Handelspolitik

Privatisierung der Grundversorgung?

Demonstranten vor der australischen Botschaft in Genf protestieren gegen das geplante TiSA-Abkommen.
Demonstranten vor der australischen Botschaft in Genf protestieren gegen das geplante TiSA-Abkommen. © dpa/ picture alliance / Salvatore Di Nolfi
Moderation: Jörg Degenhardt |
Die EU verhandelt in Genf mit 23 weiteren Staaten über eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Doch da das geplante TiSA-Abkommen auch Bereiche wie Wasserversorgung dereguliert, seien Verhandlungen hinter verschlossenen Türen nicht akzeptabel, sagt Ska Keller von den Grünen.
Jörg Degenhardt: Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Ob das für uns, den Kunden oder Verbraucher von Vorteil ist, dahinter könnte man ein Fragezeichen setzen, zumindest wenn es um so sensible Bereiche wie Wasser oder Bildung oder die Energieversorgung geht. Jedenfalls verfolgen Kritiker mit großem Stirnrunzeln, was da derzeit in Genf im Rahmen von TiSA verhandelt wird: Es geht darum, den freien Markt für Dienstleistungen zu öffnen, das will die Europäische Union, das wollen 22 weitere Staaten.
Ska Keller ist am Telefon, die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl am 25. Mai, sie ist zudem die handelspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Europaparlament in Straßburg. Guten Morgen, Frau Keller!
Ska Keller: Guten Morgen!
"Dahinter verbergen sich so Sachen wie die Liberalisierung von Wasser"
Degenhardt: TiSA spielt in der öffentlichen Wahrnehmung bisher kaum eine Rolle. Das könnte bedeuten: So groß kann die Gefahr, die von diesem Abkommen ausgehen, doch in Wirklichkeit gar nicht sein! Oder aber: Hier wird quasi im Verborgenen ein richtig dickes Brett gebohrt. Warum gehen Sie von Letzterem aus?
Keller: Im Handelsbereich haben wir leider öfter das Problem, dass hinter verschlossenen Türen Abkommen verhandelt werden, die aber der Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Das ist jetzt gerade mal anders, wenn es um TTIP geht, also das Freihandelsabkommen mit den USA, wo es natürlich auch um Liberalisierung geht, und TiSA ist ein weiterer großer Brocken.
Das klingt sehr technisch, Handel mit Dienstleistungen, aber dahinter verbergen sich eben so Sachen wie die Liberalisierung von Wasser, wo ja gerade es eine Bürgerinitiative gab, die sich stark gewehrt hat dagegen in einem anderen Kontext und auch gewonnen hat. Das heißt, es geht da schon richtig um krass wichtige Themen.
Aber wer weiß denn schon, was TiSA ist, was sich dahinter verbirgt! Es ist halt wirklich schwierig immer, mit solchen Handelsthemen, die sehr technisch rüberkommen, groß Öffentlichkeit zu gewinnen.
Degenhardt: Aber gehört nicht zu solchen Verhandlungen auch eine gewisse Geheimhaltung, um sich nicht von den Verhandlungspartnern in die Karten schauen zu lassen?
Verhandlungen ohne Mandat
Keller: Ja, das wird uns immer wieder gesagt, auch bei dem Freihandelsabkommen mit den USA. Allerdings wissen andere sehr genau, was da verhandelt wird, denken wir nur daran, wie wir ausspioniert werden von den USA. Und darüber hinaus geht es eben um sehr sensible Bereiche für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher, wie eben Bildung, was Sie angesprochen haben, wie der Wassersektor, all solche Sachen.
Und ich denke schon, dass die Europäerinnen und Europäer wissen sollten, was die Europäische Kommission für sie verhandelt. Weil, die Kommission sagt ja, es ist für die Bürgerinnen und Bürger, also muss sie dann aber auch darstellen, was sie genau tut, sodass die Menschen in Europa auch eine Ahnung haben, was da verhandelt wird, was auf sie zukommt.
Nun muss man dazu sagen, dass die Verhandlungen begonnen haben zu TiSA, ohne dass es überhaupt ein sogenanntes Verhandlungsmandat erst mal gab, das wurde erst im Nachhinein beschlossen vom Europäischen Rat. Das Europäische Parlament hat da leider überhaupt nichts mitzureden. Und dieser ganze Vorgang ist auch überhaupt nicht transparent für die Bürgerinnen und Bürger in Europa.
Spitzenkandidatin: Franziska "Ska" Keller führt Europas Grüne in die Europawahl
Spitzenkandidatin: Franziska "Ska" Keller führt Europas Grüne in die Europawahl© picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
"Wir können ja nicht sagen, wir verzichten dann eben auf Wasser!"
