"Halbwahrheiten und Unterstellungen"

Moderation: Gabi Wuttke · 05.05.2006
Der Geschäftsführer der Brüder Grimm-Gesellschaft, Bernhard Lauer, hat Kritik an seiner Arbeit zurückgewiesen. "Das, was im 'Spiegel' jetzt gegen mich vorgebracht worden ist, ist eine Ansammlung von Halbwahrheiten und Unterstellungen", erklärte Lauer.
Gabi Wuttke: Der Vorwurf von Kollegen wie Professor Heinz Rölleke aus Wuppertal ist massiv, wie im aktuellen "Spiegel" nachzulesen ist: Sie schirmten Ihre Schätze ab, Forscher würden in ihrer Arbeit behindert. Wie stehen Sie dazu?

Bernhard Lauer: Also wir haben hier in Kassel die Sammlungen zu den Brüdern Grimm und zu ihren Arbeitsbereichen in den letzten Jahren verzwanzigfacht. Und wir haben in der Tat hin und wieder räumliche und auch personelle Probleme, das zu bewältigen. Die Sammlungen sind aber grundsätzlich für jeden, der sich dafür interessiert, zugänglich, nach vorheriger Anmeldung. Und wir geben uns seit Jahren die größte Mühe, diese Schätze zu inventarisieren, zu dokumentieren, aufzubereiten und für die Benutzung auch zur Verfügung zu stellen.

Wuttke: Warum aber heißt es, Sie schirmten Ihre Schätze ab? Und warum gibt es den Vorwurf, Berliner Grimm-Forscher hätten eine Briefedition nicht wie geplant herausgeben können, weil die Originalausgaben von Ihnen nicht zur Verfügung gestellt wurden?

Lauer: Das, was im "Spiegel" jetzt gegen mich vorgebracht worden ist, ist eine Ansammlung von Halbwahrheiten und Unterstellungen, bei denen meine Meinung nicht gehört worden ist. Und das gehört sozusagen auch zu einer Schlammschlacht, die seit Monaten gegen mich im Gange ist, zu der ich mich aber bisher nicht geäußert habe und zu der ich aber auf der anderen Seite auch nicht gehört worden bin.

Wuttke: Sie zitierten aus eigenen Büchern, von denen nachweislich 13 gar nicht existierten. Hat das Nachrichtenmagazin da schlecht recherchiert?

Lauer: Das Nachrichtenmagazin hat von mir eine Liste bekommen aller Publikationen der Brüder Grimm-Gesellschaft der letzten 15 Jahre. Was zum Beispiel einige Titel betrifft, wie zum Beispiel aus 1991 - das, was also jetzt nach 15 Jahren erst rauskommt, dass das angeblich nicht publiziert worden wäre -, betrifft die Brüder Grimm oder in dem Fall Jacob Grimm und die Pariser Académie celtique. Diese Dinge sind von meiner Kollegin Bärbel Plöttner, mit der ich das zusammen angekündigt habe, in einer französischen Publikation längstens erschienen. Da muss man halt auch ein bisschen in die französische Grimm-Forschung hineinschauen. Und die "Autobiografischen Schriften" der Brüder Grimm ist natürlich ein Titel, den habe ich angekündigt, der ist noch nicht erschienen, aber ich habe seither in verschiedenen Aufsatzpublikationen mit über 100 Seiten dokumentiert, dass ich daran arbeite, ich...

Wuttke: Sie arbeiten schon sehr lange daran. Sie haben diesen Band schon vor sechs Jahren mit ISBN-Nummer angekündigt.

Lauer: Das macht man in der Regel immer, dass man etwas ankündigt. Und wenn es in einer größeren Werkausgabe erscheint, dann gibt man auch schon die ISBN-Nummer vor. Und es gibt immer wieder Forschungsprojekte, die sehr lange laufen, die mit Problemen zu kämpfen haben.

Wuttke: Warum klagen Sie nicht einfach gegen den "Spiegel"?

Lauer: Ich bin in Sachen Grimm unterwegs, ich bin Philologe. Ich bin im Moment mit verschiedenen Anwälten im Gespräch. Und ich denke, ich werde hier sicherlich in der nächsten Woche da etwas dagegen tun. Jetzt aber muss ich mich ganz auf die Wahlen und die nächste Mitgliederversammlung der Brüder Grimm-Gesellschaft konzentrieren. Danach werde ich mich auch mit diesen Fragen beschäftigen...

