Haller: Ablehnung des Henri-Nannen-Preises nachvollziehbar
Die Würdigung der "Bild"-Zeitung für ihre Berichterstattung in der Affäre Wulff mit einem Henri-Nannen-Preis sei "aus medienwissenschaftlicher Sicht nicht richtig", meint der Journalismusforscher Michael Haller. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte zuvor eine gemeinsame Auszeichnung mit "Bild" abgelehnt.
André Hatting: Zum achten Mal wurde der Henri-Nannen-Preis vergeben - eine der prestigeträchtigsten Veranstaltungen des deutschen Journalismus. Hätte eine schöne Gala werden können im Hamburger Schauspielhaus, wurde aber ein Eklat, denn wie schon im letzten Jahr waren nicht alle mit der Entscheidung der Jury einverstanden.
Die "Bild"-Zeitung hat nämlich auch einen Preis bekommen in der Kategorie "Recherche" für ihren Beitrag über den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen wir. Gleichzeitig wurden auch Journalisten der "Süddeutschen Zeitung" geehrt, in der gleichen Kategorie. Den Preis mit der "Bild" teilen - das wollten Hans Leyendecker und seine Kollegen auf gar keinen Fall. Sie haben ihn coram publico abgelehnt.
Am Telefon ist jetzt Michael Haller, er ist Direktor des Instituts für Journalismusforschung in Leipzig, viele Journalisten kennen und schätzen sein Standardwerk "Recherchieren". Guten Morgen, Herr Haller!
Michael Haller: Ja, guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Finden Sie die Entscheidung der Jury richtig?
Haller: Ich finde die Entscheidung der Jury, der "Bild"-Zeitung den "Investigative Recherche"-Preis in der Affäre Wulff zu geben, aus medienwissenschaftlicher Sicht nicht richtig, nein. Der naheliegendste Grund ist: Nicht, weil die "Bild"-Zeitung eine Boulevardzeitung ist, ist der Entscheid falsch gewesen, sondern weil die Rechercheleistungen, die am Ende zum Rücktritt von Wulff geführt haben, ein Zusammenspiel einer ganze Reihe von Medien waren.
Da gehörte genauso ... sozusagen zu Beginn der ganzen Recherchearbeit gehörte die Bemühung des "Spiegel" über ein Gerichtsurteil an die Unterlagen über den ... also die Einsicht in die Grundbucheinträge jenes Einfamilienhauses von Wulff zu gelangen, bis hin zu Nachfragen des NDR bei dem Filmeproduzenten und Finanzier Groenewold - also so haben ganz verschiedene, unterschiedliche Aktivitäten von Recherchier-Journalisten am Ende zu dem geführt, was wir dann mit dem Rücktritt von Wulff erlebt haben.
Hatting: Wäre es korrekt gewesen, wenn der NDR, der "Spiegel" und die "Bild"-Zeitung diesen Preis gemeinsam bekommen hätten?
Haller: Also da wäre man der Sache schon wesentlich näher gekommen, wie die Rechercheleistungen tatsächlich stattgefunden haben. Aber das ist auch nur der eine Aspekt.
Der andere Aspekt, der auch deutlich schwieriger in den Griff zu bekommen ist, ist die Frage: Wie gehen die Medien, also in diesem Falle die Presse, wie gehen die mit Rechercheergebnissen um, wenn sie sie veröffentlichen?
Der eigentliche Gedanke der investigativen Recherche ist ja nicht, Aufreger zu produzieren, sondern ein Stück gesellschaftliche Selbstaufklärung zu leisten. Darum hat die Presse entsprechende, ja, man könnte fast schon sagen Privilegien in den Landespressegesetzen: Sie hat Auskunftsverweigerungsrecht ... die Möglichkeit, Auskunftsverweigerung der Behörden zu überwinden, und sie hat selber ein Zeugnisverweigerungsrecht.
Das sind ganz schön wichtige Instrumente der Recherche, die nicht einfach aus Jux und Tollerei der Presse gegeben wurden, sondern um ihr die Möglichkeit zu geben, Missstände aufzudecken, damit die Gesellschaft - gerade im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen -, damit die Gesellschaft, also die Bürger, ins Bild gesetzt werden, was auf der Ebene der Politik läuft.
Hatting: Ja, Herr Haller, dann könnte doch die "Bild"-Zeitung jetzt sagen: Ja, genau das haben wir doch getan, wir haben Missstände beim Bundespräsidenten Christian Wulff beziehungsweise in seiner Amtszeit als Ministerpräsident Niedersachsens aufgedeckt.
