Hamas und Fatah

"Das Leiden der Palästinenser beenden"

Der palästinensische Politiker und Schriftsteller Abdallah Frangi spricht am Samstag (17.03.2012) auf der Buchmesse in Leipzig.
Abdallah Frangi ist außenpolitischer Berater von Palästinenser-Präsident Abbas © dpa / Arno Burgi
Moderation: Ute Welty · 08.11.2014
Lange genug habe das palästinensische Volk unter den Feindseligkeiten zwischen Hamas und Fatah gelitten. Das findet der Gouverneur von Gaza, Abdallah Frangi. Die Einheitsregierung müsse das Sagen haben - auch im Gazastreifen.
Glättungen, Ergänzungen bei Herrn Frangi.
Ute Welty: Seit einer Woche trägt sie den Titel EU-Außenbeauftragte, und Federica Mogherini dürfte ziemlich schnell merken, welche Aufgabe sie zu schultern hat, vor allem im Nahen Osten. In Jerusalem fand Mogherini mahnende Worte, in Gaza sucht sie auch das Gespräch. Noch in ihrer Amtszeit wünscht sie sich einen eigenen Palästinenserstaat, zu dem dann auch der Gazastreifen gehören würde. Gouverneur dort ist Abdallah Frangi. Guten Morgen nach Gaza!
Abdallah Frangi: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Der Besuch der EU-Außenbeauftragten ist das eine, das andere sind Anschläge und Explosionen. Anschläge gegen Mitglieder der Fatah, zu der eben Sie, Herr Frangi, auch gehören. Inwieweit waren oder sind Sie betroffen?
Frangi: Ich war genau wie die anderen betroffen, und diese Explosionen waren so heftig, dass man glaubte zu dieser Zeit, jetzt haben wir den Krieg wieder da. Und natürlich, die Kinder – das ist direkt in der Familie. Das ist nicht im Büro, wo diese Aktionen gemacht worden sind, sondern direkt gegen das Private, das heißt, wo man wohnt. Und dabei sind auch Bruder und Geschwister, und die haben alle Kinder, und Sie können sich mal vorstellen, wie das ausgesehen hat bei den Kindern vor allem.
Welty: Wie geht man dann damit um? Schüttelt man das so einfach ab, weil man sagt, es muss einfach weitergehen, oder ist es dann doch so ein Moment, der einen sehr zum Nachdenken bringt?
Frangi: Es ist ein Moment, wo man wirklich sehr, sehr nachdenklich wird. Und es ist auch erschütternd. Ich glaube, wir haben alles getan, damit wir unsere Einheit so weit bringen, dass wir besser vorbereitet sind auf die Entstehung unseres Staates, das heißt, in der Westbank und im Gazastreifen.
Es gibt natürlich Kräfte, die das nicht wollen, es gibt Kräfte, die auch andere Ideologien verfolgen. Diese Anschläge wurden begleitet mit Briefen als Warnung. Und diese Briefe sind unterschrieben vom Islamischen Staat. Aber Hamas hat das natürlich verurteilt, aber Hamas ist verantwortlich auch für die Sicherheit, die Sicherheit aller, die im Gazastreifen leben. Und vor allem auch die Al-Fatah-Verantwortlichen und die anderen Organisationen.
"Die Menschen hier brauchen die Einheit"
Welty: Aber wäre es nicht an der Zeit, dass die beiden Palästinenserorganisationen, Fatah und Hamas gemeinsame Sache machen im Hinblick auf einen palästinensischen Staat? Diese ewigen Schuldzuweisungen führen doch nicht wirklich weiter.
Frangi: Ich bin auch nicht dafür, dass man jetzt sich gegenseitig beschuldigt. Man muss weiterhin trotz alledem dafür arbeiten, um die Probleme, die bis jetzt sich gehäuft haben in den letzten sieben Jahren, anzugehen und zu lösen. Die Menschen hier brauchen die Einheit, die Menschen hier brauchen den Wiederaufbau im Gazastreifen, und die Menschen können nicht mehr darunter leiden, dass wir uneinig sind. Und ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir ein bisschen mehr uns anstrengen, um diese Probleme zu lösen, die sich gehäuft haben seit sieben Jahren Trennung.
Welty: Wie könnte denn diese Anstrengung konkret aussehen?
