Hamburg

Seefahrt ade

Eingang zum Seemannsheim in Hamburg
Seemannsheim © picture-alliance / dpa / Ulrich Perrey
Von Knut Benzner · 06.12.2013
Containerschifffahrt und Hafencity - von der oft beschworenen Seefahrerromantik ist nicht viel übrig geblieben. Doch wie sah die Vergangenheit wirklich aus? Ein Besuch in einem Hamburger Seemannsheim.
Hans Albers - der blonde Hans - war kein Seemann. Nie.
Er war Schauspieler. Und er kam nicht von St. Pauli, er kam aus St. Georg. Er starb am Starnberger See, weit im Süden und weg von der Küste.
Begraben liegt er allerdings in Hamburg, in Ohlsdorf, und irgendjemand, der die Grabpflege bezahlt, war irgendwann tatsächlich auch gefunden. Die Hansestadt selbst hatte sich geweigert. So geht sie mit Leuten um, aus denen vielleicht gute Seemänner hätten werden können.
Albers war - nebenbei - nicht blond. Er war Toupet-Träger. Und er war, höchstwahrscheinlich, altmodisch, nicht modern. Doch was ist schon modern? Die Containerschifffahrt? Die Hafencity? Höchstens vormodern.
Die Seefahrt, wie Albers sie kennen gelernt haben mag - wenn er mal am Hafen gewesen ist -, die ist weg. Die Seeleute, Postanschrift: "Deutsche Seemannsmission Hamburg e.V.", die sind da, links neben St. Pauli, Gott im Blick, den Michel:
Enrico Stierli: "Ich hab' 97 aufgehört, 1997, Seefahrt hab' ich aufgehört 97, oder Ende 96 war das, ja, das macht kein' Spaß mehr heute, ne."
Heute war Seemannssonntag, und Enrico Stierli aus Luzern am Vierwaldstätter See ist seit zehn Jahren im Seemannsheim.
Enrico Stierli: "Jaaa, das ist für uns, sagen wir mal Weltmenschen, ist das a gute Sache, weil viele, die gehen im Winter dann nach Brasilien oder Afrika, man ist frei, wenn de Wohnung hast, dann kannste ja nicht einfach so machen, was de willst, ne, und das ist ne sehr gute Sache, ne."
Noch Kontakt in seine Heimat?
Enrico Stierli: "Näää, eigentlich nicht, jo, ich hab' jetzt wieder Kontakt, eine Cousine von mir hat mich gefunden, nach 40 Jahren, ja, und ein Jugendfreund, nach 40 Jahren haben die mich gefunden, ja, ne, ich hab' noch Verwandte so von früher, aber die Leben auch ihr Leben, ne, die Menschen heute irgendwie komisch geworden, ja."
Stierli, demnächst 60, sitzt im Aufenthaltsraum abseits der Bar, raucht eine Selbstgedrehte, blättert in einem Magazin mit dem Titel "Schiff und Hafen", trinkt einen Kaffee und schiebt die rote Pudelmütze zurecht, in der Ecke neben ihm ein Billard-Tisch, eine Dart-Scheibe, Weltkarte ...
Verheiratet war er nie.
Liebe und Seemannsleben
Enrico Stierli: "Nie, verheiratet war ich nie, ich wollte früher, ich hatte schon vorgehabt, früher war ich öfters verliebt, ne, in Amerika, ja, hinterher ist man immer schlauer, ne, man weiß auch nie, was kommt, ne, wie's nachher gegangen wär', die Seefahrt, ne, heute warst da, morgen da, dann haste immer wieder neue Liebe gehabt, die alte Liebe wieder vergessen, das war das Seemannsleben, ne."
Er war Matrose, Stewart, Koch - Stierli war alles, 23 Jahre, Stückgut, lange Liegezeit, Tanker, Bullcarrier, alles, kreuz und quer ... dann hatte er die Schnauze voll.
Enrico Stierli: "Ich hab' die Schnauze voll gehabt, jetzt hab' ich drei Jahre gar nichts gemacht und ich muss ehrlich sagen, das kam mir nicht so gut, man muss immer so'n bisschen arbeiten, sonst verrostet man, da setzt der Bauch an, dann wird man träge. Ich bin freischaffender Künstler, Überlebenskünstler."
10 Jahre.
Neulich, in der letzten November-Woche, gab es Grünkohl - hausgemachten frischen Grünkohl mit Kochwurst und Kassler und Butterkartoffeln. Grünkohl gilt als die "Palme des Nordens", und für die, die unterwegs Appetit auf Grünkohl hatten, gab es - ganz neu - Grünkohl-to-go.
