Hamburg

Streit um Dealer und Polizeikontrollen auf St. Pauli

08:55 Minuten
Ein Haus mit Graffitis an einer Treppe mit buntem Geländer
Die Balduintreppe zur Hafenstraße ist auf St. Pauli ein Stammplatz der Drogenverkäufer. © imago images / Markus Tischler
Von Axel Schröder · 04.06.2019
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In Hamburg sorgt die "Taskforce Betäubungsmittel" für Aufregung: Anwohner im Stadtteil St. Pauli haben weniger ein Problem mit Haschisch-Dealern als mit der Strategie gegen den Drogenhandel. Die Polizei wehrt sich gegen den Vorwurf des Rassismus.
Die Haschisch-Dealer fallen auf. In der Bernhard-Nocht-Straße, an der Balduintreppe, stehen am frühen Nachmittag sechs junge Männer oben am Treppengeländer, unterhalten sich, behalten dabei die Passanten im Blick. Wer den Blickkontakt mit ihnen sucht, ist ein potentieller Kunde. 200 Meter von der Hafentreppe, vom Stammplatz der Dealer entfernt, an einem der Blumenbeete im sogenannten "Park Fiction", steht Margit Cenki unter zwei stählernen Palmen.
Sie hat kein Problem mit den Dealern, sondern mit der Polizei: "In der letzten Zeit, das heißt: Schon ein Jahr lang treibt die Polizei hier die Leute mit einer anderen Hautfarbe hier durch die Gegend. Und das ist sehr, sehr unangenehm. Und ein Teil davon sind Dealer, das ist so! Ein anderer Teil sind einfach Leute mit anderer Hautfarbe. So! Und das geht so überhaupt nicht. Weder das eine, noch das andere! Man darf Leute nicht jagen!"
Seit 35 Jahren lebt Margit Cenki auf St. Pauli. Und gedealt wurde dort schon immer, erzählt sie. Bisher hätte sie zusammen mit den anderen Anwohnern den Dealern immer klare Ansagen gemacht und Regeln aufgestellt: An der Balduintreppe, die runter zur Hafenstraße führt, könnten sie sich aufhalten. Aber bitte nicht im Park. Und schon gar nicht vor der Grundschule.

Kritik am Vorgehen der "Taskforce Betäubungsmittel"

Die Dealer, erzählt Margit Cenki, hätten sich daran gehalten. Erst nachdem die Hamburger Polizeiführung vor drei Jahren die sogenannte "Taskforce Betäubungsmittel" aufgestellt hatte, als täglich Einsatzkräfte auf Streife gingen und die meist aus Westafrika stammenden Männer regelmäßig kontrollierten, erst seitdem, sagt Cenki, würden Absprachen schwieriger, weil viele der Dealer immer wieder weggejagt werden.
"Mein Enkel ist jetzt 14. Dass der diese Hetzjagd dauernd sieht ... Was ist denn das für ein Bild? Da werden Leute mit einer Hautfarbe rumgehetzt wie die Hasen. Da haben wir Sachen gesehen: Da standen welche und die Polizei machte so! Stampft so auf den Boden: 'Jetzt rennt! Rennt!' Und dann lachen sie sich schlapp, wenn die rennen. Und ich weiß noch, dass mein Enkel total geschockt war. Dass das Menschen mit anderen Menschen machen. Und noch mit einer Uniform an. - Da waren wir dabei! Und solche Szenen sehen wir hier, die unheimlich zynisch sind. Und das wollen wir nicht mehr!"
Margit Cenki nennt die Polizeikontrollen "rassistisch". Immerhin würden immer nur schwarze Menschen kontrolliert.

Polizei verteidigt Strategie

Den Vorwurf, die Polizei würde "rassistische Personenkontrollen" vornehmen, weist Ansgar Hagen, der Leiter der Davidwache, zurück. In seinem Dienstzimmer, keine 300 Meter von der Balduintrepppe entfernt, macht Hagen klar, worum es in seinen Augen bei den Kontrollen geht und worum nicht:
"Aus meiner Sicht ist es mal an der Zeit, auch die Sichtweise der Polizei mal zu transportieren, dass wir alles machen, aber keine verdachtsunabhängigen Kontrollen gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe. Das wäre falsch! Wir gehen sehr anlassbezogen, sehr am Einzelfall orientiert und sehr an einer konkreten Gefahr orientiert vor, am individuellen Sachverhalt und nicht am Phänotyp ausgerichtet vor."

"Nicht am Phänotyp ausgerichtet"

Nicht der Phänotyp, also nicht das äußere Erscheinungsbild sei ausschlaggebend bei der Entscheidung, ob ein Mensch auf St. Pauli, im Umfeld der Hafentreppe kontrolliert werde. Der Auftrag der Polizei sei es, gegen öffentlich wahrnehmbare Drogenverkäufe vorzugehen. Allein zwischen Oktober 2017 und April 2018 gab es auf St. Pauli knapp 250 Schwerpunkteinsätze - mit über 3000 kontrollierten Personen.
Ansgar Hagen posiert am 29.03.2017 in Hamburg für ein Foto.
Das aüßerliche Erscheinungsbild sei für Kontrollen nicht ausschalggebend, sagt Ansgar Hagen.© picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Pro Jahr werden mehrere tausend Mal Aufenthaltsverbote ausgesprochen, es gibt Ingewahrsamnahmen und Festnahmen. Bei den Kontrollen an der Balduintreppe, so Ansgar Hagen, gehe es aber sicher nicht um die Hautfarbe, sondern nur um das beobachtete Verhalten:
"Die verharren dort. Die verharren dort, scheinbar ziellos. Die stehen nicht selten eng abgeschirmt zueinander, sichern sich nach allen Seiten, blicken über die Schultern. Dort haben wir also eine Klientel, die wartet dort, aus meiner Sicht auf potentielle Konsumenten."
Es zähle allein das Verhalten der Verdächtigen. Allerdings haben diese Verdächtigen immer eine Sache gemein: "Ich kann nichts dafür, dass wir da eine Klientel haben, die sich dort etabliert hat, die eine dunkle Hautfarbe hat. Wir würden, wenn das hellhäutige, wenn das Deutsche wären, genauso vorgehen. Aber wir haben es nicht."

