Demonstration "March for Our Lives"

Wie nachhaltig ist der Anti-Waffen-Protest in den USA?

In Washington D.C. wird eine Bühne für die Redner beim "Marsch für unsere Leben" aufgebaut. Die Demonstraten wollen schärfere Waffengesetze in den USA fordern.
Eine Bühne für die Redner beim "Marsch für unsere Leben" in Washington D.C. © imago / UPI Photo
Jan-Werner Müller im Gespräch mit Ute Welty · 24.03.2018
Mehr Sicherheit an Schulen und schärfere Waffengesetze: Das fordern die überlebenden Schüler des Highschool-Massakers von Parkland, die zu einer Großdemonstration in Washington aufgerufen haben. Auf die Erfolgschancen blickt Politologe Jan-Werner Müller eher skeptisch.
Hunderttausende werden am heutigen Samstag in Washington für eine Verschärfung des US-Waffenrechts demonstrieren. Initiiert haben den "March for Our Lives" Überlebende des Massakers an einer Highschool in Parkland. Dort hatte am 14. Februar ein 19-Jähriger 14 Jugendliche und drei Erwachsene erschossen.
Auch wenn es eine der größten Demonstrationen dieser Art in der jüngeren Geschichte der USA werden könnte - der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller ist skeptisch, ob es der Initiative tatsächlich gelingen wird, schärfere Waffengesetze durchzusetzen.
Die Stoneman-Douglas-High-Schüler Emma Gonzalez, David Hogg, Cameron Kasky und Alex Wind bei einer Diskussion über Waffen.
Die Schüler der Stoneman-Douglas-Highschool in Parkland Emma Gonzalez, David Hogg, Cameron Kasky und Alex Wind bei einer Diskussion über Waffen.© AP
"Strukturell gibt es natürlich unglaubliche Hindernisse", so der an der Universität Princeton lehrende Wissenschaftler. "Das fängt schon mit der Verfassung an, die strukturell die Wähler in ländlichen Gegenden der USA durch die spezifische Ausrichtung des Senates bevorzugt." Außerdem seien die Forderungen der überlebenden Teenager aus Parkland "zum Teil sehr moderat", meint Müller. "Die sagen ja nicht: Wir wollen das ganze Land entwaffnen, so wie das die NRA dann zum Teil darstellt."

Der Protest muss nachhaltig sein

Erfolgreich könne die Bewegung nur sein, wenn sie auch künftig weiter Menschen mobilisiere und sich nicht nach ein paar Wochen oder Monaten wieder auflöse - "so, wie das leider bei früheren Massakern der Fall war". Dann könnten die relevanten politischen Akteure das Gefühl bekommen: "Moment, das erhält sich, diese Bewegung hört nicht einfach wieder auf, und, um es jetzt sehr brutal zu sagen, ich als Politiker stehe jetzt vielleicht wirklich in Gefahr, einen politischen Preis dafür zu zahlen, dass ich diese Waffenlobby weiter so unterstütze wie bisher."

Hören Sie zum "March for Our Lives" auch den Vorab-Bericht aus Washington von Gabi Biesinger aus unserer Sendung "Studio 9": Audio Player

(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es wird eine große Demonstration heute, vor allem in Washington: March for Our Lives, der Marsch für unsere Leben. Gemeint sind die Leben von Schülerinnen und Schülern. Nach dem Angriff auf die Highschool in Parkland in Florida mit 17 Toten hatte man damit begonnen, diese Demonstration zu organisieren, auch um Druck auszuüben auf die Politik und deren enge Verbindung zur Waffenlobby.
Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller lehrt an der renommierten Universität von Princeton, und er entkräftet die Argumentation, das Tragen einer Waffe sei in den USA verfassungsmäßiges Recht. Ich wollte von Jan-Werner Müller wissen, was genau im zweiten Zusatzartikel steht und was in ihn hineininterpretiert wird.
Jan-Werner Müller: Simpel gesagt steht in diesem berühmten zweiten Zusatzartikel, dass man, um einen freien, im weitesten Sinne demokratischen Staat zu erhalten, eine Miliz, also eine Bürgerwehr braucht, und dass man wiederum für diese Bürgerwehr Bürger braucht, die im Zweifelsfalle auch Waffen tragen. Das Ganze ist aber auf eine sehr merkwürdige Art formuliert, es klingt geradezu lateinisch von der Satzkonstruktion her, was es dann wiederum späteren Interpreten ermöglicht hat, diesen Teil über die Miliz vom Rest des Satzes abzutrennen und zu behaupten, dass durch diesen Zusatzartikel ein individuelles Recht auf Waffenbesitz konstruiert werden kann.

