Hamburger Uni-Krach: "Relativ diffamierend" und "sehr einseitig"
Die soeben an die Universität Hamburg berufene Germanistin Dörte Bischoff weist den Vorwurf zurück, sie sei nicht geeignet, den Forschungsschwerpunkt Exilliteratur zu vertreten. Sie sei angegriffen worden, noch bevor sie ihre Ideen vorgestellt habe.
Joachim Scholl: Im Studio ist jetzt Dörte Bischoff, sie soll die vakante Professur an der Berendsohn-Forschungsstelle übernehmen. Guten Tag, Frau Bischoff!
Dörte Bischoff: Guten Tag!
Scholl: Wir haben die Skepsis und die deutliche Kritik Ihres Vorgängers gerade [im Beitrag von Verena Herb über den Streit an der Universität Hamburg über die Zukunft der Erforschung der Exilliteratur ] gehört, auch in verschiedenen Blättern, in der "Süddeutschen Zeitung" und im "Hamburger Abendblatt" wird die Befürchtung geteilt, dass die Erforschung der Exilliteratur in Hamburg vor dem Aus steht. Ist sie das?
Bischoff: Also zunächst mal, um allen Befürchtungen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die Exilforschungsstelle wird es weiterhin geben, und ich hoffe sehr, dass ich meinen Beitrag dazu leisten kann, dass diese Exilforschung in eine ganz neue Phase tritt, dass sie belebt wird im Anschluss an aktuelle Forschungsdiskussionen in der Germanistik, aber auch über den engeren Bereich der deutschen Literaturwissenschaft hinausgehend. Das vielleicht zu Beginn, und weiter möchte ich Ihnen zunächst mal danken, dass Sie mir die Gelegenheit hier geben, selbst Stellung zu beziehen. Das war mir bis zur letzten Woche, wo mein Verfahren der Berufung noch nicht abgeschlossen war, nicht möglich.
Deshalb konnte ich auch im Vorfeld dieses für mich relativ diffamierenden Artikels in der "Süddeutschen Zeitung" noch nicht rechtzeitig reagieren, und das hat dazu geführt, dass die ganze Debatte jetzt doch sehr einseitig nur dargestellt worden ist in der Öffentlichkeit. Ich nutze also sehr gern die Gelegenheit hier, darzustellen, was meine Ideen und Projekte im Hinblick auf Exilforschung in Hamburg sein werden in Zukunft.
Scholl: Wir haben hier im "Radiofeuilleton", Frau Bischoff, die Meinung, die Position eines Ihrer Kritiker gehört, Jürgen Serke, der Autor des sehr verdienstvollen Buches "Die verbrannten Dichter". Er befürchtet nach der ersten Vertreibung der Autoren durch die Nazis und nach der zweiten durch das Vergessen in der Nachkriegsgesellschaft nunmehr eine dritte Vertreibung, und Jürgen Serke bezweifelt auch Ihre persönliche Qualifikation:
Jürgen Serke: "Man muss erst einmal Experte sein in diesem Bereich, und wenn ich jetzt etwas zu Frau Dörte Bischoff sage, dann sehe ich, dass sie zwei Dutzend Forschungsgebiete aufführt. Und unter diesen Forschungsgebieten stehen dann die Gebiete deutsch-jüdische Erinnerung und Holocaust-Erinnerungen. Die Exilforschung hat sehr viel damit zu tun, aber es ist nicht alles konzentriert auf diesen Punkt. Es ist nicht immer nur das Jüdische. Es haben unglaublich viele deutsche Schriftsteller und Künstler gegen die Nazis gekämpft und waren keine Juden. Also man kann es so nicht eingrenzen."
Scholl: Jürgen Serke hier im "Radiofeuilleton", und Dörte Bischoff ist hier im Studio. Sie wird die Forschungsstelle zur Exilliteratur demnächst leiten. Was, Frau Bischoff, antworten Sie Herrn Serke?
Bischoff: Zunächst vorweg: Ich muss sagen, dass es Publizisten und Wissenschaftlern, die ihr ganzes Leben lang mit verschiedenen Formeln politischer und sprachlicher Ausgrenzung beschäftigt gewesen sind, nicht besonders gut ansteht, dass sie nun mich, die sie kaum kennen oder überhaupt nicht kennen, öffentlich in so einer Weise diffamieren, bevor ich überhaupt gezeigt habe oder artikuliert habe, was ich zu tun gedenke.