Haller: Eigentlich nicht, denn die Art und Weise, wie die Befunde der Recherche publiziert wurden, ... sieht man: Es ging der "Bild"-Zeitung nicht darum, dass hier Transparenz in der Gesellschaft hergestellt wird, sondern dass Aufmerksamkeit generiert wird, dass Aufreger produziert werden.
Man hielt wichtige Informationen zurück, man wartete eine Woche, zwei Wochen, damit es sozusagen in die eigene Dramaturgie passt, damit man über andere Medien wiederum bestimmte Informationen schon mal lanciert, um darauf wieder aufzusetzen. Also es ist schon an der Nähe dessen, was man Kampagnenjournalismus nennen könnte.
Es war nicht eine Kampagne, weil es hier tatsächlich darum ging, Fehlverhalten des Schnäppchenjägers Wulff zu zeigen. Aber es war so deutlich zu erkennen in all diesen einzelnen Publikationsschritten, dass die "Bild"-Zeitung, zu Teilen als Trittbrettfahrer der Recherchearbeit anderer, zum Teil auch als Demontierer von Prominenz hier eigentlich Aufreger produzieren wollte, dass sie, die "Bild"-Zeitung, ins Gespräch gebracht werden soll, aber weniger, dass es um Aufklärung ging.
Hatting: Aber Herr Haller - das ist doch eigentlich das Geschäft jeder Zeitung, dass man News, die man hat, häppchenweise präsentiert, einfach um die Leser auch am Ball zu halten.
Haller: Das sehe ich nicht so, nein. Dass natürlich auch eine gewisse Strategie mit verfolgt wird, wenn man über eine längere Zeit an einem Thema arbeitet, mag ja schon sein, aber diese Strategie ist nicht, um die Leser sozusagen bei der Stange zu halten, sondern die Strategie kann nur Sinn machen, um etwa potenzielle Informanten zu schützen, um also den Rechercheprozess voranzubringen, aber nicht, um hier in diesem Sinne varieté-artig Inszenierungen in die Welt zu setzen.
Hatting: Herr Haller, finden Sie das Verhalten von Herrn Leyendecker richtig, dass er sagt, ich gebe meinen Preis zurück?
Haller: Ja, das ist eine mögliche Reaktion, ja, ich kann das jedenfalls sehr gut nachvollziehen.
Hatting: Michael Haller war das, er ist Direktor des Instituts für Journalismusforschung in Leipzig. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Haller!
Haller: Ja, bitte schön, Herr Hatting. Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Die "Bild"-Zeitung hat nämlich auch einen Preis bekommen in der Kategorie "Recherche" für ihren Beitrag über den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen wir. Gleichzeitig wurden auch Journalisten der "Süddeutschen Zeitung" geehrt, in der gleichen Kategorie. Den Preis mit der "Bild" teilen - das wollten Hans Leyendecker und seine Kollegen auf gar keinen Fall. Sie haben ihn coram publico abgelehnt.
Am Telefon ist jetzt Michael Haller, er ist Direktor des Instituts für Journalismusforschung in Leipzig, viele Journalisten kennen und schätzen sein Standardwerk "Recherchieren". Guten Morgen, Herr Haller!
Michael Haller: Ja, guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Finden Sie die Entscheidung der Jury richtig?
Haller: Ich finde die Entscheidung der Jury, der "Bild"-Zeitung den "Investigative Recherche"-Preis in der Affäre Wulff zu geben, aus medienwissenschaftlicher Sicht nicht richtig, nein. Der naheliegendste Grund ist: Nicht, weil die "Bild"-Zeitung eine Boulevardzeitung ist, ist der Entscheid falsch gewesen, sondern weil die Rechercheleistungen, die am Ende zum Rücktritt von Wulff geführt haben, ein Zusammenspiel einer ganze Reihe von Medien waren.
Da gehörte genauso ... sozusagen zu Beginn der ganzen Recherchearbeit gehörte die Bemühung des "Spiegel" über ein Gerichtsurteil an die Unterlagen über den ... also die Einsicht in die Grundbucheinträge jenes Einfamilienhauses von Wulff zu gelangen, bis hin zu Nachfragen des NDR bei dem Filmeproduzenten und Finanzier Groenewold - also so haben ganz verschiedene, unterschiedliche Aktivitäten von Recherchier-Journalisten am Ende zu dem geführt, was wir dann mit dem Rücktritt von Wulff erlebt haben.
