Haltefaktoren im ländlichen Raum

Von Christian Rabhansl |
Aus Sachsen-Anhalt sind seit der Wende etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausgewandert. Schauen die Hierbleiber nun in die Röhre? In gewissem Sinne: ja. In Wettin gibt es dennoch so manchen Grund zu bleiben. "Haltefaktoren" nennen das manche. Und zu denen gehören auch die Offenen Kanäle.
Es ist ruhig in Wettin. Die Saale fließt träge, die verwinkelten Gassen winden sich zum Burgberg hoch. Dort oben steht das Stammschloss des berühmten Fürstengeschlechts der Wettiner. Die sind aber längst fortgezogen und haben ihr Schloss an den niederen Adel abgetreten. Die 2076 Dorf-, Pardon, Stadtbewohner haben nicht nur eine eigene Postleitzahl und einen Supermarkt, sondern auch einen eigenen Fernsehsender: WTV. Fast alles in der Stadt hat irgendwie mit diesem Sender zu tun, das wird schnell klar bei einem Rundgang durch Wettin.

Etwa 50 Meter Saale-abwärts steht ein kleines gelbes Haus, die Terrasse direkt zum Wasser, an die Außenmauer hat jemand eine große Kamera gemalt. Die Tür ist offen.

Der Dachboden ist ausgebaut. Auf 35 Quadratmetern drängen sich Jugendliche um fünf Schnittplätze. Im Hintergrund rauschen die Computer.

Ein winziger Raum ist mit Glas abgetrennt. Dort sitzt am offenen Fenster ein blonder junger Mann und sagt:

"Ich bin jetzt hier quasi für die Sendung verantwortlich."

Benjamin Bruch sorgt dafür, dass die Sendezeit gefüllt wird, und er schreibt die Moderationen und schneidet die wöchentliche Sendung fertig.

"Das sind zum einen Nachrichten, Veranstaltungen, Events hier in der Umgebung, zum Beispiel die ganzen Vereinssitzungen quasi, was beschlossen wird, was gemacht wird, Auswertungen vom letzten Jahr und so weiter, das wird halt den Wettinern nahe gebracht. Dann kommt wöchentlich ne Umfrage zu allen möglichen aktuellen Themen, zum Beispiel Feiertage, das ist ja immer wieder Anlass und sehr lustig. Was haben wir zum Beispiel, Valentinstag und so was…"

Die Wettiner lieben diese Umfragen auf WTV, dem Offenen Fernsehkanal von Wettin. Deshalb sind die Fernsehmacher bei der Wahl der Umfragethemen nicht wählerisch, schließlich kann auch zum Welt-Toiletten-Tag jeder etwas sagen, und wenn nicht, kann man das trotzdem senden. Wer sich in Wettin engagiert, wer dem Heimatverein beitritt oder auch nur regelmäßig den Marktplatz betritt, der kann sich sicher sein: Bald ist er im Fernsehen zu sehen, auf WTV. Und das können dann, zumindest technisch, zumindest theoretisch, 540 Haushalte empfangen. Der 20-Jährige schiebt die Brille auf der Nase zurecht.

"Es ist halt wirklich dieser kleine Ausstrahlungsraum, dadurch lernt man seine Mitmenschen, seine Nachbarn kennen und kann sagen, ja, der war letzte Woche im Fernsehen, das war lustig, und hat die und die Antwort gegeben. Und dann entsteht so ein kleiner Tratsch vielleicht."

Das schafft Verbundenheit und sorgt dafür, dass die Wettiner sich wohl fühlen in ihrem Städtchen. Beim Magdeburger Medientag wurde vor einigen Wochen Bilanz gezogen über die ersten zehn Jahre Bürgermedien in Sachsen-Anhalt: Die Offenen Kanäle seien "Haltepunkte im ländlichen Raum".

