Gutachten

Stuttgart21 soll teurer werden und später fertig sein

Stuttgart 21: Blick von oben auf die Grossbaustelle im Gleisfeld des Hauptbahnhofes.
Stuttgart 21: Blick von oben auf die Grossbaustelle im Gleisfeld des Hauptbahnhofes. © picture alliance / dpa / Benjamin Beyteki
Von Uschi Götz · 15.06.2016
Das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ist seit Jahren umstritten, nun könnten die Gegner neuen Auftrieb bekommen. Denn nach neuesten Berechnungen könnten die Kosten von 6,5 auf 9,8 Milliarden steigen. Zudem soll das Projekt vier Jahre später als geplant fertig werden.
Es ist die 324. Montagsdemo in Stuttgart, seit Jahren trifft sich zum Wochenauftakt ein harter Kern der Projektgegner zum Protest. Seit wenigen Tagen ist bekannt: Die Bahn hat Probleme. Stuttgart21 könnte teurer werden und später als geplant in Betrieb gehen.
Am Dienstagabend wurde bekannt: Volker Kefer, stellvertretender Bahnchef, wirft das Handtuch. Er stehe für eine Verlängerung seines bis September 2017 laufenden Vertrages nicht zur Verfügung, teilte die Bahn gestern Abend mit.
Kefer ziehe die Konsequenzen aus der Kritik an seiner Informationspolitik über das Bahnprojekt, heißt es in einer Agenturmeldung.

Stuttgarts OB Fritz Kuhn: "Kommunikationsdesaster"

Ein dramatisches Signal. Der 60-jährige Vorstand Kefer ist seit 2010 auch für Stuttgart 21 zuständig. Fritz Kuhn, Stuttgarts grüner Oberbürgermeister, spricht von einem "Kommunikationsdesaster". Es sei ein klarer Vertrauensbruch, wie die Bahn mit ihren Projektpartnern umgehe. Auch der grüne Landesverkehrsminister Winfried Hermann kritisiert die Bahn:
"Wir haben uns sofort gemeldet und auch uns beschwert, dass die Projektpartner doch besser und schneller und direkter informiert sein müssen, und auch glaubwürdig informiert sein müssen, umfassend informiert sein müssen."
Ein Gutachten des bayerischen Büros Vieregg und Rössler, wonach das auf 6,5 Milliarden Euro bezifferte Großprojekt am Ende bis zu 9,8 Milliarden kosten könnte, wies die Bahn weit von sich. Ebenso die Prognose, das Projekt ginge vier Jahre später als von der Bahn geplant in Betrieb.
"Also da ging uns allen durch den Kopf: Man kann natürlich fantasieren, man kann natürlich auch Fantasiezahlen aufschreiben. Wenn man nicht schon 70 Prozent aller Arbeiten vergeben hätte, dann müsste man ernsthaft darüber nachdenken. Aber wir haben die Kosten im Griff."
Behauptete der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Brunnhuber noch kurz nach Weihnachten, in seiner Funktion als Chef des Vereins Bahnprojekt Stuttgart-Ulm. Vor der heutigen Sitzung wollte man sich vonseiten der Bahn nicht äußern.

Vier Jahre Bauverzögerung

Als sicher gilt mittlerweile: Der Finanzpuffer von rund einer halben Milliarde Euro für das Bahnprojekt ist nahezu aufgebraucht. Der Kostenrahmen von 6, 5 Milliarden Euro dürfte so nicht mehr zu halten sein. Das gilt auch für den Zeitplan.
Statt 2021 sollen die ersten unterirdischen Züge nun erst zwei Jahre später in Stuttgart ankommen. Verkehrsberater Martin Vieregg sieht sich auch in seinem zweiten Gutachten bestätigt und erklärt die Kostensteigerung mit aufwändigen Bauarbeiten, vor allem unter der Erde:
"Wir gehen inzwischen von vier Jahren Bauzeitverzögerung aus, die Bahn jetzt inzwischen von zwei Jahren Bauzeitverzögerung. Das führt noch einmal zu erheblichen Mehrkosten aufgrund der Inflation".
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart21 appellierte im Vorfeld der heutigen Sitzung, die Bahn-Aufsichtsräte müssten Alternativen zum Weiterbau mitbedenken und präsentierten zu Beginn der Woche eigene Planungen, wie es nach einem Baustopp des Bahnprojekts weitergehen könnte. Eisenhart von Loeper vom Aktionsbündnis K21:
"Es gibt eine dramatische Kostenverschleierung, die die Bahn hier seit Jahren betreibt und die jetzt wieder sichtbar wird. Es gibt eine eingestandene Bauzeitverzögerung, die beide zusammen zeigen, dass dem Bahnvorstand die Projektentwicklung längst entglitten ist und der Bahnvorstand mit dieser Projektentwicklung schlicht überfordert ist."
Das Land Baden-Württemberg wird sich an möglichen Mehrkosten nicht beteiligen. Das ist im Koalitionsvertrag der neuen grün-schwarzen Landesregierung ausdrücklich vermerkt.

Vertrag des Bahnchefs läuft aus

Die Diskussion um Kosten- und Zeitplan beim Bahnprojekt Stuttgart21 trifft Bahnchef Rüdiger Grube zur Unzeit. Auch Grubes Vertrag läuft Ende 2017 aus, der Bahnchef wünscht allerdings bereits Ende dieses Jahres eine Vertragsverlängerung, für die wiederum das Kanzleramt zuständig ist.
Bislang heißt es, Bundeskanzlerin Angela Merkel stehe zu Grube. Dem scheidenden Vorstand Kefer könnte der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla als Bahnvize folgen. Ein abgekartetes Spiel, heißt es bei den Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart21":
"Die Frau Merkel ist die Hauptverantwortliche, dass das Projekt überhaupt gebaut wird. Sie hat sich persönlich durch ihren Herrn Pofalla dafür eingesetzt und hat den Aufsichtsrat beeinflusst und manipuliert. Sie ist persönlich verantwortlich."
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