Gute Vorsätze

Weniger tun und die Ruhe genießen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgt am Freitag (29.06.2012) die Aussprache im Deutschen Bundestag in Berlin.
Die Bundeskanzlerin - die Ruhe selbst © dpa / Wolfgang Kumm
Von Peter Kees · 30.12.2015
Bloß nicht schon wieder gute Vorsätze! Die sind am Abend des 1. Januar sowieso schon wieder vergessen, oder etwa nicht? Ein wirklich guter Vorsatz wäre, weniger zu tun und die Muße zu genießen. Das sagt der Künstler Peter Kees. "Nur die Ruhe!" - mit Faulheit habe das nichts zu tun.
Permanente Zeitnot, stete Beschleunigung, hoher Leistungsdruck, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, Zukunftsunsicherheit und der Zwang ständiger Verfügbarkeit prägen unser Leben. Unruhe hat sich längst als normales Lebensgefühl breit gemacht. Wirklich glücklich werden wir dabei allerdings nicht.
Quadratmeterweise: Glück
Es ist lange her, dass der römische Dichter Vergil einen Gegenentwurf skizziert hat. Vor mehr als zweitausend Jahren entwarf er eine Welt der Freiheit und der Muße. Diesen Traum projizierte er in den griechischen Gebirgszug Arkadien. Heute findet sich diese Utopie in einzelnen Quadratmetern wieder. In Finnland, der Schweiz, in Polen, Österreich, Italien und Deutschland wurden in den vergangenen Jahren im Rahmen einer Kunstaktion einzelne Quadratmeter besetzt und zum arkadischen Hoheitsgebiet erklärt. Ein Quadratmeter Freiheit, ein Quadratmeter Zufluchtsort, ein Quadratmeter Glück, ein Quadratmeter Muße. Genau nach diesen Attributen sehnen wir uns.
Ausgerechnet moderne Unternehmen, die gerade noch Unruhe schürten, glauben das begriffen zu haben. So manches Startup-Unternehmen lockt mit dem erwünschten Müßiggang. Mitarbeiter dürfen frei entscheiden, wie und wann sie ihre Arbeit erledigen. Ideen, so heißt es, brauchen schließlich Muße.
Unruhe als Lebensgefühl der Gegenwart
Es ist absurd. Denn ähnlich wie Urlaub als Regenerationsphase auf Arbeit zielt, gilt auch der Müßiggang lediglich als weiteres Optimierungs- und Effizienzwerkzeug. Als Strategie, damit wir noch besser ins System passen und funktionieren. In der Antike galt nicht die Arbeit, sondern der Müßiggang als erstrebenswertes Ziel. Später sah der dänische Philosoph Søren Kierkegaard darin sogar ein geradezu göttliches Leben, nicht die Wurzel allen Übels.
Wenn die Unruhe das Lebensgefühl der Gegenwart ist, dann lautet ihr Lebensmotto Leistung und Gewinnmaximierung. Ständig neue glänzende Produkte verheißen Glück. Eine stetig wachsende Freizeitindustrie suggeriert Glückseligkeit. Glück hängt nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse aber nicht von Dingen ab. An ewiges Wirtschaftswachstum und permanenten Fortschritt zu glauben, ist ohnehin Idiotie.
Natürlich müssen wir von etwas leben. Wenn wir Arbeit auf ein Minimum reduzierten, nicht weiter dem Credo der Steigerung und Gewinnmaximierung folgten, wenn wir das Prinzip der Leistung und den Wachstumswahn überdächten, dann könnte die wirklich notwendige Arbeit so verteilt werden, dass jeder nur noch ein paar Stunden arbeiten müsste. Auch wenn die Einnahmen geringer wären, hätten wir genug. Denn der Konsumterror bliebe aus, und Geld für Essen, Trinken, Miete, Krankenkasse, Rente und andere Dinge des Lebens wäre vorhanden. Für manchen mag es befremdlich klingen, weniger Geld, aber mehr Zeit zu haben. Aus der Glücksforschung weiß man, dass nicht mehr materieller Wohlstand, sondern familiäre wie soziale Beziehungen, Freiheit, Gesundheit, ein befriedigendes Tun, und lediglich eine finanzielle Grundabsicherung unser Glück ausmachen.
Stress oder Muße? Eine Frage der Haltung
Dass sich heute Menschen ihr Arbeitsleben lang auf den Müßiggang freuen, manche mit Ruhestand und Rente aber in ein Loch der Sinnlosigkeit und der Verzweiflung fallen, ist eben ein Spiegel unseres derzeitigen blinden Eifers – wir sind auf Leistung getrimmt.
Muße kann Impulse setzen, inspirieren und unsere ureigenen Interessen und Begabungen fördern. Es ist nur eine Frage der Haltung.
Wir können das üben: Bauen Sie sich selbst arkadische Quadratmeter. Betreten Sie diese möglichst oft. Arbeit, Leistung und Stress sind dort tabu.
Nicht dem Geld, dem Müßigen gehört die Welt.

Peter Kees, geboren 1965, befasst sich als Künstler und Publizist mit Sehnsüchten, Idealen und Visionen. Seit der Biennale von Havanna 2006 hat er mehrfach einzelne Quadratmeter in europäischen Ländern annektiert und zu arkadischem Staatsgebiet erklärt. Als Arkadischer Botschafter vergibt er Visa und gewährt Asyl. Zu sehen waren seine Arbeiten u. a. auf der Mediations Biennale in Posen, im Museum of Contemporary Art Skopje, in La Capella Barcelona, im PAN Palazzo delle Arti Napoli, in der Neue Nationalgalerie Berlin, im Berliner Martin-Gropius-Bau, am Kunsthaus Bregenz, an der Kunsthalle Rostock und am ACC Weimar. In dem Dokumentarfilm "Vaterlandschaften" (2015) erzählt er als Vater seine eigene Geschichte vom Ausgegrenztsein und vom Kampf ums eigene Kind.

Peter Kees
© privat
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