Hamburger Grossmarkt

Auch krumme Früchte haben eine Chance

Ein Gemüse-Korb mit Fenchel, Schnitt-Lauch, Kürbissen und Auberginen.
Unperfektes Gemüse landet nur selten im Supermarkt. © picture-alliance / dpa / Jens Büttner
Von Axel Schröder |
Zweibeinige Möhren, Äpfel mit Druckstellen oder zu kurze Zucchinis: Unperfektes Obst und Gemüse hat in den Regalen der Supermärkte keine Chance und landet auf deutschen Großmärkten in der Biotonne. Die „ugly vegetables“ finden nur langsam ihre Liebhaber.
Der Raum ist runtergekühlt auf etwas unter zehn Grad. Rechts und links stapelt sich standardisiertes Obst und Gemüse in Stahlregalen. Aber im Lager der Firma Marker vor den Toren des Hamburger Großmarktes gibt es auch Früchte, die in Form und Farbe nicht der Norm entsprechen und deshalb noch lange nicht hässlich sind, findet Lutz Woltemate:
„Ja, also... es gibt ja diesen so genannten Begriff „ugly vegetables“. Da möchten wir uns aber nicht unbedingt hinziehen zu diesen Begriffen, sondern wir möchten sie „alte historische Gemüsesorten“ nennen, weil das auch ein bisschen regionaler klingt und auch mehr das auf den Punkt bringt, dass wir die Gemüse wachsen lassen wie sie ursprünglich sind.“
Und dabei entstehen auf den Äckern dann eben auch mal krumme oder zweibeinige Möhren, Tomaten oder verwachsene Kartoffeln, die in keine Schälmaschine passen.
Lutz Woltemate: „Es ist auch so ein bisschen Bequemlichkeit mit unförmigen Gemüsen zu arbeiten. Wenn ich die schäle, kann ich die nicht so einwandfrei gerade runterschälen, sondern da sind ein paar Hubbel und dies und jenes. Aber dafür habe ich natürlich einen Mehrwert an Geschmack da drin. Weil das Gemüse anders wächst, es wächst langsamer, es wächst saisonaler und ich habe den perfekten Boden dafür.“
Den größten Umsatz machen die Brüder Michael und Andreas Marker zwar immer noch mit perfekt geformtem Obst und Gemüse, aber das Interesse und die Nachfrage nach alten, unperfekten Sorten steigt seit einigen Jahren. Positiver Nebeneffekt dieses Trends: lokal wirtschaftende Bauern mit kleinen Betrieben – in diesem Fall in Schleswig-Holstein – bekommen auf diese Weise eine Zukunftsperspektive.
Normierungswahn der Agrarindustrie
Michael Marker, einer der Firmenchefs, wollte das Interview eigentlich seinem Angestellten überlassen, nur danebenstehen und zuhören. Aber dann muss er doch raus, sein Zorn über die Normierungswahn der Agrarindustrie. In Jeans und Sakko führt er durchs Lager, zu den Zucchinikisten:
Michael Marker: „Das beste Beispiel sind für mich die Zucchinis. Wir Verbraucher, Einkäufer, Großhändler gehen immer von diesem Gesichtspunkt aus: ein bestimmter Durchmesser, eine bestimmte Länge. Aber 40 Prozent bei der Ernte sehen anders aus. Wo bleibt diese Ware? 40 Prozent werden wieder untergepflügt oder als Viehfutter verwendet. Weil sie der Norm nicht entsprechen, weil uns das so suggeriert wird.“
Dabei sind die Standardmaße für Obst und Gemüse gar nicht mehr gesetzlich festgelegt. Dass trotzdem vom Großteil der Landwirte verlangt wird, möglichst gleichmäßig gewachsene, nicht zu große, nicht zu kleine Früchte zu ernten, hat einen anderen Grund, erklärt Michael Marker:
„Das ist ein Standard, den die Saatgutkonzerne und die großen Hersteller sich auf die Fahnen geschrieben haben: das Produkt hat die und die Größe und den und den Standard in Größe und Qualität.“
Lutz Woltemate: „Die sehen auch fast alle gleich aus.“
Michael Marker: „Ja! Aber so ist das wirkliche Leben nicht! Das ist für mich so: Wir können ja nicht alle Topmodels sein! Es gibt halt Menschen, die dick oder krumm, anders sind. Oder doch mal hier einen Fleck oder da. Und genauso ist das auch beim Gemüse!“
Sternegastronomie verlangt besonders hohe Qualität
Eigentlich wollte sich Michael Marker ja nicht aufregen, schon gar nichts sagen. Nun tigert er durchs Lager, auf der Suche nach den Biotonnen. Dort landen auch bei Marker in Hamburg welke Salatblätter, Äpfel mit Druckstellen, aufgeplatzte Bananen. Schließlich beliefert die Firma auch die Sterne-Gastronomie in der Hansestadt. Und die verlangt nicht nur alte Sorten, sondern eben auch eine besonders hohe Qualität. Michael Marker beugt sich die geöffnete Biotonne, schüttelt den Kopf:
„Aber was ich manchmal aus der Biotonne raushole – da kann ich zehn Familien in Afrika ernähren! Die machen sich alle keinen Kopf hier! Und draußen ist es noch viel schlimmer, in der Gesellschaft!“
Michael Marker zuckt mit den Schultern, klappt die Tonne zu. Er hofft, dass die Nachfrage nach unperfektem Obst und Gemüse weiter steigt. So kann er nicht nur ein Zeichen gegen Verschwendung und den Schönheitswahn bei Rüben und Zucchinis setzen, sondern, ganz Hamburger Kaufmann, auch noch Geld verdienen.
Mehr zum Thema