"Gerade durch die Umfragen lernt man viele Wettiner kennen, man lernt auch die Eigenarten von Wettinern kennen. Aber man lernt auch manche Leute doch zu schätzen, weil man die Leute dann kennen lernt und dann auch mitkriegt, was die auch alles für Wettin tun."

Nebenan, hinter einer weiteren Trennwand, sitzt Sebastian Kunze an einem Schnittplatz. Auch er ist 20 Jahre alt berichtet über die Wettiner Vereine und Menschen.

"Wie lange, zum Teil Jahrzehnte, schon aktiv sind, und die man so sonst nie kennen gelernt hätte. Und da sind schon so manche Persönlichkeiten dabei, wo man dann sagt, da muss ich den Hut vor ziehen, wer zwanzig Jahre dahinter bleibt und da aktiv ist, ist schon was Besonderes."

Also schildert WTV ausführlich das soziale Engagement. Und sorgt so dafür, dass immer mehr Menschen in Wettin aktiv werden, meint der WTV-Geschäftsführer Jens Rudolph. Der gerade allerdings nirgends in dem kleinen Studio zu entdecken ist.

Im Erdgeschoss des gelben Hauses sind ein großer Raum mit einer Theke, zur Saale hin ein Wintergarten und die Holzterrasse.

Diese Räume gehören nicht zu WTV, sondern zu dem Wettiner Jugendzentrum "Das Nest", dem das Haus eigentlich gehört. Und aus dem der Offene Kanal hervorgegangen ist.

Für Jens Rudolph ist WTV weit mehr als einfach nur ein Offener Kanal - der den Bürgern von Wettin eine zensurfreie Plattform bietet und dadurch die Demokratie stärken soll. Der bärtige Geschäftsführer nippt an seinem Wasser.

"Also wir haben den Bereich der Medienpädagogik in Form von Schulprojekten. Wir vermitteln Medienkompetenz, indem wir jungen Leuten Grundhandwerk vom Umgang mit Medien sozusagen nahe legen. Und wir sind gleichzeitig natürlich auch so eine Art soziokulturelles Zentrum mit jugendlichem Charakter, wo die Leute auch herkommen, weil man hier Gleichgesinnte trifft."

Und weil WTV das soziale Engagement der Wettiner mit freundlichen Fernsehbeiträgen belohnt - deshalb wird der Sender zu einem Faktor, der nicht nur junge Menschen in der eigentlich schwachen Region hält. Davon sind hier viele überzeugt. Und zu dem Schluss kommt auch Ricardo Feigel.

Er leitet das Referat für Bürgermedien bei der Medienanstalt des Landes Sachsen-Anhalt. Die Menschen scharen sich um die Offenen Kanäle, sagt er. Von Halle aus, nicht einmal 20 Kilometer von Wettin entfernt, finanziert und kontrolliert Ricardo Feigel alle Offenen Kanäle des Landes. 1,2 Millionen Euro stehen dafür pro Jahr zur Verfügung. Rund 70.000 davon erhält WTV.

"Es ist ja so, dass wir in Sachsen-Anhalt nicht so ganz viele Angebote für Jugendliche, für junge Erwachsene haben, und dass die Offenen Kanäle da eine wichtige Funktion mittlerweile übernehmen. Die sorgen also dafür, dass junge Leute eine sinnvolle, eine interessante Freizeitbeschäftigung haben, dass sie gemeinsam sich beteiligen können am lokalen Kommunikationsprozess, dass sie ganz einfach Spaß haben, gemeinsam Filmprojekte oder Radioprojekte zu entwickeln, und das durchaus schon so in die Richtung zeigt, dass das ein Haltefaktor im ländlichen Raum ist, den wir sonst also kaum haben. Dass also wenige Möglichkeiten zur Identifikation für Jugendliche da sind. Vielleicht die Tankstelle um die Ecke, aber das ist ja nicht so der ideale Punkt. Wir denken, dass da ein Offener Kanal eine wichtige Funktion hat."