6 Euro 80 in der Kombüse, die hier natürlich die Kantine ist, 3 Euro 60 zum Mitnehmen.
Historisch war Grünkohl eine der einfachen und preiswerten Mahlzeiten für die Arbeiter im alten Hafen. Der alte Hafen ist vorbei.
Neben vom Seemannsheim in den Krameramtsstuben im Krayenkamp, da kostet der Grünkohl dann mehr das Doppelte und er wird serviert mit Brat- statt Butterkartoffeln. Das Seemannsheim der Deutschen Seemannsmission Hamburg, gegründet 1891, wollte sich unter anderem der Aufgabe widmen, die "... im verschärften Maße sich geltend machenden kirchlichen und sittlichen Notstände des Seemannslebens in Hamburg zu bekämpfen".
Inka Peschke, 60, ist Hamburgerin,...
Inka Peschke: "Jahaa"
... und seit zehn Jahren Geschäftsführerin dieses Seemannsheims:
Inka Peschke: "Ja, hätte ich auch nicht gedacht, dass mich das hier so lange hält, aber es ist eine interessante, manchmal natürlich auch schwierige Arbeit, aber es hat sehr viel bunte Aspekte, die Arbeit und das Leben hier, sozusagen."
83 Zimmer, 120 Betten
Das Leben in 83 Zimmer bzw. 120 Betten mit 30 Mitarbeitern inklusive dreier Ehrenamtlicher.
Inka Peschke: "Bei uns sind Seeleute zwischen einer Nacht und einigen Jahren hier, das ist sehr unterschiedlich, es gibt auch unterschiedliche Gründe dafür."
Für eine Nacht ist klar.
Inka Peschke: "Jemand kommt und muss nur mal kurz in Hamburg übernachten, weil er aufs Schiff geht oder vom Schiff kommt, dann gibt es jemand, der 'n Kurs macht oder irgend welche anderen Sachen erledigen muss in Hamburg, dann gibt es Leute, die Urlaub haben und nicht wissen, wo sie hin sollen, die bleiben dann zwei Monate hier bei uns oder drei Monate."
Und dann gibt es die, die lange, wirklich lange keine Heuer mehr gefunden haben und im Seemannsheim im Krayenkamp zu Hartz-IV-Empfängern wurden. Nicht-Europäer, die in Hamburg auf ihren Rentenanspruch warten - verließen sie die Bundesrepublik, verlören sie ihre Ansprüche.
Und es gibt Rentner, die sich an Ina Peschke und das Seemannsheim gewöhnt haben.
Inka Peschke: "Es gibt auch 'n paar Rentner, die haben sich so an uns gewöhnt, dass sie nicht wo anders hin wollen, wir versuchen die immer, in anderen Wohnungen unter zu bringen, aber das ist sehr, sehr schwierig."
Immerhin 45 der erwähnten 83 Zimmer sind für die Dauer-Dableiber vorgesehen, ohne Dusche, ohne WC, 13 Euro pro Tag ...
Inka Peschke: "Peschke, hallo Herr Borowsky."
Herr Borowsky hatte dann versucht, einen weiteren alten Herrn unter zu bringen. Inka Peschke durchdenkt die Angelegenheit.
Jürgen Niklaus ist, wie Enrico Stierli, ebenfalls aus der Schweiz, die Schweiz und die Seefahrt ... aus der französischen Schweiz, Bienne, Biel.
Jürgen Niklaus: "Aus Biel, Biel-Bienne, muss man ja sagen, die zwei Sprachen, bielenque, on parlez tous deux langues, alors."
Niklaus ist 68, schlank, drahtig ...
Jürgen Niklaus: "Vom Fels zum Meer, spotten die denn da."
... durchtrainiert, auf dem Bett in seinem Zimmer liegen zwei Hanteln ...
Jürgen Niklaus: "Die See macht die Menschen schon ein bisschen einsam, das ist einfach so."
Niklaus ist Kapitän, Patent 1978 in Hamburg.
Jürgen Niklaus: "Ich fahr' immer noch, ja."
Niklaus ist seit fünf Jahren im Seemannsheim.
Jürgen Niklaus: "Holz vor allem, Holzfahrt ist very special, siebzig, achtzig Meter Decksladung, dreieinhalb Lagen hoch, all diese Sachen, schon wegen der Stabilität natürlich, he."