Hatting: Wäre es korrekt gewesen, wenn der NDR, der "Spiegel" und die "Bild"-Zeitung diesen Preis gemeinsam bekommen hätten?
Haller: Also da wäre man der Sache schon wesentlich näher gekommen, wie die Rechercheleistungen tatsächlich stattgefunden haben. Aber das ist auch nur der eine Aspekt.
Der andere Aspekt, der auch deutlich schwieriger in den Griff zu bekommen ist, ist die Frage: Wie gehen die Medien, also in diesem Falle die Presse, wie gehen die mit Rechercheergebnissen um, wenn sie sie veröffentlichen?
Der eigentliche Gedanke der investigativen Recherche ist ja nicht, Aufreger zu produzieren, sondern ein Stück gesellschaftliche Selbstaufklärung zu leisten. Darum hat die Presse entsprechende, ja, man könnte fast schon sagen Privilegien in den Landespressegesetzen: Sie hat Auskunftsverweigerungsrecht ... die Möglichkeit, Auskunftsverweigerung der Behörden zu überwinden, und sie hat selber ein Zeugnisverweigerungsrecht.
Das sind ganz schön wichtige Instrumente der Recherche, die nicht einfach aus Jux und Tollerei der Presse gegeben wurden, sondern um ihr die Möglichkeit zu geben, Missstände aufzudecken, damit die Gesellschaft - gerade im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen -, damit die Gesellschaft, also die Bürger, ins Bild gesetzt werden, was auf der Ebene der Politik läuft.
Hatting: Ja, Herr Haller, dann könnte doch die "Bild"-Zeitung jetzt sagen: Ja, genau das haben wir doch getan, wir haben Missstände beim Bundespräsidenten Christian Wulff beziehungsweise in seiner Amtszeit als Ministerpräsident Niedersachsens aufgedeckt.
Haller: Eigentlich nicht, denn die Art und Weise, wie die Befunde der Recherche publiziert wurden, ... sieht man: Es ging der "Bild"-Zeitung nicht darum, dass hier Transparenz in der Gesellschaft hergestellt wird, sondern dass Aufmerksamkeit generiert wird, dass Aufreger produziert werden.
Man hielt wichtige Informationen zurück, man wartete eine Woche, zwei Wochen, damit es sozusagen in die eigene Dramaturgie passt, damit man über andere Medien wiederum bestimmte Informationen schon mal lanciert, um darauf wieder aufzusetzen. Also es ist schon an der Nähe dessen, was man Kampagnenjournalismus nennen könnte.
Es war nicht eine Kampagne, weil es hier tatsächlich darum ging, Fehlverhalten des Schnäppchenjägers Wulff zu zeigen. Aber es war so deutlich zu erkennen in all diesen einzelnen Publikationsschritten, dass die "Bild"-Zeitung, zu Teilen als Trittbrettfahrer der Recherchearbeit anderer, zum Teil auch als Demontierer von Prominenz hier eigentlich Aufreger produzieren wollte, dass sie, die "Bild"-Zeitung, ins Gespräch gebracht werden soll, aber weniger, dass es um Aufklärung ging.
Hatting: Aber Herr Haller - das ist doch eigentlich das Geschäft jeder Zeitung, dass man News, die man hat, häppchenweise präsentiert, einfach um die Leser auch am Ball zu halten.
Haller: Das sehe ich nicht so, nein. Dass natürlich auch eine gewisse Strategie mit verfolgt wird, wenn man über eine längere Zeit an einem Thema arbeitet, mag ja schon sein, aber diese Strategie ist nicht, um die Leser sozusagen bei der Stange zu halten, sondern die Strategie kann nur Sinn machen, um etwa potenzielle Informanten zu schützen, um also den Rechercheprozess voranzubringen, aber nicht, um hier in diesem Sinne varieté-artig Inszenierungen in die Welt zu setzen.
Hatting: Herr Haller, finden Sie das Verhalten von Herrn Leyendecker richtig, dass er sagt, ich gebe meinen Preis zurück?
Haller: Ja, das ist eine mögliche Reaktion, ja, ich kann das jedenfalls sehr gut nachvollziehen.
Hatting: Michael Haller war das, er ist Direktor des Instituts für Journalismusforschung in Leipzig. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Haller!
Haller: Ja, bitte schön, Herr Hatting. Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.