Wuttke: Einer Ihrer schärfsten Kritiker, Herr Lauer, ist der ehemalige Präsident der Universität Kassel, Professor Hans Brinkmann. Er möchte Sie offensichtlich beerben und morgen neuer Geschäftsführer der Grimm-Gesellschaft werden. Steht also Ihre Entmachtung bevor?

Lauer: Ich denke mal, die Mitglieder der Brüder Grimm-Gesellschaft werden in einer freien und souveränen Entscheidung hier wählen. Und ich werde mich bemühen, die Gräben zuzuschütten. Mir geht es um die Sache der Brüder Grimm. Ich werde mich bemühen, hier auch Kompromisse zu schließen...

Wuttke: Welcher Art?

Lauer: Das wird man in der Versammlung sehen. Ich gehe jetzt erst mal in diese Wahlen aufrecht und kämpferisch hinein. Weil es geht mir jetzt erst mal darum, meinen Ruf zu wahren und diese Schmutzkampagne zu beenden.

Wuttke: Und welche Kompromisse würden Sie eingehen?

Lauer: Ich würde jeden Kompromiss eingehen, der dazu dient, diese Gräben zuzuschütten und die Brüder Grimm-Gesellschaft wieder aus dieser Schmutzkampagne herauszubekommen. Und statt im "Spiegel" solche Anschuldigungen zu machen, ist es, denke ich, an der Zeit, sich wieder auf die Sacharbeit zu konzentrieren. Und ich habe mich schon sehr gewundert, dass zum Beispiel Herr Professor Rölleke, der seit über zehn Jahren an keiner Mitgliederversammlung und an keinem Wissenschaftlichen Rat der Brüder-Grimm-Gesellschaft teilgenommen hat, jetzt ganz plötzlich von der Seite diese Schüsse auf uns hier in Kassel abgibt.

Wuttke: Sie wiederum kritisieren Professor Rölleke, sagen er sei seit zehn Jahren bei keiner Mitgliederversammlung mehr gewesen. Nun gibt es aber Kritiker, die sagen, Sie hätten auch namhafte Forscher, die Anträge auf eine Mitgliedschaft gestellt hätten, ignoriert, und die stellen sich nun auch wiederum die Frage: Wie viele Mitglieder hat die Grimm-Gesellschaft eigentlich und wo ist die Liste einsehbar?

Lauer: Die Liste der Brüder Grimm-Gesellschaft, die inzwischen etwas über 460 Mitglieder beträgt, in den letzten Wochen sind sehr viele neue Mitglieder dazugekommen. Der Vorstand der Brüder Grimm-Gesellschaft hat alle Neumitglieder in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen. Und dieses Mitgliederverzeichnis liegt in der Geschäftsstelle aus.

Wuttke: Herr Lauer, noch ein letzter Vorwurf, mit dem ich Sie konfrontieren möchte: Es heißt, Sie würden versuchen, eine Mehrheit hinter sich zu stellen, indem Menschen für die Grimm-Gesellschaft rekrutiert werden, die vielleicht gar nicht so viel mit der Sache am Hut haben?

Lauer: Der Vorstand der Brüder Grimm-Gesellschaft hat alle Mitglieder, die jetzt den Antrag gestellt haben, in die Gesellschaft aufgenommen, ohne Ansehen der Person oder des Standes. Und auch dieser Ausfall im "Spiegel", der da von Klofrauen und Vitrinenreinigern wörtlich spricht, das ist ein Teil dieser Schlammschlacht und das ist nicht geeignet, jetzt die Brüder Grimm-Gesellschaft nach vorne zu bringen. Wir haben weder Mitglieder gewaltsam in die Grimm-Gesellschaft aufgenommen noch irgendwelchen Leuten in der letzten Zeit die Mitgliedschaft in der Grimm-Gesellschaft verweigert. Jeder, der sich für die Brüder Grimm interessiert, das sollte die Mitglieder der Brüder-Grimm-Gesellschaft freuen, das unterstützt einfach auch die Arbeit, die für die Brüder Grimm auf den vielfältigen Ebenen geleistet wird.
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