Häuser wie schräge Käsereiben

Von Walter Bohnacker · 17.07.2013
Der britische Stararchitekt Richard Rogers hat das Centre Pompidou in Paris und das Lloyd’s Building in London gebaut. Die Royal Academy würdigt ihn zu seinem Geburtstag mit der Schau "Inside Out", in der der Baumeister selbst im Mittelpunkt steht.
Die Leadenhall Street in der Londoner City. Nach den Entwürfen von Richard Rogers ging hier 1986 die hochmoderne Schaltzentrale der "Mutter aller Versicherer” in Betrieb: Lloyd’s of London, ein "Bürokraftwerk” der Superlative.

Das innovative, futuristische Design des Lloyd’s Building bescherte dem Finanzplatz London eines seiner imposantesten und zugleich provokantesten Wahrzeichen, haltbar für’s 21. Jahrhundert. Seit 2011 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Sein jüngstes London-Kapitel schreibt Rogers – seit 1996 offiziell "Lord Rogers of Riverside” – auf dem Grundstück direkt gegenüber von Lloyd’s. Mitte 2014 soll es fertig sein: das Bürohochhaus 122 Leadenhall Street, eine 225 Meter hohe Glas-, Stahl- und Betonkonstruktion inklusive "Atrium” mit blühenden Landschaften auf Straßenniveau – zugänglich für jedermann!

Eine Außenseite, die im 70-Grad-Winkel nach oben führt, brachte dem Bau seinen Spitznamen ein: "Cheese Grater”. Nach Norman Fosters dicker "Gurke” jetzt also – ebenfalls in direkter Nachbarschaft – Rogers’ schräge "Käsereibe”! Seine radikal neuen Ansätze machten Rogers in den siebziger Jahren zum Wegbereiter einer Hightech-Architektur der Zukunft.

Für den Bau des Centre Pompidou und des Lloyd’s Building fasste er eines seiner Grundkonzepte in die Kurzformel "Inside Out”. Unter diesem Titel steht auch die Schau in der Royal Academy. Organisiert hat sie Jeremy Melvin.

""Versorgungsleitungen, Liftschächte, Belüftungskanäle und Konstruktionsgitter: Mit dem, was andere Architekten versteckten, schmückte Rogers seine Fassaden. Er stülpte, wenn man so will, das Innenleben der Gebäude nach außen; in Paris tat er es in leuchtenden, animierenden Knallfarben. Auch am Leadenhall Building fahren die Aufzüge außen hoch. Diese ‘Extrovertiertheit’ ist integraler Bestandteil einer Ästhetik der Humanisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt.”"

Eine Lego-Version des Centre Pompidou steht am Anfang der Ausstellung. Von hier geht es weiter, vorbei an den Vorzeigestücken aus dem Baukasten des Meisters: den Modellen der Lloyd’s-Zentrale, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, des Flughafens Barajas bei Madrid oder des Terminal 5 am Flughafen Heathrow.

Sie markieren Meilensteine auf Rogers’ Weg zum Architekturstar der Moderne. Aber diese Retrospektive ist mehr als nur eine "Best of”-Parade. Und auch darauf verweist ihr Titel. Im Zentrum stehen die Motive und Antriebskräfte hinter dem Oeuvre. "Inside Out”, so der Kurator, kehrt das Berufsethos des Baumeisters nach außen.

""Wir wollen zeigen, wie Rogers denkt. Dazu präsentieren wir Skizzen, Zeichnungen und Notizbücher aus den letzten fünfzig Jahren; außerdem bislang nicht ausgestelltes Archivmaterial wie etwa Rogers’ Bewerbungen für diverse Ausschreibungen, auch solche, die im Papierkorb landeten.”"

Das Ethos des Richard Rogers – der Jubilar selbst fasst es in fünf Stichworten zusammen: "Fairness", "Politik", "Ästhetik", "Die Stadt" und "Zusammenarbeit". Zwei weitere wichtige Vokabeln in Rogers’ Grundwortschatz der Architektur sind "Offenheit" und "Flexibilität".

Gebäude, sagt er, sollten alles sein: veränder- und erweiterbar – und vor allem anpassbar an die Bedürfnisse der Zeit. Für ihn sind Gebäude und Städte "People’s Places”: Orte der Demokratie und der Kultur, an denen Menschen sich begegnen und miteinander kommunizieren.

Richard Rogers: ""Das heißt nicht, dass man immer nur hoch baut. Entscheidend ist, dass man genügend Platz lässt: Bewegungsfreiheit für die Leute und Raum für die Natur, sei’s ein Baum vor dem Fenster oder der Park oder Spielplatz um die Ecke. Das braucht der Mensch wie Wasser zum Trinken.”"

Die Antwort des Städteplaners Rogers auf die Herausforderungen der Zukunft ist die kompakte, polyzentrische, durch Fußgänger- und Fahrradwege und öffentlichen Nahverkehr erschlossene Stadt, die flexibel und nachhaltig auf soziale und ökologische Veränderungen reagiert. Aus dieser Perspektive besteht vielerorts erheblicher Nachholbedarf, auch in London. Ein Beispiel für die Machbarkeit von Rogers’ Utopie des besseren, nachhaltigen Zusammenlebens steht ab August im Innenhof der Academy.

Das Manufactured House des Büros Rogers Stirk Harbour + Partners sind die eigenen vier Wände von morgen: ein Einfamilien-Fertighäuschen im Standardformat – fast zum Selbermachen: kompakt, transportabel, recyclebar, energiesparend mit Wärmedämmung rundum, umweltfreundlich und – in London ganz wichtig! – erschwinglich.

Weitere Informationen zu der Ausstellung Inside Out
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