Nun zu dem Vorwurf meiner Forschungsgebiete: Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass die Ausschreibung der Professur relativ breit war, nicht nur beschränkt auf die Exilforschung. Das hat ganz einfache institutionelle Gründe: Zu den Zeiten, als mein Vorgänger in sein Amt kam, gab es an der Universität Hamburg in der Neueren Germanistik noch 16 Professuren, heute sind es acht, von denen zwei Juniorprofessuren sind mit einem begrenzten Deputat. Das heißt, die einzelne Professur muss, wie das in jeder Ausschreibung heutzutage drinsteht, das ganze Fach in seiner Breite abdecken können.
Gleichzeitig denke ich, dass es aber für die Exilforschung von besonderer Wichtigkeit ist, dass sie nicht isoliert, reduziert auf ganz bestimmte Forschungstraditionen, Fragestellungen, auch Quellenmaterialien, Archivmaterialien nur betrieben wird, sondern kontextualisiert wird, angebunden wird an aktuelle Diskussionen. Und das kann jemand leisten, das würde ich für mich in Anspruch nehmen, der oder die sich eben auch mit anderen Bereichen – zum Beispiel mit kulturwissenschaftlichen Forschungen, mit Traumatheorie, mit Holocaust-Erinnerung, mit der Frage deutsch-jüdischer Gegenwartsliteratur beispielsweise – beschäftigt hat. All dies sind nicht einfach vollkommen abgetrennte Bereiche, sondern sie lassen sich sinnvoll mit dem Bereich der Exilliteratur, den es neu zu bestimmen gilt im Augenblick, in eine fruchtbare Beziehung setzen.
Scholl: Aber besteht da nicht auch die Gefahr, was Ihre Kritiker ja auch monieren, dass die Zeit zwischen 1933 und 1945 in ihrer exemplarischen Bedeutung, die sie gerade für Deutschland hat, heruntergestuft wird, wenn jetzt also Exil ja im großen interdisziplinären Maßstab betrachtet wird?
Bischoff: Ganz im Gegenteil. Ich denke, die Forderung der Stunde im Augenblick ist, zu erkennen: Wie können wir die Erinnerung an das Exil weiterhin aufrecht erhalten, lebendig erhalten? Nicht, indem wir Archive weiter pflegen, weiter biografische Darstellungen publizieren, Handbücher, Lexika – all das ist das große Verdienst der vergangenen Exilforschung gewesen. Aber jetzt kommt es eben auch darauf an, wir sind in einer Zeit, wo die Zeitzeugen auch allmählich aussterben, es kommt darauf an, einer jüngeren Generation auch zu vermitteln, dass und warum wir an diese Phase des Exils anknüpfen müssen.
Und dazu gibt die Gegenwartsliteratur sehr viele Anlässe. Es gibt zahlreiche Bezugnahmen in aktuellen Texten, in denen es zum Beispiel um Entortungserfahrungen geht, um die Erfahrung, zwischen den Kulturen zu leben, um Identitäten, die sich nicht auf ein ganz bestimmtes Herkunftsheimatland mehr beziehen lassen – all diese Themen sind überall präsent in der gegenwärtigen Debatte, auch in der Gegenwartsliteratur, und es ist dringend geboten, diese Texte, diese Diskussionen anzubinden an die Exilforschung, sie einzubeziehen, die Exilforschung auf neue Weise zu beleben, indem diese Kontexte eröffnet werden.
Scholl: Angesichts der Querelen, Frau Bischoff: Freuen Sie sich eigentlich noch auf die Aufgabe?
Bischoff: Ich muss sagen, ich freue mich sehr. Ich habe sehr viele Ideen, ich habe Projekte jetzt auch schon angestoßen, beispielsweise mit einer Kollegin aus Frankfurt am Main, Frankfurt ist ja auch ein wichtiger Exilstandort, auch ein wichtiger Standort für eine politische Literaturwissenschaft. Wir werden im Oktober eine interdisziplinäre Tagung zu "Literatur und Exil – neue Perspektiven" veranstalten, zu der sich namhafte Wissenschaftler aus acht Ländern bereit erklärt haben, teilzunehmen. Und wir versuchen da, die Brücke zu schlagen von der klassischen Exilforschung hin zu neueren Texten, zum Beispiel von Herta Müller, Doron Rabinovich. Viele Autoren, Autorinnen mit transkulturellen Hintergründen sollen berücksichtigt werden. Und ich denke, dass es ein guter Impuls sein wird, auch für das folgende Forschungsprojekt, was ich mit Frau Komfort-Hein vorhabe, dass wir die Hamburger Exilforschung einbinden in diese Diskurse.