Aus Sachsen-Anhalt sind seit der Wende mehr als zehn Prozent der Menschen weggezogen. Zurückgeblieben sind vor allem die Alten. Und allein stehende Männer - weil Frauen eher bereit sind, einem Job hinterher zu ziehen.

In Wettin dagegen wohnen fast genauso viele wie vor der Wiedervereinigung. In den Gassen sind viele junge Menschen, und das Beste: Die Quote zwischen Frauen und Männern ist ausgeglichen.

Das alles tatsächlich die positive Bilanz des Offenen Kanals? Niemand zieht weg, weil es WTV gibt?

"Ich würde mir wünschen, dass es so wäre, kann es nicht verifizieren. Ich glaube aber dass tendenziell ist sicherlich eine Entwicklung zu beobachten, dass sich Offene Kanäle und nichtkommerzielle Lokalradios als eine Art soziokulturelle Zentren entwickeln. Dass sie also eine Funktion über den allgemeinen Meinungsbildungs- und Kommunikationsprozess hinaus wahrnehmen."

Zumindest im unmittelbaren Umfeld des kleinen Fernsehsenders scheint die Rechnung aufzugehen. Nicht zuletzt deswegen, weil der Offene Kanal seit 2002 Mediengestalter ausbildet, also Kameraleute und Cutter.

Für den Fernseh-Chef eine gute Entwicklung:

"Für die Macher, die Nutzer hier im Offenen Kanal, dort beobachten wir, dass es schon dazu führt, dass diese Jugendlichen, die hier eine Ausbildung absolvieren, verstärkt versuchen in der Region zu bleiben. Aus dem ganz simplen Grund: Sie haben ja in der Zeit, in der sie hier tätig sind, so ein kleines Netzwerk sich aufgebaut."

Allerdings: Er kann dem nicht nur Positives abgewinnen.

"Ich selber sehe das sehr differenziert, dass es für den einen oder anderen unter Umständen gar nicht so günstig ist, hier zu verbleiben, wenn es um die eigene Entwicklung geht. Man läuft natürlich immer Gefahr, in dieser Gegend hier dann doch provinziell zu werden und ein bisschen so im eigenen Saft zu kochen, weil einem halt doch die Inputs ein bisschen fehlen."

Die jungen Fernsehmacher stört das nicht. Benjamin Bruch, der oben im Studio inzwischen an seinem Beitrag schneidet:

"Man merkt halt wirklich, dass die Sendung gesehen wird. Das ist nicht so: gut, existiert, ist okay. Sondern man merkt: Es wird darüber geredet. Und dadurch merkt man, unsere Arbeit wird beachtet und so, und das ist schon, das gibt einem ein bisschen… Es lohnt sich quasi, das was man macht."

Er ist nicht der einzige, der so denkt. Hiltrud Blaue hat in den 80er Jahren den Jugendclub gegründet und Ende der 90er Jahre den Offenen Kanal initiiert. Bis heute ist sie die Vorsitzende des Senders und lässt sich gelegentlich selbst interviewen. Die meiste Zeit aber arbeitet sie in der Bücherei, im mittleren Burgteil, direkt neben dem Burggymnasium.

Sie hat gerade ein Päckchen mit Büchern ausgepackt. Irgendein unbekannter Spender schickt der Bücherei regelmäßig Lesestoff, mal Kunst, mal Schund. Hiltrud Blaue freut sich, dabei weiß sie gar nicht, wohin mit allen Büchern. Denn viele Regale in der Bücherei sind angefüllt mit Video-DVDs. Das sind die Sendungen von WTV, sagt Hiltrud Blaue stolz,

"… Und diese Sendungen, also diese lokalen Sachen sind dann immer sehr gefragt. Die leihen wir hier aus, und die Leute können sich das anschauen, und kommen dann natürlich auch darauf, sich weitere Sendungen bei uns auszuleihen."´"

Sie liebt vor allem die Umfragen unter den Wettinern.

