"Gute Produkte kosten etwas"

Moderation: Uschi Goetz und Ulrich Ziegler |
Der Unternehmer und Miteigentümer der Schokoladenfirma "Ritter Sport", Alfred Ritter, rechnet langfristig mit einer Preissteigerung für Lebensmittel. Das gelte auch für die Zutaten von Schokolade wie Kakao, Milch und Zucker. "Grundsätzlich müssen wir uns daran gewöhnen, dass gute Produkte aus der Landwirtschaft auch was kosten", so Ritter.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ritter, beim Einkauf fällt auf, wenn man so durch die Regale blickt, es gibt ganz viele gesunde Produkte: Wellness-Kaugummis. Es gibt probiotische Schokolade. Und seit April gibt es auch Bio-Schokolade von Ritter Sport. Kann man wirklich gesund naschen?

Alfred T. Ritter: Also, zunächst mal, Schokolade als solches ist keineswegs ungesund. Die hat da vielleicht ein bisschen zu schlechten Ruf, aber Kakao ist eines der wertvollsten Lebensmittel, die es überhaupt gibt. Milch ist auch nichts Schlechtes. Gut, es ist auch Zucker drin, aber in einem gewissen Maß braucht der Mensch auch Zucker. Und bei Schokolade gilt halt, wie bei allem: In Maßen ist es gesund. Man kann es auch übertreiben. Dann ist es nicht mehr gesund.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt hat die Bundesregierung trotzdem festgestellt, dass in Deutschland 30 Millionen Menschen zu dick sind, dass sie abnehmen sollen. Jetzt gibt es ein Programm, das da sagt: "Gesünder leben". Kann man das also trotzdem machen, gesünder leben und Schokolade genießen? Geht das zusammen?

Ritter: Das geht auf jeden Fall zusammen. Es gibt da auch Untersuchungen dazu - das geht ja viel jetzt auch um Kinder, die sehr viel dicker geworden sind, als es früher der Fall war, dass sie gar nicht mehr Kalorien zu sich nehmen, als früher mal. Aber die sitzen heute daheim rum vor ihrem Computer. Wenn ich daran denke, was wir als Kinder noch im Wald gespielt haben, das kann heute kaum noch ein Kind machen. Da fehlt einfach viel Bewegung.

Deutschlandradio Kultur: Also, erst die Bewegung dann Ritter-Sport?

Ritter: So ist es ein gutes Verhältnis. Es passt auch sehr gut zur Bewegung, wenn man zwischendrin Hunger kriegt, so ein bisschen Schokolade, das ist recht gut. Wir haben einfach eine Outdoor-Schokolade. Das hat meine Großmutter angefangen. Die hat damals - und da kommt der Name her - eine Schokolade so konstruiert, dass sie genau in das Sportjackett der dreißiger Jahre damals, passt. Und das war dann Ritters Sportschokolade. Wir haben den Namen einfach behalten.
Deutschlandradio Kultur: Das Europäische Parlament und auch die Grünen fordern ein Werbeverbot für Süßigkeiten, zumindest im Fernsehprogramm vor 20 Uhr. Können Sie so was mittragen oder sagen Sie, das ist verwerflich?

Ritter: Ich denke, man kann die Menschen immer weiter entmündigen und immer weiter sagen, das darfst du nicht, jenes darfst du nicht. Ich halte das nicht für sehr sinnvoll. Der Mensch hat auch Verantwortung. Und wenn man zum Schluss alle Verantwortung wegnimmt, dann fangen die Leute an, sich auch unverantwortlich zu verhalten.

Ich kann es als Beispiel sagen: Mein Hund benimmt sich sehr gut, solange er keine Leine hat. An der Leine fängt er an, sich ganz schlecht zu verhalten. Und ich glaube, Leute sind ganz ähnlich.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja nicht nur schwäbischer Schokoladenhersteller, Sie sind auch im Öko-Bereich, wenn man das neudeutsch so sagen darf, aktiv. Sie haben ein Unternehmen mit ökologischen Heizungsanlagen vor Jahren schon gegründet. Mittlerweile sind da mehrere Leute beschäftigt, erfolgreich. Und dann sind Sie eigentlich noch gelernter Psychologe. Wie viel psychologische Kenntnisse braucht man, wenn wir noch mal auf das Kerngeschäft, die Schokolade, zurückkommen, und da geht es ja viel auch um Lifestyle oder Sie sagen "Outdoor-Schokolade", um den Kunden zu befrieden?

