Handelsbeschränkungen

"Sanktionen setzen ein klares Zeichen"

Das Gebäude der Rossia Bank in St. Petersburg am 21.3.2014. Visa und Mastercard stoppten Transaktionen von Kunden dieser Bank als Teil der US-amerikanischen Sanktionen gegen Russland.
Das Gebäude der Rossia Bank in St. Petersburg. Vor allen Dingen die russischen Banken werden durch die Sanktionen Probleme bekommen. © picture alliance / dpa / Igor Russak
Sascha Werthes im Gespräch mit Korbinian Frenzel und Holger Hettinger · 30.07.2014
Sanktionen seien ein sehr starkes Mittel der Politik, um klare Signale gegen Grenzüberschreitungen zu setzen, sagt der Politologe Sascha Werthes. Bis sie wirken, dauert es allerdings und sie könnten bei Betroffenen "eine Wagenburgmentalität" befördern.
Korbinian Frenzel: Es ist schon manchmal interessant zu sehen, wie politisch Dinge innerhalb kurzer Zeit kippen können. Wer hätte im letzten Herbst für möglich gehalten, dass es Schlagzeilen geben könnte wie die heute: Europa und Amerika beschließen harte Sanktionen gegen Russland.
Holger Hettinger: Anlässe und Auslöser gab es ja mehr als genug – die Ukraine-Krise, die Annexion der Krim. Zuletzt der Abschuss des malaysischen Flugzeugs. All das hat die Weltpolitik wie in einem Zeitraffer verändert, und vor allem Letzteres, der Tod von fast 300 unschuldigen Menschen und der unwürdige Umgang der Separatisten mit den Toten, das hat wohl das Fass zum Überlaufen gebracht. Die EU-Sanktionen der sogenannten "Stufe drei" sind beschlossen im Schulterschluss mit Washington.
Frenzel: EU und USA strafen. Wie reagiert Moskau? Das ist natürlich eine zentrale Frage an diesem Tag.
Wie sehr die Sanktionen wirken können, wirken werden, das wird in Moskau offenbar von offizieller Stelle zumindest herunter geredet, so wie es im Westen wahrscheinlich überhöht wird. Wir versuchen jetzt den neutralen Blick im Gespräch mit Sascha Werthes. Er ist Politikwissenschaftler an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, jemand, der seit Jahren darüber forscht, wie Sanktionen wirken oder eben auch nicht. Einen schönen guten Tag!
Sascha Werthes: Guten Tag, Herr Frenzel!
Frenzel: Weitreichende Sanktionen haben die EU und ja nun heute Nacht auch die USA im Schulterschluss mit der EU beschlossen. Ist das ein großer Schritt?
Werthes: Im Prinzip kann man das sagen, das ist ein großer Schritt. Bisher hat die Europäische Union eher immer zurückhaltend und sehr moderat reagiert. Wenn man beispielsweise an die Krise in Georgien denkt, im Südkaukasus-Krieg 2008 – oder auch im Zusammenhang mit der Tschetschenien-Problematik in 2000, war die EU immer eher zurückhaltend, was Sanktionen gegenüber Russland angeht. Und jetzt die Sanktionen der Stufe drei sind natürlich eine sehr weitreichende Maßnahme, die ergriffen worden ist.
Hettinger: Was glauben Sie, was hat diese doch enorme Konsequenz, gerade auch im Schulterschluss mit den Amerikanern, ausgelöst?
"Klare Signale und klare Botschaften setzen"
Werthes: Meiner Einschätzung nach ist es nicht nur die konkrete Krise, die Anlass zur Besorgnis gibt und da auch sozusagen die Politik herausfordert, sondern es geht ja auch um globale Ordnungsvorstellungen, was legitim ist, welches Handeln außenpolitisch in legitimer Weise von den Staaten verübt werden darf, und insofern hat Russland hier ganz klar Grenzen überschritten, die man so nicht hinnehmen möchte. Und da gilt es auch, dann klare Signale und klare Botschaften zu setzen und gegebenenfalls auch Protagonisten zu stigmatisieren, deren expansive Machtentfaltung, Machtpolitik dann auch einzuhegen, einzudämmen.