Gibt es laut Verfassung ein individuelles Recht auf Waffenbesitz?

Welty: Aber vom Grundsatz her können Sie dieses individuelle Recht erst mal nicht erkennen.
Müller: Nein, das können auch die meisten Interpreten, die sich mit dem 18. Jahrhundert, also der Zeit der Gründerväter auskennen, nicht erkennen, das haben auch Juristen fast 200 Jahre lang nicht erkannt. Keiner hat jemals gedacht, dass sich daraus in irgendeiner Weise ein individuelles ableiten lässt.
Welty: Und wann hat diese Veränderung begonnen und wann begann auch das Interesse an diesem Zusatzartikel, um eben das Verhältnis zur Waffe positiv zu besetzen und daraus ein Symbol zu machen für Freiheit und Unabhängigkeit?
Müller: Die großen Veränderungen setzen Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre ein. Damals wandelt sich die National Rifle Association, also die Waffenlobby, von einem doch letztendlich eher harmlosen Sport- und Jägerverein zu einer Lobby, die Waffenbesitz mit den damals aufbrechenden Kulturkämpfen verbindet. Das beginnt eigentlich erst so vor 40, 50 Jahren. Und auch zu der Zeit interessieren sich Juristen zum ersten Mal wirklich für diesen Zusatzartikel und fangen an, darüber zu schreiben.
Interessanterweise sind es zum Teil auch eher linksgerichtete Juristen, die sagen, Moment, wir sollten uns dieses Recht vielleicht doch noch mal genauer anschauen, denn wir haben aus den anderen Teilen der Bill of Rights, in Anführungszeichen, so viel herausgeholt – für beispielsweise Recht auf Abtreibung –, dass doch hier vielleicht auch irgendwas Interessantes zu holen wäre. Das hat natürlich nirgendwo hingeführt, aber das Interessante ist, dass die NRA dann auch gerade diese Artikel von eher linken Juristen gebraucht hat, um zu sagen, schaut doch mal, Kinder, quasi durch die Bank sind Juristen der Meinung, dass sich aus diesem Recht irgendwas Positives ableiten lässt.

Erfolreiche Überzeugungsarbeit der Waffenlobby

Welty: Aber die Strategie der Waffenlobby war ja dann erfolgreich, die ist ja sozusagen dankbar angenommen worden. Warum ist das so?
Müller: Zum Teil dadurch, dass sie es geschafft haben, viele Bürger davon zu überzeugen, dass es dieses Recht schon immer gab, dass auch das ganze Land voller Gefahren steckt, also es ist vielleicht keine völlig falsche Interpretation, auch das Aufkommen, das Erstarken der Waffenlobby mit den Rassenunruhen in den späten 60er-Jahren in Verbindung zu bringen. Es ist sicherlich auch richtig, dass die Waffenlobby sehr viel Geld bekommt von Akteuren, die selber gar kein besonders großes Interesse an Waffen haben, die aber sehr genau wissen, dass die NRA sehr erfolgreich darin ist, die entsprechend ansprechbaren Bürger am Wahltag zu den Urnen zu bekommen.
Welty: Dieses inzwischen intensive amerikanische Verhältnis zu Pistolen und Gewehren, kommt Ihnen das manchmal merkwürdig vor, auch wenn Sie jetzt mehr als zehn Jahre in Princeton leben und lehren?
Müller: Natürlich ist es merkwürdig, es ist auch in gewisser Weise schockierend, dass beispielsweise nach dem Massaker in Sandy Hook, wo ja in einer Grundschule sehr viele Kinder erschossen wurden, 2012, auch in Princeton, was jetzt also nicht dem Klischee eines Redneck-Gebietes in den USA entspricht, dass zum Beispiel auch da die Waffenkäufe nachweislich ganz steil nach oben gingen.
Es gibt auch Eltern, die beispielsweise sagen, ich frage immer, bevor ich meine Kinder irgendwohin schicke zum Spielen, ob die Leute zu Hause Waffen haben. Also keiner kann sich völlig freimachen von dieser Tatsache, dass halt in den USA so viele Dinge so frei verkäuflich sind. Und alles, was an Alarm kommt in Schulen oder anderswo, man weiß natürlich immer sofort, man muss das ernst nehmen, weil es kann ja sein, dass wirklich jemand da ist, der mit einer Waffe auftritt.

