Gute Schule ist möglich!
"Was macht eine gute Schule aus?" - Nicht erst seit den alarmierenden Ergebnissen der PISA-Studien stellen sich Bildungspolitiker, Pädagogen, Eltern und auch Schüler diese Frage.
Deutschlandradio Kultur widmet dem Thema Schule deshalb vom 26.05 bis 31. 05. eine vielfältige Sendewoche. Den Auftakt bildet die Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch": Unter dem Titel "Gute Schule ist möglich!" diskutieren der Direktor des Friedrich-Schiller Gymnasiums in Marbach am Neckar Günter Offermann und der Bildungsexperte und Journalist Christian Füller gemeinsam mit den Hörerinnen und Hörern von Deutschlandradio Kultur.
In Deutschland gibt es rund 44.000 Schulen, darunter werden jährlich nur wenige "Leuchttürme" mit dem deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Einer der Preisträger aus dem Jahr 2007 ist das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar, mit rund 2000 Schülern und 150 Lehrern eines der größten Gymnasien Deutschlands.
"Diese Schule ist stolz auf jedes Kind, das sie behält und nicht darauf aus, Kinder zu verlieren." Dieser Satz aus der Begründung der Jury ist gleichzeitig auch das Motto des Schuldirektors Günter Offermann. "Was ganz vorn steht, ist die gegenseitige Wertschätzung und die Idee und der Gedanke, dass man für jedes Kind eine Perspektive hat, und dass jeder Lehrer diese Idee mitträgt und nicht lamentiert, dass jemand nicht mitmacht. Dass die Lehrer Lust haben, jeden – auch mit listigen Verfahren – ans Ziel zu bringen."
An listigen Verfahren haben sich der rührige Direktor und sein Kollegium einiges einfallen lassen: In Sommerkursen werden schlechtere Schüler von Mitschülern unterrichtet, diese werden dafür bezahlt und bekommen ein Zertifikat. Für Nachzügler wird auch Samstagsunterricht angeboten - auch hier werden Mitschüler, aber auch Lehrer und vor allem auch die Eltern mit einbezogen.
"Es ist ein Spiel: Wie viel fantasie haben die Lehrer, sich immer neue Methoden einfallen zu lassen. Das alles geht nicht, ohne dass die Lehrer mitmachen. Aber was heißt Pädagoge sein? Pädagoge sein heißt, Kümmerer sein, heißt Zeit haben. Das alles kostet sehr viel Zeit. Aber, wenn Sie in einer Schule arbeiten, in der sich die Schüler wohl fühlen und mitarbeiten, dann sind auch die Lehrer motiviert."
Es gibt eine regelmäßige Berufsberatung, Kurse für Hochbegabte, Tüftlerkurse für besonders Motivierte. Die Schüler können Chinesisch als zweite Fremdsprache wählen, es gibt internationale Begegnungsklassen, in denen deutsche und ausländische Gastschüler zusammen lernen, dazu ein vielfältiges Austauschprogramm mit Schulen in Argentinien, Finnland und China.
"Das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach ist das einzige Reformgymnasium in Deutschland", schwärmt Christian Füller. Der Journalist und Bildungsexperte liefert seinem aktuellen Buch "Schlaue Kinder, schlechte Schulen" (Droemer 2008) eine profunde, aber auch ernüchternde Analyse des deutschen Bildungssystems. Seine Hauptkritik: Das Schulsystem sei auf Aussieben, statt auf Aufbauen der Schüler angelegt, wer nicht mithalten kann, werde "abgeschult":
"Wir haben ein Auslesesystem, das die Schüler einteilt in gute, mittlere und schlechtere Schulen. Und dieses System drückt die Lehrer der vierten Klassen in eine existenzielle Krise: Eigentlich sind Lehrer dazu da, Kinder zu fördern. In der vierten Klasse heißt es aber: Ihr müsst jetzt ein paar rausfiltern, die nicht mitkommen. Das ist eine derartige Rücksichtslosigkeit! Das ist ein grauenhafter Selektionsmechanismus!"