Ein Kühlschrank, Geschirr, eine Tageszeitung, Bücher, aufgeräumt, aber auch ein wenig durcheinander.
Jürgen Niklaus: "Wir waren bis in die, bis in die 80er-Jahre, bis vor 90, da hatten wir sieben Schiffe, und zwar von von Shanghai bis Rio, alles, wirklich ganz gute Schiffe, wir sind auch für Charter gewesen, China, Muskat, 54 Tage, Hamburg-Shanghai. Wie soll ich sagen, es ist auch, ich bin noch 'n bis ..., ich habe ein Maschinenpatent, ich habe ein Funkerpatent, Du machst ja alles, ich war auf'm auf'm Container mit 800 toys, die hab' ich mit dem Chief-Made selber den Stauplan gemacht, und dieser Stress, der lässt Sie gar nicht los. Jeden Tag gehe ich in'n Hafen da, jeden Tag ..."
Gucken ...
Noch immer Fernweh
Jürgen Niklaus: "Ja, einfach so, wie die Schiffe da sind und ich hab' einfach dieses Fernweh, he. Und wenn Sie mal so mit 48 Grad Schlagseite rumrudern und im Winter und ein Schiff ist schon etwas, ja, ein Schiff läuft aus, verschwindet, und irgendwo nach Wochen taucht sie wohl wieder auf, und ich fahr' mit diesem Chalet da über, hmmmmh die See, es ist schon ein ..."
Die Seekarten, die er hatte, hat er verschenkt. An den Wänden seines Zimmers ein einziges Bild, die Queen Mary II, das Seemannsheim ist sein Zuhause.
Jürgen Niklaus: "Wir sind ja bezüglich Wohnen nicht so anspruchsvoll wie vielleicht eine Frau ist, he. Ganz klar."
Als Seemann ...
Jürgen Niklaus: "Als Seemann, natürlich, ganz klar, ganz klar. Das ist ja ganz sicher. Wenn ich ein bisschen mehr zur Ruhe komme, komme ich dann nach Basel, nicht in Biel, sondern in Basel, da würd' ich wohnen dann. Ich muss schon ein bisschen einen Ankerplatzt suchen, irgendwo später kommt man doch langsam irgendwo nach nach Hause. Nach Hamburg bin ich ja immer verbunden, das ist ganz klar, aber nicht, äh, ich werde das dann mal vielleicht so in zwei Jahren abbrechen. Wie ich mich, wie ich mich fühle."
70 wäre Niklaus dann.
Jürgen Niklaus: "Ich geh' immer da hier beim Dock-Land mach' ich diese Treppen, jeden Tag, bisschen schneller, zwei, drei Mal ist mal der Puls 'n bisschen davon gelaufen, dass ich physisch da sein muss und will, also heute ist das ein schwerer Job. Ich muss da echt den Kapitän spielen. Also ein ganz anderes, ganz anderes Leben."
Er war überall.
Jürgen Niklaus: "Ja"
Überall.
Von China bis Westafrika
Jürgen Niklaus: "Ja, also von China, Shanghai, Kambodscha, Indien, dann Ostafrika, Westafrika, Südafrika, US-Ostküste, Westküste, Brasilien, ja sicher. Es ist ein bisschen deprimierend, dass wir immer weniger sind, also wir sind immer weniger Crew, dann, wenn Sie Container fahren, ist der Hafen fast tot, da ist einer oben im Kran, kein Kontakt, sailing before arrival, laufen aus, Container will ich nicht mehr fahren, das ist ganz klar, so dass ich auf jeden Fall mit den Schiffen mindestens noch eine Nacht habe, ja also, dass ich mit den Jungs mal an Land gehen kann, find' ich. Aber die See ist ja immer noch See, ..."
Somit ist die Seefahrt doch romantisch ...
Jürgen Niklaus: "Genau, natürlich, jedenfalls, natürlich, einfach natürlich bisschen belastend, vielleicht muss man haaaah dann durchatmen, he, also die Romantik, diese Anteile sind vielleicht ein bisschen kürzer, aber es ist immer noch da, oder wir suchen sie dann immer und immer und immer wieder und das ist ganz klar. Und ich versuch' das auch an Bord mit der Crew das zu machen. Also es ist kein Geschenk, wenn die da bis morgens um drei noch Holz laschen und Persenning über alles machen, dann trinken wir noch ein Bier zusammen, und dann denk' ich, das ist ein guter, diese ganz, nur ganz kleine Sachen, die uns dann dann eigentlich aufstellen, unvergesslich sind. Wir brauchen hieran Land viel, viel mehr, um zu sagen, oh, das war gut, das ist übrigens die Reinigungsfrau, zeig' ich Ihnen die noch."
