkes Stück "Voyage au pays sonore ou l’art de la question" sollte im Januar und Februar 2007 erstmals in der Comédie Française inszeniert werden. Doch aus der Inszenierung im Theater "le Vieux Colombier" wird nichts werden. Nach Handkes Teilnahme an der Beerdigung von Jugoslawiens Ex-Präsident Milosevic und seinem pro-serbischen Engagement hat der Verantwortliche der Comédie Francaise nun beschlossen, Handkes Stück vom Spielplan zu streichen.
Nicht nur Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinik erklärte sich "entsetzt" über die "Zensur" und startete eine Petition: "Zensiert nicht das Werk von Handke". Die Comédie Française rechtfertigte heute in einer Pressekonferenz öffentlich ihre umstrittene Entscheidung.

Den neuen Spielplan für die kommende Theater-Saison vorzustellen, war diesmal hörbar keine leichte Aufgabe für den Generalverwalter der Comédie Française. Marcel Bozonnet musste begründen, weshalb er das Stück von Peter Handke auf einmal für "unspielbar" erklärt und vom Spielplan wieder absetzt, nachdem er es zwei Jahre zuvor mit offenen Armen empfangen hatte. Doch Handkes Rede bei Milosevics Beerdigung habe ihm einen Stich ins Herz versetzt. Verwandelt durch sein geschärftes Bewusstsein könne er es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, jemanden zu programmieren, der die Kriegsverbrechen Milosevics selbst heute noch leugnet. So mancher Versprecher bei Marcel Bozonnet lässt tief blicken:

"Peter Handke kann sich irren. Jeder kann sich irren. Der Mensch ist immer in Gefahr sich zu irren. Aber es ist etwas passiert. Man hat Peter Handke festgenommen – äh, ich meine natürlich, man hat Milosevic festgenommen und ihn vor das Internationale Strafgericht in Den Haag gestellt. Seine gesamten Verbrechen wurden inzwischen festgestellt. Es handelt sich nicht mehr um Vermutungen.
In einem Theater empfängt man nicht irgendjemanden. Sondern man empfängt Leute, die man schätzt, denen man die Hand schütteln kann. Jemanden in seinem Theater zu empfangen, sein Stück zu inszenieren, das ist ein Akt der Anerkennung, der Liebe. So funktioniert ein Theater."

Hinzu kommt, dass Marcel Bozonnet als allmächtiger Generalverwalter der Comédie Française diese Entscheidung vollkommen allein treffen konnte. Auch wenn offenbar innerhalb der Comédie Française keine größeren Unstimmigkeiten herrschen in Bezug auf diese öffentlich umstrittene Wahl. Catherine Samy war als bekannteste und dienstälteste Schauspielerin an der Comédie Française dafür, dass Handke gespielt wird, doch jetzt will sie Theater spielen und keine Kriege führen:

"Ich bin für Harmonie zwischen den Menschen. Wir müssen aufhören, sich gegenseitig den Prozess zu machen. Ich glaube, Handke hat niemanden umgebracht, er hat nichts Schlimmes gemacht. Seine Erklärungen, das sind politische Dinge. Ich bin für das Künstlerische, etwas das über diesen Dingen steht. Ich bin dafür, zu versuchen, sich zu verstehen, zu sehen und sich Guten Tag zu sagen."

"Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land" - so der Buchtitel aus dem Jahr 1989 handelt vom Frieden, erklärt Bruno Bayen. Er empfindet den Rausschmiss des Handke-Stücks als regelrechte Verbannung. Bayen hat das Werk 1993 ins Französische übersetzt und sollte es nun inszenieren. Heute versteht er die Welt nicht mehr: In über dreißig Jahren Theaterarbeit ist ihm so etwas noch nie passiert. Er hatte gedacht, dass die Programmierung von Handkes Stücks so etwas wie ein Friedenszeichen gewesen sei:

"Ein Frieden Handke gegenüber, Handke und uns gegenüber. Da müssten wir über Freundschaft reden, was etwas schwieriger ist, aber nun gut, reden wir darüber. Ich wollte mehrere Male Stücke von Handke inszenieren. Er hat einige meiner Bücher übersetzt, ich habe drei seiner Werke übersetzt. Ich fand, die Geschichte Jugoslawiens sollte ihm heute nicht mehr vorgeworfen werden. Ich dachte, dass man ihm endlich wieder das Recht zurückgibt, glücklich zu sein, wieder gespielt zu werden. Ich glaubte das."

Erschüttert haben Bruno Bayen bei dieser Affäre allerdings zwei Dinge, sagt er. Einmal, dass dieses schöne Stück einfach abgesetzt worden sei und zum anderen, dass kein anderes Theater in Frankreich aktiv protestiert und angeboten hat, das Stück zu inszenieren. Für Bruno Bayen untrügliche Zeichen für den fürchterlichen Zustand der französischen Theaterszene:

"Das ist ein absolutes Symptom dafür, dass es Leute gibt, die sagen, wer auf der Seite des Guten steht und wer auf der Seite der Bösen. Das kann ich nicht akzeptieren."

Ebenfalls als unannehmbar empfinden viele andere Künstler in Frankreich und weltweit die Entscheidung, Handke vom Spielplan zu verbannen. Persönlichkeiten wie Filmemacher Kustorica, Literatur-Nobelpreis-Trägerin Jelinek oder Regisseur Luc Bondy haben deshalb die Petition gestartet: "Ne censurez pas l’œuvre de Peter Handke! - Zensiert nicht das Werk von Peter Handke". Schriftsteller Pierre Assouline empfindet das Ereignis weniger als Handke-Skandal sondern vielmehr als Bozonnet-Affäre:

"Ich persönlich solidarisiere mich nicht nur mit Peter Handke, sondern ich finde, dass jeder Kunst- und Kulturschaffende in diesem Land sich mit ihm solidarisieren müsste. Vor allem, wenn man nicht mit seinen politischen Ideen übereinstimmt – was mein Fall ist.
Das ist nicht nur ein Problem der Meinungsfreiheit, sondern es geht um etwas tiefer Liegendes: Man muss eine Trennung machen zwischen Autor und Werk."

Einen Ersatz für "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land" hat Generalverwalter Marcel Bozonnet problemlos gefunden. An Stelle des nunmehr geächteten Autors Handke prangt Pasolinis "Orgie "Der Schweinestall" auf dem Spielplan, inszeniert von keinem anderen als Bozonnet selbst.