""Diese Umfragen, also das ist immer sehr lustig! Es gab ja schon zu DDR-Zeiten diese bestimmten Tage, also, Tag des Bergmanns, Tag des Bieres oder, was weiß ich, Tag der Chemiearbeiter, und dann gehen die einfach mit Kamera und Mikrofon los und fragen die Leute, ob sie diesen Tag kennen, und was sie sich darunter vorstellen, und das macht mir immer am meisten Spaß, wenn ich die sehe."

Ihre Augen strahlen, wenn Hiltrud Blaue vom Offenen Kanal redet, den sie kurz "OK" nennt. Je länger sie spricht, desto klarer wird: Diese kleine Fernsehstation ist das heimliche Zentrum von Wettin, sie ist die verborgene Schaltzentrale des Ortes.

"So ein winziges Nest wie Wettin hat einen OK, hat durch diesen OK ein ziemlich reges Leben, Kulturleben, was über diesen OK vermittelt wird. Dieser OK beeinflusst das gesellschaftliche Leben in der Stadt, und das gibt dieser Stadt natürlich was Besonderes."

Nachlässig streicht sie sich das helle Haar aus der Stirn. Dann erläutert sie, dass auf WTV nicht nur die lustigen Umfragen laufen, sondern auch Missstände vor Ort kritisiert werden. Wie beispielsweise in jenem Beitrag über diese Bäckerei, in der einer der jungen Fernsehmacher unfreundlich bedient worden war.

"Dann ist es halt so. Dann erfährt man das halt beim Bäcker, wenn man nicht freundlich gewesen ist, oder man erfährt es halt beim Friseur, dass jemand einem halt dumm gekommen ist oder so."

Weil in Wettin aber das Prinzip des Gebens und Nehmens herrscht, müssen sich die Macher von WTV am nächsten Morgen beim Brötchenholen auch anhören, wenn ein Beitrag bei den Zuschauern durchgefallen ist. Ein Fall ist ihr besonders in Erinnerung geblieben.

"Da ging es ums Thema Burgfest. Und weil ich da ja Organisator bin, geb ich da manchmal selber Interviews. Und da haben mir die Leute am nächsten Morgen gesagt: 'Na Frau Blaue, Sie haben wohl keine Zeit gehabt, sich mal die Haare zu kämmen?' Ich sag, oh Gott, da hab ich überhaupt nicht drauf geachtet. Wichtig war für mich, was ich da erzählt habe, aber ob ich meine Haare gekämmt habe… 'Ham Sie wohl nicht die Zeit gehabt, sich die Haare zu kämmen!'"

Das ist aber die Ausnahme, meist geht man freundlich miteinander um. Und das ist auch besser so, findet die Vorsitzende. Deshalb gibt es ein ungeschriebenes Gesetz.

"Es kommt ja immer darauf an, wer welchen Film macht. Man kann zum Beispiel über einen Verein so oder so berichten, und deshalb ist es am besten, wenn die Vereine über sich selber berichten."

Es gibt aber auch Menschen, denen will sie keine Plattform bieten: Rechtsradikale. Die eines Tages vor der Tür von WTV stehen und ihr Bürgerrecht einfordern könnten, Beiträge im Offenen Kanal zu produzieren und zu senden. Zum ersten Mal zögert die resolute Frau. Dann sagt sie:

"Ja, das … da haben wir auch ein bisschen Schiss vor."

Denn das ist die Rechtslage nicht nur in Sachsen-Anhalt: Die Offenen Kanäle bieten jedem eine Plattform und die technische Ausrüstung. Ausdrücklich ohne Zensur. Was nicht verfassungswidrig ist, muss gesendet werden. Mit einer Einschränkung: Parteien dürfen keine wahlvorbereitenden Berichte senden.