"Es hat keinen Sinn, Kinder ständig in Panik zu versetzen"

Welty: Wie gehen Sie in der Familie damit um, dass in fast regelmäßigen Abständen Kindern in ihren Klassenzimmern erschossen werden?
Müller: Man muss darüber reden, man kann ja nicht so tun, als würde das nicht passieren. Gleichzeitig hat es natürlich keinen Sinn, Kinder jetzt ständig in Panik zu versetzen. Was man vielleicht tun kann, wenn sie ein bisschen älter sind, dass man ihnen sagt, es gibt beispielsweise jetzt diese Demonstrationen, vielleicht sollten wir da hingehen, vielleicht ist das eine Möglichkeit zu sagen, dass sich ein gewisses politisches Engagement lohnen kann.
Das löst natürlich nicht automatisch die Probleme, aber viel mehr fällt den meisten Eltern auch nicht dazu ein, außer dass sie natürlich wie bei vielen anderen Dingen im Moment sagen, das Ganze, was in diesem Lande seit dem 9. November 2016 passiert, ist eine Art Weckruf: Wir müssen die nächsten Generationen dazu bringen, dass sie wirklich abstimmen, dass sie wählen, dass sie sich engagieren, denn die Vorstellung, na ja, es wird schon immer alles irgendwie gut gehen, die großen Parteien sind ja eh gleich, da gibt es keine großen Ausschläge. Das erleben wir ja tagtäglich seit dem Wahlsieg von Donald Trump, dass das so nicht stimmt.
Welty: Was erhoffen Sie sich von den Demonstrationen heute, auch davon, dass es sehr prominente Unterstützer gibt, wie zum Beispiel George Clooney oder Steven Spielberg?
Müller: Also mit Verlaub, von den prominenten Unterstützern erhoffe ich mir jetzt direkt nicht so viel, das sind ja in gewisser Weise die üblichen Verdächtigen, die sich bei solchen Themen engagieren. Die Hoffnung ist natürlich, dass einfach der Eindruck entsteht, dass diese Bewegung sich jetzt nicht nach ein paar Wochen oder Monaten wieder auflöst, so wie das leider bei früheren Massakern der Fall war, sondern dass die relevanten politischen Akteure, was ja zum Teil auch Demokraten sind, das Gefühl haben, Moment, das erhellt sich, diese Bewegung hört nicht einfach wieder auf, und, um es jetzt sehr brutal zu sagen, ich als Politiker stehe jetzt vielleicht wirklich in Gefahr, einen politischen Preis dafür zahlen, dass ich diese Waffenlobby weiter so unterstütze wie bisher.

"Strukturell gibt es natürlich unglaubliche Hindernisse"

Welty: Und wie optimistisch oder wie pessimistisch sind Sie, dass sich tatsächlich etwas ändert?
Müller: Also strukturell gibt es natürlich unglaubliche Hindernisse, das fängt schon mit der Verfassung an, die strukturell die Wähler in ländlichen Gegenden der USA durch die spezifische Ausrichtung des Senates bevorzugt. Gleichzeitig sind ja die Forderungen auch dieser überlebenden Teenager aus Parkland zum Teil sehr moderat. Die sagen ja nicht, wir wollen jetzt das ganze Land entwaffnen, so wie das die NRA dann zum Teil darstellt.
Und die Hoffnung ist, dass sich vielleicht doch der ein oder andere Politiker sagt, gut, ich sehe diese Bewegung, auch wenn ich selber vielleicht zum Teil ganz anders denke, ist es mit einer gewissen Schande verbunden geradezu, wenn ich mich jetzt dem völlig entgegenstelle. Also da wäre ich schon zumindest moderat optimistisch, dass der eine oder andere sich das überlegt, wenn es die Bewegung schafft, jetzt in den nächsten Monaten weiter Schüler, Teenager, auch ältere Menschen zu mobilisieren. Aber das muss man halt noch sehen, ob das geht.
Welty: Für eine Verschärfung des Waffenrechts gehen die Menschen heute in Washington und in vielen anderen Städten auf die Straße. Hintergründe von Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller im "Studio 9"-Gespräch. Er lehrt an der renommierten Universität von Princeton.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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