Scholl: Wenn Sie Friethjof Trapp einmal persönlich begegnen – Sie haben ihn bislang noch nicht getroffen –, was würden Sie ihm sagen?
Bischoff: Also zunächst mal würde ich sagen, dass ich es bedauere, dass es bislang zu keiner Kommunikation gekommen ist, aber ich würde ihm sagen, dass ich mich freuen würde, wenn man beispielsweise auch die Exilliteratur mit wachen Augen lesen würde, die es gibt. Ich denke beispielsweise an einen Text von Hilde Spiel, der heißt "Lisas Zimmer", und in diesem Text – auf Englisch zuerst 1961, auf Deutsch 1965 erschienen, also ein bisschen eine Brückenfunktion hat dieser Text zwischen der alten Exilliteratur und neueren Texten zu Migration und Exil –, in diesem Text geht es darum, dass eine Frau in New York, eine Exilantin, sich vollkommen abschließt von ihrer Umgebung und überhaupt nicht mehr teilhat an dem Leben, wie es in der Gegenwart um sie herum stattfindet, und sie allein reduziert bleibt, fixiert bleibt auf das Vergangene, auf ihr Exil, auf die Dinge, die sie mitgenommen hat aus Europa, während eine jüngere Frau, die bei ihr als Hausmädchen arbeitet, sich öffnet, teilhat am amerikanischen Leben und einen Weg findet, die Exilerfahrung, die sie selbst auch hat, zu integrieren in neue Formen des Arbeitens, des Lebens. Das ist für mich eine Art Parabel dafür, was die Exilforschung, die wirklich ihre Texte auch liest und ernst nimmt, was diese Exilforschung leisten kann, sich nämlich zu öffnen, ohne das Alte aufzugeben. Natürlich muss man anknüpfen, aber Wissenschaft bleibt nicht stehen, sondern geht weiter.
Scholl: Die Erforschung der Exilliteratur in Deutschland, dabei will Dörte Bischoff neue Wege gehen. Danke für Ihren Besuch, Frau Bischoff, und für das Gespräch
Informationen zu Dörte Bischoff auf der Homepage der Universität Münster
Dörte Bischoff: Guten Tag!
Scholl: Wir haben die Skepsis und die deutliche Kritik Ihres Vorgängers gerade [im Beitrag von Verena Herb über den Streit an der Universität Hamburg über die Zukunft der Erforschung der Exilliteratur ] gehört, auch in verschiedenen Blättern, in der "Süddeutschen Zeitung" und im "Hamburger Abendblatt" wird die Befürchtung geteilt, dass die Erforschung der Exilliteratur in Hamburg vor dem Aus steht. Ist sie das?
Bischoff: Also zunächst mal, um allen Befürchtungen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die Exilforschungsstelle wird es weiterhin geben, und ich hoffe sehr, dass ich meinen Beitrag dazu leisten kann, dass diese Exilforschung in eine ganz neue Phase tritt, dass sie belebt wird im Anschluss an aktuelle Forschungsdiskussionen in der Germanistik, aber auch über den engeren Bereich der deutschen Literaturwissenschaft hinausgehend. Das vielleicht zu Beginn, und weiter möchte ich Ihnen zunächst mal danken, dass Sie mir die Gelegenheit hier geben, selbst Stellung zu beziehen. Das war mir bis zur letzten Woche, wo mein Verfahren der Berufung noch nicht abgeschlossen war, nicht möglich.
Deshalb konnte ich auch im Vorfeld dieses für mich relativ diffamierenden Artikels in der "Süddeutschen Zeitung" noch nicht rechtzeitig reagieren, und das hat dazu geführt, dass die ganze Debatte jetzt doch sehr einseitig nur dargestellt worden ist in der Öffentlichkeit. Ich nutze also sehr gern die Gelegenheit hier, darzustellen, was meine Ideen und Projekte im Hinblick auf Exilforschung in Hamburg sein werden in Zukunft.