Gegen die Propaganda von rechtsradikalen Kameradschaften, die ohnehin nicht zur Wahl antreten, würde diese Einschränkung freilich nicht helfen. Das hatte auch der Medienwächter Ricardo Feigel von der Medienanstalt unumwunden zugegeben. Aber:

"Wir stellen überhaupt nicht fest, dass Rechtsradikale in Sachsen-Anhalt Offene Kanäle nutzen. Überhaupt nicht. Wir haben keinen einzigen Fall gehabt. Wir fragen uns ehrlich gesagt selber, warum das so ist. Wir sind der Meinung, dass die kulturelle Verordnung der Bürgermedien in Sachsen-Anhalt die Rechten eher abschreckt. Also dass da Hausfrauen, Schüler, Rentner, Studenten und alle gemeinsam Programm machen, denken wir mal, dass das nicht unbedingt die kulturelle Szene ist, in der sich rechte Kameradschaften beispielsweise bewegen."

Eine vielleicht trügerische Hoffnung. Deshalb überlegt sich Hiltrud Blaue, während sie oben auf dem Burgberg in der Bücherei sitzt, was sie im Fall der Fälle tun würde. Dann grinst sie. Denen würde sie als Hausherrin des Jugendclubs den Zutritt verwehren. Und wer nicht in das gelbe Haus am Saale-Ufer hinein kann, weil es dem Jugendclub gehört, der kommt auch nicht auf den ausgebauten Dachboden und in das Studio von WTV.

Unten an der Saale, in dem gelben Haus, wird Jens Rudolph ergänzen, dass er sich einen Trick überlegt hat für den Fall, dass Rechtsradikale den Sender gar nicht betreten wollen, sondern ein fertiges Band abgegeben würde. Ein Trick, der aber nur begrenzt hilfreich ist:

"Und wenn man eine technische Kontrolle realisiert, dann sieht man ja zwangsläufig den Inhalt. Und sollten sich dann dort irgendwelchen verfassungsfeindlichen Inhalte wieder finden, dann muss man ja ohnehin untersagen, dass es ausgestrahlt wird. Bei Dingen, die so im Grenzbereich liegen, und da ist ja die rechte Szene relativ pfiffig, tja, ist man sicherlich, wenn die das mit einem Rechtsanwalt durchziehen, gezwungen das zu senden. Aber zunächst erstmal ist es so, dass wir abblocken."

Inzwischen hat die Bücherei geschlossen. Hiltrud Blaue kommt mit zum Eingang, zückt ihr dickes Schlüsselbund und öffnet die Tür. Auf dem Weg zum Sender erklären Passanten, was sie von WTV halten.

"Den haben wir nicht. Es gibt so viel im Fernsehen, ha! Interessiert mich nicht."
"Nee, das sacht mir jetzt gar nischt. Ich bin zwar Wettiner, aber das sacht mit jetzt nichts."
"Den hab ich gar nicht. Hab auch keen Verlangen."
"Mich interessiert eben Natur, Wissenschaft, Weltraum, so was in der Richtung. Oder gerade wie Jaque Cousteau, den hab ich auch gerne geguckt."
"Also kennen tu ich ihn, empfangen tun wir ihn nicht, weil das hier über Satellitenfernsehen gar nicht abgestrahlt wird. Ich weiß, was sie machen, und finde das 'ne tolle Sache."
"Gehört hab ich davon, aber ich hab ihn nicht. Ich habe Radio Luxemburg. Mir genügt das. Die Sonne ist ja uner, unerbittlich heute."
"Dett ist der Wettiner Sender, ja? Aaaach so, nee, nee, hab ich noch nie jehabt und, wenn's da was Spannendes gibt, dann kriegt man das hier schon zu hören, der Funk geht gut!"

