Halb Max, halb Moritz
"Die drei Räuber", "Katzenbuch" und "Das Biest des Monsieur Racine" stammen aus seiner Feder: Tomi Ungerer ist einer der erfolgreichsten Kinderbuchautoren der Welt. Er hat aber auch politische Plakate gegen Krieg, Hunger und Armut gezeichnet - und dann gibt es da noch das erotische Werk, das ihn zum umstrittenen Künstler gemacht hat. Der französische Staat widmet Tomi Ungerer ein eigenes Museum.
Das Talent scheint ihm in die Wiege gelegt. Der Vater war ein gelehrter Uhrmachermeister, dazu ein guter Zeichner, und vier Nichten sind Kinderbuchillustratorinnen. Die Spannbreite, die das Werk von Tomi Ungerer umfasst, ist enorm: Kinderbücher, mit denen er weltberühmt wurde, dann politisch engagierte und sozialkritische Plakate, das deftige erotische Werk, hinzu kommt noch eine Spielzeugsammlung, die er aufgebaut hatte, gemäß dem Motto: Nur keine Langeweile! Tomi Ungerer:
"Jedes Buch von mir ist unterschiedlich. Ich kann doch nicht jedes Buch mit demselben Stil gestalten, jedes Buch muss eine Herausforderung sein. Das gilt genauso auch im Schreiben. Man muss sich die ganze Zeit ändern, deshalb geht es vom erotischen- zum Kinderbuch."
Und langweilig war nichts im Leben von Tomi Ungerer. Aufgewachsen ist er in Straßburg, später in Colmar, wo er beim Warten auf den Bus regelmäßig den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald studiert. Er erlebt abwechselnd die Deutschen und die Franzosen und später das Verbot, Elsässisch zu reden. Erfahrungen, die einschneidend waren.
"Ich war immer ein engagierter Mensch. Ich war es, glaube ich, schon als Junge. Ich wollte immer Frieden haben. Wissen sie, ich hasse den Hass. Als Junge hab ich in der Schule so ein Heftchen gehabt, mit allem Klassenkameraden. Und ich hatte keinen Frieden, bis jeder mein Freund geworden war. Jedes Mal, wenn ich mich mit einem befreundet habe, habe ich ihn mit einem Kreuz gestrichen, bis alle meine Freunde waren, alle. Also, ich glaube wirklich an den Frieden."
Nachdem er im zweiten Anlauf das Abitur nicht schafft, weil er sich zu sehr für die Natur statt für Mathe interessiert, reist Ungerer in den fünfziger Jahren kreuz und quer durch Europa. Immer den Zeichenstift und das Notizbuch in der Hand. Ein Jahr lang geht er auf die Kunsthochschule, arbeitet dann als Werbezeichner wie auch als Kinderbuchautor und landet schließlich in den USA.
"25 Jahre alt mit 60 Dollar bin ich nach Amerika. Es waren die großen Zeiten, also, obwohl ich dort ja meine Schwierigkeiten gehabt habe. Sie müssen wissen, dass alle meine Bücher, sogar meine Kinderbücher, in Amerika verboten sind. Ich bin doch das schwarze Licht. Meine Bücher sind in Laos, in Vietnam, überall, aber nicht in Amerika zu finden. Das waren die großen Jahre von McCarthy. Ich wurde verfolgt, vom FBI verfolgt, verhaftet und so weiter. Ich war immer ein engagierter Mensch."
Tomi Ungerer zeichnet kritische Cartoons für die New Yorker Blätter, heiratet mehrmals, gründet eine Filmgesellschaft und protestiert, nachdem er der feinen New Yorker Gesellschaft mit dem Band "The Party" den satirischen Spiegel vorgehalten hatte, gegen den Vietnamkrieg. Er zeichnet kritische Plakate gegen Rassismus, Sexismus und Krieg. Und: Er legt sich offen an.
"Da habe ich einen Skandal gemacht, in Amerika. Das war die große Convention von den Kinderbuchbibliothekaren. Und da wurde ich angegriffen - vor 2000 Menschen: 'How do you dare do children-books when you do erotic work?' Und dann habe ich gesagt, aber sie leben alle von der Kinderliteratur. Ohne Bumsen gäbe es keine Kinder. Ich zeichne das Bumsen - und für die Kinder. Das hat mich erledigt."
Zumindest in den USA verkauften sich seine Bücher danach schlecht. Ungerer zieht nach Kanada, schreibt ein letztes Kinderbuch und hört dann zwanzig Jahre lang damit auf. Er fängt an, Spielzeug zu sammeln:
"Vielleicht ist es eine Sache der Selbstidentifikation. Ich bin wirklich ein ewiges Kind geblieben. Ich sage immer, ich bin halb Max und halb Moritz. Muss immer wieder etwas anstellen und so weiter. Und ich fühle mich immer den Kinder näher als den Erwachsenen."