Eine Frau verpackt Weinflaschen in einem Betrieb auf der Krim.
Zum Beispiel beim Verkauf des Weines von der Halbinsel Krim sind die Sanktionen spürbar.© picture alliance / dpa
Frenzel: Sie sagen "klare Signale" – nun haben ja gerade Sanktionen nicht unbedingt den besten Ruf, also gerade in diesem Sinne, dass sie wirklich klare, deutliche Signale sind. Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, hat sich gegen den Vorwurf gewehrt, und zwar mit diesen Worten bei uns im Schwesterprogramm Deutschlandfunk:
"Wenn wir also nicht die Mittel der militärischen Gegenwehr haben, dann sind es eben politische und diplomatische Mittel. Das ist ein wertvolles Gut, mit dem wir auch operieren können. Und ich sehe es überhaupt nicht so, und im Übrigen Russland auch nicht, als ob diese Instrumente völlig wirkungslos wären."
Frenzel: Frank-Walter Steinmeier also. Herr Werthes, hat er Recht damit, also vor allem mit dieser Aussage, dass Sanktionen nicht wirkungslos sind.
Werthes: Ich glaube, dem ist vollkommen zuzustimmen. Sowohl, wenn die UN Sanktionen verhängt, als auch, wenn die Europäische Union im Zusammenspiel mit weiteren Partnern und der internationalen Staatengemeinschaft Sanktionen verhängt, wird eigentlich ein klares Zeichen gesetzt, was außenpolitisch erlaubt ist, legitimes Handeln ist, wo Grenzen überschritten werden, wo völkerrechtliche Normen gegebenenfalls auch verletzt werden, die man nicht hinnehmen will, den Verstoß der völkerrechtlichen Normen.
Hettinger: Auseinandersetzungen im 21. Jahrhundert werden als wirtschaftliche Auseinandersetzungen geführt, das ist so ein Leitsatz aus der Harvard-Schule, also hat diese wirtschaftliche Einflussnahme, hat dieses Sanktionsgeschäft, das einstige militärische Säbelrasseln komplett ersetzt?
Sanktionen sind "starkes Mittel der Politik"
Werthes: Komplett wahrscheinlich nicht, aber es ist natürlich zu einem weiteren Mittel der Politik geworden und auch zu einem sehr starken Mittel der Politik geworden, im Zusammenhang mit der Globalisierung und der wechselseitigen Verschränkung des Handels nimmt das natürlich zu.
Frenzel: Sie sagen, Herr Werthes, ein starkes Mittel, aber ich habe da gerade mit Blick auf die letzten, sagen wir mal, 20 Jahre das Gefühl, dass es vielleicht in der Ankündigung ein starkes Mittel ist, aber in den Folgen dann, in den wirklichen Folgen, ein schwaches Mittel. Können sie mich überzeugen, gibt es da gute Beispiele, dass es doch nicht so ist?
Werthes: Wenn wir an den Iran denken, der ja mittlerweile auch zu Gesprächen bereit ist über seine Nonproliferationsbeteiligung, also im Hinblick auf das atomare Waffenrüstungsprogramm – solche Sanktionen und gerade solche ökonomischen Sanktionen brauchen natürlich ihre Zeit, sie sind nicht von jetzt auf gleich effektiv, und innerhalb von zwei, drei Wochen hat man dann die Reaktion da.
Aber sie zeitigen natürlich Effekte, die letztendlich auch die politischen Entscheidungseliten beeinflussen langfristig, in ihren Kalkülen, in ihrer Kosten-Nutzen-Abwägung, wie sinnvoll die problematisierte Politik für sie letztendlich wirklich ist.
Ein Mann mit einer Russlandfahne.
Ein Mann trägt die russische Fahne in der Stadt Sewastopol (Bild: Hannibal - dpa).© Hannibal dpa
Hettinger: Das klingt nach einem sehr handfesten Interessenausgleich und einer handfesten Folgeabschätzung. Nun gibt es ja Bestrebungen, diese Sanktionen, diese Maßnahmen nicht nur im wirtschaftlichen Bereich zu führen, sondern sie auszudehnen, beispielsweise auf den Bereich des Kulturaustauschs, wo man irgendwelche Boykottmaßnahmen oder das Zurückziehen von kulturellen Beteiligungen, kulturellen Engagements im anderen Land ankündigt. Wie bewerten Sie solche Maßnahmen?