Ritter: Die psychologischen Kenntnisse sind eigentlich weniger da wertvoll, wo es jeder denkt, dass man jetzt als Psychologe die tolle Werbekampagne machen könnte. Da ist es nicht so sinnvoll. Aber eine Firma ist eine Gruppierung von Menschen. Und die meisten Firmen haben viele, viele Probleme, weil die Leute untereinander nicht zusammen, sondern gegeneinander arbeiten. Da - finde ich - sind ein paar psychologische Grundkenntnisse nicht schlecht.

Deutschlandradio Kultur: Machen Sie Gruppensitzungen in Ihrem Unternehmen?

Ritter: Nein, also, diese ganze Psychologisierung halte ich für eher abartig. Aber man muss schon gucken, wie man Strukturen so aufbaut, dass es relativ menschengemäß ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie verwenden Ihr Wissen sehr wahrscheinlich schon für Ihre Zielgruppe? Das heißt, Sie werden sehr wahrscheinlich ganz genau wissen, wie Ihr Kunde aussieht. Wie sieht er denn aus der Ritter-Sport-Kunde?

Ritter: Wir machen Schokolade für die breiteste Zielgruppe der Welt, nämlich für Menschen mit gutem Geschmack. Und die sehen sehr verschieden aus.

Deutschlandradio Kultur: Das machen aber andere doch auch. Es gibt andere Schokoladenhersteller, die im Premiumbereich sind, andere sind im Niedrigbereich, wo sie billige Schokolade anbieten. Sie suchen sich doch ein spezielles Zielpublikum raus. Sind das die Golf-Fahrer? Oder wer ist das? Auf wen verzichten Sie und wen wollen Sie unbedingt haben?

Ritter: Wir verzichten eigentlich auf niemanden. Ich halte von dieser ganzen Zielgruppendiskussion gar nicht viel, weil da gibt es dann so ein Produkt wie Ritter Rum. Da sagt man, das ist für die älteren Damen. Und was stelle ich fest? Mein jüngster Sohn isst es gerne. Das funktioniert alles nicht.
Ich baue auf die Geschmacksnerven meiner Mitmenschen. Wir machen einfach unglaublich leckere Schokolade. Das mögen viele Leute. Es gibt natürlich Leute, die haben nicht viel Sinn für gute Lebensmittel. Das muss man auch sagen. Die sind vielleicht nicht unsere Zielgruppe.

Deutschlandradio Kultur: Wobei Ihre Schokolade, das muss man einfach sagen, liegt so ein bisschen schwer im Mund. Die sind so quadratisch, wie der Name, aber es ist jetzt nicht diese feine Schokolade, die man vielleicht in Frankreich antrifft oder bisweilen auch so ein bisschen bei Käse, so ein bisschen gourmetartig. Es ist so der Brocken im Mund.

Ritter: Das ist richtig. Das ist auch der Name: "Ritter Sport, die Schokolade für Beißer, nicht für Lutscher."

Deutschlandradio Kultur: Wer greift zu Milka-Schokolade, wer zu quadratischer? Können Sie da einen Unterschied festmachen oder sind Sie sich da so gleich, dass Sie sagen, nein, da entscheidet der Preis vielleicht?

Ritter: Gut, es gibt Menschen, für die entscheidet der Preis. Aber wenn Sie jetzt mal das Geschmacksspektrum von Ritter Sport angucken, dann stellen Sie fest, dass wir da also Geschmäcker haben, die man woanders gar nicht findet. Wir konstruieren, wie ein guter Koch, jede Sorte.

Wir haben nicht wie andere Firmen eine Schokoladenmasse und da tun wir vielleicht mal Nüsse rein oder mal Rosinen. Knusperflakes kriegen eine andere Masse als eine Vollnuss. Es sieht beides nach Milchschokolade aus. Aber wir gucken ganz genau, wie das zusammen funktioniert, machen lange Geschmackstests, haben dafür auch eine Expertengruppe.

Deutschlandradio Kultur: Testen Sie auch?