Frangi: Diese Anstrengung sollte eigentlich darin bestehen, weiter Gespräche zu führen, intensive Gespräche, aber das, was wir vereinbaren, muss umgesetzt werden und nicht so auf dem Papier bleiben. Und das ist ja das Problem in den letzten Vereinbarungen. Wir haben zum Beispiel in Kairo am 25. September vereinbart, Fatah und Hamas, dass wir die Einheitsregierung unterstützen müssen, beide Organisationen, damit die Einheit deutlicher gespürt wird von den Palästinensern hier.
Aber alles, was wir besprochen haben, wurde nicht so umgesetzt. Wir müssen dafür weiterhin kämpfen, dass das umgesetzt wird. Das heißt, die Einheitsregierung muss die Verantwortung im Gazastreifen bekommen, nicht nur auf dem Papier. Und das ist eben das Problem, dass wir in der Hamas Kräfte haben, die nicht bereit sind, diese, sagen wir, Machtposition aufzugeben, die sie haben, und der Regierung anzuvertrauen.
Umsetzen, was Fatah und Hamas vereinbart haben
Welty: Wer kann die dritte Kraft sein, die kontrolliert, dass das, was vereinbart wurde, auch dann tatsächlich umgesetzt wird?
Frangi: Die anderen palästinensischen Organisationen, sie arbeiten daran, an dieser Einheit. Weil alle Palästinenser sind mit all ihren Organisationen nicht nur gewählt, sondern sie brauchen diese Einheit. Alle wissen, dass wir ohne diese Einheit nicht so viel erreichen, und alle wissen, dass unser Volk, wenn die Einheit nicht umgesetzt ist und wird, dass unser Volk weiterhin leiden wird. Und das palästinensische Volk hat so viele Jahre gelitten – wir müssen dafür arbeiten, dass dieses Leiden beendet wird, und das kann nur sein, wenn die Einheit und alles, was wir untereinander festgelegt haben, umgesetzt wird.
Welty: Vor diesem Hintergrund, den Sie beschreiben, wie bewerten Sie angesichts dessen die Tatsache, dass der Auftritt von Premierminister Hamdallah für heute in Gaza abgesagt worden ist? Ist das eine kluge Entscheidung oder doch eher ein Zeichen der Schwäche?
Frangi: Weder noch. Es ist ein Zeichen, dass man vonseiten des Ministerpräsidenten der Meinung ist, dass die Zeit jetzt nicht so weit ist, dass sein Besuch erfolgreich sein würde. Wir müssen weiterhin alles tun, um solche Attentate zu verhindern, und wir müssen auch alles tun, damit jeder Besucher von der Westbank auch die Sicherheit und das Gefühl hat, dass er nicht angegriffen wird.
Die Hintermänner der Anschläge wollen nicht an Arafat erinnern
Welty: Am Dienstag jährt sich zum zehnten Mal der Todestag von Jassir Arafat, Mitbegründer der Fatah und später Präsident der Palästinensischen Autonomiegebiete. Auf was bereiten Sie sich vor im Zusammenhang mit diesem Jahrestag?
Frangi: Vielleicht ist das der Grund, warum diese Attentate stattgefunden haben. Wir haben uns sehr gut vorbereitet. Wir wollten, dass zehn Jahre nach dem Tod von Arafat hier eine Veranstaltung stattfindet, so dass die Bevölkerung teilnimmt an dieser Veranstaltung. Wir haben den Platz ausgesucht und alles vorbereitet. Wir haben diese Veranstaltung mehr oder weniger nicht nur als Andenken an Arafat geplant, sondern auch als eine kulturelle Veranstaltung, um das, was die Palästinenser von Arafat erlebt haben, und um sich zu bedanken bei diesem Mann, der sein ganzes Leben für das palästinensische Volk eingesetzt hat.
Und wir haben viele Gruppen, Künstler und Gruppen, die diese Veranstaltung sehr gerne vorbereitet haben, und wir waren so weit, dass wir die ersten Proben gemacht haben. Und ich war selbst beteiligt an diesen Veranstaltungen. Jetzt durch diese Angriffe und die Warnung auch, dass die Veranstaltung nicht gemacht wird – das ist ja das Problem: Diejenigen, die hinter diesen Explosionen stehen, wollen diese Veranstaltung nicht haben, wollen nicht an Arafat erinnern. Und das ist natürlich eine neue Entwicklung, und so was habe ich in der Geschichte Palästinas noch nie erlebt. Und das ist eben das Gefährliche daran.
Welty: Abdallah Frangi, Gouverneur in Gaza, zur Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten. Ich danke sehr für Ihre Einschätzung!
Frangi: Ich danke Ihnen auch sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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