Degenhardt: Es geht um weitere Privatisierungen im Dienstleistungsbereich. Was haben Sie, Frau Keller, dagegen, wenn durch eine Öffnung des Marktes für uns, für die Verbraucher die Angebote breiter, sprich: auch günstiger werden?
Keller: Es geht hier auch um Bereiche, die sehr sensibel sind, die im Bereich der öffentlichen Daseinsversorge angesiedelt sind wie eben zum Beispiel die Wasserversorgung. Und es gibt genug Beispiele in Europa auch, die zeigen, dass, wenn man eben kommunale Dienstleistung privatisiert wie bei Wasser, dann verschlechtert sich die Versorgung. Es verschlechtert sich die Wasserqualität, aber die Preise steigen eben auch, weil es Unternehmen eben darum geht, Profit zu machen - mit einem Gut, das wir brauchen! Wir können ja nicht sagen, wir verzichten dann eben auf Wasser! Das funktioniert nicht.
Und deswegen können Unternehmen damit einen guten Profit machen, sie müssen sich nicht um die Qualität der Ware kümmern und sie müssen auch den Preis nicht weiter unten halten.
Deswegen ist es ein Irrtum zu glauben, durch die Privatisierung verbilligen sich Sachen. Auch im Transportwesen haben wir sehr schlechte Beispiele, zum Beispiel in Großbritannien, wo die Privatisierung der Bahn dazu geführt hat, dass der Service immer schlechter wurde und die Ticketpreise immer teurer.
Degenhardt: Wenn das Ganze aus Ihrer Sicht, Frau Keller, so kritikwürdig ist, warum lässt sich dann die Europäische Kommission auf ein solches Verfahren überhaupt ein?
Globales Abkommen ohne Mitsprache der Schwellenländer
Keller: Die Europäische Kommission dringt leider immer auf Privatisierung, wenn sie die Gelegenheit dazu hat. Das sehen wir auch in anderen Freihandelsabkommen. Und sie lässt sich nur durch sehr, sehr starken öffentlichen Druck davon abhalten, weitere Dienstleistungen zu privatisieren. Wie gesagt, die europäische Bürgerinitiative gegen die Wasserprivatisierung war ein sehr, sehr großer Erfolg, aber auch sie mit über einer Million Unterschriften hat es eben geschafft, die Kommission zu einem Umdenken zu bewegen und auch eine Mehrheit des Parlaments zum Umdenken zu bewegen, weil, vorher war das eben nicht so, bevor es diese öffentliche Aufmerksamkeit gab.
Und die Kommission hofft eben darauf, internationale Regeln setzen zu können, und das ist auch ein weiteres Problem. Denn letztendlich setzen ein paar Staaten, eben diese 23, mit diesem TiSA-Abkommen globale Standards, ohne dass die anderen Länder, vor allem Entwicklungsländer, aber auch Schwellenländer mit am Tisch gesessen hätten, und sie können sich also nicht dagegen wehren, was ihnen da aufgesetzt wird.
Und das Ganze soll ja auch noch im Kontext von der Welthandelsorganisation, also prinzipiell außerhalb des Regelwerks, sozusagen im Dunstkreis der Welthandelsorganisation ausgetragen werden, wo es aber bereits ein Abkommen gibt. Und es ist nicht ganz klar, welchen Status dann TiSA hätte.
"Wir wollen nicht, dass Dienstleistungen global liberalisiert werden"
Degenhardt: Was fordern Sie jetzt zum Schluss? Soll abgebrochen werden, was beredet wurde bisher? Oder soll maximale Transparenz hergestellt werden, was ja wahrscheinlich im Endeffekt auf das Gleiche hinausläuft?
Keller: Transparenz ist immer wichtig, bei allen Handelsabkommen. Und auch bei TiSA wäre es sehr, sehr wichtig. Aber darüber hinaus haben wir grundsätzliche Probleme mit dem Inhalt. Wir wollen nicht, dass Dienstleistungen global liberalisiert werden, und deswegen können wir auch mit TiSA an sich nichts anfangen, selbst wenn es transparent wäre ...
Degenhardt: Also Schluss mit den Gesprächen?
Keller: Entschuldigung?
Degenhardt: Also Schluss mit den Gesprächen?
Keller: Ja, wir wollen dieses TiSA nicht!
Degenhardt: Sagt Ska Keller, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahlen am 25. Mai. Wir sprachen über TiSA, ein Programm, mit dessen Hilfe der Dienstleistungsmarkt in Europa weiter privatisiert und geöffnet werden soll.
Was ist das TiSa-Abkommen überhaupt? Anke Petermann erläutert es. 
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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