Ritter: Natürlich. Wenn man Schokolade nicht mag, dann kann man das nicht machen.

Deutschlandradio Kultur: Das hört sich ja an, als ob man damit sehr erfolgreich Schokolade verkaufen kann. Das ist Ihnen in den letzten Jahren nicht unbedingt gelungen. Sie haben teilweise rote Zahlen geschrieben. Dann haben Sie zu Beginn des Jahres die Preise deutlich erhöht. Geht's Ihnen jetzt besser?

Ritter: Es geht uns jetzt besser. Wir waren tatsächlich mit unseren Preisen so tief, dass wir nicht mehr lebensfähig waren, wenn wir die Qualität liefern wollten. Wir haben dann gesagt, wir reduzieren nicht die Qualität, sondern wir heben den Preis an.

Deutschlandradio Kultur: Und der Käufer hat es akzeptiert, zumindest in Deutschland?

Ritter: Der Käufer in Deutschland hat es akzeptiert. Im Ausland haben wir mehr Gelegenheitskäufer. Da zählt dann, wenn man so vorm Regal steht und sich nicht auskennt, schon eher der Preis. Da haben wir etwas Einbußen.

Deutschlandradio Kultur: Im Moment erleben wir einen Inflationsschub. Müssen wir damit rechnen, dass Ihre Preise noch mehr in die Höhe klettern?

Ritter: Also, jetzt im Moment nicht, aber wir leben in einem generellen Trend, dass die Lebensmittel teurer werden. Wir sind eben auch ein Verarbeiter von Lebensgrundstoffen, also von Milch, von Zucker, von Kakao, von Nüssen, von Mandeln, von Rosinen. Bei unserem hohen Materialeinsatz und eben auch bei dem Anspruchsniveau, das wir haben, was die Qualität dieser Stoffe betrifft, muss man langfristig wohl eher mit Preissteigerungen rechnen.

Deutschlandradio Kultur: Wettbewerbshüter ermitteln bei den Schokoladenherstellern, weil sie sich irgendwie getroffen haben - Preisabsprachen oder auch nicht. Ist da was dran?

Ritter: Preisabsprachen gab es nicht und das ist auch nicht einmal der Vorwurf. Der Vorwurf heißt, man hätte sich wettbewerbssensible Daten mitgeteilt. Das heißt: Wenn der Verkäufer der Firma A zum Verkäufer Firma B sagt, was hältst denn du davon, dass EDEKA einen 100-Jahresrabatt möchte, und der sagt, ich find das blöd, war es in dem Moment gesetzwidrig. So was wurde vorgeworfen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt aber, nach diesem Treffen, das vielleicht stattgefunden hat, gab es ja wirklich dann die Preiserhöhung. Sie haben um 20 Prozent erhöht.

Ritter: Ja gut, es stimmt schon, aber dass die Preiserhöhungen in verschiedenen Firmen gleichzeitig kamen, das war ja der Vorwurf, hat einen ganz, ganz anderen Grund, nämlich: Der Handel lässt es sowieso nur einmal im Jahr zu. Und für alle sind die Rohstoffe sehr hoch gegangen. Alle sind in eine schlechte finanzielle Situation geraten. Aber vorher kann man nicht erhöhen, weil der Handel nicht mitmacht. Deshalb kam auch alles gleichzeitig.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, die Produktion ins Ausland zu verlegen?

Ritter: Wir hatten mal eine Kooperation mit einem russischen Schokoladehersteller. Das haben wir aber wieder aufgegeben. Wenn das wirklich finanziell ertragreich sein sollte, hätten wir die Rohstoffe in Russland beschaffen müssen, mindestens Milch und Zucker. Und jetzt ist es nicht so, dass die Russen Schlechteres hätten, aber man muss es mit seinen Vorlieferanten über viele Jahre entwickeln, dass man genau die Qualität kriegt, die man haben will, weil es soll alles so schmecken, wie wenn es aus Waldenbuch kommt.

Deutschlandradio Kultur: Es geht also nicht nur um Qualität, sondern vielleicht auch um die Imagefrage. Das schwäbische Familienunternehmen, das hier produziert, das ordentliche Löhne bezahlt, das versucht ökologisch den Betrieb am Laufen zu halten, sind das mehrere Komponenten, die insgesamt auch das Bild des Unternehmens prägen sollen?