1975 vermacht Ungerer diese enorme Spielzeugsammlung der Stadt Straßburg. Teile davon sind nun auf den drei Etagen des neuen Ungerer-Museums, der Villa Grenier, im Herzen Straßburgs zu sehen. Von den insgesamt 8000 Objekte, die Ungerer der Stadt vermacht hat, sind 300 jetzt im ständigen Wechsel ausgestellt. Im Erdgeschoß die Kinderbücher, die seinen Ruhm begründeten. Vom allerersten, "The Mellops go flying", das er 1957 in den USA schuf, bis zum allerneuesten namens "Neue Freunde" aus diesem Jahr. Im Wintergarten, auf derselben Etage, dann der Werkzyklus "Makabre Tänze". Ungerers Auseinandersetzung mit dem Tod. In der ersten Etage folgen die Zeichnungen. Von den morbiden Szenen, die er als junger Soldat in Algerien festhielt, geht die beeindruckende Reise über seine ersten Werbeplakate, die Großaufträge elsässischer Brauereien oder der New York Times für Tram- und U-Bahn-Haltestellen, bis hin zu den erotischen und fantastischen Zeichnungen. Und selbst hier sind Ungerers Vorbilder Grünewald, Dürer und Friedrich zu spüren. Derbe erotische Szenen, mit kraftvollem Strich, sie hängen in einem abgedunkeltem Raum ganz ohne Fenster. Denn, so Tomi Ungerer:
"Aber es gibt natürlich auch Tabus. Für mich, da gibt es auch Tabus - mit Pädophilen und so weiter, das ist ein Tabu. Und zum Beispiel mein Buch, mein Erotoskop, das sollte nicht in die Hände von Kindern fallen."
Und so kommt es, dass sich Tomi Ungerer, der eigentlich ein großer Humanist ist, heute, nachdem er von den deutschen Feministinnen in den siebziger Jahren als Pornograf missverstanden wurde - ein Urteil, das die Zeit revidiert hat - dass er nach den vielen Jahren der Wanderschaft sich endlich da angekommen fühlt, wo er sich schon immer sah: als Europäer!
"Ich bin irgendwie jetzt in Frankreich, bin ich kein Straßburger mehr, das hat sich alles geändert. Wir haben jetzt ein junges Frankreich. Und ich habe jetzt das europäische Frankreich, das ich mir immer gewünscht habe, und das ist ein tolles Gefühl für einen Elsässer."
Das neue Straßburger Ungerer-Museum kann zwar von dem gesamten Werk, das circa 40.000 bis 50.000 Blätter umfasst, nur einen Bruchteil zeigen. Und doch zeigt es den ganzen künstlerischen und moralischen Tausendsassa namens Tomi Ungerer.
"Jedes Buch von mir ist unterschiedlich. Ich kann doch nicht jedes Buch mit demselben Stil gestalten, jedes Buch muss eine Herausforderung sein. Das gilt genauso auch im Schreiben. Man muss sich die ganze Zeit ändern, deshalb geht es vom erotischen- zum Kinderbuch."
Und langweilig war nichts im Leben von Tomi Ungerer. Aufgewachsen ist er in Straßburg, später in Colmar, wo er beim Warten auf den Bus regelmäßig den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald studiert. Er erlebt abwechselnd die Deutschen und die Franzosen und später das Verbot, Elsässisch zu reden. Erfahrungen, die einschneidend waren.
"Ich war immer ein engagierter Mensch. Ich war es, glaube ich, schon als Junge. Ich wollte immer Frieden haben. Wissen sie, ich hasse den Hass. Als Junge hab ich in der Schule so ein Heftchen gehabt, mit allem Klassenkameraden. Und ich hatte keinen Frieden, bis jeder mein Freund geworden war. Jedes Mal, wenn ich mich mit einem befreundet habe, habe ich ihn mit einem Kreuz gestrichen, bis alle meine Freunde waren, alle. Also, ich glaube wirklich an den Frieden."
Nachdem er im zweiten Anlauf das Abitur nicht schafft, weil er sich zu sehr für die Natur statt für Mathe interessiert, reist Ungerer in den fünfziger Jahren kreuz und quer durch Europa. Immer den Zeichenstift und das Notizbuch in der Hand. Ein Jahr lang geht er auf die Kunsthochschule, arbeitet dann als Werbezeichner wie auch als Kinderbuchautor und landet schließlich in den USA.