Scholl: Wir haben hier im "Radiofeuilleton", Frau Bischoff, die Meinung, die Position eines Ihrer Kritiker gehört, Jürgen Serke, der Autor des sehr verdienstvollen Buches "Die verbrannten Dichter". Er befürchtet nach der ersten Vertreibung der Autoren durch die Nazis und nach der zweiten durch das Vergessen in der Nachkriegsgesellschaft nunmehr eine dritte Vertreibung, und Jürgen Serke bezweifelt auch Ihre persönliche Qualifikation:
Jürgen Serke: "Man muss erst einmal Experte sein in diesem Bereich, und wenn ich jetzt etwas zu Frau Dörte Bischoff sage, dann sehe ich, dass sie zwei Dutzend Forschungsgebiete aufführt. Und unter diesen Forschungsgebieten stehen dann die Gebiete deutsch-jüdische Erinnerung und Holocaust-Erinnerungen. Die Exilforschung hat sehr viel damit zu tun, aber es ist nicht alles konzentriert auf diesen Punkt. Es ist nicht immer nur das Jüdische. Es haben unglaublich viele deutsche Schriftsteller und Künstler gegen die Nazis gekämpft und waren keine Juden. Also man kann es so nicht eingrenzen."
Scholl: Jürgen Serke hier im "Radiofeuilleton", und Dörte Bischoff ist hier im Studio. Sie wird die Forschungsstelle zur Exilliteratur demnächst leiten. Was, Frau Bischoff, antworten Sie Herrn Serke?
Bischoff: Zunächst vorweg: Ich muss sagen, dass es Publizisten und Wissenschaftlern, die ihr ganzes Leben lang mit verschiedenen Formeln politischer und sprachlicher Ausgrenzung beschäftigt gewesen sind, nicht besonders gut ansteht, dass sie nun mich, die sie kaum kennen oder überhaupt nicht kennen, öffentlich in so einer Weise diffamieren, bevor ich überhaupt gezeigt habe oder artikuliert habe, was ich zu tun gedenke.
Nun zu dem Vorwurf meiner Forschungsgebiete: Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass die Ausschreibung der Professur relativ breit war, nicht nur beschränkt auf die Exilforschung. Das hat ganz einfache institutionelle Gründe: Zu den Zeiten, als mein Vorgänger in sein Amt kam, gab es an der Universität Hamburg in der Neueren Germanistik noch 16 Professuren, heute sind es acht, von denen zwei Juniorprofessuren sind mit einem begrenzten Deputat. Das heißt, die einzelne Professur muss, wie das in jeder Ausschreibung heutzutage drinsteht, das ganze Fach in seiner Breite abdecken können.
Gleichzeitig denke ich, dass es aber für die Exilforschung von besonderer Wichtigkeit ist, dass sie nicht isoliert, reduziert auf ganz bestimmte Forschungstraditionen, Fragestellungen, auch Quellenmaterialien, Archivmaterialien nur betrieben wird, sondern kontextualisiert wird, angebunden wird an aktuelle Diskussionen. Und das kann jemand leisten, das würde ich für mich in Anspruch nehmen, der oder die sich eben auch mit anderen Bereichen – zum Beispiel mit kulturwissenschaftlichen Forschungen, mit Traumatheorie, mit Holocaust-Erinnerung, mit der Frage deutsch-jüdischer Gegenwartsliteratur beispielsweise – beschäftigt hat. All dies sind nicht einfach vollkommen abgetrennte Bereiche, sondern sie lassen sich sinnvoll mit dem Bereich der Exilliteratur, den es neu zu bestimmen gilt im Augenblick, in eine fruchtbare Beziehung setzen.
Scholl: Aber besteht da nicht auch die Gefahr, was Ihre Kritiker ja auch monieren, dass die Zeit zwischen 1933 und 1945 in ihrer exemplarischen Bedeutung, die sie gerade für Deutschland hat, heruntergestuft wird, wenn jetzt also Exil ja im großen interdisziplinären Maßstab betrachtet wird?
Bischoff: Ganz im Gegenteil. Ich denke, die Forderung der Stunde im Augenblick ist, zu erkennen: Wie können wir die Erinnerung an das Exil weiterhin aufrecht erhalten, lebendig erhalten? Nicht, indem wir Archive weiter pflegen, weiter biografische Darstellungen publizieren, Handbücher, Lexika – all das ist das große Verdienst der vergangenen Exilforschung gewesen. Aber jetzt kommt es eben auch darauf an, wir sind in einer Zeit, wo die Zeitzeugen auch allmählich aussterben, es kommt darauf an, einer jüngeren Generation auch zu vermitteln, dass und warum wir an diese Phase des Exils anknüpfen müssen.