Ritter: Sie kommen jetzt sehr von außen her. Ich sehe das viel mehr von innen her. Wir haben halt hier im schwäbischen Ländle eine dermaßen motivierte und auch gut gebildete Arbeitnehmerschaft, das finde ich nicht gleich überall. Wir haben in der Nähe von Stuttgart einen Industriestandort. Wenn irgendwas schief geht mit einer Maschine, dann ist die binnen Stunden repariert. Das sind für uns ganz wertvolle Sachen.

Deutschlandradio Kultur: Sie gelten als Vorzeigeunternehmer, der in Zeiten, wo Energiepreise nach oben steigen, wo wir von Umweltbelastung reden, sich seit Jahren in diesem Bereich aktiv engagiert hat. Das ist doch auch ein Image, ein Gewicht, mit dem Sie teilweise arbeiten.

Ritter: Gut, Image ist nicht mein erstes Ziel. Mit ökologischer Technik zu arbeiten, ist meiner Ansicht nach einerseits einfach menschennotwendig, weil wir auf dieser Welt ja noch ein bisschen leben wollen. Zum anderen, das will ich auch gar nicht verhehlen, ist es auch ein gutes Geschäft. Ich mache mein Geschäft eigentlich gern mit Sachen, die den Menschen gut bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Wie geht denn diese Geschichte, der Psychologe, der sich irgendwann für Energiefragen interessiert und gleichzeitig noch im Familienunternehmen für die Schokoladenproduktion verantwortlich ist? Da muss es doch Schlüsselerlebnisse gegeben haben.

Ritter: Dass ich zur Sonnenenergie kam, lag zum einen am Unfall in Tschernobyl, der dann plötzlich dazu geführt hat, dass es keine unverstrahlten Haselnüsse mehr gab. Das hat mich schon ziemlich betroffen gemacht. Weil, wenn es mal passiert ist, dann ist auch passiert und man hat keine Ausweichmöglichkeit. Das andere ist einfach das schwäbische Naturell in mir. Wenn man an einem sonnigen Tag auf dem Balkon sitzt und dann plötzlich hört, wie die Heizung anläuft, weil sie Warmwasser macht, das hält man als Schwabe kaum durch.

Deutschlandradio Kultur: Dann haben Sie ökologische Heizungsanlagen erfunden? Das war der Gedanke damals, oder?

Ritter: Nach Tschernobyl haben wir mit Freunden eine Diskussionsrunde gegründet, weil wir gesagt haben: Wie kann man eigentlich mit dem geringsten Einsatz am meisten Primärenergie sparen? Dann haben wir festgestellt, in den Hausheizungen ist derzeit die verschwenderischste Situation. Da geht eigentlich am schnellsten viel zu machen. Da haben wir gesagt, dieses Themas nehmen wir uns an.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt konkret: Sie verkaufen jetzt Heizungsanlagen und Schokolade?

Ritter: Richtig.

Deutschlandradio Kultur: Das passt zusammen?

Ritter: Das passt prima zusammen. Fürs Wohlbefinden braucht man beides.

Deutschlandradio Kultur: Da gibt es noch etwas anderes, was Sie mal in den neunziger Jahren versucht haben - Elektroauto, den "Hotzenblitz" als Prototyp damals gelaufen, dann wieder eingestellt, keiner wollte ihn damals haben. Waren Sie Ihrer Zeit voraus?

Ritter: Das war nicht das Problem. Wir hatten ein Auto, das gut verkaufbar gewesen wäre. Wir haben es managementmäßig nicht wirklich hingekriegt, den Schritt zur Serienproduktion wirklich zu schaffen.

Deutschlandradio Kultur: Aber jetzt, wo die Preise nach oben gehen, wo General Motors, Daimler und VW und wer auch immer sagen, in zwei, drei Jahren wollen wir diese Elektroautos auf den Markt bringen, weil die Batterietechnik anders ist, was auch immer, könnten Sie doch loslegen. Sie haben doch diese ganzen Papiere in der Schublade und das Auto sind ja auch wunderschön aus. Ist jetzt der Zeitpunkt, wo Sie noch mal sagen, okay, wir zeigen mal den anderen, wie es geht?