"25 Jahre alt mit 60 Dollar bin ich nach Amerika. Es waren die großen Zeiten, also, obwohl ich dort ja meine Schwierigkeiten gehabt habe. Sie müssen wissen, dass alle meine Bücher, sogar meine Kinderbücher, in Amerika verboten sind. Ich bin doch das schwarze Licht. Meine Bücher sind in Laos, in Vietnam, überall, aber nicht in Amerika zu finden. Das waren die großen Jahre von McCarthy. Ich wurde verfolgt, vom FBI verfolgt, verhaftet und so weiter. Ich war immer ein engagierter Mensch."
Tomi Ungerer zeichnet kritische Cartoons für die New Yorker Blätter, heiratet mehrmals, gründet eine Filmgesellschaft und protestiert, nachdem er der feinen New Yorker Gesellschaft mit dem Band "The Party" den satirischen Spiegel vorgehalten hatte, gegen den Vietnamkrieg. Er zeichnet kritische Plakate gegen Rassismus, Sexismus und Krieg. Und: Er legt sich offen an.
"Da habe ich einen Skandal gemacht, in Amerika. Das war die große Convention von den Kinderbuchbibliothekaren. Und da wurde ich angegriffen - vor 2000 Menschen: 'How do you dare do children-books when you do erotic work?' Und dann habe ich gesagt, aber sie leben alle von der Kinderliteratur. Ohne Bumsen gäbe es keine Kinder. Ich zeichne das Bumsen - und für die Kinder. Das hat mich erledigt."
Zumindest in den USA verkauften sich seine Bücher danach schlecht. Ungerer zieht nach Kanada, schreibt ein letztes Kinderbuch und hört dann zwanzig Jahre lang damit auf. Er fängt an, Spielzeug zu sammeln:
"Vielleicht ist es eine Sache der Selbstidentifikation. Ich bin wirklich ein ewiges Kind geblieben. Ich sage immer, ich bin halb Max und halb Moritz. Muss immer wieder etwas anstellen und so weiter. Und ich fühle mich immer den Kinder näher als den Erwachsenen."
1975 vermacht Ungerer diese enorme Spielzeugsammlung der Stadt Straßburg. Teile davon sind nun auf den drei Etagen des neuen Ungerer-Museums, der Villa Grenier, im Herzen Straßburgs zu sehen. Von den insgesamt 8000 Objekte, die Ungerer der Stadt vermacht hat, sind 300 jetzt im ständigen Wechsel ausgestellt. Im Erdgeschoß die Kinderbücher, die seinen Ruhm begründeten. Vom allerersten, "The Mellops go flying", das er 1957 in den USA schuf, bis zum allerneuesten namens "Neue Freunde" aus diesem Jahr. Im Wintergarten, auf derselben Etage, dann der Werkzyklus "Makabre Tänze". Ungerers Auseinandersetzung mit dem Tod. In der ersten Etage folgen die Zeichnungen. Von den morbiden Szenen, die er als junger Soldat in Algerien festhielt, geht die beeindruckende Reise über seine ersten Werbeplakate, die Großaufträge elsässischer Brauereien oder der New York Times für Tram- und U-Bahn-Haltestellen, bis hin zu den erotischen und fantastischen Zeichnungen. Und selbst hier sind Ungerers Vorbilder Grünewald, Dürer und Friedrich zu spüren. Derbe erotische Szenen, mit kraftvollem Strich, sie hängen in einem abgedunkeltem Raum ganz ohne Fenster. Denn, so Tomi Ungerer:
"Aber es gibt natürlich auch Tabus. Für mich, da gibt es auch Tabus - mit Pädophilen und so weiter, das ist ein Tabu. Und zum Beispiel mein Buch, mein Erotoskop, das sollte nicht in die Hände von Kindern fallen."
Und so kommt es, dass sich Tomi Ungerer, der eigentlich ein großer Humanist ist, heute, nachdem er von den deutschen Feministinnen in den siebziger Jahren als Pornograf missverstanden wurde - ein Urteil, das die Zeit revidiert hat - dass er nach den vielen Jahren der Wanderschaft sich endlich da angekommen fühlt, wo er sich schon immer sah: als Europäer!
"Ich bin irgendwie jetzt in Frankreich, bin ich kein Straßburger mehr, das hat sich alles geändert. Wir haben jetzt ein junges Frankreich. Und ich habe jetzt das europäische Frankreich, das ich mir immer gewünscht habe, und das ist ein tolles Gefühl für einen Elsässer."
Das neue Straßburger Ungerer-Museum kann zwar von dem gesamten Werk, das circa 40.000 bis 50.000 Blätter umfasst, nur einen Bruchteil zeigen. Und doch zeigt es den ganzen künstlerischen und moralischen Tausendsassa namens Tomi Ungerer.