Unten an der Saale liegt die weiß-grüne Autofähre. Kinder und Rentner zehn Cent, Personen zwanzig Cent, steht auf dem Schild. Auf der Fähre steht ein älterer Herr im Blaumann und winkt. Es ist Reinhard Zametschnik - einer der Wettiner, ohne die es den Offenen Kanal wahrscheinlich nicht geben würde. Heute betreibt er die Zahnradfähre. In den 80er Jahren hat er genau die Antennenanlage gebaut, über die heute WTV ausgestrahlt wird. Damals war sie für das Westfernsehen gedacht.

Im Saale-Tal war der Empfang so schlecht, dass er oft nicht einmal für die DDR-Nachrichten "Aktuelle Kamera" ausreichte. Ein schöner offizieller Grund für die riesige, 46 Meter hohe Antenne, die Reinhard Zametschnik in seinem Hof aufbaute.

"Ich hab mir erst für mich eine gebaut, und dann kam der Nachbar, oh, kann ich mich da mit dranhängen, und dann hat sich das rum gesprochen, und dann haben wir eben ganz Wettin versorgt."

Ein paar hundert Ostmark musste jeder als Startgebühr für die aufwändige Verkabelung bezahlen - das Kabelnetz, über das heute WTV empfangen werden kann. Nach jedem zehnten Haushalt musste das schwache Fernsehsignal verstärkt werden, erklärt Reinhard Zametschnik.

"Erstmal ein Hauptverstärker, und dann strahlenförmig in alle Richtungen abgegangen, und dann unterwegs wieder aufgeteilt die Programme, wieder verstärkt, wieder zusammengeführt, auf den Böden meist bei den Leuten, da haben wir das wieder aufgetrennt, wieder verstärkt, wieder eingespeist, und dann ging das weiter."

Und deshalb kann bis heute nur WTV empfangen, wer im Gebiet dieses alten Kabels liegt. Über Antenne oder Satelliten-Schüssel herrscht Funkstille.

Im gelben Haus von WTV arbeiten die jungen Fernsehmacher schon an ihrer nächsten Sendung. Es gibt wieder eine Umfrage.

Benjamin Bruch, der inzwischen mit dem Schnitt seines Beitrages fertig ist, erklärt, warum die Nachrichten über Wettiner Vereine oft so positiv ausfallen.

"Wir berichten halt nur über sie, objektiv natürlich, weniger kritisch, denk ich, ja …"

"Also man muss natürlich dann immer gucken, wie kritisch dieser Bericht ist. Also man sollte natürlich dann nicht übertreiben, gerade im Hinblick, weil das ja auch unsere Zuschauer sind und alles."

"Man ist natürlich auch bestrebt, so hab ich das Gefühl, wenn man berichtet über einen Verein, über eine Person, mehr eine positive Kurve zu kriegen. Also es eher ein Journalismus, der mit Sympathien arbeitet."

Lokalpolitische Berichterstattung findet kaum statt, fügt Jens Rudolph mit einem vorsichtigen, verschmitzten Lächeln hinzu:

"Also das ist auch eine Sache, der man auch aus dem Weg geht. Wahrscheinlich auch, weil es hier sehr persönlich ist, es ist ja immer sofort eine konkrete Person, die dahinter ist, so dass man versucht, solche Dinge, sozusagen, sehr paritätisch zu behandeln. Und sich eigentlich auch aus solchen politischen Prozessen, die ja auch mal drunter und drüber gehen, bei Stadtratssitzungen, sich ein bisschen raus hält, das ist so mein Eindruck."

Andererseits: Vielleicht ist genau das das Erfolgsgeheimnis von WTV - die Menschen und Vereine in Wettin in einem positiven Licht darzustellen. Vielleicht konnte der kleine Fernsehsender nur auf diese Weise seine Haltefunktion im Städtchen entwickeln, vielleicht kann er die Wettiner eher mit positiven Berichten zu mehr Engagement anspornen? Das wäre dann Wohlfühlfernsehen als Standortfaktor.