Ritter: Nein, das ist nicht mehr so. Die Autotechnik entwickelt sich ja in vielem weiter. Es gibt heute viele Methoden, die man damals noch gar nicht hatte. Der "Hotzenblitz" war damals völlig auf der Höhe der Zeit, wäre heute aber ein altes Auto.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt manche Hobbys, die Sie finanziell noch mal fördern, und es gibt ein Kerngeschäft. Ist das die Schokolade, das Familienunternehmen, das in der dritten Generation herstellt? Ist so die Gewichtsverteilung?

Ritter: Ich sehe heute Paradigma und Ritter Sport gleichgewichtig.

Deutschlandradio Kultur: "Paradigma" ist die Firma, die ökologische Heizungsanlagen baut?

Ritter: Ja. Da sind viel höhere Wachstumsraten. Es ist noch die kleinere Firma. Ich bin jetzt wieder Geschäftsführer bei Ritter Sport, weil ich das gerade für notwendig erachtet habe, aber es sind für mich zwei gleichwertige Unternehmen.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem würde mich mal die Unternehmensphilosophie interessieren. Man könnte Sie ja auch als den "guten Menschen aus Waldenbuch" bezeichnen, der in Ökoprojekten engagiert ist. Sie haben Projekte mit Produzenten in Nikaragua, wo Sie eng kooperieren, fair handeln. Da steckt ja ein gesamtes Konzept drin. Ist das das Unternehmertum, das sich auch abgrenzt von manchen anderen, die das schnelle Geld machen wollen?

Ritter: Natürlich möchte auch ich gut Geld verdienen. Aber wenn man sich immer zum Sklaven des Geldes macht und damit sich keinerlei Gestaltung mehr traut, dann - finde ich - hat man den Vorteil des Geldes schon verspielt. Weil der Vorteil des Geldes ist, gewisse Freiräume zu haben. Die nutze ich mit Vergnügen.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie schaffen das, übertarifliche Löhne zu zahlen, ökologisch Ihre Fabriken zu sanieren, gute Preise für die Produzenten zu bezahlen, mit denen fair umzugehen, trotzdem schwarze Zahlen zu schreiben. Da sind Sie doch wirklich ein Ausnahmeunternehmen, während andere versuchen sich mit Billiglöhnen über Wasser zu halten.

Ritter: Ich verstehe die Manager von großen Aktiengesellschaften gut, die nicht anders handeln können, weil sie müssen immer ein Quartalsergebnis abliefern. Wie viel ich verdiene oder nicht verdiene, geht noch meine Schwester was an und sonst keinen - und das Finanzamt natürlich. Ich kann es mir durchaus erlauben, auch mal langfristiger zu denken und die Firma als Qualitätshersteller aus Deutschland sehr gut hinstellen und mal zwei Jahre auf Ertrag verzichten und dann sagen, dafür habe ich eine gesund gewachsene Firma, die langfristig sehr ertragreich sein wird. Ich kann mir langfristiges Denken einfach erlauben.

Deutschlandradio Kultur: War für Sie jemals der Gedanke relevant, mit Ihrem Unternehmen an die Börse zu gehen?

Ritter: Nein.

Deutschlandradio Kultur: Aus welchem Grund? Es läge doch eigentlich auf der Hand.
Ritter: Was hätte ich davon?

Deutschlandradio Kultur: Sie könnten expandieren. Sie könnten mehr Leute mit Schokolade glücklich machen. Sie könnten nach China gehen. Sie könnten in Asien versuchen, andere Ritter-Sport-Produkte zu verkaufen und sozusagen das Unternehmen wachsen und gedeihen lassen - mehr Beschäftigung, was auch immer.

Ritter: Und dann hätte ich Quartalsbilanzen und dann hätte ich einen Börsenkurs. Dann hätte ich Aktionärsvertreter und dann muss ich schlechte Löhne zahlen und dann geht das Betriebsklima kaputt und mein persönlicher Spaß auch.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Nachhaltigkeit, Familienunternehmen sind schon das Rückgrat, das möglicherweise eine Gesellschaft, in der wir leben, auch braucht?

