Haasis: Hitler-Attentäter Elser wurde zu Unrecht vergessen

Hellmut G. Haasis im Gespräch mit Jürgen König · 06.11.2009
Nach Einschätzung des Autors Hellmut G. Haasis haben viele Historiker das Hitler-Attentat des Schreiners Georg Elser zu lange vergessen. Die Wissenschaftler hätten sich vorrangig für Widerstandskämpfer aus "besseren" Kreisen interessiert, sagte der Elser-Biograf.
Jürgen König: Am Sonntag jährt sich der Tag, an dem der schwäbische Schreiner Georg Elser ein Attentat auf Adolf Hitler versuchte zum 70. Mal. Das Attentat im Münchner Bürgerbräukeller misslang. Früher als sonst hatte Hitler diesen Bürgerbräukeller schon verlassen, als die Bombe detonierte. Der Attentäter war zu diesem Zeitpunkt schon verhaftet worden. Er starb fünfeinhalb Jahre später. Am 9. April 1945 wurde Georg Elser im KZ Dachau ermordet. Seiner gedacht wurde lange Zeit praktisch gar nicht, erst seit den sehr späten 60er-Jahren begann man sich für diesen Schreiner Georg Elser zu interessieren. In den Kreis der großen deutschen Widerstandskämpfer wurde er bis heute nicht recht aufgenommen. Dieses zu ändern, hat Hellmut G. Haasis 1999 ein Buch veröffentlicht, das jetzt in vollständig überarbeiteter Fassung neu erschienen ist: "Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser". Guten Tag, Herr Haasis!

Hellmut G. Haasis: Guten Tag, Herr König!

König: Beginnen wir mit dem Attentat. Was genau geschah am 8. November 1939 in München?

Haasis: Genau um 21 Uhr 20 auf die Minute hatte Elser so eingestellt, weil man gesagt hatte, Hitler redet immer von 20 Uhr 30 bis 22 Uhr 30. Also um diese Uhrzeit 21 Uhr 20 ist eine Explosion zu hören gewesen im Bürgerbräukeller. Die tragende mittlere Säule ist eingeknickt, auf der lag die ganze Stahlkonstruktion, das Dach kam herunter, und an der Stelle, wo Hitler 13 Minuten vorher geredet hat, war nur noch ein Schuttberg und unten waren schwere Stahlträger. Hitler und seine ganze Umgebung wäre ein Fall für den Friedhof gewesen.

König: Das muss eine technische und logistische Meisterleistung gewesen sein. Wie hat Georg Elser das gemacht, ohne fremde Unterstützung, soweit man weiß, dieses Attentat durchzuführen?

Haasis: Er hat lange sich vorbereitet, er hatte studiert, hat den Ort kennengelernt, das war ganz einfach. Er sagte nur, die Kellnerinnen fragte er: Wo wird unser Führer sprechen? Sie sagten, in der Säule. Er hat gelernt vom Steinbruch, in dem er auch mal gearbeitet hatte, dass er immer unten am Boden anbohren muss und die Sprengung anbringen. Und dann hat er da 30 Tage lang hat er eine große Sprengkammer gebaut, 90 auf 60 so was, und hat die vollgestopft, in 30 Nächten wie gesagt, langsam vollgestopft mit Sprengstoff. Die ist dann pünktlich losgegangen. Elser wollte da schon in der Schweiz sein. Er wurde leider in Konstanz verhaftet, er ist eine Falle, eine Lichtfalle der Grenzpolizei gelaufen.

König: Über diesen Georg Elser wurde wenig geschrieben, er selbst hat praktisch keine Schriften hinterlassen. Sie beschreiben ihn, Herr Haasis, in Ihrem Buch, wenn ich das so sagen darf, fast inniglich. Wie kommt als Biograf an so einen Mann heran, wie kommt man seinem Innenleben, seinen Gefühlen auf die Spur?

Haasis: Es war vielleicht günstig, dass ich diesen Auftrag vom Verlag bekam, und zwar hat eines Tages jemand an den Verlag geschrieben, er hat sich beschwert, empört beim Lektor, dass in dem ganzen Verlagsprogramm nichts über Elser ist, sondern über Langweiler wie Goethe, Hölderlin, Schiller und so weiter, und hat das verlangt. Und der Lektor – befreundet mit mir, andere Bücher habe ich schon mit ihm gemacht –, der hat mich beauftragt, ich solle mal ein Gutachten machen, wie es auf der Marktlage aussieht, ob es wirklich da stimmt, dass es nichts gibt. Ich habe das dann eruiert, es war ein furchtbar schlechtes Buch schon da, sonst nichts. Und ich habe dann, je länger ich schrieb das Gutachten, desto heftiger kritisiert den Kollegen, den Saukerl vor mir. Und über den rüden Ton war dann der Lektor so herrlich humorvoll empört, dass er sagte: Zur Strafe hat der Verlag beschlossen, du musst das Buch selber schreiben.