"Voilà, siehst Du, danke, das ist so ein Lächeln heute Morgen, wer hatte das, nicht viele, he, das ist doch ein Privileg. Dankeschön einfach, hahahaha.
Ich hab' auf See eigentlich dann immer so ein, ein Programm, was ich jetzt alles machen würde, gute Sachen auch, viele gute Sachen, und ich packe es dann dennoch nicht, weil ich ja dann irgendwie nach zwei, drei Wochen schon wieder auf See bin, ich bin in Gedanken dann schon wieder an Bord, (...) dieses ist ist ein bisschen zweigeteilt, ja, ich bin noch nicht ganz an Land und noch nicht ganz auf See, so. Aber der, aber der Weg ist jedenfalls immer noch diese Richtung, von Land will ich noch auf See."
Nicht umgekehrt.
Jürgen Niklaus: "Nicht umgekehrt, weil ich eben diese, diese Ruhe nicht finde, he, also ich brauch' diesen Weg auf See. Ist schon eine ganz innige Sache eigentlich."
Er war mal verheiratet, ganz kurz, solide intakt, und war wieder weg, immer wieder weg, entweder richtig weg oder in Gedanken wieder weg, man richtet sich einfach so ein.
Jürgen Niklaus: "Wenn ich das vergleiche mit, die Menschen, die da in einem Block leben und gar nicht kommunizieren, die schotten sich ja ab, aber wir kennen untereinander, aber es tut nicht weh, wenn wir, wir sind dann Abends eigentlich immer so fünf, sechs Mann die gleichen an der Bar, und einer steht auf, geht weg, und ist dann nicht mehr da, der geht einfach, also jeder kommt für sich alleine ganz gut klar. Jeden Tag bin ich unterwegs, jeden Tag, ich kauf' sofort ein Monatsticket, U- und S-Bahn, und da fahr' ich los, also Hamburg is' für mich immer, nicht im Herzen, sondern immer im Sinn, ja. Doch, doch, Hamburg ist schon Hamburg."
Von Kartoffelsalat bis Rum
In zweieinhalb Wochen ist Weihnachten. Auch in der Hafenstadt.
Inka Peschke: "Wir machen 'ne Weihnachtsfeier. Heilig Abendgibt es hier eine kleine Andacht, dann spiel' ich mein Akkordeon, und die Seeleute, die schmettern dann auch gerne mit, und später essen wir dann zusammen, traditionell Würstchen und Kartoffelsalat das ist dann der Heiligabend."
Der Seemanns-Sonntag, anfangs erwähnt, das zusammen Sitzen der Seeleute, der Seemanns-Sonntag ist übrigens überliefert immer am Donnerstag.
Inka Peschke, die Geschäftsführerin:
Es gibt verschiedene Legenden.
Inka Peschke: "Meine Lieblingslegende ist eigentlich: Englische Seeleute, die auch gewerkschaftlich schon immer sehr früh engagiert waren, haben rausgefunden, ja, Sonntags gibt's also 'n Extra-Schlag Essen, ne kleine Predigt kann man über sich ergehen lassen, und 'ne Extra-Portion Rum. Und dann haben sie gesagt, wir brauchen unbedingt für unser Seelenheil noch einen zweiten Sonntag, wo es auch noch 'ne kleine Andacht gibt, weil sie natürlich auf die Extra-Portion Rum und wahrscheinlich auch Essen gehofft haben, und dann wurde das tatsächlich in der Christlichen Seefahrt eingeführt, das gibt es schon ganz lange, traditionell Donnerstag ist Seemannssonntag. Bei uns gibt es nun keine Andacht, bei uns gibt es nur Kaffee und Kuchen."
Und Rum.
Inka Peschke: "Keinen Rum, hehehehe, den können sie dann hinterher an der Bar kaufen, aber nicht frei."
Und anschließend geht jeder auf sein Zimmer.
Enrico Stierli, der Luzerner, hat zehn Quadratmeter.
Enrico Stierli: "Is' ein kleines Loch, was ich habe, aber es reicht für mich, ich hab 'n Bett, hab Fernseh, Kühlschrank, äh Waschbecken, Warm- oder Kaltwasser, ja duschen muss ich auf'm Gang, aber das macht mir nichts aus, das ist alles neu gemacht, ne, und das Zimmer reicht für mich, ich brauch kein großen Wohnraum, ne."