Ritter: Familienunternehmen eröffnen mehr Möglichkeiten dazu. Wenn man als Unternehmensziel den shareholder value sieht, hat man meiner Ansicht nach den Gaul von hinten aufgezäumt. Das Unternehmensziel, das ich sehe, ist, die Kunden mit sehr guten Produkten zu versorgen, wo sie dann sagen, das ist es wert, auch einen guten Preis zu zahlen. Damit funktioniert dann plötzlich die ganze Sache sowieso. Dann gibt es auch einen Ertrag.

Aber der springende Punkt, der Anfangspunkt: Ich muss dem Kunden ein Produkt liefern, das es wirklich wert ist. So rum fange ich das Geschäft an.

Deutschlandradio Kultur: Bei den Nüssen haben Sie ja beispielsweise nachgewiesen, dass Sie versuchen die mit hoher Qualität aus dem Ausland zu kriegen. Bei Kakao machen Sie das auch in Nikaragua mit Projekten. Wie ist es eigentlich mit der Milch? Es gibt ja immer wieder den Vorwurf, diese Turbokühe sind nach drei Jahren völlig ausgelutscht, die können nicht mehr gehen, weil das ganze Kalzium aus den Knochen ist. Wo geht diese Milch hin? Auch bei Ihnen in die Schokolade?

Ritter: Wir haben unsere Milch größtenteils aus Allgäu und Schwarzwald, aber auch aus Norddeutschland. Da muss ich jetzt zugeben, ich weiß das auch nicht alles. Aber wir fangen ja auch gerade mit Bio-Schokolade an, wo es dann nachgewiesenermaßen anders ist. Wir stellen Qualitätsanforderungen an die Milch.

Deutschlandradio Kultur: Überprüfen Sie das selbst oder überlassen Sie es den Lebensmittelchemikern, die ohnehin die Milch prüfen?

Ritter: Nee, nee, wir prüfen das selbst. Wir haben selbst unsere Lebensmittelchemiker und machen sehr, sehr intensive Qualitätskontrollen bei allem, was ins Haus kommt.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn Verständnis für die Milchbauern? Die waren jetzt auf der Straße und haben gesagt, sie bekommen zu wenig für einen Liter Milch.

Ritter: Man muss sagen, die landwirtschaftlichen Produkte sind in den letzten Jahren billiger gewesen als die Gesamtinflation war. Die Bauern haben dadurch auch immer schlechter verdient. Das ist ein ganz klarer Effekt. Jetzt haben sie versucht das in einem Schritt nachzuholen. Das stößt natürlich auf Widerstand. Das war vielleicht auch ein zu großer Schritt. Aber grundsätzlich müssen wir uns daran gewöhnen, dass - wenn wir gute Produkte aus der Landwirtschaft haben wollen - die auch was kosten.

Deutschlandradio Kultur: Deshalb gibt es ja auch diesen Markt von Ökoprodukten, der im Wachsen ist. Deshalb sind Sie vielleicht nicht von ungefähr auch auf Bio-Schokolade gekommen. Das machen andere ja auch. Es gibt aber auch noch von Verbraucherschützern den Versuch, das sie sagen, wir möchten gerne kennzeichnen, was sozial verantwortliche Produkte sind. Halten Sie so eine Idee, dass man solche Labels an die einzelnen Produkte setzt, für sinnvoll oder ist das eine Schnapsidee?

Ritter: Grundsätzlich, finde ich, sollte ein Unternehmen darüber Rechenschaft ablegen können, wo es was herbekommen und unter welchen Bedingungen. Wenn man jetzt aber mit Labels anfängt, das ist dann wieder ein Label mehr und Labels haben die Eigenheit, dass die Leute das dann auch wieder versuchen bis zum Letzten auszureizen, das Label auch zu kriegen, wo es nicht mehr ganz stimmt. Also, ich bin nicht Anhänger von einem weiteren Label: Ich bin aber durchaus der Meinung, dass Unternehmen auskunftspflichtiger sein sollten, wo sie was herbekommen.

Deutschlandradio Kultur: Tun Sie es denn schon? Sie wollen ja gerne Vorreiter sein.