Und dazu gibt die Gegenwartsliteratur sehr viele Anlässe. Es gibt zahlreiche Bezugnahmen in aktuellen Texten, in denen es zum Beispiel um Entortungserfahrungen geht, um die Erfahrung, zwischen den Kulturen zu leben, um Identitäten, die sich nicht auf ein ganz bestimmtes Herkunftsheimatland mehr beziehen lassen – all diese Themen sind überall präsent in der gegenwärtigen Debatte, auch in der Gegenwartsliteratur, und es ist dringend geboten, diese Texte, diese Diskussionen anzubinden an die Exilforschung, sie einzubeziehen, die Exilforschung auf neue Weise zu beleben, indem diese Kontexte eröffnet werden.
Scholl: Angesichts der Querelen, Frau Bischoff: Freuen Sie sich eigentlich noch auf die Aufgabe?
Bischoff: Ich muss sagen, ich freue mich sehr. Ich habe sehr viele Ideen, ich habe Projekte jetzt auch schon angestoßen, beispielsweise mit einer Kollegin aus Frankfurt am Main, Frankfurt ist ja auch ein wichtiger Exilstandort, auch ein wichtiger Standort für eine politische Literaturwissenschaft. Wir werden im Oktober eine interdisziplinäre Tagung zu "Literatur und Exil – neue Perspektiven" veranstalten, zu der sich namhafte Wissenschaftler aus acht Ländern bereit erklärt haben, teilzunehmen. Und wir versuchen da, die Brücke zu schlagen von der klassischen Exilforschung hin zu neueren Texten, zum Beispiel von Herta Müller, Doron Rabinovich. Viele Autoren, Autorinnen mit transkulturellen Hintergründen sollen berücksichtigt werden. Und ich denke, dass es ein guter Impuls sein wird, auch für das folgende Forschungsprojekt, was ich mit Frau Komfort-Hein vorhabe, dass wir die Hamburger Exilforschung einbinden in diese Diskurse.
Scholl: Wenn Sie Friethjof Trapp einmal persönlich begegnen – Sie haben ihn bislang noch nicht getroffen –, was würden Sie ihm sagen?
Bischoff: Also zunächst mal würde ich sagen, dass ich es bedauere, dass es bislang zu keiner Kommunikation gekommen ist, aber ich würde ihm sagen, dass ich mich freuen würde, wenn man beispielsweise auch die Exilliteratur mit wachen Augen lesen würde, die es gibt. Ich denke beispielsweise an einen Text von Hilde Spiel, der heißt "Lisas Zimmer", und in diesem Text – auf Englisch zuerst 1961, auf Deutsch 1965 erschienen, also ein bisschen eine Brückenfunktion hat dieser Text zwischen der alten Exilliteratur und neueren Texten zu Migration und Exil –, in diesem Text geht es darum, dass eine Frau in New York, eine Exilantin, sich vollkommen abschließt von ihrer Umgebung und überhaupt nicht mehr teilhat an dem Leben, wie es in der Gegenwart um sie herum stattfindet, und sie allein reduziert bleibt, fixiert bleibt auf das Vergangene, auf ihr Exil, auf die Dinge, die sie mitgenommen hat aus Europa, während eine jüngere Frau, die bei ihr als Hausmädchen arbeitet, sich öffnet, teilhat am amerikanischen Leben und einen Weg findet, die Exilerfahrung, die sie selbst auch hat, zu integrieren in neue Formen des Arbeitens, des Lebens. Das ist für mich eine Art Parabel dafür, was die Exilforschung, die wirklich ihre Texte auch liest und ernst nimmt, was diese Exilforschung leisten kann, sich nämlich zu öffnen, ohne das Alte aufzugeben. Natürlich muss man anknüpfen, aber Wissenschaft bleibt nicht stehen, sondern geht weiter.
Scholl: Die Erforschung der Exilliteratur in Deutschland, dabei will Dörte Bischoff neue Wege gehen. Danke für Ihren Besuch, Frau Bischoff, und für das Gespräch
Informationen zu Dörte Bischoff auf der Homepage der Universität Münster