König: Was für ein Mensch war Georg Elser?

Haasis: Er war ein schweigsamer, tiefgründiger, sehr intelligenter Handarbeiter. Ich würde ihn jetzt bei der neuen Fassung nach zehn Jahren später nicht mehr als einen roten Arbeiter betrachten, er ist eher ein Handwerker, der deshalb die KPD gewählt hat damals, weil sie wie sonst keine Partei mehr für die kleinen Leute eingetreten ist für soziale Verbesserungen, aber er ist ein ruhig-überlegter, technisch hoch begabter Handwerker, der, wenn er einmal sich etwas als Ziel vorgenommen hat, erst aufgehört hat, wenn diese Frage gelöst war. Und er hat vom Ersten Weltkrieg her einen Schock gehabt mit der Hungersnot in der Familie, mit der Zerstörung der Familie. Der Vater hat alles versoffen und Elser hat es auf den Krieg zurückgeführt. Er musste als der elfjährige, älteste Sohn die kleinen Kinder mit ernähren durch Landarbeit, durch Ackerarbeit und so weiter. Da hat er sich gesagt: Das kommt nie mehr vor, wenn es je so was wieder in die Wege geleitet wird, werde ich verhindern, was ich tun kann.

König: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, hatte er keine politisch-ideologische Schulung, er war kein Intellektueller. Noch mal gefragt: Wie kam er dazu, Hitler für so gefährlich zu halten, dass er sich zum, ja, Tyrannenmord entschloss?

Haasis: Also das eine ist, er ist so mit 22 Jahren an den Bodensee gezogen, weg von der kleinkarierten schwäbischen armen Heimat auf der Schwäbischen Alb, kam an den Bodensee, das war wirklich eine Befreiung. Die Mutter los, den Vater los, die schreckliche Familie – und kam als Holzarbeiter selbstverständlich in das Klima der Holzarbeiter hinein, und das war immer links, das war immer rot, und hat dort in Wohngemeinschaften mit ihnen gelebt. Sie haben in einer Uhrenfabrik gearbeitet, das heißt, sie haben die Uhren ja erst mit einem Kasten versehen, sodass man überhaupt erst verkaufen konnte, die Uhrwerke wurden einzeln geliefert. Und da wurde er einfach erzogen in dem selbstverständlichen Milieu der Linken, die lange vor 33 gesagt hat: Hitler bedeutet Krieg. Und er ist einer der wenigen, die dies nicht vergessen haben, und er hat Mittel gefunden, seine Absicht wirklich durchzuführen, wofür man ja technisch sehr hoch begabt sein muss und fleißig und dauerhaft, aber einfach einen Willen in sich. Nichts mehr anderes ist wichtig, sogar seine Liebe ist draufgegangen und der Beruf und Geld, alles, um nur den Hitler zu bremsen, dass er den Krieg nicht fortführt.

König: Hatten die Nazis nach seiner Festnahme und dann später bei den Verhören, hatten sie eine Erklärung für dieses Phänomen Georg Elser?

Haasis: Das Ergebnis der Verhöre war schon durch Hitler diktiert. Es soll herauskommen, dass Elser ein gekaufter Agent der Engländer ist und die technische Logistik hat ihm angeblich geliefert der Udo Strasser, ein linker Abweichler im Nazilager, der aber als einer der wenigen immer wieder aus dem Ausland Anschläge gegen Hitler versucht hat. Dieser Udo Strasser hat überhaupt nichts damit zu tun gehabt, hat es auch abgelehnt und gesagt, ich würde mich gerne brüsten, aber es war nicht mein Mann. Die Nazis selber haben eigentlich nie herausbekommen, was sie herausbekommen sollten. Und so haben sie sich mit dem begnügen müssen, was wir an Gestapo-Protokoll haben. Und da sagt Elser ganz eindeutig: Sein Motiv war, er will die soziale Lage der Arbeiter verbessern. Das Zweite ist, er will den Krieg verhindern oder wo er schon begonnen, dann wenigstens weiteres Blutgießen verhindern. Das Tragisch bis heute ist, nicht gelöst, ist die erste Frage. Er hatte auch sozusagen sozialrevolutionäre Ziele, die Verschlechterung der Lebensbedingungen der kleinen Leute soll gestoppt werden. Da ist wieder etwas im Gange zu unseren Zeiten, das ihm nicht gefallen würde.

König: Es war ja dann jahrzehntelang immer sehr herablassend vom, Zitat, "einfachen Schreiner Georg Elser" die Rede, als bräuchte man sich dann wegen dieser behaupteten Schlichtheit nicht weiter mit ihm zu beschäftigen. Inwieweit war die Tat, war die Person Elsers den Deutschen nach 1945 überhaupt bekannt?