Ritter: Wenn Sie auf unsere Internetseite sehen, dann stellen Sie fest, dass wir eigentlich eine sehr große Auskunft geben, was in der Schokolade drin ist, auch alle Inhaltsstoffe, sehr viel, woher wir unsere Sachen beziehen. Wir wissen es auch noch nicht ganz in allen Punkten, aber wir kommen der Sache gerade schnell näher.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Verbraucher wünscht sich vor Ort zum Teil auch so eine gewisse Orientierung, dass er das zuordnen kann.

Ritter: Ja gut, die Klimakatastrophe muss noch ein stückweit gehen, bis hier Kakao wächst. Das können wir also nicht vor Ort machen. Aber Milch und Zucker holen wir hier aus Deutschland. Haselnüsse sind im Wesentlichen aus der Türkei, weil das die größten Anbauländer sind. Wir kaufen schon weltweit da ein, wo wir das Beste bekommen. Kalifornische Rosinen sind halt nicht so leicht zu toppen und dann kaufen wir kalifornische Rosinen.

Deutschlandradio Kultur: Wie viel CO2-Belastung ist in so einer 100-Gramm-Schokoladentafel drin? Kann man das umrechnen? Sie, als Ökomanager in den 90er Jahren, werden sich da sehr wahrscheinlich auch schon Gedanken gemacht haben. Sie sagten eben, hier die Zutaten aus Kalifornien, die Nüsse aus der Türkei oder wo auch immer her.

Ritter: Das fragen Sie mich jetzt gerade ein bisschen zu früh. Wir sind gerade dabei, das genauer zu eruieren mit dem Ökoinstitut Freiburg zusammen, aber ich habe die Ergebnisse noch nicht.

Deutschlandradio Kultur: Wenn das nicht so gut aussähe, wie Sie sich das vielleicht vorstellen, gäbe es dann vielleicht auch eine Überlegung, dass Sie sagen, wir verzichten auf kalifornische Nüsse, wir nehmen getrocknete Birnen aus der Schwäbischen Alb, da sind die Transportkosten geringer und das wird eine Superschokolade?

Ritter: Mit Sicherheit nicht, weil ich ein Qualitätsprodukt machen will. Aber man wird sich schon manche Gedanken machen: Sind die Transportwege in Ordnung? Kann man die verändern? Wir haben in der Schokoladenfabrik selber sehr viel unternommen. Wir haben ein Blockheizwerk, wo wir doch eine sehr gute Energieausnutzung haben. Wir haben dadurch unseren Primärenergieverbrauch selbst um ein Drittel reduziert. Das ist noch nicht das Ende vom Lied. Die nächsten Schritte sind nicht mehr so spektakulär, aber wir werden noch einiges hinkriegen.

Deutschlandradio Kultur: Zum Beispiel, was?

Ritter: Wir sind jetzt gerade an einer großen Untersuchung, wie unsere Kühltechnik ist und ob wir die energieeffizienter hinkriegen. Da gibt es viele kleine Schritte. Wir haben schon lange ein Stromoptimierungsprogramm geschaltet, das den Stromverbrauch in der Firma gleichmäßiger macht. Aber das sind lauter Schritte, wo jeder für sich nicht spektakulär ist, aber wenn man das fünf Jahre lang macht, dann kommt was raus.

Deutschlandradio Kultur: Sind Sie unter Ihren Unternehmerkollegen verschrien? Sind Sie so ein bisschen der bunte grüne Vogel vielleicht oder zumindest mit grünem Anstrich?
Ritter: Ja gut, so ein klares ökologisches Verständnis, wie ich mich verstehe, ist vielleicht schon eher noch die Ausnahme.

Deutschlandradio Kultur: Sie können innerhalb Ihres Unternehmen eine ganze Menge machen, von dem Sie glauben, dass es sinnvoll ist für das Unternehmen, für die Menschen, die dort arbeiten, was auch immer. Es gibt aber auch gesetzliche Rahmenbedingungen. Der Bundesfinanzminister macht sich beispielsweise seit Monaten Gedanken über die geplante Steuerreform auch für Familienunternehmen und wie man das am besten regeln könnte. Möglicherweise trifft das auch ein Unternehmen in dritter Generation wie Ritter Sport.

