Haiyan und Hagupit

Die Philippinen kommen nicht zur Ruhe

Umgeknickte Bäume: Zerstörung auf den Philippinen
Tacloban hat sich noch nicht von den Folgen Haiyans erholt. © U. Schmidt
Von Udo Schmidt  · 08.12.2014
Im Spätherbst vergangenen Jahres fegte ein Wirbelsturm über die Philippinen hinweg. Fast 8000 Menschen kamen ums Leben, Tausende wurden obdachlos. Zu den am stärksten betroffenen Orten gehört die Stadt Tacloban auf der Insel Leyte.
Gerade in Tacloban auf Leyte - hier kamen im vergangenen Jahr Tausende ums Leben, als Haiyan eine Schneise der Verwüstung hinterließ - haben die Menschen Angst, auch wegen der schlimmen Erinnerungen, sagt ein Sprecher von der Hilfsorganisation Oxfam.
"Es gibt wirklich große Angst bei denen, die Haiyan im vergangenen Jahr erlebt haben. Alle, die können, sind aus den Küstengebieten geflohen. Wir brauchen Hilfe, Hilfe vom Amt für Sozialfürsorge. Wir brauchen etwas zu essen. Sie müssen doch auch an uns alte Leute denken."
Tacloban, die Provinzhauptstadt der Insel Leyte, hat sich noch nicht von den Folgen Haiyans erholt - und nun ist wieder so vieles kaputt.
"Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wo wir jetzt wohnen sollen. Im Moment sind wir in einer Schule untergebracht, aber da können wir ja nicht bleiben."
Abgeknickte Bäume, umgestürzte Strom- und Telefonmasten, beschädigte Häuser, Straßen, die noch länger von Baumstämmen blockiert sein werden. Auf den Inseln Samar und Leyte wir jetzt aufgeräumt. Eine kleine Kapelle in Tacloban: Nur einige gerettete Marienstatuen sind geblieben.
"Wir werden sehen, dass wir alles wieder aufbauen. Aber schauen sie: Es ist nichts mehr da."
Aus den Versäumnissen des vergangenen Jahres gelernt
Es hat mehrere Tote gegeben. Ein Mann ertrank auf Samar. Eine Frau wurde von einem Baum erschlagen. Über 700.000 Menschen waren von den Behörden bis zum Sonnabend evakuiert worden. Die Philippinen haben aus den Versäumnissen des vergangenen Jahres gelernt, als der Supertaifun Haiyan nahte und zu spät und nicht entschieden genug reagiert wurde.
"Wir haben es immer wieder gesagt: Es sind Naturgewalten, und wir sind darauf vorbereitet. Aber das hilft alles nichts, wenn manche ihren Ängsten und Phantasien freien Lauf lassen."
Die Angst vor Plünderungen ging kurz um in und um Tacloban. Auch das hatte wohl mit den Erinnerungen an die Tage nach Supertaifun Haiyan im vergangenen Jahr zu tun:
Tacloban, die Hauptstadt der Provinz Leyte auf der gleichnamigen philippinischen Insel war vor einem Jahr fast vollständig zerstört. Hier im Barangay 68, dem Slum, den die Bewohner sarkastisch Yolanda Village nennen, ist seitdem fast nichts geschehen:
"Wir haben etwas Hilfe bekommen, aber wir sollen hier ja nicht bleiben, deswegen wird auch nicht wieder richtig aufgebaut."
Alfred Romualdez hat kein Problem mit Selbstkritik. Der Bürgermeister von Tacloban hat gelernt einzustecken. Freimütig räumt er ein, dass der Wiederaufbau der nahezu vollständig zerstörten Stadt weit hinter dem Zeitplan zurückliegt.
"Wir sind beim Bau der Unterkünfte weit hinter dem Ziel zurück. Wir wollen 14.500 Familien umsiedeln, davon sind wir weit entfernt, wir brauchen viele Häuser, erst 300 sind fertig.
Wir brauchen Infrastruktur, ein kleines Rathaus, ein Gesundheitszentrum, ein Marktgebäude, wir brauchen Infrastruktur für 70.000 Menschen, die insgesamt umziehen sollen."
Die, die neu angesiedelt werden sollen und grundsätzlich auch bereit sind umzuziehen, wohnen noch in illegal aufgebauten Slums. Illegal, weil die Flächen nahe am Wasser liegen, wo nicht eine Hütte stehen geblieben ist, als Yolanda tobte. Deshalb darf dort nicht wieder gebaut werden. Was sollen sie denn tun, fragt Victoria Macariola?
Umgeknickte Bäume: Zerstörung auf den Philippinen nach dem Taifun Haiyan.