Haasis: Also, das erste Mal ist das Protokoll erschienen mit dem genauen Wortlaut des Gestapo-Verhörs, fünf Tage lang, ein umfangreiches Protokoll, jeden Tag so acht bis zehn Stunden verhört, also 50 Stunden rund. Dieses Protokoll war nur eine Fachedition für Fachkollegen. Man hat nicht geworben dafür, die Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart hat nicht die geringste Lust, da was zu tun. Der Verleger hat sicher das auch nicht wollen. Dann kam noch ein Fachaufsatz in einer Zeitschrift, das auch niemand gelesen hat. Und die Generation der Historiker waren ja alles noch so Tätergenerationen. Es gab unter denen kaum Emigranten, es waren Leute selber, die entweder dabei waren als Soldaten oder deren Väter eigentlich mit Blut bekleckert waren. Die haben nicht die geringste Lust gehabt, dieses Protokoll zu lesen. Mir ging es übrigens auch so. Erst als ich den Auftrag bekam, habe ich das gelesen.

König: Und das war dann ausgerechnet der Begründer der bekennenden Kirche, der Pfarrer Martin Niemöller, der nach 1945 das Ansehen Elsers und seiner Widerstandstat sehr – ja, man muss es so sagen – in Misskredit gezogen hat. Wie beurteilen Sie diesen in Anführungsstrichen "Fall" Martin Niemöller? Und noch mal die Frage: Warum hatten Historiker und Leute aus dem Widerstand dann jahrzehntelang solche Schwierigkeiten, Elser und seine Tat wahrzunehmen und zu würdigen?

Haasis: Die Widerstandskämpfer, die geltenden, die bald geltenden, und die Historiker aus dieser Generation waren von den besseren Kreisen. Sie hatten erwartet, dass ein hoher General oder zumindest dann ein Offizier, ein Oberster oder so was tut. Wer darunter ist, kommt nicht infrage. Es gab ja immer kleine Nazi- oder sonstige Vögel, die auch ein bisschen was gegen Hitler hatten, die hat man nie ernst genommen. Wichtig waren eigentlich hohe Generäle und noch besser wäre wie bei Stauffenberg jemand mit blauem Blut, eine Universitätsausbildung wäre gut oder hohe Verwandte im Militär. Und Elser entsprach dem allem nicht, es hat niemand von ihm gesprochen. Er hat auch für niemand diese Tat übernommen, sondern nur für sich, nur für den Frieden, nur für Blutvergießen, hat sich nicht auf die Partei berufen – die war ja übrigens gegen solche Attentate, Hitler-Stalin-Pakt hat gegolten. Und deshalb ist er eigentlich in ein Niemandsland gefallen. Und jetzt erst, wo die Täter- und Mitläufergeneration ja dement ist oder begraben, jetzt erst wird der Weg frei. Es hat lange gedauert, aber jetzt nach 70 Jahren ist es deutlich zu sehen, dass er eine ganz eigenartige, wunderbare Persönlichkeit ist, die sich nicht eignet, auf die Fahne der Bundesrepublik geschrieben (zu) werden, sondern mehr auf die Fahne der kleinen Leute, die auch endlich mal etwas gelten.

König: Der Schriftsteller Rolf Hochhuth fordert ein Denkmal für Georg Elser in Berlin. Unterstützen Sie ihn?

Haasis: Aber ja! Wir werden uns bald treffen, und ich entwickle schon Ideen. Einen kleinen Vorgeschmack dafür: Ich möchte, dass dieses Denkmal auch etwas von seiner handwerklichen Spezialität zeigt, also ich möchte dafür einsetzen, dass neben ihm, dem Denkmal, eine Hobelbank steht und eine Stellsäge und andere Dinge, die er braucht. Und dann noch irgendwie einen visionären Blick, denn er hat tatsächlich visionäre Kraft gehabt, fast wie Prophet, dass er im Jahr 36, ab dem 36, langsam ahnt, dass Hitler auf einen Weltkrieg hinzu geht. Das ist ein Jahr, bevor Hitler sich geoutet hat im internen Kreis in der berühmten Hoßbach-Niederschrift, das war im November 37. Weit über ein Jahr vorher hat Elser genau gemerkt, was er beobachtet hat: Das gibt Krieg, und der wird schlimmer wie der erste.

König: Vor 70 Jahren misslang das Attentat des Georg Elser auf Adolf Hitler. Ein Gespräch über Georg Elser mit Hellmut G. Haasis. Sein Buch, "Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser" ist jetzt erschienen im Nautilus-Verlag. Herr Haasis, ich danke Ihnen und alles Gute mit Ihrem Buch!

Haasis: Bitte schön, tschüss nach Berlin!