Mögliche Folge: Wagenburgeffekt
Werthes: Gerade im Bereich des kulturellen Austauschs oder des sportlichen Austauschs könnten die nicht intendierten Nebenfolgen solcher Maßnahmen eventuell kontraproduktiv sein für das, was man eigentlich erreichen will. Das könnte also sozusagen in Russland dazu kommen, dass die Stimmung, die ja jetzt sowieso nicht sehr pro-europäisch ist in der Hinsicht, weiter unterfüttert wird, ungerechtfertigt sanktioniert fühlt. Insofern halte ich das vielleicht nicht unbedingt für die geeignetsten Mittel in der weiteren Eskalationsdynamik einer möglichen Sanktionspolitik.
Da sollte man eher vorsichtig sein, sonst kommt es zu so einer Art Wagenburgeffekt, wo sich im Rahmen nationalistischer Tendenzen oder patriotischer Gefühle die Leute eher hinter die politische Elite stellen und nicht gegen die politische Elite opponieren und für eine andere Politik eintreten.
Frenzel: Aber ist nicht genau das das Problem, diese Wagenburgmentalität, dass wir sie jetzt gerade mit diesen beschlossenen Sanktionen stärken in Russland?
Werthes: Zunächst hat man ja 87 Personen und verschiedene Organisationen und Einrichtungen sanktioniert. Und nun geht man einen Schritt weiter und sanktioniert sozusagen gewisse Wirtschaftsbereiche, gewisse Sektoren wie den Export von Rüstungsgütern und Ähnliches. Da sind dann natürlich die Folgen für die Zivilbevölkerung oder für den allgemeinen russischen Bürger zunächst begrenzt. Das wäre was anderes, wenn man jetzt ein komplettes Wirtschaftsembargo gegenüber Russland verhängen würde, wo natürlich die Folgen dann massiv sein könnten.
Das ist eigentlich eine Erfahrung, die man nicht wiederholen wollte. Man hatte derartige Maßnahmen 1990, 1991 gegen den Irak verhängt, und die Folgen waren katastrophal. Auch humanitäre Folgen, die im Anschluss zu sehen waren, waren katastrophal für die Bevölkerung. Und genau das will man eigentlich vermeiden, indem man eher sektoral gezielte Sanktionen verhängt und da die Zivilbevölkerung nicht unverhältnismäßig in Mitleidenschaft ziehen will.
Hettinger: Aber kann das denn funktionieren? Das hört sich so ein bisschen an nach dem Motto "Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass". Kann das funktionieren, dass man Sanktionen so gezielt macht und dass sie dennoch weh tun?
Werthes: Wenn natürlich Rüstungsgüter nicht mehr reinkommen, Hochtechnologie für gewisse Sektoren sanktioniert ist, dann hemmt das das Wirtschaftswachstum und macht sich dann sozusagen auch für breitere Schichten, die politisch Einfluss gewinnen können, auch bemerkbar, und vor allen Dingen auch für die politische Elite bemerkbar. Aber wie gesagt: Das ist ein Instrument, was langsam arbeitet, was viel Signalwirkung aufbaut und natürlich sozusagen seinen gewissen Zeitpunkt braucht und seine Zeit auch braucht, um zu wirken.
Sanktionen nur effektiv bei entsprechender Überwachung
Frenzel: Die Frage bei Sanktionen auch immer, sie zum einen zu verhängen, sie aber auch dann zu kontrollieren. Wie wichtig ist das?
Werthes: Das ist natürlich besonders wichtig, weil natürlich die Durchsetzung von Sanktionen und die Wirkungsmacht von Sanktionen davon abhängt, wie effektiv sie am Ende auch implementiert werden und auch überwacht werden. Da ist natürlich die Politik und die entsprechenden Institutionen besonders gefordert, die Implementierung und auch die Überwachung der Sanktionsmaßnahmen zu gewährleisten.
Hettinger: Sagt Sascha Werthes, er ist Politikwissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, über Wirkweisen, Folgen und auch über die Gefahren von Sanktionen. Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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