Proteste aus der linken Szene

Letztes Jahr protestierten einige Anwohner, vor allem aus der linken Szene gegen die Drogentaskforce. Die Beamten wurden auf Schritt und Tritt begleitet, "Drogentaskforce - Verpiss Dich!", stand auf Protestplakaten. Ansgar Hagen ärgern solche Aktionen, der mangelnde Respekt vor den Beamten, die doch einfach nur für mehr Sicherheit im Viertel sorgen sollen.
Im Übrigen, so Hagen, würden auch immer wieder die meist hellhäutigen Käufer der illegalen Drogen kontrolliert. Und ja, räumt der Polizist ein, natürlich komme es auch vor, dass die Falschen verdächtigt werden, dass Afrikaner kontrolliert werden, die auf St. Pauli wohnen und arbeiten, die im Park Fiction Freunde treffen wollen: "In solchen Fällen brechen wir die polizeilichen Überprüfungen auch ab."
Margit Cenki beruhigt das nicht. Im Park Fiction mit seinen inselartigen Rasenflächen, mit den Hochbeeten, aus denen Grünpflanzen wuchern, erzählt sie von der Angst, die viele Schwarze von einem Besuch des Viertels abhalten würde. Auch, wenn sie mit Drogen nichts zu tun haben. Um den Kontrollen und der, so Cenki, Stigmatisierung der schwarzen Community etwas entgegenzusetzen, will das Park-Fiction-Kollektiv demnächst das Projekt "Fifty-Fifty - Für Gartenarbeit und Migration" starten.
"Wir sind so zwölf Leute, die nicht nur den Garten machen, sondern sich auch onst hier Sachen überlegen. Und da haben wir überlegt, wir könnten ja zusammen, mit diesen Leuten, die hier immer rumgetrieben werden, die Gartenarbeit machen. Die kriegen dann Jacken, richtig offiziell, wo die Palmen drauf sind und die Insel und sind dadurch eine Autorität, hoffen wir."

Ein Gartenprojekt für junge Migranten

Und für ihre Arbeit an den Beeten, im Park bekommen die Menschen dann die Spenden geschenkt, die im Golden-Pudel-Club gleich neben dem Park gesammelt werden.
"Für uns ist das ein Testlauf, um Alternativen wirklich zu haben für die Jungs, die nicht dealen wollen. Die müssen ja überleben. Das ist ja nicht deren Hobby, sondern damit überleben die."
Neben Margit Cenki nickt Ibrahim Jabbi, der erste Teilnehmer des "Fifty-Fifty-Sparclubs". Zusammen mit Margit Cenki hat Ibrahim hier schon im Frühjahr Unkraut gejätet.
"Wir haben die Brennnesseln und die Gräser rausgeholt."
"Wir haben uns gut unterhalten. Und mich hat das an meine Großmutter erinnert. Mit ihr habe ich auf dem Reisfeld gearbeitet und Unkraut gejätet. Daran musste ich denken. Ich fühle mich hier zu Hause."

Lieber Beete pflegen statt dealen

Aber sind auch die Dealer an der Balduintreppe offen für den "Fifty-Fifty-Sparclub"?
"Um ehrlich zu sein: Auch ein paar von meinen Freunden dealen da hinten an der Ecke mit Marihuana. Aber ich habe ihnen von diesem 'Fifty-Fifty'-Projekt erzählt. Und die sind froh darüber. Sie sagen: 'Das wäre cool! Das Dealen ist schlecht: Damit verdienen wir kaum was und es gibt eine Menge Ärger!' Und wenn es 'Fifty-Fifty' gibt, ist das besser für uns!"
Auch Ansgar Hagen, der Leiter des Polizeiwache an der Davidstraße, findet das Projekt gut. Natürlich gebe es in der Nachbarschaft der Wache neben der Kritik an den Personenkontrollen auch viel unterstützenswertes Engagement:
"Ich glaube, wir haben unten am Hafenrand verschiedene gute Aktionen. Das glaube ich schon. Da gibt es sehr engagierte Menschen, die aus dem Stadtteil heraus hier zu helfen auf verschiedenste Art und Weise. Da ziehe ich auch den Hut vor. Das finde ich gut. Ich begrüße das Engagement. Wir als Polizei haben alles vor, aber wir wollen dieses Engagement ganz sicher nicht stören."
Die Polizeikontrollen würden aber natürlich weitergehen, sagt Ansgar Hagen. Dass dadurch eines Tages die Haschisch-Dealer aus St. Pauli verschwinden, glaubt er nicht.
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