Umgeknickte Bäume: Zerstörung auf den Philippinen nach dem Taifun Haiyan.© picture alliance / dpa / Philippe De Poulpiquet
"Wir wissen, dass wir so nahe am Wasser nicht mehr leben dürfen, aber wann wir umziehen sollen, wissen wir nicht. Wir haben damals oben auf dem Hügel gestanden und beobachten können, wie die Riesenwellen kamen und mit ihnen die Schiffe. Als das Wasser wieder weg war, blieben die Schiffe liegen, bis heute."
Die Zelte in San Jose, jenem völlig zerstörten Stadtteil direkt am Flughafen, der im vergangenen Jahr jedem Neuankömmling einen ersten Eindruck des Grauens vermittelt hat, sind das nächste Problem, sagt Bürgermeister Alfred Romualdez:
"Wir können das Viertel nicht wiederherstellen. Es ist immer noch ein Problem. Unser Entwicklungsplan wurde im März fertiggestellt und dann im April nach Manila geschickt. Dem Plan wurde zugestimmt. 2015 wird jetzt das Geld freigegeben, das verzögert natürlich alles."
Andere wie Oliver Cam lassen den Bürgermeister nicht so einfach durchkommen. Der Masterplan des Stadtoberhauptes sei Flickwerk, klagt der Mann von der Handelskammer Taclobans, viel zu wenig in die Zukunft gerichtet:
"Wir brauchen ausgewählte Geschäftsleute, um einen Zuwachs zu erreichen, um Jobs zu schaffen, um ein höheres Einkommen für die Einwohner zu erzielen. Jetzt verdienen die Fischer und Kokosnussfarmer 1000 bis 2000 Pesos im Monat, umgerechnet 20 bis 40 Euro, das muss für eine fünfköpfige Familie reichen. Sie können sich vorstellen, welche Armut hier herrscht."
Oliver Cam gibt ein Beispiel dafür, dass das alleinige Wiederherstellen des vorherigen Zustands zu wenig ist.
"Hier hängen an einer Kokosnusspalme nur sechs Nüsse. In anderen Gegenden der Philippinen, etwa in Mindanao, sind es 20 Nüsse, das bringt natürlich mehr Geld. Also müssen die Bauern hier geschult werden, sie benötigen zudem Kenntnisse, wie man besseren Zugang zum Markt erhält, nur so haben sie eine Chance, Zulieferer großer Unternehmen zu werden, die auch große Mengen abnehmen."
Eugene Bulcase ist 38 und hat acht Kinder zu ernähren. Eugene ist Fischer und hat im vergangenen Jahr, als der Super-Taifun Haiyan die Inseln Samar und Leythe verwüstete, alles verloren - auch sein Boot.
"Vor dem Sturm war alles besser, da konnten wir uns vieles leisten und alles kaufen. Und ich konnte auch noch auf einer Kokosnussplantage arbeiten."
Nun hat Eugene ein neues, ein modernes Boot, gefertigt aus Fiberglas, besser als die alten Holzboote, sagt er. Aber er fängt nicht genügend Fische:
"Ich träume davon, dass meine Kinder die Schule beenden können, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob das möglich ist. Früher haben wir von Kokosnüssen und Fischen gut gelebt. Nun sind die Palmen kaputt, und es gibt zu viele Boote, sodass jeder nur noch wenige Fische fangen kann."
Es gibt mehr Boote als zuvor, von den Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt, aber weniger Fische. Der Sturm hat die Fischgründe zerstört, die Schwärme sind weitergezogen.
Es dauert Stunden, bis der Jeep das kleine Dorf Uguiao außerhalb von Jaro erreicht hat, einer kleinen Stadt auf der Insel Leythe, die die Tsunami-Welle nicht erreicht hat, die aber der Super-Taifun heftig beschädigt hat. In dem kleinen Dorf, inmitten von abgeknickten Kokospalmen, stand nichts mehr, nachdem sich der Sturm gelegt hatte.
Lernen, wie man ein Haus baut
Inzwischen wird hier gehämmert und gesägt, in einer beeindruckenden Gemeinschaftsleistung aller Bewohner - so als hätten die Amish People eine Außenstelle auf den Philippinen eröffnet. Neue Häuser werden gebaut, mit gemauerter Struktur, die von traditionellen Bastmatten ausgefühlt wird. Alle machen mit, um zu lernen, wie man ein Haus baut - und nach dem nächsten Sturm repariert, erklärt Markus Koth von der Diakonie Katastrophenhilfe:
"Das hat das Ziel, diese Menschen auszubilden, damit sie wissen, wie gebaut werden muss, falls mal etwas passiert. Und es gibt ihnen natürlich auch das Gefühl, dass sie in der Lage zu sind, sich zu helfen, dass sie nicht immer Unterstützung von außen brauchen."
