Gut geschriebene Wucht an Negativität

21.08.2008
Es ist ein schneller, böser, vielleicht etwas überambitionierter Roman, den Niccolò Ammaniti geschrieben hat. Im Mittelpunkt steht der am Rande des sozialen Abgrunds lebende Looser Rino. Er ist gewalttätig, neurotisch und ein Neonazi. Dennoch gelingt es dem Autor Sympathien für ihn zu wecken.
Diesen Roman kann man - trotz der einfachen Sprache und des vermeintlich geringen intellektuellen Niveaus der Handelnden – nicht "einfach so weglesen". Zunächst entwickelt der kalte Schauer von insgesamt fast fünfhundert Seiten ärgstem sozialen Elend eine morbide Anziehungskraft, die mindestens bis Seite 150 allein schon reicht.

Und dann passiert etwas Unerwartetes. Die trotz unendlich viel Sozialhorrors anrührende Geschichte von Rino Zena und seinem 13-jährigen Sohn Cristiano, die - von der Mutter Cristianos verlassen - am Rande des sozialen Abgrunds einer italienischen Kleinstadt vegetieren, nimmt jeden vorher sorgfältig ausgelegten Handlungsfaden auf und knüpft recht unvermittelt einen Text einer ganz anderen Gattung: der des Thrillers.

Der erste Abschnitt ist eine Raymond-Carver-artige Episodengeschichte und öffnet – dem metaphysischen Titel "Wie es Gott gefällt" entsprechend – eine durch und durch schwarze Perspektive auf die halb- oder ganz-verblödeten, mit dem Neonazismus flirtenden geistig Ärmsten unter den ewigen Brennpunktbewohnern. Herrlich, denkt der Leser, endlich wieder ein respektables Werk aus Samuel Becketts weit verzweigter Verwandtschaft, eine gut geschriebene Wucht an Negativität.

Und dann mutiert der Text zum Thriller, in dem nicht der Mörder gesucht wird, sondern gewissermaßen das Ausfransen der Täterschaft in die Peer Group des Mörders gezeigt wird, eine tragische Konstellation. Spannung entsteht, weil man dem armen Tropf von Dorftrottel beim Kaschieren seiner Mordtat zuschauen muss bis zuletzt.

Bis zuletzt, weil der nach seiner Lieblingspizza "Quattro Fromaggi" genannte Dorftrottel gleichsam die Inkarnation der Frage "Warum lässt Gott das zu?" ist – einer Frage, die sich die Protagonisten des überaus lesenswerten und streckenweise komischen Romans ab und an selbst stellen. Komisch ist die Spannung zwischen der metaphysischen Schwärze im Blick auf die Romanwelt und den gelegentlichen, slapstickhaften Ausbrüchen der Handelnden.

Dass hier einmal mehr der Katholizismus ad absurdum geführt wird – aber in einer Weise, die diesen ernst nimmt -, ist eigentlich nur Beiwerk. Es geht in "Wie es Gott gefällt" um die letzten verlöschenden Lichter in der absoluten Dunkelheit.

Die Religion erscheint in der Geschichte als absterbendes, quasi-magisches Alltagsritual. Padre-Pio-Medallions und neofaschistische Gesinnung schließen sich nicht aus. Wie in Pasolinis neorealistischen Roman- und Film-Welten, denen Ammaniti einiges verdanken mag, liegt faschistischer Vitalismus eng neben der kapitalismuskritischen Verklärung des Proleten.

Der Leser – schon das ist eine Leistung des Autors – identifiziert sich unweigerlich mit einem gewalttätigen, neurotischen Neonazi, mit Rino. Sein Sohn Cristiano, der andere Held des Romans, steht immer mit einem Bein im Jugendheim. Rino will mit seinen zweifelhaften Freunden den Geldautomaten knacken. Auch dieser Plan franst aus und führt schließlich zur Katastrophe.

Niccolò Ammaniti zieht sein Schema (Dunkelheit – Thriller – Dunkelheit) gnadenlos durch. Dass es auch noch einen versagenden Sozialarbeiter geben muss, ist vielleicht in wenig zu dick aufgetragen. Aber alles in allem handelt es sich bei "Wie es Gott gefällt" um ein stattliches Werk für die Fraktion derer, die ihre Schlüsse lieber aus dem düsteren Blick auf die Welt ziehen.

Ammaniti ist ein packendes Buch mit der Schwärze von Thomas Bernhard und der Unerbittlichkeit von Chuck Palahniuk gelungen, ein Monolith der negativen Mystik. Dass mit dieser widerborstigen, schwarzen Gnosis wie im Falle Niccolò Ammaniti in Italien Bestseller gelandet werden können, ist ein Wunder für sich, neben dem anderen Wunder, das im Roman eine wichtige Rolle spielt.

Auch Liebhaber von Engelserscheinungen kommen in diesem schnellen, bösen, vielleicht etwas überambitionierten Roman zu ihrem Recht.

Rezeniert von Marius Meller

Niccolò Ammaniti: Wie es Gott gefällt
Aus dem Italienischen von Katharina Schmidt
Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
485 Seiten, 21,90 Euro