Die Ursachen: Lehrer ersticken im Zwangskorsett aus Lehrplänen, völlig überholten Strukturen. Füller prangert aber auch die Versäumnisse der Kultusbürokratie an. Stichwort Lehrerbildung: "Es soll einen 'neuen Lehrer' geben, aber wie soll die neue Lehrerbildung aussehen? Sie haben ihr PISA-Zeugnis erhalten, aber finden keinen Konsens, was daraus folgen soll! Und das größte Problem ist: Im Jahr 2010 werden 60 Prozent der heute tätigen Lehrer in den Ruhestand gehen. Und sie werden ersetzt durch Lehrer, die nicht auf die Reformen vorbereitet sind."
Christian Füller zeigt aber auch, dass es anders geht: Reformschulen, mit engagierten Rektoren und Lehrern, Schulen, die von der Lehranstalt zum Erlebnisort geworden sind. Sie alle eint der Mut, Schule neu zu gestalten – auch gegen Widerstände. "Fast alle guten Schulen, die ich besucht habe – ob es die Topschools waren, die Preisträger oder die ganz normalen – sie alle haben etwas an entscheidender Stelle geändert. Ob es der hohe zeitliche Druck war, die starren Lehrpläne. Die Schulen brechen eine Regel und davon geht ein Impuls aus: Sie verändern den Stundenplan, legen Fächer zusammen. Dafür müssen Sie einen Konsens bei den Lehrern schaffen, dann holen Sie sich den augenzwinkernden Rückhalt der Schulrätin, beantragen einen Schulversuch, und dann kann es richtig abgehen!"
Sein Tipp für neuen Wind in der Schule: "Sei Anarchist und breche eine Regel."
Sein Appell: "Jedes Kind kann Schule schaffen – niemand braucht auf Bildung zu verzichten."
"Gute Schule ist möglich!" – darüber diskutiert Dieter Kassel heute gemeinsam mit dem Schuldirektor Günter Offermann und dem Bildungsexperten Christian Füller. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Literaturtipp: Christian Füller: Schlaue Kinder, schlechte Schulen. Wie unfähige Politiker unser Bildungssystem ruinieren – und warum es trotzdem gute Schulen gibt. Droemer, München 2008.
Informationen im Internet: www.fsg-marbach.de
In Deutschland gibt es rund 44.000 Schulen, darunter werden jährlich nur wenige "Leuchttürme" mit dem deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Einer der Preisträger aus dem Jahr 2007 ist das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar, mit rund 2000 Schülern und 150 Lehrern eines der größten Gymnasien Deutschlands.
"Diese Schule ist stolz auf jedes Kind, das sie behält und nicht darauf aus, Kinder zu verlieren." Dieser Satz aus der Begründung der Jury ist gleichzeitig auch das Motto des Schuldirektors Günter Offermann. "Was ganz vorn steht, ist die gegenseitige Wertschätzung und die Idee und der Gedanke, dass man für jedes Kind eine Perspektive hat, und dass jeder Lehrer diese Idee mitträgt und nicht lamentiert, dass jemand nicht mitmacht. Dass die Lehrer Lust haben, jeden – auch mit listigen Verfahren – ans Ziel zu bringen."
An listigen Verfahren haben sich der rührige Direktor und sein Kollegium einiges einfallen lassen: In Sommerkursen werden schlechtere Schüler von Mitschülern unterrichtet, diese werden dafür bezahlt und bekommen ein Zertifikat. Für Nachzügler wird auch Samstagsunterricht angeboten - auch hier werden Mitschüler, aber auch Lehrer und vor allem auch die Eltern mit einbezogen.
"Es ist ein Spiel: Wie viel fantasie haben die Lehrer, sich immer neue Methoden einfallen zu lassen. Das alles geht nicht, ohne dass die Lehrer mitmachen. Aber was heißt Pädagoge sein? Pädagoge sein heißt, Kümmerer sein, heißt Zeit haben. Das alles kostet sehr viel Zeit. Aber, wenn Sie in einer Schule arbeiten, in der sich die Schüler wohl fühlen und mitarbeiten, dann sind auch die Lehrer motiviert."
