Habgier und Egoismus

21.01.2013
Im dritten Teil seiner Weltschev-Trilogie schildert Vladimir Zarev die Geschichte Bulgariens im 20. Jahrhundert. Der Roman "Seelenasche" ist ein unterhaltsames Gesellschaftsgemälde mit Action und negativer Anthropologie.
Vladimir Zarevs große Trilogie schildert die Geschichte Bulgariens im 20. Jahrhundert als Familiengeschichte der Weltschevs. Mythisch beginnt sie in "Familienbrand" in der Kleinstadt Widin an der Donau, blutig, jedoch auch hoffnungsvoll geht es nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Aufbau des Sozialismus in "Feuerköpfe" weiter, und blutig und desillusioniert erzählt "Seelenasche" von den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts.

Die drei Bände lassen sich einzeln schmökern, doch erst zusammen entfalten sie die epische Kraft, die den Kritiker Martin Ebel an Honoré de Balzac denken ließ. Die bittere Enttäuschung über die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 ließ den Sohn eines Partisanen und engen Freunds des jahrzehntelangen Staatschefs Todor Shivkov das Epos seiner Heimat schaffen.

Die Feuermetaphorik der Titel lässt es vermuten: In "Seelenasche" kommt der "Familienbrand", aus dem die "Feuerköpfe" erwuchsen, an ein Ende. Perestrojka und samtene Revolution erschüttern auch in Bulgarien überkommene Hierarchien. Das zurückgezogen lebende Oberhaupt der Weltschevs, dessen Buch über Macht unzeitgemäß und gefährlich war während der sozialistischen Aufbaujahre, schreibt an einem zweiten Werk über die Demokratie, die in aller Munde ist und nicht kommen wird.

Seine Ehefrau Emilia, eine berühmte Schauspielerin, will sich von ihm scheiden lassen, ihre Tochter Dessislava gelangt nur mit Hilfe von Beziehungen an die Schauspielakademie, ihr Halbbruder Jordan, ein berühmter Fernsehmoderator, verteidigt seine Talkshow wendig gegen neue Kräfte, verliert aber seine Frau, Vetter Christo wird in der Schule von der Staatssicherheit angeworben und spioniert Minister aus, von denen er sich zugleich protegieren lässt.

Zarev zeigt, wie die ältere und die mittlere Generation der Weltschevs die sich beschleunigende, immer unsicher werdende Gegenwart meistert: erst mit Hilfe von Beziehungen, dann, nach der Revolution 1989, mithilfe des Geldes. Dessen Verlust durch betrügerische Banken und bestochene Justizangestellte raubt den Älteren den Lebensmut.

Die mittlere Generation arrangiert sich mit der bewaffneten und skrupellosen Gewalt weniger, die Staat und Politik für ihre Bereicherung benutzen: Fernsehmoderator Jordan lässt sich von einem Oligarchen kaufen, mit dem insgeheim Christo zusammenarbeitet, bis ihn sein ehemaliger Stasigeneral umbringen lässt, weil Christo den Gewinn aus den zwielichtigen Geschäften nicht mehr mit ihm teilen will. Die jüngste Weltschev wandert nach Deutschland aus, Bulgarien wird EU-Mitglied, und das Weltschev-Epos kehrt an die Donau zurück, von Zarev als Strom des Lebens mythisiert.

"Seelenasche" ist ein unterhaltsames Gesellschaftsgemälde, regiert von Abwechslung, Action und negativer Anthropologie. Kolportageelemente scheut Zarev nicht: Erotische Begegnungen gibt es zuhauf, alle Frauen bis auf zwei sind schön, kürzestberockt und haben "Beine bis zum Hals", eine besitzt gar "erzählfreudige" Schenkel.

Ob die Wendung Thomas Frahm zu verdanken ist, der den Roman in ein bewundernswert schmissiges Deutsch gebracht hat? Oder dem augenzwinkernden Zarev? Er charakterisiert eines der wunderbaren Wesen lediglich durch die zweimalige Ablehnung bei Miss-Wettbewerben - nicht etwa aus Hässlichkeit, sondern wegen vollständig "unseriöser Formen".

Besprochen von Jörg Plath

Vladimir Zarev: Seelenasche
Aus dem Bulgarischen von Thomas Frahm
Deuticke Verlag, Wien 2012
767 Seiten, 27,90 Euro
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