Ritter: Ich mag mich da in die Politik nicht einmischen. Das müssen andere Leute wissen. Ich bin kein Politiker. Was Unternehmen gut tut, ist völlig klar, dass man nicht das Unternehmen dann, um die Erbschaftssteuer bezahlen zu können, verkaufen muss, was ja auch vorkommt. Mein Wunsch an die Politik wäre, um überhaupt in Deutschland Unternehmen gut halten zu können, sehr stark die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Weil das macht Deutschland schwierig. Wenn ich das Doppelte ausgeben muss von dem, was ein Arbeitnehmer nachher in die Hand kriegt, dann ist da einfach was falsch.

Deutschlandradio Kultur: Das hängt aber immer davon ab, wie viel Lohnkosten insgesamt in dem Produkt drin stecken. Ist der Anteil denn so hoch bei der Herstellung von Schokolade oder ist das nicht soweit automatisiert, dass Sie sagen, der Lohnkostenbereich ist sowieso nur ein marginaler Teil?

Ritter: Also, marginal ist er nicht. Aber wenn er wirklich so extrem hoch wäre, könnte ich in Deutschland nicht mehr produzieren. Ich kann es trotzdem, weil es nur ein kleinerer Teil der Kosten ist.

Deutschlandradio Kultur: Wenn die Lohnkosten weiter runtergehen, was Ihnen hilft, teilweise geht es ja auch, weil die Beiträge an die Bundesagentur für Arbeit deutlich runter gefahren werden, und Sie Gewinne machen, sind Sie eigentlich ein Unternehmer, der sagt, ja, wenn ich Gewinne mache, dann zahle ich auch gern Steuern?

Ritter: Also, ich habe von diesem Land sehr viel profitiert immer. Es ist ein Land mit einer hohen Sicherheit, mit einer hohen Versorgungssicherheit. Hier gibt es trinkbares Wasser aus der Leitung. Hier funktioniert der Strom. Hier gibt es ein Straßensystem. Mir ist völlig klar, das muss finanziert werden. Ich zahle auch gern angemessene Steuern. Ich finde auch nicht, dass ich das weggebe. Wir sind eine Demokratie. Wir sind der Staat. Wir tun es bloß in unseren größeren Geldbeutel in der Hoffnung, dass diejenigen, die den dann verwalten, das auch vernünftig machen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie es politisch in der Hand hätten, was würden Sie verändern, an welchen Stellen? Wo würden Sie sagen, ich als mittelständischer Unternehmer, als Arbeitgeber, würde da und da entscheidend verändern, damit nach wie vor eben diese Arbeitsplatzsicherheit, die Sie ja auch haben, gewährleistet ist?

Ritter: Ich würde auf jeden Fall sehr viel mehr Geld in Ausbildung stecken. Ich würde gucken, dass wir von den Lohnnebenkosten ein Stück runter kommt zugunsten einer verbrauchsorientierten Steuer. Alles, was Ressourcen verbraucht, finde ich, sollte höher besteuert werden und den Staatshaushalt mehr darüber finanzieren.

Ansonsten bin ich der Meinung, dass wir in Deutschland einen Verwaltungsaufwand für alle möglichen Sachen betreiben, seien es Krankenkassen, Steuern, Sozialabgaben, Sozialhilfen aller Art, das sprengt die Vernunft.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ritter, jetzt sind Sie 55. Möglicherweise könnte es ja sein, dass in ein paar Jahren mal die Landesregierung hier in Baden-Württemberg nicht FDP-CDU ist, vielleicht sogar Schwarz-Grün. Dann käme möglicherweise einer auf die Idee und würde sagen: Wir brauchen einen, der hat Unternehmenserfahrung, der ist ökologisch orientiert, der ist erfolgreich. Wir nehmen mal den Alfred Ritter und fragen ihn, ob er Wirtschaftsminister in diesem schönen Bundesland werden wolle. Können Sie sich so was vorstellen, so als Abschluss Ihrer langen beruflichen Lebenslaufbahn?

Ritter: Ich könnte mir vorstellen, dass mich das einer fragt. Ich könnte mir nie vorstellen, dass ich es tue.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ritter, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.


Das vollständige Gespräch mit dem Schokoladenproduzenten Alfred Ritter können Sie mindestens bis zum 26. Dezember in unserem Audio-On-Demand-Player hören. ( MP3-Audio )