Elvie Batis ist 23 und trägt ihr kleines Kind im Arm, Basilisa Raquel ist 62.-
Basilia erinnert sich an den Tag vor einem Jahr, als alles kaputtging, als ihr Leben am Ende zwar gerettet, aber nichts mehr wie vorher war:
"Während der Sturm tobte, waren wir im Haus, auf unser Dach stürzten zwei Palmen, wir lagen auf dem Boden, unter den Trümmern, fast einen Tag lang."
Keiner drang damals zu ihrem zerstörten Dorf durch, erzählt Basilia mit zitternder Stimme, es dauerte zwei Wochen, bis Hilfe kam:
"Bis dahin hatten wir nichts. Wir haben uns aus den umgestürzten Palmen, aus den Blättern vor allem, Dächer gebaut. Wir hatten fast nichts zu essen, Reis und Dosenfrüchte kamen erst nach zwei Wochen bei uns an."
Elvie und Basilia sind Mitglieder einer Gruppe, in der Karen Verzosa versucht, durch Reden mit den Betroffenen die Geschichte des Vergangenen aufzuarbeiten:
"Wir sind hergekommen und haben versucht, mit allen zu sprechen., Wir haben zugehört und deutlich gemacht, dass es gut ist, alles raus zu lassen, zu zeigen, wie sehr alle vom Sturm getroffen wurden."
Rund einhundert Kilometer entfernt quält sich Francisco Palanas aus seinem schmalen Bett. Francisco lebt im Übergangsdorf New Cauayan, einer Ansammlung von Holzhäusern, die nicht für die Ewigkeit errichtet sind:
"Ich fahre nachts immer an den Hafen von Tacloban und hole Fisch, den ich dann hier in der Siedlung verkaufe."
Francesco hat früher in einem Slum am Rande Taclobans gewohnt, das Holzhaus ist der Übergang zur dauerhaften Umsiedlung. Taclobans Stadtverwaltung organisiert diese Umsiedlung, wie bei der Diakonie werden auch hier die künftigen Bewohner am Bau ihrer Häuser beteiligt.
Eine Woche, bis Hilfslieferungen im Katastrophengebiet ankamen
Guiuan, die kleine Stadt an der Spitze der philippinischen Insel Samar, liegt vier Autostunden von Tacloban entfernt. Der Taifun hat die 50.000 Einwohnerstadt vor einem Jahr geradezu weggefegt. Kein Haus stand mehr, es dauerte eine Woche, bis Hilfslieferungen im Katastrophengebiet ankamen. Guiuan wurde als erstes von dem brüllenden Sturm getroffen - bevor Tacloban verwüstet wurde, die Stadt auf der Insel Leyte, in der rund 6000 Menschen ums Leben kamen. Bürgermeister von Guiuan ist der 34-jähige Sheen Gonzales:
"Guiuan hat das Schlimmste abbekommen. Die Verwüstungen waren nahezu vollständig, die gesamte Infrastruktur war kaputt, die Existenzgrundlage der Menschen zerstört."
100 Menschen starben am 8. November in Guiuan. Die Menschen direkt an der Küste werden so häufig von Tropenstürmen heimgesucht, dass sie sich widerspruchslos in Sicherheit bringen ließen, erzählt Felipe Padual, in Guiuan für den Katastrophenschutz zuständig:
"Wir sind wachsam, weil zu den vielen Stürme auch oft Erdbeben hinzukommen, erst 2012 gab es eines der Stärke 7,6. Die Menschen sind aufmerksam, wenn es die Aufforderung zur Evakuierung gibt. Wir wissen hier, wie gefährlich Erdbeben und Sturmfluten, Tsunamis sind."
Der Wiederaufbau kommt auch so schnell voran, weil das Geld aus Manila fließt. Bürgermeister Gonzales ist in derselben Partei wie Präsident Benigno Aquino, das beschleunigt die Überweisungen. Taclobans Bürgermeister Alfred Romualdez gehört dagegen zum Marcos-Clan, was Zuwendungen aus der Hauptstadt deutlich behindert.
"Vor dem Taifun war das Leben einfacher, ich war Verkäufer in einem Laden und konnte mehr Geld verdienen. Jetzt ist unser Haus kaputt, und alles ist sehr schwierig."
Die Freude, überlebt zu haben, ist inzwischen überlagert von der Sorge, zu wenig Geld zum Leben zu haben. In Tacloban, versucht Bürgermeister Alfred Romualdez Lehren für die Zukunft zu ziehen. So will er Taifun Haiyan, den sie hier Yolanda nennen, etwas Positives abgewinnen:
"Es sind jetzt viele Geschichten zu erzählen, aber noch mehr gibt es zu lernen. Wir brauchen eine neue Einstellung, eine Änderung unseres Lebensstils. Die Existenz zu sichern, das wird hier in der Gegend schwierig bleiben für viele Menschen - aber ein Problem müssen wir jetzt beseitigen, das Problem der Sicherheit."
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