Guter Rat vom Zappelphilipp

23.05.2010
Der Autor Gerhard Spitzer, der selber an der Krankheit ADHS leidet, beleuchtet aus eigener Erfahrung eindrücklich die Gefühlswelt hyperaktiver Menschen. Auf überraschend neue Erkenntnisse wartet man als Leser allerdings vergeblich.
Die siebenjährige Sabrina schafft es morgens nie pünktlich in die Schule, weil sie sich nicht entscheiden kann, welchen Pullover sie anziehen soll. Jakob, zehn Jahre, und Maximilian, elf Jahre, können beide im Unterricht nicht stillsitzen. Sie rufen in die Klasse und stören. Vanessa kann sich keine Minute auf ein Spiel konzentrieren, sie springt von einem zum nächsten. Alle vier Kinder leiden unter ADHS, dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, besser bekannt als Zappelphilipp-Syndrom. Und allen vieren kann mühelos geholfen werden: Sabrina überlegt nun schon abends gemeinsam mit ihrer Mutter, was sie am nächsten Morgen anzieht. Jakob und Maximilian gehen regelmäßig mit ihren Eltern klettern und Vanessa darf zu Beginn jeder Stunde einen kurzen Vortrag halten.

Im Umgang mit ADHS, so der Sozialpädagoge Gerhard Spitzer, sollten Eltern vor allem eins bleiben: entspannt! Nur dann gelingt es auch für die eigenen Kinder, gute und praktische Lösungen zu finden. Welche das sein können, belegt der Autor, anhand vieler weiterer Beispiele. So plädiert er für direkte, sinnliche Erfahrungen durch Körperkontakt und Naturerlebnisse und rät dazu, die Nutzung von Handys, Computern und Fernsehen zu reduzieren. Innere Unruhe kann nur durch äußere Ruhe gewährleistet sein - so einfach, wie praktisch. Und genau davon lebt dieses Sachbuch: Spitzer bleibt auf dem Boden, er problematisiert nichts, gibt konkrete Verhaltenstipps und betont darüber hinaus auch die positiven Seiten von ADHS. Denn nicht selten birgt das Syndrom ein enormes künstlerisches Potential, so Spitzer. Damit befreit er Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizit vom Image des Schreckgespensts, das viele Eltern mit ADHS verbinden, und verhindert die Stigmatisierung der Betroffenen. Gut so. Irritierend allerdings ist, dass der Autor kaum auf Medikamente und ADHS eingeht. Mehr als: der Einsatz von Tabletten sollte gut überlegt sein, schreibt er nicht zu diesem wichtigen Thema.

Ein großes Plus dagegen ist, dass der Leser in diesem Buch erfährt, wie sich ADHS für die Betroffenen anfühlt. Spitzer, der selber an ADHS leidet, beleuchtet aus eigener Erfahrung eindrücklich die Gefühlswelt hyperaktiver Menschen. Hyperaktive stehen ständig unter Strom, sind einer permanenten Reizüberflutung ausgesetzt und leben dadurch oft in ihrer eigenen Welt. Nachvollziehbar macht der Autor dieses innere Seelenleben durch die Kunstfigur Philipp. Der kleine Junge mischt sich immer wieder mit Kommentaren ein und gibt eine Menge Tipps für den Umgang mit Kindern von seiner Sorte.

Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen haben viele sehr unterschiedliche Ausprägungen und nicht jedes quirlige Kind hat gleich ADHS, warnt Spitzer. Sein freundlicher und zugleich differenzierter Blick auf das Thema, vermittelt besorgten Eltern und Erziehern die Ruhe, die sie im Umgang mit ADHS brauchen. Auf überraschend neue Erkenntnisse wartet man als Leser allerdings vergeblich. "Warum zappelt Philipp" ist unterhaltsam geschrieben und bietet solides Fachwissen. Aus der großen Masse der verhaltenstherapeutisch orientierten Ratgeber zum Thema ADHS sticht es aber nicht heraus.

Besprochen von Susanne Nessler

Gerhard Spitzer: Warum Philipp zappelt. Wie sie entspannt mit ADHS umgehen können
Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2010
205 Seiten, 19,95 Euro