Es gibt eine regelmäßige Berufsberatung, Kurse für Hochbegabte, Tüftlerkurse für besonders Motivierte. Die Schüler können Chinesisch als zweite Fremdsprache wählen, es gibt internationale Begegnungsklassen, in denen deutsche und ausländische Gastschüler zusammen lernen, dazu ein vielfältiges Austauschprogramm mit Schulen in Argentinien, Finnland und China.
"Das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach ist das einzige Reformgymnasium in Deutschland", schwärmt Christian Füller. Der Journalist und Bildungsexperte liefert seinem aktuellen Buch "Schlaue Kinder, schlechte Schulen" (Droemer 2008) eine profunde, aber auch ernüchternde Analyse des deutschen Bildungssystems. Seine Hauptkritik: Das Schulsystem sei auf Aussieben, statt auf Aufbauen der Schüler angelegt, wer nicht mithalten kann, werde "abgeschult":
"Wir haben ein Auslesesystem, das die Schüler einteilt in gute, mittlere und schlechtere Schulen. Und dieses System drückt die Lehrer der vierten Klassen in eine existenzielle Krise: Eigentlich sind Lehrer dazu da, Kinder zu fördern. In der vierten Klasse heißt es aber: Ihr müsst jetzt ein paar rausfiltern, die nicht mitkommen. Das ist eine derartige Rücksichtslosigkeit! Das ist ein grauenhafter Selektionsmechanismus!"
Die Ursachen: Lehrer ersticken im Zwangskorsett aus Lehrplänen, völlig überholten Strukturen. Füller prangert aber auch die Versäumnisse der Kultusbürokratie an. Stichwort Lehrerbildung: "Es soll einen 'neuen Lehrer' geben, aber wie soll die neue Lehrerbildung aussehen? Sie haben ihr PISA-Zeugnis erhalten, aber finden keinen Konsens, was daraus folgen soll! Und das größte Problem ist: Im Jahr 2010 werden 60 Prozent der heute tätigen Lehrer in den Ruhestand gehen. Und sie werden ersetzt durch Lehrer, die nicht auf die Reformen vorbereitet sind."
Christian Füller zeigt aber auch, dass es anders geht: Reformschulen, mit engagierten Rektoren und Lehrern, Schulen, die von der Lehranstalt zum Erlebnisort geworden sind. Sie alle eint der Mut, Schule neu zu gestalten – auch gegen Widerstände. "Fast alle guten Schulen, die ich besucht habe – ob es die Topschools waren, die Preisträger oder die ganz normalen – sie alle haben etwas an entscheidender Stelle geändert. Ob es der hohe zeitliche Druck war, die starren Lehrpläne. Die Schulen brechen eine Regel und davon geht ein Impuls aus: Sie verändern den Stundenplan, legen Fächer zusammen. Dafür müssen Sie einen Konsens bei den Lehrern schaffen, dann holen Sie sich den augenzwinkernden Rückhalt der Schulrätin, beantragen einen Schulversuch, und dann kann es richtig abgehen!"
Sein Tipp für neuen Wind in der Schule: "Sei Anarchist und breche eine Regel."
Sein Appell: "Jedes Kind kann Schule schaffen – niemand braucht auf Bildung zu verzichten."
"Gute Schule ist möglich!" – darüber diskutiert Dieter Kassel heute gemeinsam mit dem Schuldirektor Günter Offermann und dem Bildungsexperten Christian Füller. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Literaturtipp: Christian Füller: Schlaue Kinder, schlechte Schulen. Wie unfähige Politiker unser Bildungssystem ruinieren – und warum es trotzdem gute Schulen gibt. Droemer, München 2008.
Informationen im Internet: www.fsg-marbach.de